"Die Wurzeln des Lebens" ist ein großer epischer Roman, der unseren Platz in der Welt neu vermisst - ausgezeichnet mit dem Pulitzer Preis 2019 für Literatur
In Richard Powers Erzählwelt ist alles miteinander verknüpft. Die Menschen sind miteinander verwurzelt wie ein Wald. Sie bilden eine Familie aus Freunden, die sich zum Schutz der Bäume zusammenfinden: der Sohn von Siedlern, die unter dem letzten der ausgestorbenen Kastanienbäume Amerikas lebten; eine junge Frau, deren Vater aus China eine Maulbeere mitbrachte; ein Soldat, der im freien Fall von einem Feigenbaum aufgefangen wurde; und die unvergessliche Patricia Westerford, die als Botanikerin die Kommunikation der Bäume entdeckte. Sie alle tun sich zusammen, um die ältesten Mammutbäume zu retten - und geraten in eine Spirale von Politik und Gewalt, die nicht nur ihr Leben, sondern auch unsere Welt bedroht.
"Wäre Powers ein amerikanischer Autor des 19. Jahrhunderts, welcher wäre er? Wahrscheinlich Herman Melville mit 'Moby Dick'. Seine Leinwand ist so groß."
Margaret Atwood
In Richard Powers Erzählwelt ist alles miteinander verknüpft. Die Menschen sind miteinander verwurzelt wie ein Wald. Sie bilden eine Familie aus Freunden, die sich zum Schutz der Bäume zusammenfinden: der Sohn von Siedlern, die unter dem letzten der ausgestorbenen Kastanienbäume Amerikas lebten; eine junge Frau, deren Vater aus China eine Maulbeere mitbrachte; ein Soldat, der im freien Fall von einem Feigenbaum aufgefangen wurde; und die unvergessliche Patricia Westerford, die als Botanikerin die Kommunikation der Bäume entdeckte. Sie alle tun sich zusammen, um die ältesten Mammutbäume zu retten - und geraten in eine Spirale von Politik und Gewalt, die nicht nur ihr Leben, sondern auch unsere Welt bedroht.
"Wäre Powers ein amerikanischer Autor des 19. Jahrhunderts, welcher wäre er? Wahrscheinlich Herman Melville mit 'Moby Dick'. Seine Leinwand ist so groß."
Margaret Atwood
buecher-magazin.deDieser Roman schillert in immer neuen Farben, er changiert zwischen Kunst und Kitsch, zwischen Geheimwissen und Wissenschaft. Er handelt von Vergangenheit und Zukunft und davon, wie wir mit beidem in der Gegenwart umgehen. Sein Thema ist nichts Geringeres als der Fortbestand unserer Welt. Eigentlicher Protagonist ist der Wald. "Der Wald ist ein besonderes Wesen, von unbeschränkter Güte und Zuneigung, das keine Forderungen stellt und großzügig die Erzeugnisse seines Lebenswerks weitergibt; allen Geschöpfen bietet er Schutz und spendet Schatten, selbst dem Holzfäller, der ihn zerstört." Richard Powers stellt im ersten Drittel acht Charaktere vor, die anderen zwei Drittel widmet er den komplexen Strukturen von Stamm, Krone und Samen. Erneut begegnen wir den Figuren, die der amerikanische Schriftsteller lose miteinander verbindet. Sie alle sind auf je eigene Art mit dem Erhalt der Bäume und des Waldes verbunden, kämpfen um beinahe jeden Preis gegen Abholzung und schnelle Verwertung dessen, was in Jahrhunderten auf natürliche Weise entstanden ist - und um unser aller Überleben. Ein eigenwilliger und eigentümlicher Roman, in dem man gleichwohl versinken und ungemein viel lernen kann.
