Man muß nur online sein, und schon kommt man in Sekundenschnelle an jede gewünschte Information. Einkaufen von zuhause, Schulunterricht am Bildschirm, mehr Demokratie durch elektronische town meetings sind Versprechungen einer digitalisierten Zukunft. Das Internet, so sagt der Autor ist bereits jetzt eine unüberschaubare Datenwüste, die jeden Benutzer verschlingt und dann alleine läßt. So wunderbar, wie sie uns versprochen wurde, ist die schöne neue Welt des Internet gar nicht. Diese Behauptung trifft Clifford Stoll in seinem Buch, nachdem er selbst jahrelang zu den begeistertsten Benutzern des Internet gehörte. Mit trockenem Humor dämpft er entstandene Euphorien und wartet schließlich mit der Erkenntnis auf: das wahre Leben spielt sich wohl anderswo ab als auf dem Bildschirm.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.04.1996Der wunderbare Spielsalon
Clifford Stolls Unwohlsein im Internet / Von Bernhard Dotzler
Vorsicht: Schwindel! "Die Wüste Internet. Geisterfahrten auf der Datenautobahn" - der für die deutsche Ausgabe von Clifford Stolls "Second Thoughts on the Information Highway" gewählte Titel lockt mit irreführenden Assoziationen. Man denkt sofort an die vielgerühmten Nomaden im Netz, dabei handelt es sich gar nicht um das hunderttausendste Buch, das einmal mehr die "Pfingstwunder weltweiter Verständigung und Einheit" (McLuhan) preist. Im Gegenteil. Und der deutsche Titel ist insofern richtig, als es - auch - um die Verwüstung geht, die der Technoboom im Zwischenmenschlichen anrichtet: "Ein Teenager in Berkeley begann einen Computer zu benutzen, als er drei Jahre alt war; heute kennt er das Internet in- und auswendig, kann sich aber nicht mit einem Erwachsenen unterhalten."
Als Anfang dieses Jahrhunderts das "Handbuch des Schwindels" eines gewissen Ewald Gerhard Seeliger erschien (heute kennt man diesen Autor, wenn überhaupt, allein noch wegen seines Romans "Peter Voß, der Millionendieb"), konnte man darin als Erklärung zum Stichwort "Maschine" die Definition finden: "richtig ausgedachte Vorrichtung zur Arbeitshilfe". Inzwischen hat sich der Computer als "die" Maschine der Gegenwart und Zukunft durchgesetzt. Bringt auch er, womit ja gern geworben wird, wirkliche Arbeitserleichterung?
Neben den etwas grämlichen Einlagen, um womöglich doch die Menschheit noch zur Umkehr zu bewegen, ist dies die Hauptfrage des Buchs. Und soweit es nach ihr geht, bietet es sogar einmal regelrecht auflockernde Lektüre. Es prangt nicht mit Neuheiten und verspricht dergleichen auch gar nicht erst. Seine Thesen umfassen E-mail und Hypertext, das virtuelle Reich phantastischer Spielwelten und die Freuden des Teleshopping, digitale Bildverarbeitung und elektrifizierte Klassenzimmer, verschwundene Bibliotheken, Online-Konferenzen, die Benutzerfreundlichkeit der Systeme, freien Informationszugang und Datensicherheit, kurzum die ganze Palette dessen, was derzeit in aller Munde ist. Nur daß Stoll, statt einzustimmen in den Chor derer, die große und neue Zeiten ausrufen, einfach die banale Wirklichkeit ins Visier nimmt: "Computerfreaks verlangen nachdrücklich von mir, meine angestaubten Programme auszurangieren und durch schnellere, effizientere Software zu ersetzen. Sie versprechen präzisere Integration, größere Möglichkeiten und raschere Kommunikation. Aus Erfahrung kenne ich meine tatsächlichen Kosten: Stunden der Frustration."
Wenn man sich schon fortwährend von den Slogans der laufenden Kommunikationsrevolution getrieben sieht, sollte daher die kurze Verschnaufpause, die ein Blättern in diesem Buch bietet, nicht ganz unwillkommen sein. Es ist nicht besser und nicht schlechter als die anderen. Nicht einmal weniger oberflächlich. Es macht nur einem Ärger Luft, der einen nicht geringen Teil unserer sogenannten Computerkultur durchsetzt. Das Internet, heißt es, sorge für "schnelle Kommunikation": "In Wirklichkeit ist das Internet zur Geschäftszeit quälend langsam . . ." In der "vernetzten Welt" ereigne sich ein "Comeback der Schreibkultur". Jedoch: "Mit der Chance eines jeden, seine Werke ins Netz zu schicken, erinnert das Internet langsam an die Ramschkisten vor den Buchhandlungen . . ."
Die Software, so wird gepriesen, werde mit jedem Up-date professioneller. Aber: "Die neuen Versionen verwandeln einfache Programme in gigantische Software-Monolithen, jedes ein Betriebssystem für sich. Es ist, als würde mein Schneebesen zum Teilchenbeschleuniger . . ." - und so nörgelt Stoll sich immer weiter durch alle Bereiche der digitalen Welt, in der wir leben. Den Schluß bilden die gattungsüblichen kommentierten Literaturhinweise, polemisch auch sie: ",The Experts Speak' (Die Fachleute haben das Wort) von Christopher Cerf und Victor Navasky. Hören Sie bedeutende Persönlichkeiten die Zukunft vorhersagen. Alles falsch." Schwindel eben.
