Er galt in der Antike als Liebling der Götter. Seine Schönheit, seine Merkwürdigkeit seien kaum zu übertreffen, hieß es, und seine Stimme beschreibt Oppianos mit den Worten: "Kein Mensch kann einen Vogel nennen, der lieblicher sänge als ein Eisvogel."In Oberösterreich, Brandstetters Heimat, nennt man ihn nicht ohne Ironie Eisenkeil. Lange glaubte man ihn verschollen, wenn nicht gar ausgestorben, doch 1998, in dem Jahr, als Alois Brandstetter sechzig Jahre wurde und zugleich Ehrenbürger seiner Heimatgemeinde Pichl, tauchte der Vogel seiner Kindheit dort plötzlich wieder auf. Ein willkommener Anlass, um ihm nach allen Regeln der poetischen Zoologie nachzuspüren, angefangen vom mythischen Altertum bis zu seiner überraschenden Epiphanie. Der Ruf der Treue und Zärtlichkeit, die dem Eisvogel seit Aristoteles und Ovid nachgesagt werden, sind Ausgangspunkt für sehr persönliche Bekenntnisse Brandstetters: "Das Besondere an meinem unabenteuerlichen Leben besteht wohl darin, dass ich mit dem nicht Besondern besonders achstsam umgegangen bin, mit dem Unspektakulären bei meiner Schriftstellerei mein Auslangen gefunden habe und aus dem nicht Prächtigen oder Glänzenden merkwürdigerweise Funken geschlagen habe."
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2000Der Ehrenbürger von Pichl
Stolzgeschwellt: Alois Brandstetter lobt den Eisvogel und sich selbst
Als Alois Brandstetter im Dezember 1998 sechzig Jahre alt wurde, überreichte ihm seine oberösterreichische Heimatgemeinde Pichl eine eingetopfte Eiche und verlieh ihm unter der Begleitmusik von vier Chören die Ehrenbürgerwürde. Die Welt hätte davon kaum etwas erfahren, wenn Brandstetter sich nicht selbst ein schmales Buch zum nachträglichen Geschenk gemacht hätte - ein Buch, das ebendiese Ehrung von Pichls großem Sohn zum Gegenstand hat. Zwar trägt es die Bezeichnung "Roman", doch gleicht es eher einem Tagebuch, das uns, wie es dieser Gattung eigen ist, zu Voyeuren privatester Wünsche, Erwartungen und Überzeugungen macht.
Allerdings besitzt dieser "Roman" noch ein zweites, sehr naturverbundenes Thema: den Eisvogel, der in der Mundart des Verfassers "Eisenkeil" genannt wird. Unermüdlich lobt der Vogelfreund Brandstetter die wunderbaren Eigenschaften dieses scheuen Tieres, ausführlich zitiert er antike und mittelalterliche Gelehrte, die ihm in dieser Hochschätzung vorausgegangen sind. Wie man aus seinen früheren Romanen weiß, führt Brandstetter selbst gern seine Gelehrsamkeit vor, und so entfaltet er denn auch hier manch verblüffende sprachgeschichtliche Details über den bunten Vogel. Was allerdings die biologischen Kenntnisse betrifft, so bleiben manche Einsichten wohl doch noch hinter Volksbüchern wie "Brehms Tierleben" zurück. "Je kleiner die Tiere, um so kleiner werden auch die Unterschiede zwischen den Geschlechtern", teilt uns der Naturforscher mit, der auch gern über die Grenzen der Kommunikation zwischen Mensch und Tier nachdenkt: "Hören kann der Mensch die Tiere, die Vögel etwa, verstehen tut er sie nicht. Die Tierlaute sagen ihm nichts, wollen ihm vielleicht gar nichts sagen." Ausnahmen gewährt der studierte Germanist und hellhörige Hobby-Ornithologe dabei gern: "Hölderlin gleicht dem Eisvogel in mehr als einer Hinsicht." Wir haben es uns längst gedacht.
