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Während die meisten Deutschen nach 1945 damit beschäftigt waren, die Folgen des Krieges zu bewältigen, kümmerte sich eine kleine Gruppe von einflussreichen Männern um den wirtschaftlichen Wiederaufbau und um den Fortgang ihrer eigenen Karrieren. Die bekannte Journalistin Nina Grunenberg erzählt die Geschichte dieser Wundertäter , ihren Aufstieg im Nationalsozialismus und ihre prägende Wirkung auf die Bundesrepublik.

Produktbeschreibung
Während die meisten Deutschen nach 1945 damit beschäftigt waren, die Folgen des Krieges zu bewältigen, kümmerte sich eine kleine Gruppe von einflussreichen Männern um den wirtschaftlichen Wiederaufbau und um den Fortgang ihrer eigenen Karrieren. Die bekannte Journalistin Nina Grunenberg erzählt die Geschichte dieser Wundertäter , ihren Aufstieg im Nationalsozialismus und ihre prägende Wirkung auf die Bundesrepublik.
Autorenporträt
Nina Grunenberg, geboren 1936 in Dresden, zählt seit Jahrzehnten zu den bekanntesten und renommiertesten deutschen Journalisten. Seit 1961 gehört sie der Redaktion der "Zeit" an.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.08.2007

Keine Wunderknaben
Albert Speers "Kindergarten" in der frühen Bundesrepublik

Unternehmerische Netzwerke sind für das Funktionieren der Marktwirtschaft unentbehrlich. Dies gilt für die personellen Beziehungen der Alumni von Harvard oder Yale in der liberalen Marktwirtschaft der Vereinigten Staaten - und noch viel mehr für die institutionellen Beziehungen der korporativen Marktwirschaft auf dem europäischen Kontinent. Schon Walther Rathenau beschrieb das Netzwerk der europäischen Wirtschaft als die Arbeit von 300 Männern, die die wirtschaftlichen Geschicke des Kontinents leiten: "Männer, von denen jeder jeden kennt." Kein Wunder, dass die Arbeit der Netzwerkspezialisten seit Jahren im Mittelpunkt der historischen und soziologischen Forschung steht, die die Funktionsweise der Marktwirtschaft entschlüsseln will.

Dennoch glaubt Nina Grunenberg, sie habe noch eine Lücke ausgemacht, die es zu schließen sich lohnt. Die Journalistin will jene Führungselite der deutschen Wirtschaft ins Licht rücken, die sich Anfang der vierziger Jahre als Unterbau des Speerschen Rüstungsministeriums formiert hatte und während der langen fünfziger Jahre die Kommandohöhen der westdeutschen Wirtschaft besetzt hielt. Von den Nationalsozialisten zynisch "Selbstverwaltung der Wirtschaft" genannt, von anderen als "Speers Kindergarten" verspottet, sorgten diese etwa 6000, meist sehr jungen Ingenieure und Manager für die skrupellose Durchsetzung der Rüstungsziele des Regimes innerhalb der deutschen Wirtschaft. Ausgerechnet in diesem fanatischen Stoßtrupp des Regimes, der mit Rücksichtslosigkeit und Exzellenz die angebliche Trägheit traditioneller Wirtschaftsführer überwinden sollte, sieht Frau Grunenberg nun die "Wundertäter" der Nachkriegswirtschaft. Die Borgwards, Nordhoffs und Neckermänner, über die sie schreibt, sind in ihren Augen "Männer, die es in sich hatten". In ihnen erkennt sie "die Wirtschaftsführer, die Westdeutschland aus den Trümmern des Nationalsozialismus aufbauten". Ihrer Energie sei es zu verdanken, dass die Westdeutschen wieder wohlhabend wurden und sich auch politisch rehabilitieren konnten.

Nun könnte man mit Brecht zu Recht fragen, ob die "Wundertäter" nicht wenigstens einen Koch dabei hatten. Dies träfe aber nicht einmal den Kern der Kritik, die an diesem Buch angebracht ist. Wenn es nur dieser Rückfall in eine Wirtschaftsgeschichte als Erzählung der Taten großer Männer wäre, der den Leser irritiert, könnte man rasch zur nostalgischen Tagesordnung übergehen. Eine Journalistin darf ruhig eine andere Perspektive haben als der Historiker. Problematisch ist diese Perspektive aus einem anderen Grund. Nicht der Tatkraft und der Kompetenz einiger "Wirtschaftsführer" ist das Wirtschaftswunder der langen fünfziger Jahre zu verdanken, sondern der besonderen Konstellation der Rekonstruktion, die bis Anfang der sechziger Jahre besondere Wachstumsbedingungen schuf. Während dieser Zeit lassen sich richtungweisende unternehmerische Entscheidungen selbst in Großbetrieben kaum finden, wie man aus der Forschung zur neueren Unternehmensgeschichte weiß. Der Wiederaufbau kennt seine Märkte und macht unternehmerische Führung weitgehend entbehrlich. Gefragt sind Ingenieure und Manager, die "den Laden schmeißen". So gesehen, haben sich Speers Kettenhunde mit dem Zusammenbruch der deutschen Wirtschaft die Lage selbst geschaffen, von der sie dann nach 1945 profitierten.

Nina Grunenbergs Buch bietet weder Neues zur wirtschaftlichen Funktion von Speers "Kindergarten", noch liefert es eine neuartige "kollektivbiographische" Sicht des Wirtschaftswunders, zusammengesetzt aus den Lebensdaten und Heldentaten der einflussreichsten Wirtschaftskapitäne der Wirtschaftswunderzeit. Alle kommen sie aus Speers junger, brillanter und fanatisierter Einpeitschtruppe für den wirtschaftlichen Endsieg, zögerten nicht, über Leichen zu gehen, und haben sich ein verlässliches Netzwerk geschaffen. Unterscheiden sich diese Netzwerke aber von den heutigen? Hat die Sozialisation im "Dritten Reich" den "Wundertätern" besondere Fähigkeiten vermittelt, die den späteren Erfolg begründeten? Kaum. Sie waren lausige Unternehmer im Umgang mit Finanzen, betont die Verfasserin zu Recht. Das wurde vielen von ihnen zum Verhängnis, als die nationalsozialistische Devise "Koste es, was es wolle" am Ende des Wirtschaftswunders nicht mehr zog. Insoweit waren sie weniger "Wundertäter" als Profiteure des Wirtschaftswunders, das ihnen erlaubte, als Unternehmer erfolgreich zu sein.

Leider ist es längst zu spät, die Zeitzeugen selbst zu befragen. Nur einer der 17 vorgestellten "Wundertäter", Werner Otto, der Gründer des Otto-Versandes, konnte bald hundertjährig noch selbst Rede und Antwort stehen. Umso bereitwilliger taten dies Dritte, in Interviews und Erinnerungen oder einfach in Kolportage und Klatsch. Da ist es schwer, die Spreu vom Weizen zu trennen. Dichtung und Wahrheit liegen eng beisammen, wenn etwa der im forensischen Milieu erprobte Eberhard von Brauchitsch als Zeitzeuge auftritt. Was den Leser erwartet, ist ein kurzweiliges biographisches Kaleidoskop, das die westdeutsche Wirtschaftsgeschichte der langen fünfziger Jahre als lebensgeschichtliches Patchwork darstellt.

WERNER ABELSHAUSER.

Nina Grunenberg: Die Wundertäter. Netzwerke der deutschen Wirtschaft 1942 bis 1966. Siedler Verlag, München 2006. 318 S., 22,95 [Euro].

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