Gäbe es keine Zauberinnen, die Oper wäre um ihre besten Werke gebracht. Die berühmtesten Vertreterinnen ihrer Art sind jene drei Damen, die zu Beginn der
"Zauberflöte"
dafür sorgen, dass der Held nicht schon bei seinem ersten Auftritt von einem Drachen verschlungen wird. Ihre Nachfolgerinnen, Julia, Manon, Elektra und all die anderen, entwickeln ihre Zauberkräfte allein aus der Musik - und ziehen die Figuren auf der Bühne genauso wie die Menschen im Zuschauerraum in ihren Bann. Ein verführerischer Streifzug durch die schönsten Werke, geschrieben von einem hervorragenden Kenner der Oper und ihrer Geschichte.
"Zauberflöte"
dafür sorgen, dass der Held nicht schon bei seinem ersten Auftritt von einem Drachen verschlungen wird. Ihre Nachfolgerinnen, Julia, Manon, Elektra und all die anderen, entwickeln ihre Zauberkräfte allein aus der Musik - und ziehen die Figuren auf der Bühne genauso wie die Menschen im Zuschauerraum in ihren Bann. Ein verführerischer Streifzug durch die schönsten Werke, geschrieben von einem hervorragenden Kenner der Oper und ihrer Geschichte.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.03.2007So viel Reiz, so wenig Vernunft
Jean Starobinskis Opernwerk über die „Zauberinnen”
Wer die Epoche der Aufklärung, das 18. Jahrhundert, in ihren Ideen so gründlich durchforstet hat wie der 1920 in Genf geborene Jean Starobinski, der darf sich im hohen Alter, souverän gebildet und ungeniert verzückt, dem Zauberwerk der Oper ausliefern. Und ein scharfsinniges, im Denken verführerisches Buch schreiben wie dieses hier. Doch zuerst gibt es eine ernst gemeinte Verständigungsfrage: „Die Oper, ein zur Macht der Musik erhobenes Theater, stellt ein Problem der Lesbarkeit.”
Der Literaturwissenschaftler, Essayist und Mediziner Starobinski hat etwas vorgelegt, womit er wohl sich selbst des Problems vergewissern wollte, des Luxusproblems eines Überflusses. Da die Oper „in ihrem Ursprung an Feste gebunden war, erforderte sie Ordnung und zugleich Verschwendung. Stimmen, Schauspiel, Bühnenbild, Kostüme und Maschinen vervielfältigen die Reizmittel und verlangen eine Aufmerksamkeit, die bereit ist, sich überrumpeln zu lassen.” Starobinski hat die Ästhetik der Oper, in ihrer Breite wie Tiefe, verstanden.
Aber wie kann das zusammen kommen: kühl beobachtende „Aufmerksamkeit” und das angenehme „Sich-Überrumpeln-lassen”? Nur indem man, wie Starobinski es vermag, sich der Objekte der Bewunderung wissenschaftlich-philologisch versichert, die textkritischen Prämissen in Kürze und Eleganz abtastet und doch, so gelehrt man ist und mit dreizehn Ehrendoktoraten versehen, der primären Kunstleidenschaft gegenüber offen bleibt. Die Oper hat es dem Autor ersichtlich seit langem angetan, und seine Studien über Montaigne, Diderot oder Rousseau, seine Überlegungen zur Sprache, zur Melancholie, zu „Aktion und Reaktion” führen ihn jetzt mühelos und brillant in den Bezirk der „Enchanteresses”, der Zauberinnen in der Oper.
Sie seien, heißt es zu Beginn, „Erzeugnisse der Begierde, und wenn sie furchtbar erscheinen, so deshalb, weil die Begierde von der Furcht vor Strafe begleitet wird”. Dabei leugnet Starobinski ironischerweise nicht, dass das Wort „enchanteresse” genauso viel Patina angesetzt habe wie etwa „chanoinesse” (Stiftsdame) oder „prophétesse” (Seherin) und damit einer „fernen Sprache” angehöre. Doch beharrt er auf dem Begriff und beruft sich dabei nach allerlei literarischen Exkursen, wie alle Franzosen gern auf die deutsche Romantik E.T.A. Hoffmanns. Dieser verknüpfte im Zusammendenken von Text und Musik das Symbolische und das Geheimnisvolle mit dem Wunderbaren und landete zwangsläufig bei Mozarts „Zauberflöte”. Bezauberung, sagt Starobinski, ist die wahre Macht des Künstlers.
