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Im Jahre 1876 verpasste der kanadische Ingenieur Sandford Fleming auf einem Bahnhof in Irland seinen Zug. Dieses Missgeschick war für Fleming der Anlass, nach einem Konzept zu suchen, mit dem man die bestehenden regionalen Zeitunterschiede innerhalb der verschiedenen Länder systematisch festlegen konnte. Er teilte die Welt, gemäß der Uhr, in 24 Zeitzonen ein. Fleming schuf damit ein grundlegendes System, ohne das unser Zeitalter der Globalisierung nicht denkbar wäre. Selbst an viktorianischen Maßstäben gemessen, war Sir Sandford Fleming (1827 - 1915) ein Mann von außerordentlichen Qualitäten;…mehr

Produktbeschreibung
Im Jahre 1876 verpasste der kanadische Ingenieur Sandford Fleming auf einem Bahnhof in Irland seinen Zug. Dieses Missgeschick war für Fleming der Anlass, nach einem Konzept zu suchen, mit dem man die bestehenden regionalen Zeitunterschiede innerhalb der verschiedenen Länder systematisch festlegen konnte. Er teilte die Welt, gemäß der Uhr, in 24 Zeitzonen ein. Fleming schuf damit ein grundlegendes System, ohne das unser Zeitalter der Globalisierung nicht denkbar wäre. Selbst an viktorianischen Maßstäben gemessen, war Sir Sandford Fleming (1827 - 1915) ein Mann von außerordentlichen Qualitäten; unter anderem war er verantwortlich für die Verlegung des Pazifikkabels von London bis Australien. Sein Lebenswerk allerdings war die Erfindung der Weltzeit und der Kampf für ihre Einführung. Neben der faszinierenden Biografie Flemings, die auf dessen Tagebüchern, Briefen und Notizen basiert, zeichnet Clark Blaise das Bild einer Epoche, in der der technische Fortschritt und die Entwicklung der Na turwissenschaften im Eilschritt vonstatten gingen und jeder Gentleman sich als Pionier der neuen Wissenschaften verstand.
Autorenporträt
Clark Blaise ist der Autor zahlreicher Werke und leitete das International Writers Programm der University of Iowa. Zur Zeit ist er Gastprofessor in Berkeley, University of California. Mit seiner Frau, der renommierten Autorin Bharati Mukherjee, lebt er in San Francisco.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.03.2001

Wer hat an der Uhr gedreht?
Jetzt schlägt's aber dreizehn: Clark Blaise schafft am sausenden Webstuhl der Weltzeit / Von Milos Vec

Unter den Standardisierungsleistungen des neunzehnten Jahrhunderts war die Erfindung der Weltzeit und einheitlicher Zeitzonen besonders herausragend. Man vermag sich heute kaum mehr vorzustellen, was es bedeutete, als Reisender noch in der Epoche der Frühindustrialisierung von Stadt zu Stadt auf verschiedene Uhrzeiten zu stoßen. Oder bis in die sechziger und siebziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts hinein als Eisenbahnpassagier verwirrend verschiedene Uhrzeiten miteinander abgleichen zu müssen: Mißverständnisse zuhauf, von handfesten ökonomischen und nervlichen Verlusten ganz zu schweigen.

Die Person, der wir die Erfindung der Weltzeit verdanken, ist jedoch in Vergessenheit geraten. Schon die alten Enzyklopädien feierten mehr das Ergebnis als den Mann, die neuen kennen Sir Sandford Fleming und seine Rivalen um die Einführung der Weltzeit überhaupt nicht mehr. Diese Lücke will Clark Blaise mit seiner thematisch breit angelegten Darstellung schließen. Blaise entfaltet im ersten Viertel seines Buches ein schillerndes Panorama des neunzehnten Jahrhunderts. Das Thema "Zeit" dient im oft nur als Folie für Reflexionen über die Grundlagen der Moderne und Sir Sandford primär als eine historische Projektionsfläche. Man erlebt Fleming szenisch in verschiedensten Rollen: Fleming als kanadischer Eisenbahningenieur, der eisern Streckenkosten senken will. Fleming als viktorianischer Gentleman, der seine Zeit nicht in Salons vertrödelt, sondern aufopferungsvoll Tag und Nacht arbeitet. Fleming als unermüdlicher Vortragsredner, der sein Publikum für den Fortschritt in Wissenschaft und Gesellschaft begeistern will.