© BÜCHERmagazin, Jeanette Stickler
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Wolfgang Schneider schätzt Richard Powers dafür, dass er die Ideenromane unserer Zeit schreibt. Nicht Handlung steht hier im Vordergrund, sondern die Motivation und die Entwicklung der Figuren, erklärt Schneider. Auf den Rezensenten wirkt Powers' neuer Roman dennoch elektrisierend. Manche Passagen liest er gerne zweimal und schwelgt in der Beschreibungskunst des Autors. Dass Powers die Ökologie des Waldes und den Enthusiasmus einiger Waldbegeisterter in Literatur zu verwandeln vermag, findet Schneider groß, da sich Powers, anders als etwa Frank Schätzing, seinen Stoff nicht nur anliest und mit Crime anreichert, sondern ihm echte Passionen zugrundelegt und mit Themen und Leitmotiven gestaltet. Powers - ein legitimer Nachfolger Thomas Manns? Für Schneider durchaus, auch wenn Powers manchmal etwas allzu ehrfürchtig vor dem Mammutbaum steht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.04.2019Und dann singen diese zotteligen Naturfreunde auch noch!
Wie man sich durch die Schönheit der Wälder radikalisiert: Der Roman "Die Wurzeln des Lebens" des Amerikaners Richard Powers
Der Schriftsteller Richard Powers schildert Charaktere, die sich der Ordnung der Dinge nicht länger fügen und unverhofft zu "Gefährdern" werden. In seinem letzten Roman "Orfeo" geriet ein Avantgarde-Musiker, der sich aus kompositorischen Gründen für Gensequenzen interessiert und in seiner Küche ein kleines Labor für biologische Experimente einrichtet, in den Verdacht, ein Biobombenbauer zu sein. In Powers' neuem Roman nun, seinem bisher erfolgreichsten in den Vereinigten Staaten, werden aus friedlichen Bürgern, die sich das nie hätten träumen lassen, Öko-Terroristen.
Zum Beispiel Nick Hoel, der Nachfahre norwegischer Einwanderer. Sein Großvater hat eine Kastanie gepflanzt, deren Wachstum alljährlich in Fotos festgehalten wurde, die Nick geerbt hat - ein grandioses Daumenkino. In den östlichen Laubwäldern Nordamerikas war die Kastanie einst die vorherrschende Baumart, bis ein von Menschen eingeschleppter Pilz Milliarden Bäume vernichtete. Die mächtige Kastanie auf der Farm der Hoels aber überlebte, weil sie zu weit von ihren Artgenossen entfernt stand, um von der Krankheit hingerafft zu werden.
Die ersten zweihundert Seiten dieses großangelegten Werks bilden unter dem Titel "Wurzeln" eine Sammlung eigenständiger Novellen, die später im "Stamm" zusammengeführt werden, vorerst aber zwanglos verbunden sind durch das Leitmotiv der Bäume. In jeder dieser Geschichten steht eine Figur im Mittelpunkt, in deren Leben es ein Schlüsselerlebnis mit Bäumen gibt, prägende, nicht immer angenehme Erfahrungen: Eine Frau prallt mit ihrem Auto gegen eine Linde, ein indischstämmiger Junge fällt von einer Steineiche und ist querschnittsgelähmt. Mit seinen eingeschränkten Möglichkeiten wird er zum Möglichkeitsmenschen in der virtuellen Welt: ein Programmierer von Computerspielen, deren Komplexität der Natur nachgebildet ist.
Douglas, ein Pilot im Vietnam-Krieg, stürzt ab, landet mit seinem Fallschirm aber in einem lebensrettenden Feigenbaum. Er beschließt, im Gegenzug Bäume zu retten, zieht durch die Vereinigten Staaten und pflanzt Setzlinge. Sein Ärger ist groß, als er irgendwann erfährt, dass er mit seiner Mühe der Holzindustrie nur eine weitere Legitimation gibt, noch mehr Bäume zu fällen. Solche Wutmomente ereignen sich im Leben der meisten Figuren, und sie führen in den "Stamm" und die "Krone" des Romans. Dort verbinden sich die Geschichten zu einem Epos vom Widerstand gegen den Abholzungskapitalismus.
Nur drei Prozent der nordamerikanischen Mammutbäume haben die menschliche Zivilisation bisher überlebt. Der Roman schildert in seinen faszinierendsten Passagen, wie Aktivisten einen gigantischen Mammutbaum besetzen; historischer Hintergrund sind die Proteste des "Redwood Summer" 1990. Nick und seine Gefährtin Olivia leben ein ganzes Jahr in Hochhaushöhe auf einer im Wind schwankenden Plattform und erkunden die Biotope in der Baumkrone, etwa einen Teich mit Fischen in einer tiefen Ast-Mulde. Von dort oben müssen sie zusehen, wie monströse Maschinen den Wald ringsum verschlingen, Maschinen, die einen riesigen Baum packen und zerkleinern, als würde ein Küchengerät eine Möhre schnitzeln. "Neunhundert Jahre alte Bäume gehen in zwanzig Minuten zu Boden."
Schließlich werden die Besetzer mit einem Hubschrauber attackiert, dessen Rotorensturm sie zur Aufgabe zwingt. Spätestens hier beginnt man die den Roman antreibende Wut über die Vernichtung der alten Wälder zu teilen, die als Ökosysteme nicht durch junge Holzplantagen zu ersetzen sind.
Powers bleibt allerdings Romancier genug, um Ambivalenzen zuzulassen. Er schickt den jungen Psychologen Adam zu den Baumbesetzern hinauf, dem es um die Erforschung der psychischen Strukturen des politischen Idealismus zu tun ist. "Identitätsbildung und Persönlichkeitsmerkmale bei Pflanzenrechtsaktivisten" soll der Titel seiner Studie lauten. Adam hält die Öko-Aktivisten zunächst für "engstirnige Parolenschwinger". Mit ihrem Erscheinungsbild kann er sich nicht anfreunden: "Sie beginnen mit einem Lied. Adam zwingt seinen Hass auf die selbstgerechte Singerei nieder. Die zottligen Naturliebhaber und ihre Plattitüden sind ihm peinlich." Später gibt er die Position des skeptischen Beobachters auf, beteiligt sich am Kampf für die Bäume und ist dabei, als Aktivisten auf eine Touristensiedlung im Wald einen Brandanschlag verüben. Die Attacke läuft allerdings gründlich schief, ein Mensch stirbt, und aus den Idealisten sind nun landesweit gesuchte Öko-Terroristen geworden, die von der Polizei noch viele Jahre später in ihren bürgerlichen Existenzen aufgespürt werden.
Spieltheorie, Künstliche Intelligenz, Hirnforschung, Molekulargenetik, Informatik, Musiktheorie und nun die Ökologie des Waldes - offenbar gibt es keine Wissenswelt, vor der Richard Powers zurückschreckt. Die große Begabung des 1957 geborenen Autors, der mit seinen bisher zehn Romanen zu den bedeutendsten seiner Generation gehört, besteht darin, solche schwierigen Themen romangängig zu machen. Dabei setzt er keineswegs auf die Rezepturen, mit denen etwa ein Frank Schätzing seine Bestseller zusammenbraut - angelesene Kenntnisse mit viel Crime verquirlt. Vielmehr hat Richard Powers eine ganz besondere Art, seine Figuren zu entwickeln. Sie werden nicht von romanüblichen Leidenschaften wie Liebe und Eifersucht, Ehrgeiz oder Rachsucht getrieben, sondern verschreiben sich einer intellektuellen oder künstlerischen Passion, die ihr Bild der Welt formt und ihre Beziehungen zu anderen Menschen bestimmt. Es sind Begeisterte, von ihrer Sache Ergriffene, und es macht den Reiz der Lektüre aus, dass wir an ihren geistigen Abenteuern, ihrem Enthusiasmus und ihrer Weltneugier teilhaben.