In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister der Ideen- und Textexegese. Starobinski will nicht und kann nicht das ganze Reservoire der Opernzauberinnen abhandeln, nur ein paar stattliche Exemplare von ihnen, an erster Stelle diejenigen Mozarts: Überlegungen zu den drei Da-Ponte-Opern sowie zu „Idomeneo” und „Zauberflöte” machen fast die Hälfte des Buchs aus. Starobinski weiß, warum ihn „Le nozze di Figaro”, „Don Giovanni” und „Così fan tutte” besonders fesseln, das hat mit dem exquisiten Talent, ja Genie von Mozarts Librettisten zu tun, einer bis heute folgenreichen Konstellation der Operngeschichte: „Das Paar Mozart-da Ponte wünscht sich Hörer, die in der Lage sind, zu gleicher Zeit das Wort, die Melodie und ihren Atem ebenso wie eine Modulation, eine Begleitung oder einen unerwarteten Instrumentalklang oder ein Motiv im Kontrapunkt wahrzunehmen.”
Starobinski ist fasziniert von der „beständigen Überraschung”, die den Hörer der drei da-Ponte-Opern in Beschlag nimmt, sowie davon, dass dabei „in uns eine höhere Wachsamkeit” erzeugt wird und „das Tempo unseres eigenen Lebens” sich ändert. Wobei da Pontes besondere Kunstfertigkeit in der Einfachheit begründet sei: Die Klarheit seiner Mozart-Libretti kommt aus einem einfachen Wortschatz und der lebendigen Syntax – „weniger Wörter und mehr Musik: das ist das Geheimnis”.
Nachgespürt und nachgewiesen wird, wie Mozarts ausgreifender Musikgeist alles beherrscht und durchdringt, wie im Wirbel von Handlung und Tönen, Ensembles und Temporasanz „die Lebensalter und die der Liebe” ineinandergreifen bei Graf und Gräfin, Figaro und Susanne, Marcellina und Bartolo, Cherubino und Barbarina – „das Feld ist frei für die vielgestaltigen Intonationen des Begehrens und alle Akzente der Leidenschaften”. Konstruktivität und Sinnlichkeit in „Don Giovanni” und „Così fan tutte” geleiten den Autor zu schier exzessiver Fülle detailscharfer Beobachtungen, Verknüpfungen, Assoziationen, Blitzen.
„Zauberinnen” der Liebe sind im Anschluss an die Mozart-Kapitel die Poppea Monteverdis ebenso wie Händels Alcina, Bellinis Romeo und Julia ebenso wie die Figuren der Manon und der Ariadne, schließlich Elektra, die Vollenderin des Hasses. Überraschenderweise fehlt jeder Hinweis auf Giuseppe Verdi: Starobinski, vermutet man, mag dessen Bezauberungskünste stillschweigend der „nüchternen Intensität” des Anti-Wagner Bizet zugeordnet haben. Und in der glänzenden Coda „Ombra adorata” gewinnen plötzlich Stendhal, Rossini und Balzac Gestalt.
Reiz und Zauber der Starobinski-Lektüre haben mit der Leichtigkeit und Weite des Denkens, des Stils zu tun, womit ein großer Wissenschaftler und Kunstliebhaber seinen Stoff beherrscht und ausbreitet. WOLFGANG SCHREIBER
Jean Starobinski
Die Zauberinnen
Macht und Verführung in der Oper
Aus dem Französischen von Horst Günther. Hanser Verlag, München 2007. 326 Seiten, 24,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Jean Starobinskis Opernwerk über die „Zauberinnen”
Wer die Epoche der Aufklärung, das 18. Jahrhundert, in ihren Ideen so gründlich durchforstet hat wie der 1920 in Genf geborene Jean Starobinski, der darf sich im hohen Alter, souverän gebildet und ungeniert verzückt, dem Zauberwerk der Oper ausliefern. Und ein scharfsinniges, im Denken verführerisches Buch schreiben wie dieses hier. Doch zuerst gibt es eine ernst gemeinte Verständigungsfrage: „Die Oper, ein zur Macht der Musik erhobenes Theater, stellt ein Problem der Lesbarkeit.”
Der Literaturwissenschaftler, Essayist und Mediziner Starobinski hat etwas vorgelegt, womit er wohl sich selbst des Problems vergewissern wollte, des Luxusproblems eines Überflusses. Da die Oper „in ihrem Ursprung an Feste gebunden war, erforderte sie Ordnung und zugleich Verschwendung. Stimmen, Schauspiel, Bühnenbild, Kostüme und Maschinen vervielfältigen die Reizmittel und verlangen eine Aufmerksamkeit, die bereit ist, sich überrumpeln zu lassen.” Starobinski hat die Ästhetik der Oper, in ihrer Breite wie Tiefe, verstanden.