Brandstetter verspürt unverhohlenen Stolz über seine bisher erbrachte Lebensleistung. Immer wieder zählt er die Titel seiner Bücher auf und versucht dabei zugleich, den Rezensenten ihre Arbeit zu erleichtern; hebt er doch gern die Qualität des einen oder anderen seiner Werke hervor, das ihm besonders gelungen scheint. Schwerer tut er sich hingegen mit der Einschätzung seiner schreibenden Kollegen, der lebenden wie der toten. Nachdrücklich verteidigt er seinen Rang gegen mögliche Konkurrenten. Bedroht sieht der Pichler Ehrenbürger seinen Ruhm vor allem durch Thomas Bernhard und Peter Handke, auf die er häufig zu sprechen kommt. Lob aus Kollegenmund wird hingegen mit buchhalterischer Genauigkeit registriert, auch wenn es vom Sexualwissenschaftler Ernest Bornemann stammt, dessen Arbeiten bei Brandstetter auf manche Vorbehalte stoßen. Noch der letzte Entschluß seines einstigen Nachbarn gibt ihm Anlaß für ein munteres Wortspiel: "Die (sexuelle) Freiheit hat ihn, Bornemann, offenbar, auf seinen Freitod hin gesehen, nicht frei gemacht." Über guten Geschmack läßt sich streiten.
Große Hochachtung des Jubilars finden die Autoren der deutschen Nachkriegszeit: "Ja, Wolfgang Borchert, hätten wir nur einen Dichter wie dich oder auch den Heinrich Böll, der uns wirklich betroffen machte." Betroffen - wenn es denn unbedingt sein muß - macht indes sehr viel mehr Goethes Ballade "Des Sängers Fluch", die der Germanistikprofessor Brandstetter ans Licht gezogen zu haben scheint. Oder sind ihm da womöglich Uhland und Goethe ein ganz klein wenig durcheinandergeraten? Ist's menschlicher Irrtum oder Fluch der unentwegt gepriesenen eigenen Belesenheit?
Alois Brandstetter hat sich mit Romanen wie "Zu Lasten der Briefträger" oder "Die Abtei" um die österreichische Literatur verdient gemacht. Aber diese Aufzeichnungen sind peinlich in ihrer Selbstfeier und Banalität. Möge Brandstetter den Eisvogel weiter beobachten, den Pichler Chören lauschen und im Schatten der Jubiläumseiche in aller Ruhe einen wirklichen Roman planen, den seine Leser wieder gern in die Hand nehmen werden.
SABINE DOERING
Alois Brandstetter: "Die Zärtlichkeit des Eisenkeils". Roman. Residenz Verlag, Salzburg/Wien 2000. 157 S., geb., 36,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Stolzgeschwellt: Alois Brandstetter lobt den Eisvogel und sich selbst
Als Alois Brandstetter im Dezember 1998 sechzig Jahre alt wurde, überreichte ihm seine oberösterreichische Heimatgemeinde Pichl eine eingetopfte Eiche und verlieh ihm unter der Begleitmusik von vier Chören die Ehrenbürgerwürde. Die Welt hätte davon kaum etwas erfahren, wenn Brandstetter sich nicht selbst ein schmales Buch zum nachträglichen Geschenk gemacht hätte - ein Buch, das ebendiese Ehrung von Pichls großem Sohn zum Gegenstand hat. Zwar trägt es die Bezeichnung "Roman", doch gleicht es eher einem Tagebuch, das uns, wie es dieser Gattung eigen ist, zu Voyeuren privatester Wünsche, Erwartungen und Überzeugungen macht.
Allerdings besitzt dieser "Roman" noch ein zweites, sehr naturverbundenes Thema: den Eisvogel, der in der Mundart des Verfassers "Eisenkeil" genannt wird. Unermüdlich lobt der Vogelfreund Brandstetter die wunderbaren Eigenschaften dieses scheuen Tieres, ausführlich zitiert er antike und mittelalterliche Gelehrte, die ihm in dieser Hochschätzung vorausgegangen sind. Wie man aus seinen früheren Romanen weiß, führt Brandstetter selbst gern seine Gelehrsamkeit vor, und so entfaltet er denn auch hier manch verblüffende sprachgeschichtliche Details über den bunten Vogel. Was allerdings die biologischen Kenntnisse betrifft, so bleiben manche Einsichten wohl doch noch hinter Volksbüchern wie "Brehms Tierleben" zurück. "Je kleiner die Tiere, um so kleiner werden auch die Unterschiede zwischen den Geschlechtern", teilt uns der Naturforscher mit, der auch gern über die Grenzen der Kommunikation zwischen Mensch und Tier nachdenkt: "Hören kann der Mensch die Tiere, die Vögel etwa, verstehen tut er sie nicht. Die Tierlaute sagen ihm nichts, wollen ihm vielleicht gar nichts sagen." Ausnahmen gewährt der studierte Germanist und hellhörige Hobby-Ornithologe dabei gern: "Hölderlin gleicht dem Eisvogel in mehr als einer Hinsicht." Wir haben es uns längst gedacht.