In den 1870er Jahren initiierte er die Standardzeit-Bewegung, die in der Prime Meridiane Conference von 1884 mündete. Dort legten siebenundzwanzig Staaten ein noch heute gültiges, globales Raster von vierundzwanzig Zeitzonen fest: Alle fünfzehn Breitengrade beginnt eine neue Zeitzone mit einer neuen Stunde. So hatte es sich Fleming auch vorgestellt, allerdings mit dem Unterschied, daß er den Nullmeridian in den Stillen Ozean legen wollte, fern der politisierten europäischen Geographie, in der Paris und London miteinander rivalisierten. Unter dem Druck der Machtverhältnisse kam der Nullmeridian aber nach Greenwich, das auf diese Weise symbolisch zum Nabel der Welt wurde. Es war der Sieg von Flemings Rivalen, und Blaise erzählt dies so übertrieben naiv-nostalgisch, als wär's eine Drehbuchvorlage zur Filmklamotte "Die tollkühnen Männer in ihren rasenden Zeitzonen".

Dem Erfolg der Weltzeit hat diese machtpolitisch motivierte Festlegung übrigens keinen Abbruch getan, ganz im Gegenteil. Blaise führt die epochale Leistung der Prime Meridiane Conference zu Recht parallel mit der Standardisierung und Vereinheitlichung von Maßen und Gewichten im neunzehnten Jahrhundert. Auch hier gelangte eine chaotische Vielfalt, die für Verwirrung sorgte und Betrügereien Tür und Tor öffnete, im Verlauf mehrerer Jahrzehnte zu einer gewissen, wenn auch nicht vollständigen Angleichung.

Vieles andere, von dem Blaise schweigt, ließe sich noch historisch ergänzen. Denn das gesamte neunzehnte Jahrhundert widmete sich der Normung, Normierung und Normalisierung. Blaise' skeptische Distanz hierzu ist wiederum ein ganz zeittypisches Phänomen. Einerseits feiert er Fleming als Standardisierer, der Ordnung in ein unpraktikables Chaos von Zeiten gebracht habe. Andererseits spürt auch er, daß sich mit der Vereinheitlichung der Zeit eine neue, anonyme Herrschaft etablierte, die stärker ist als ihre Vorgänger von beschränkter Geltung. Der Buchtitel, der von der "Zähmung der Zeit" spricht, formuliert daher nur die halbe Wahrheit: Auch die Menschen werden durch Weltstandardzeit, exakte Uhren und genormte Pausen zu Gezähmten. Zu ihrer Disziplinierung bedurfte es nicht erst der Experimente eines F. W. Taylor, der uns für bestimmte Tätigkeiten angemessene Arbeitszeiten vorschrieb.

Zugleich ist die Geschichte der Standardisierung der Zeit auch weit mehr als hundert Jahre nach ihrem Kulminationspunkt alles andere als eine Erfolgsgeschichte. Nicht alle Defizite lassen sich als Synchronisationsverluste begreifen. Denn die Tatsache, daß Staaten nominell eine bestimmte Zeit "gelten" lassen, sagt wenig über die Praxis jener aus, die die faktische Herrschaft über jene Zeit ausüben. Nicht von ungefähr zitiert Blaise wiederholt Robert Levines originelle Studie "Eine Landkarte der Zeit. Wie Kulturen mit Zeit umgehen" von 1999, ohne allerdings die Tragweite ihrer Ergebnisse ganz zu begreifen. Denn Levine widerlegte in empirisch belastbarer Weise die westlich-industrialisierte Vorstellung von "standardisierter Zeit" und zeigte im interkulturellen Vergleich den flexiblen, situativen Umgang mit ihr. Denn Verabredungen und Termine bleiben auch unter der Geltung einer verobjektivierten, standardisierten Zeit in ihren Koordinaten potentiell variabel, wenn es die kulturelle Konvention will. Die Einheitsuhr beherrscht Gesellschaften nur da, wo sie es sich selbst auferlegen. Kulturen bilden hierzu ihre eigenen Meta-Regeln heraus, die den Umgang mit den Zeit-Regeln bestimmen.