Das gilt hier vor allem für die Figur der Biologin Patricia Westerford. Sie hat nicht nur die Initialen mit dem deutschen Förster Peter Wohlleben gemeinsam, sondern vermittelt auch wie dieser ihre Erkenntnisse über die "sozialen" Fähigkeiten der Bäume. Durch Gerüche warnen sie sich gegenseitig vor Bedrohungen durch Parasiten; und sie kommunizieren über ein unterirdisches Netz aus Wurzelwerk und Pilzverflechtungen, das Wood-Wide-Web, die "Pilzpost". Um 1970 widerspricht das allen Auffassungen der etablierten Forstwissenschaft, die Westerford denn auch eine kalte Abfuhr erteilt. Sie wird zur weltverdrossenen Waldgängerin, um erst viele Jahre später eine triumphale Rehabilitierung zu erleben.
"Die Wurzeln des Lebens" gehört zu jener anspruchsvollen Spielart von Romanen, die nicht durch eine spannende Handlung, sondern durch das Netzwerk ihrer Themen und Leitmotive zusammengehalten werden - man denke an den "Zauberberg". Auch wenn Ironie nicht zu seinen Stärken gehört, könnte man Richard Powers als einen Nachfolger Thomas Manns bezeichnen, als Poeta doctus, der mit einem sehr nuancierten, auf die Formulierbarkeit der Welt vertrauenden Stil die Ideenromane unserer Zeit schreibt.
Nur an einigen Stellen erscheint die zu den Bäumen hochschauende Ehrfurchtsprosa zu dick aufgetragen, wenn es etwa heißt, "alle menschliche Weisheit" sei bedeutungslos, "verglichen mit dem Schimmern der Buchenblätter im Wind". Der Ton, in dem die Wunder des Waldes gefeiert werden, wirkt bisweilen predigerhaft; vor allem das Adjektiv "staunenswert" sollte der Autor lieber den Vertretern des "Intelligent Design" überlassen.
Dennoch: Mit der Leuchtkraft und Intelligenz seiner Beschreibungskunst zieht dieser Roman in den Bann. Gerne blättert man zurück, um bestimmte Abschnitte noch einmal zu lesen - dieses Buch ist ein Page-Returner. Und Richard Powers ein Autor, der darauf vertraut, dass Komplexität die Leser nicht abschreckt, sondern für ein literarisches Werk gewinnen kann.
WOLFGANG SCHNEIDER
Richard Powers:
"Die Wurzeln des Lebens". Roman.
Aus dem Englischen von Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié. S. Fischer, Frankfurt a. M. 2018. 618 S., geb., 26,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wie man sich durch die Schönheit der Wälder radikalisiert: Der Roman "Die Wurzeln des Lebens" des Amerikaners Richard Powers
Der Schriftsteller Richard Powers schildert Charaktere, die sich der Ordnung der Dinge nicht länger fügen und unverhofft zu "Gefährdern" werden. In seinem letzten Roman "Orfeo" geriet ein Avantgarde-Musiker, der sich aus kompositorischen Gründen für Gensequenzen interessiert und in seiner Küche ein kleines Labor für biologische Experimente einrichtet, in den Verdacht, ein Biobombenbauer zu sein. In Powers' neuem Roman nun, seinem bisher erfolgreichsten in den Vereinigten Staaten, werden aus friedlichen Bürgern, die sich das nie hätten träumen lassen, Öko-Terroristen.
Zum Beispiel Nick Hoel, der Nachfahre norwegischer Einwanderer. Sein Großvater hat eine Kastanie gepflanzt, deren Wachstum alljährlich in Fotos festgehalten wurde, die Nick geerbt hat - ein grandioses Daumenkino. In den östlichen Laubwäldern Nordamerikas war die Kastanie einst die vorherrschende Baumart, bis ein von Menschen eingeschleppter Pilz Milliarden Bäume vernichtete. Die mächtige Kastanie auf der Farm der Hoels aber überlebte, weil sie zu weit von ihren Artgenossen entfernt stand, um von der Krankheit hingerafft zu werden.