Brandstetter verspürt unverhohlenen Stolz über seine bisher erbrachte Lebensleistung. Immer wieder zählt er die Titel seiner Bücher auf und versucht dabei zugleich, den Rezensenten ihre Arbeit zu erleichtern; hebt er doch gern die Qualität des einen oder anderen seiner Werke hervor, das ihm besonders gelungen scheint. Schwerer tut er sich hingegen mit der Einschätzung seiner schreibenden Kollegen, der lebenden wie der toten. Nachdrücklich verteidigt er seinen Rang gegen mögliche Konkurrenten. Bedroht sieht der Pichler Ehrenbürger seinen Ruhm vor allem durch Thomas Bernhard und Peter Handke, auf die er häufig zu sprechen kommt. Lob aus Kollegenmund wird hingegen mit buchhalterischer Genauigkeit registriert, auch wenn es vom Sexualwissenschaftler Ernest Bornemann stammt, dessen Arbeiten bei Brandstetter auf manche Vorbehalte stoßen. Noch der letzte Entschluß seines einstigen Nachbarn gibt ihm Anlaß für ein munteres Wortspiel: "Die (sexuelle) Freiheit hat ihn, Bornemann, offenbar, auf seinen Freitod hin gesehen, nicht frei gemacht." Über guten Geschmack läßt sich streiten.
Große Hochachtung des Jubilars finden die Autoren der deutschen Nachkriegszeit: "Ja, Wolfgang Borchert, hätten wir nur einen Dichter wie dich oder auch den Heinrich Böll, der uns wirklich betroffen machte." Betroffen - wenn es denn unbedingt sein muß - macht indes sehr viel mehr Goethes Ballade "Des Sängers Fluch", die der Germanistikprofessor Brandstetter ans Licht gezogen zu haben scheint. Oder sind ihm da womöglich Uhland und Goethe ein ganz klein wenig durcheinandergeraten? Ist's menschlicher Irrtum oder Fluch der unentwegt gepriesenen eigenen Belesenheit?
Alois Brandstetter hat sich mit Romanen wie "Zu Lasten der Briefträger" oder "Die Abtei" um die österreichische Literatur verdient gemacht. Aber diese Aufzeichnungen sind peinlich in ihrer Selbstfeier und Banalität. Möge Brandstetter den Eisvogel weiter beobachten, den Pichler Chören lauschen und im Schatten der Jubiläumseiche in aller Ruhe einen wirklichen Roman planen, den seine Leser wieder gern in die Hand nehmen werden.
SABINE DOERING
Alois Brandstetter: "Die Zärtlichkeit des Eisenkeils". Roman. Residenz Verlag, Salzburg/Wien 2000. 157 S., geb., 36,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Sabine Doering stellt zunächst einmal klar, dass es sich bei diesem Buch nicht wirklich um einen Roman handelt, sondern vielmehr einerseits um eine Art Tagebuchaufzeichnungen des Autors und andererseits um Ausführungen über den Eisvogel, der in der - oberösterreichischen - Mundart des Autors auch Eisenkeil genannt wird. Hierbei führe Brandstetter seine "Gelehrsamkeit" vor, indem er nicht nur "antike und mittelalterliche Gelehrte" zu Wort kommen lässt, sondern auch über die mangelhafte Kommunikation zwischen Tier und Mensch philosophiert. Was den tagebuchähnlichen Teil des Buchs betrifft, stört sich die Rezensentin doch sehr an der unverhohlenen Nabenschau des Autors, der nach ihren Worten nicht müde wird, sein eigenes Werk zu loben und auch die Anerkennung von Kollegen mit "buchhalterischer Genauigkeit registriert". "Peinlich" findet die Rezensentin dies, die darüber hinaus über Brandstetters flapsige Bemerkungen zum Freitod des Sexualwissenschaftlers Ernest Bornemann die Frage des guten Geschmacks stellt.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH