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Wenn wir über das Leben und dessen Ursprünge sprechen, denken wir an Menschen oder Tiere. Und die Pflanzen? Sie sind nur Gegenstand der Botanik, in der Philosophie spielen sie seit Aristoteles' Vorstellung eines vegetativen Seelenvermögens keine Rolle mehr. Kaum zu glauben, denn sie sind die eigentlichen Erschaffer der Welt. Sie können sich nicht bewegen und sind doch geniale Handwerker, sie vermitteln zwischen Erde und Sonne und besitzen verborgene zweite Körper im Boden. Emanuele Coccia gibt dem Leser ein neues Bewusstsein für die faszinierende Schönheit der Natur. Denn Pflanzen sind mehr…mehr

Produktbeschreibung
Wenn wir über das Leben und dessen Ursprünge sprechen, denken wir an Menschen oder Tiere. Und die Pflanzen? Sie sind nur Gegenstand der Botanik, in der Philosophie spielen sie seit Aristoteles' Vorstellung eines vegetativen Seelenvermögens keine Rolle mehr. Kaum zu glauben, denn sie sind die eigentlichen Erschaffer der Welt. Sie können sich nicht bewegen und sind doch geniale Handwerker, sie vermitteln zwischen Erde und Sonne und besitzen verborgene zweite Körper im Boden. Emanuele Coccia gibt dem Leser ein neues Bewusstsein für die faszinierende Schönheit der Natur. Denn Pflanzen sind mehr als blühender Zufall, sie sind Grundlage allen Lebens und damit unentbehrlich für unser Wissen über uns.
Autorenporträt
Emanuele Coccia, geboren 1976, lehrt Philosophiegeschichte an der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris. Er promovierte in Florenz und war Assistenzprofessor für Geschichte der Philosophie in Freiburg. 2018 erschien sein preisgekröntes Buch Die Wurzeln der Welt auf Deutsch, 2020 folgte Sinnenleben, 2021 Metamorphosen und 2022 Das Zuhause. Sein Werk wird in mehrere Sprachen übersetzt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.08.2018

Die Arbeit der Pflanzen
Der Philosoph Emanuele Coccia erklärt, wie das Atmen die Welt erschafft

Wahrscheinlich ist es in den Zeiten ungewohnter Hitzeperioden leichter zu verstehen, dass Sauerstoffmangel für viele Lebewesen zu einem existentiellen Problem werden kann. Jedenfalls liegen an manchen Gewässern die wegen mangelnden Sauerstoffs verendeten Fische so dicht nebeneinander, dass sie weder zu übersehen noch zu überriechen sind. Und die Quellen des Sauerstoffs, die Sträucher und Bäume, lassen mancherorts ihre Blätter so hängen, oder schlimmer: werfen sie gleich ganz ab, dass mit einem ausreichenden Sauerstoffnachschub auch erst mal nicht zu rechnen ist, wenn es so heiß bleibt. Vielleicht hängt die Skepsis, die bei vielen die Freude über die trockene Wärme trübt, mit einer diffusen Ahnung dieses womöglich schrecklichen Zusammenhangs zusammen.

Die anhaltende Hitze könnte aber auch zu einer Art Türöffner zu Emanuele Coccias Philosophie der Pflanzen werden, die in letzter Konsequenz versucht, Phänomene wie die Atmosphäre und das Klima von ihren primären Produzenten, den Pflanzen, her zu denken. Denn "die Welt ist vor allem das, was die Pflanzen daraus zu machen wussten", wie Coccia schreibt. "Sie sind die eigentlichen Macher unserer Welt, wenngleich dieses Machen sich von jeder anderen Aktivität des Lebendigen klar unterscheidet", wie er hinzufügt. Coccia, der in Paris Philosophiegeschichte lehrt, geht davon aus, dass wir die Welt an sich nie erkennen können, ohne dabei auf die Vermittlung von etwas Lebendigem zurückzugreifen. Wir brauchten immer einen Vermittler, einen Blick, der die Welt auch dort sehen und erleben könne, wo unsere Augen nicht hinreichten. Das gilt bei Coccia natürlich auch für die moderne Physik, deren Vermittler die Maschinen sind. Doch sind ihm die Mikroskope, Teleskope, Satelliten und Beschleuniger nur unbelebte materielle Augen, die sozusagen altersweitsichtig ständig zu spät kommen; sie sind von den Tiefen des Kosmos so weit entfernt, dass sie nicht anders können, als das Leben zu übersehen, das im Kosmos nicht nur wohnt, sondern ihn gebaut hat und ständig weiterbaut.