In allen Fällen spielen die Sozialbeziehungen der individuellen Sprecher eine entscheidende Rolle: "Um elf Uhr" kann durchaus bedeuten, daß man keinesfalls zu dieser Zeit erscheinen solle; die Ankündigung, jemand werde "in zehn Minuten" kommen, will vielleicht nur die soziale Geste der Anteilnahme bekräftigen; die Redeweise "bald" kann auch bloß "vielleicht in einigen Tagen" meinen. Nach der Standardisierung ist also auch hier immer noch vor der Standardisierung. Weil aber Blaise diese Standardisierungsgrenzen nicht wirklich ernst nimmt, sucht er seine psychologisch notwendige Distanz zur standardisierten Weltzeit auf andere Weise. Um den Leitbildern der strahlenden, aber auch kalten Ingenieurswelt des neunzehnten Jahrhunderts zu entrinnen, sucht er Zuflucht bei einem "Natur"-Begriff, den er in Gegensatz zur "Vernunft" bringt.

Dabei steht die Klarheit seiner Sympathien in pikantem Kontrast zur Unklarheit seiner Begriffe. Blaise' Nacherzählung von Flemings Leben bricht dort ab, wo die Prime Meridiane Conference die Weltzeit einführte. Ihr Auftritt ist Gipfel und Schlußszene seines Schaffens als Universalingenieur. Von diesem Buch kann man daher lernen, wie die technologisch-wirtschaftliche Interessenlage beschaffen war, die im neunzehnten Jahrhundert in der Weltzeit kulminierte. Zu Recht nehmen Dampfmaschine, Eisenbahn und Seekabel gebührenden Raum ein: Sie sind alle "Zeitverkürzungsapparate" und wirkten trickreich bei der Verdichtung der Zeit zusammen. Auch in Flemings praktischen und theoretischen Arbeiten fanden diese drei beschleunigenden Motive immer wieder zusammen.

Mit welcher milden Schmiegsamkeit aber die Weltzeit nach 1884 herrschte, erzählt Blaise ebensowenig, wie er die Züge auflistet, die Fleming auch nach Einführung der standardisierten Zeit verpaßte. Als Biograph huldigt Blaise einer erfolgreichen Normierungsgeschichte, die 1893 auch ins deutsche Reichsgesetzblatt durchschlug. Er unterdrückt dabei, wie aufmüpfig die ungenormten Uhrensteller vor Ort sein können oder wie Kulturen mit flexibleren Zeitbegriffen die Standardisierungsfanatiker austricksen, ohne daß alles gleich zusammenbricht. Man wüßte daher nur zu gerne, wie etwa die Brasilianer und Japaner, Zeitfürsten eigener Art, die Geschichte von Flemings Lebenswerk akzentuiert hätten.

Clark Blaise: "Die Zähmung der Zeit". Sir Sandford Fleming und die Erfindung der Weltzeit. Aus dem Amerikanischen von Hans Günter Holl. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2001. 316 S., geb., 39,90 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Da wurde im 19. Jahrhundert dem Chaos der von Stadt zu Stadt verschiedenen Zeit mit der Weltzeit ein Ende bereitet und ihr Erfinder ist vergessen! Höchste Zeit, dass Clark Blaise Leben und Leistung von Sir Sandford Fleming wieder in Erinnerung ruft. Er tut das "thematisch breit angelegt", die Zeit dient ihm, so der Rezensent Milos Vec, als Folie für Reflexionen über die Grundlage der Moderne. Dann aber geht`s ins Detail, zur Meridiane Conference von 1884, und da wird Blaise, so Vec, "übertrieben naiv-nostalgisch, als wär`s eine Drehbuchvorlage zur Filmklamotte "Die tollkühnen Männer in ihren rasenden Zeitzonen." Auf der Strecke bleibt im Buch die kulturelle Zeit: Weltzeit hin oder her, in Brasilien geht man mit ihr anders um als in Japan und in Deutschland, resümiert Vec, der sich dabei auf Robert Levins "originelle Studie" "Eine Landkarte der Zeit" von 1999 beruft. Die habe Blaise in ihrer Tragweite nicht "ganz begriffen".

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