Clifford Stoll: "Die Wüste Internet". Geisterfahrten auf der Datenautobahn. Aus dem Amerikanischen von Hans Jörg Friedrich. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1996. 350 S., br., 38,- Mark.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Clifford Stolls Unwohlsein im Internet / Von Bernhard Dotzler
Vorsicht: Schwindel! "Die Wüste Internet. Geisterfahrten auf der Datenautobahn" - der für die deutsche Ausgabe von Clifford Stolls "Second Thoughts on the Information Highway" gewählte Titel lockt mit irreführenden Assoziationen. Man denkt sofort an die vielgerühmten Nomaden im Netz, dabei handelt es sich gar nicht um das hunderttausendste Buch, das einmal mehr die "Pfingstwunder weltweiter Verständigung und Einheit" (McLuhan) preist. Im Gegenteil. Und der deutsche Titel ist insofern richtig, als es - auch - um die Verwüstung geht, die der Technoboom im Zwischenmenschlichen anrichtet: "Ein Teenager in Berkeley begann einen Computer zu benutzen, als er drei Jahre alt war; heute kennt er das Internet in- und auswendig, kann sich aber nicht mit einem Erwachsenen unterhalten."
Als Anfang dieses Jahrhunderts das "Handbuch des Schwindels" eines gewissen Ewald Gerhard Seeliger erschien (heute kennt man diesen Autor, wenn überhaupt, allein noch wegen seines Romans "Peter Voß, der Millionendieb"), konnte man darin als Erklärung zum Stichwort "Maschine" die Definition finden: "richtig ausgedachte Vorrichtung zur Arbeitshilfe". Inzwischen hat sich der Computer als "die" Maschine der Gegenwart und Zukunft durchgesetzt. Bringt auch er, womit ja gern geworben wird, wirkliche Arbeitserleichterung?
Neben den etwas grämlichen Einlagen, um womöglich doch die Menschheit noch zur Umkehr zu bewegen, ist dies die Hauptfrage des Buchs. Und soweit es nach ihr geht, bietet es sogar einmal regelrecht auflockernde Lektüre. Es prangt nicht mit Neuheiten und verspricht dergleichen auch gar nicht erst. Seine Thesen umfassen E-mail und Hypertext, das virtuelle Reich phantastischer Spielwelten und die Freuden des Teleshopping, digitale Bildverarbeitung und elektrifizierte Klassenzimmer, verschwundene Bibliotheken, Online-Konferenzen, die Benutzerfreundlichkeit der Systeme, freien Informationszugang und Datensicherheit, kurzum die ganze Palette dessen, was derzeit in aller Munde ist. Nur daß Stoll, statt einzustimmen in den Chor derer, die große und neue Zeiten ausrufen, einfach die banale Wirklichkeit ins Visier nimmt: "Computerfreaks verlangen nachdrücklich von mir, meine angestaubten Programme auszurangieren und durch schnellere, effizientere Software zu ersetzen. Sie versprechen präzisere Integration, größere Möglichkeiten und raschere Kommunikation. Aus Erfahrung kenne ich meine tatsächlichen Kosten: Stunden der Frustration."
Wenn man sich schon fortwährend von den Slogans der laufenden Kommunikationsrevolution getrieben sieht, sollte daher die kurze Verschnaufpause, die ein Blättern in diesem Buch bietet, nicht ganz unwillkommen sein. Es ist nicht besser und nicht schlechter als die anderen. Nicht einmal weniger oberflächlich. Es macht nur einem Ärger Luft, der einen nicht geringen Teil unserer sogenannten Computerkultur durchsetzt. Das Internet, heißt es, sorge für "schnelle Kommunikation": "In Wirklichkeit ist das Internet zur Geschäftszeit quälend langsam . . ." In der "vernetzten Welt" ereigne sich ein "Comeback der Schreibkultur". Jedoch: "Mit der Chance eines jeden, seine Werke ins Netz zu schicken, erinnert das Internet langsam an die Ramschkisten vor den Buchhandlungen . . ."
Die Software, so wird gepriesen, werde mit jedem Up-date professioneller. Aber: "Die neuen Versionen verwandeln einfache Programme in gigantische Software-Monolithen, jedes ein Betriebssystem für sich. Es ist, als würde mein Schneebesen zum Teilchenbeschleuniger . . ." - und so nörgelt Stoll sich immer weiter durch alle Bereiche der digitalen Welt, in der wir leben. Den Schluß bilden die gattungsüblichen kommentierten Literaturhinweise, polemisch auch sie: ",The Experts Speak' (Die Fachleute haben das Wort) von Christopher Cerf und Victor Navasky. Hören Sie bedeutende Persönlichkeiten die Zukunft vorhersagen. Alles falsch." Schwindel eben.
Clifford Stoll: "Die Wüste Internet". Geisterfahrten auf der Datenautobahn. Aus dem Amerikanischen von Hans Jörg Friedrich. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1996. 350 S., br., 38,- Mark.
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