Die Philosophie hat sich auf der anderen Seite dagegen immer für kurzsichtige Vermittler entschieden. Wer wie Martin Heidegger und die gesamte Philosophie des 20. Jahrhunderts immer nur Menschen frage, was das In-der-Welt-Sein bedeute, der reproduziere damit ein extrem lückenhaftes Bild vom Kosmos, wie Coccia meint. Wobei moderne Physik und Philosophie noch die einfachsten Gegner von Coccias Philosophie der Pflanzen sind. Die härtesten Gegner stellen sich Coccia in der Biologie selbst. Wie er richtig bemerkt, ist die gesamte Standardliteratur zur Evolution zoozentrisch, also tierfixiert. Und das fängt mit Charles Darwin selbst an. Obwohl sich Darwin mit Pflanzen viel besser auskannte und im Umgang mit ihnen auch besser ausgebildet worden ist, spielen sie in seinem Werk nur eine Nebenrolle neben all den Finken, Tauben, Regenwürmern und Schildkröten, die seine Texte bevölkern. Selbst wenn Darwin ausführlicher auf Pflanzen zu sprechen kam, wie auf den Morgentau und die Orchideen, tat er es mit Blick auf Tiere. Im Fall des fleischfressenden Morgentau in Hinsicht auf die Fliegen, die die Pflanze fängt und verdaut, und bei den Orchideen in direkter Verbindung mit den Schmetterlingen und Wespen, die sie bestäuben und sich von ihnen ernähren.

Wahrscheinlich ist aber auch die Zahl der Biologiestudenten nicht gering, die sich im Studium schnell für die Zoologie entscheiden, nachdem sie die Qualen der Botanik kennengelernt haben. Verglichen mit dem Studium etwa der Systematik der Katzen steht nämlich zum Beispiel das Studium der Bromelien in Bezug auf Arbeitsaufwand, Ergebnis und Anerkennung über den Fachbereich hinaus in einem erschreckenden Missverhältnis - zuungunsten der Bromelien. Man muss es deshalb Coccia als Verdienst anrechnen, dass er sich überhaupt auf die Pflanzen konzentriert. Noch mehr anrechnen muss man ihm, dass er wie nebenbei auch einen der Gründe für die Vernachlässigung der Pflanzen in den Texten zur Evolution liefert.

Denn wenn die Pflanzen über ihre Fähigkeit zur Photosynthese den massiven Sauerstoffgehalt unserer Atmosphäre erst erzeugt haben, woran kein Zweifel besteht, dann haben sie auch das Gesicht der Welt massiv verändert. Dank der Pflanzen und ihres Lebens können die höheren Tierorganismen die zum Überleben nötige Energie produzieren. Durch und über sie hat unsere Erde ihre Atmosphäre und lässt die Wesen atmen, die ihre Oberfläche bewohnen. Für Coccia ist das Leben der Pflanzen damit eine "laufende Kosmogonie, die kontinuierliche Genese unseres Kosmos". Platt gesagt: Für Coccia entsteht unsere Welt nicht mit dem Urknall oder einem Urwesen in einer Ursuppe, sondern andauernd immer wieder mit dem Werden und Vergehen der Pflanzen.

Ganz konkret geht es ihm aber um etwas anderes. Mit ihrer Fähigkeit zur kontinuierlichen Genese unserer Welt rütteln die Pflanzen an einem Pfeiler der Biologie und der Naturwissenschaften der letzten Jahrhunderte: nämlich an der Priorität des Milieus vor dem Lebendige, der Welt vor dem Leben, des Raums vor dem Subjekt. Die Pflanzen, ihre Geschichte und ihre Evolution beweisen für Coccia, "dass die Lebewesen das Milieu, in dem sie leben, selbst hervorbringen und nicht gezwungen sind, sich ihm anzupassen".

Mit Coccias weitreichender Formulierung ist natürlich der Anpassungsdruck, wie ihn die Evolutionstheorie für alle Lebewesen formuliert, nicht auf einmal aus der Welt verschwunden. Der Zwang, sich unter der Drohung des Verschwindens mit den Gegebenheiten der Welt abzufinden, sich ihnen anzupassen, gilt im Zeitalter des Klimawandels wahrscheinlich noch einmal verschärfter als in allen vorhergehenden Zeiten. Coccia verlagert nur die Folge, indem er darauf hinweist, dass die Pflanzen mit ihrem Landgang die Welt erst erschaffen haben, wie wir sie kennen; damit wird die Anpassung zu einem sekundären, zu einem Folgephänomen der Erschaffung der Lebensmöglichkeiten für Tiere, Vögel und Menschen durch Pflanzen.

Coccia schießt in seiner Pflanzenfixiertheit zwar manchmal über sein Ziel hinaus, etwa wenn er die aktuelle Hinwendung nicht nur der Geisteswissenschaften zu Tieren als Ausdehnung des menschlichen Narzissmus auf das Tierreich verdammt. Wenn er aber die Welterschaffungsarbeit der Pflanzen etwa im Gegensatz zur Arbeit der Biber beschreibt, hebt er die richtigen Unterschiede hervor. Während Biber Hände und Augen haben und damit nur einen kleinen Teil ihrer Welt verändern, indem sie Dämme bauen und Wasser anstauen, versammeln Pflanzen ohne Hände und Augen verstreute Sonnenenergie in ihren Stämmen oder Wurzeln und geben sie über ihre Blätter als Sauerstoff wieder ab; Sauerstoff baut immer wieder eine ganze Atmosphäre auf und enthält so eine Welt, in der wir leben und die kein Außen mehr hat. Dadurch sind für Coccia die Pflanzen das In-der-Welt-Sein par excellence.