Die ersten zweihundert Seiten dieses großangelegten Werks bilden unter dem Titel "Wurzeln" eine Sammlung eigenständiger Novellen, die später im "Stamm" zusammengeführt werden, vorerst aber zwanglos verbunden sind durch das Leitmotiv der Bäume. In jeder dieser Geschichten steht eine Figur im Mittelpunkt, in deren Leben es ein Schlüsselerlebnis mit Bäumen gibt, prägende, nicht immer angenehme Erfahrungen: Eine Frau prallt mit ihrem Auto gegen eine Linde, ein indischstämmiger Junge fällt von einer Steineiche und ist querschnittsgelähmt. Mit seinen eingeschränkten Möglichkeiten wird er zum Möglichkeitsmenschen in der virtuellen Welt: ein Programmierer von Computerspielen, deren Komplexität der Natur nachgebildet ist.
Douglas, ein Pilot im Vietnam-Krieg, stürzt ab, landet mit seinem Fallschirm aber in einem lebensrettenden Feigenbaum. Er beschließt, im Gegenzug Bäume zu retten, zieht durch die Vereinigten Staaten und pflanzt Setzlinge. Sein Ärger ist groß, als er irgendwann erfährt, dass er mit seiner Mühe der Holzindustrie nur eine weitere Legitimation gibt, noch mehr Bäume zu fällen. Solche Wutmomente ereignen sich im Leben der meisten Figuren, und sie führen in den "Stamm" und die "Krone" des Romans. Dort verbinden sich die Geschichten zu einem Epos vom Widerstand gegen den Abholzungskapitalismus.
Nur drei Prozent der nordamerikanischen Mammutbäume haben die menschliche Zivilisation bisher überlebt. Der Roman schildert in seinen faszinierendsten Passagen, wie Aktivisten einen gigantischen Mammutbaum besetzen; historischer Hintergrund sind die Proteste des "Redwood Summer" 1990. Nick und seine Gefährtin Olivia leben ein ganzes Jahr in Hochhaushöhe auf einer im Wind schwankenden Plattform und erkunden die Biotope in der Baumkrone, etwa einen Teich mit Fischen in einer tiefen Ast-Mulde. Von dort oben müssen sie zusehen, wie monströse Maschinen den Wald ringsum verschlingen, Maschinen, die einen riesigen Baum packen und zerkleinern, als würde ein Küchengerät eine Möhre schnitzeln. "Neunhundert Jahre alte Bäume gehen in zwanzig Minuten zu Boden."
Schließlich werden die Besetzer mit einem Hubschrauber attackiert, dessen Rotorensturm sie zur Aufgabe zwingt. Spätestens hier beginnt man die den Roman antreibende Wut über die Vernichtung der alten Wälder zu teilen, die als Ökosysteme nicht durch junge Holzplantagen zu ersetzen sind.
Powers bleibt allerdings Romancier genug, um Ambivalenzen zuzulassen. Er schickt den jungen Psychologen Adam zu den Baumbesetzern hinauf, dem es um die Erforschung der psychischen Strukturen des politischen Idealismus zu tun ist. "Identitätsbildung und Persönlichkeitsmerkmale bei Pflanzenrechtsaktivisten" soll der Titel seiner Studie lauten. Adam hält die Öko-Aktivisten zunächst für "engstirnige Parolenschwinger". Mit ihrem Erscheinungsbild kann er sich nicht anfreunden: "Sie beginnen mit einem Lied. Adam zwingt seinen Hass auf die selbstgerechte Singerei nieder. Die zottligen Naturliebhaber und ihre Plattitüden sind ihm peinlich." Später gibt er die Position des skeptischen Beobachters auf, beteiligt sich am Kampf für die Bäume und ist dabei, als Aktivisten auf eine Touristensiedlung im Wald einen Brandanschlag verüben. Die Attacke läuft allerdings gründlich schief, ein Mensch stirbt, und aus den Idealisten sind nun landesweit gesuchte Öko-Terroristen geworden, die von der Polizei noch viele Jahre später in ihren bürgerlichen Existenzen aufgespürt werden.