Pflanzen haben keine Sinne, aber sie sind alles andere als abgeschottet. Kein anderes Lebewesen ist seiner Umwelt mehr verhaftet als sie, aber sie haben in allem, was ihnen begegnet, Anteil an der Welt, nämlich über den Atem. Indem die Pflanzen die Welt, deren Teil und Inhalt sie seien, ermöglichten, zerstörten sie die topologische Hierarchie, die im Kosmos scheinbar herrsche, so Coccia. Dabei wird ihm der Atem des Lebens zur Verbindung zwischen Umfassendem und Umfasstem. Hauchen, atmen bedeutet für Coccia, dass das, was uns enthält, die Luft, zu dem wird, was in uns enthalten ist. Und umgekehrt wird das, was in uns enthalten war, zu dem, was uns enthält. Atmen bedeutet demnach das Eintauchen in ein Milieu, das uns mit derselben Intensität durchdringt, wie wir es durchdringen. Und geschaffen haben diese Möglichkeit die Pflanzen, die damit auch etwas Verbindendes zwischen allen Lebewesen in die Welt gebracht haben. Coccia will aus dieser verbindenden Erfahrung keine Formel machen, die alles Lebendige in sich zu vereinen beansprucht. Er besteht nur darauf, wie grundlegend das Atmen für alles Lebendige und seine immer weitergehenden Differenzierungen ist.

Diese Überlegungen stellt er unter der Kapitelüberschrift "Die Ausweitung der Lebenszone" an. Die Anspielung auf Michel Houellebecqs "Die Ausweitung der Kampfzone" ist bewusst und verweist auf den einzigen wirklich schwachen Punkt dieser Pflanzenphilosophie. Für Coccia sind die Pflanzen in der Lage, ihre Welterschaffung ohne Gewalt zu vollziehen. Die aktuelle Botanik erzählt dazu andere Geschichten, Geschichten vom Zanken, Wild-um-sich-Schlagen, Drängeln und Verdrängen, nur eben in sehr langsamem Tempo. Aber das ist Kritik auf hohem Niveau. Für ein Denken, das sich der aktuellen Krise von Klima und Atmosphäre stellen will, liefert Coccia unverzichtbare Grundlagen.

CORD RIECHELMANN.

Emanuele Coccia: "Die Wurzeln der Welt: Eine Philosophie der Pflanzen". Aus dem Italienischen von Elsbeth Ranke Hanser, 20 Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Katharina Granzin gibt das Mitdenken bald auf beim Lesen von Emanuele Coccias Plädoyer für ein anderes Verständnis der Pflanzen. Mitfühlen ist das Stichwort, meint Granzin und versucht, in das vom Autor beschriebene Milieu aus atmenden Blättern und denkenden Wurzeln "einzutauchen". Das macht für Granzin schon deshalb Sinn, weil die von Coccia bemühten gedanklichen und sprachlichen Schleifen und Analogien für sie nicht immer leicht nachvollziehbar oder gar widersprüchlich sind. Ob das im Buch Gesagte immer so relevant ist für das Nachdenken über Pflanzen, möchte die Rezensentin bezweifeln. Vielleicht geht es dem Autor eher um "Philosophie als Atmosphäre", mutmaßt sie.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Für ein Denken, das sich der aktuellen Krise von Klima und Atmosphäre stellen will, liefert Coccia unverzichtbare Grundlagen." Cord Riechelmann, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 05.08.18

"Ein tolles Buch." Denis Scheck, ARD Druckfrisch, 25.02.18

"Trotz seines Anspruchs liest es sich, sobald man sich ihm öffnet, leicht und mit Vergnügen, und seine Anschauung gewinnt, wo es von seinen Lieblingen, den Pflanzen spricht, poetische Qualität. Nirgends sonst dürfte man nach einer Lektüre von nur 150 Seiten Text ein solches Gefühl der Bereicherung genießen." Burkhard Müller, Süddeutsche Zeitung, 13.03.18

"ein bemerkenswertes Buch" (...) "Was dieses Buch so zauberhaft macht, ist, wie es Gedanken sacht aufhebt, die wohl jeder schon einmal gedacht hat, der sich auf Natur eingelassen hat (also hoffentlich, leider
tut es nicht jeder), und diese dann weiterträgt." Fritz Habekuss, Die Zeit, 15.03.18

"elegant geschrieben, geistreich, originär". Thomas Palzer, Deutschlandfunk, 13.05.18