Spieltheorie, Künstliche Intelligenz, Hirnforschung, Molekulargenetik, Informatik, Musiktheorie und nun die Ökologie des Waldes - offenbar gibt es keine Wissenswelt, vor der Richard Powers zurückschreckt. Die große Begabung des 1957 geborenen Autors, der mit seinen bisher zehn Romanen zu den bedeutendsten seiner Generation gehört, besteht darin, solche schwierigen Themen romangängig zu machen. Dabei setzt er keineswegs auf die Rezepturen, mit denen etwa ein Frank Schätzing seine Bestseller zusammenbraut - angelesene Kenntnisse mit viel Crime verquirlt. Vielmehr hat Richard Powers eine ganz besondere Art, seine Figuren zu entwickeln. Sie werden nicht von romanüblichen Leidenschaften wie Liebe und Eifersucht, Ehrgeiz oder Rachsucht getrieben, sondern verschreiben sich einer intellektuellen oder künstlerischen Passion, die ihr Bild der Welt formt und ihre Beziehungen zu anderen Menschen bestimmt. Es sind Begeisterte, von ihrer Sache Ergriffene, und es macht den Reiz der Lektüre aus, dass wir an ihren geistigen Abenteuern, ihrem Enthusiasmus und ihrer Weltneugier teilhaben.
Das gilt hier vor allem für die Figur der Biologin Patricia Westerford. Sie hat nicht nur die Initialen mit dem deutschen Förster Peter Wohlleben gemeinsam, sondern vermittelt auch wie dieser ihre Erkenntnisse über die "sozialen" Fähigkeiten der Bäume. Durch Gerüche warnen sie sich gegenseitig vor Bedrohungen durch Parasiten; und sie kommunizieren über ein unterirdisches Netz aus Wurzelwerk und Pilzverflechtungen, das Wood-Wide-Web, die "Pilzpost". Um 1970 widerspricht das allen Auffassungen der etablierten Forstwissenschaft, die Westerford denn auch eine kalte Abfuhr erteilt. Sie wird zur weltverdrossenen Waldgängerin, um erst viele Jahre später eine triumphale Rehabilitierung zu erleben.
"Die Wurzeln des Lebens" gehört zu jener anspruchsvollen Spielart von Romanen, die nicht durch eine spannende Handlung, sondern durch das Netzwerk ihrer Themen und Leitmotive zusammengehalten werden - man denke an den "Zauberberg". Auch wenn Ironie nicht zu seinen Stärken gehört, könnte man Richard Powers als einen Nachfolger Thomas Manns bezeichnen, als Poeta doctus, der mit einem sehr nuancierten, auf die Formulierbarkeit der Welt vertrauenden Stil die Ideenromane unserer Zeit schreibt.
Nur an einigen Stellen erscheint die zu den Bäumen hochschauende Ehrfurchtsprosa zu dick aufgetragen, wenn es etwa heißt, "alle menschliche Weisheit" sei bedeutungslos, "verglichen mit dem Schimmern der Buchenblätter im Wind". Der Ton, in dem die Wunder des Waldes gefeiert werden, wirkt bisweilen predigerhaft; vor allem das Adjektiv "staunenswert" sollte der Autor lieber den Vertretern des "Intelligent Design" überlassen.
Dennoch: Mit der Leuchtkraft und Intelligenz seiner Beschreibungskunst zieht dieser Roman in den Bann. Gerne blättert man zurück, um bestimmte Abschnitte noch einmal zu lesen - dieses Buch ist ein Page-Returner. Und Richard Powers ein Autor, der darauf vertraut, dass Komplexität die Leser nicht abschreckt, sondern für ein literarisches Werk gewinnen kann.
WOLFGANG SCHNEIDER
Richard Powers:
"Die Wurzeln des Lebens". Roman.
Aus dem Englischen von Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié. S. Fischer, Frankfurt a. M. 2018. 618 S., geb., 26,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Buch von ungeheurer Sanftmut, Klugheit und Schönheit [...] in der trotzigen Hoffnung, dass die poetische Überzeugungskraft dieses neuen Romans sich in eine politische Handlungskraft verwandelt. Volker Weidermann LiteraturSPIEGEL 20181027