Aber wie kann das zusammen kommen: kühl beobachtende „Aufmerksamkeit” und das angenehme „Sich-Überrumpeln-lassen”? Nur indem man, wie Starobinski es vermag, sich der Objekte der Bewunderung wissenschaftlich-philologisch versichert, die textkritischen Prämissen in Kürze und Eleganz abtastet und doch, so gelehrt man ist und mit dreizehn Ehrendoktoraten versehen, der primären Kunstleidenschaft gegenüber offen bleibt. Die Oper hat es dem Autor ersichtlich seit langem angetan, und seine Studien über Montaigne, Diderot oder Rousseau, seine Überlegungen zur Sprache, zur Melancholie, zu „Aktion und Reaktion” führen ihn jetzt mühelos und brillant in den Bezirk der „Enchanteresses”, der Zauberinnen in der Oper.
Sie seien, heißt es zu Beginn, „Erzeugnisse der Begierde, und wenn sie furchtbar erscheinen, so deshalb, weil die Begierde von der Furcht vor Strafe begleitet wird”. Dabei leugnet Starobinski ironischerweise nicht, dass das Wort „enchanteresse” genauso viel Patina angesetzt habe wie etwa „chanoinesse” (Stiftsdame) oder „prophétesse” (Seherin) und damit einer „fernen Sprache” angehöre. Doch beharrt er auf dem Begriff und beruft sich dabei nach allerlei literarischen Exkursen, wie alle Franzosen gern auf die deutsche Romantik E.T.A. Hoffmanns. Dieser verknüpfte im Zusammendenken von Text und Musik das Symbolische und das Geheimnisvolle mit dem Wunderbaren und landete zwangsläufig bei Mozarts „Zauberflöte”. Bezauberung, sagt Starobinski, ist die wahre Macht des Künstlers.
In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister der Ideen- und Textexegese. Starobinski will nicht und kann nicht das ganze Reservoire der Opernzauberinnen abhandeln, nur ein paar stattliche Exemplare von ihnen, an erster Stelle diejenigen Mozarts: Überlegungen zu den drei Da-Ponte-Opern sowie zu „Idomeneo” und „Zauberflöte” machen fast die Hälfte des Buchs aus. Starobinski weiß, warum ihn „Le nozze di Figaro”, „Don Giovanni” und „Così fan tutte” besonders fesseln, das hat mit dem exquisiten Talent, ja Genie von Mozarts Librettisten zu tun, einer bis heute folgenreichen Konstellation der Operngeschichte: „Das Paar Mozart-da Ponte wünscht sich Hörer, die in der Lage sind, zu gleicher Zeit das Wort, die Melodie und ihren Atem ebenso wie eine Modulation, eine Begleitung oder einen unerwarteten Instrumentalklang oder ein Motiv im Kontrapunkt wahrzunehmen.”
Starobinski ist fasziniert von der „beständigen Überraschung”, die den Hörer der drei da-Ponte-Opern in Beschlag nimmt, sowie davon, dass dabei „in uns eine höhere Wachsamkeit” erzeugt wird und „das Tempo unseres eigenen Lebens” sich ändert. Wobei da Pontes besondere Kunstfertigkeit in der Einfachheit begründet sei: Die Klarheit seiner Mozart-Libretti kommt aus einem einfachen Wortschatz und der lebendigen Syntax – „weniger Wörter und mehr Musik: das ist das Geheimnis”.
Nachgespürt und nachgewiesen wird, wie Mozarts ausgreifender Musikgeist alles beherrscht und durchdringt, wie im Wirbel von Handlung und Tönen, Ensembles und Temporasanz „die Lebensalter und die der Liebe” ineinandergreifen bei Graf und Gräfin, Figaro und Susanne, Marcellina und Bartolo, Cherubino und Barbarina – „das Feld ist frei für die vielgestaltigen Intonationen des Begehrens und alle Akzente der Leidenschaften”. Konstruktivität und Sinnlichkeit in „Don Giovanni” und „Così fan tutte” geleiten den Autor zu schier exzessiver Fülle detailscharfer Beobachtungen, Verknüpfungen, Assoziationen, Blitzen.
„Zauberinnen” der Liebe sind im Anschluss an die Mozart-Kapitel die Poppea Monteverdis ebenso wie Händels Alcina, Bellinis Romeo und Julia ebenso wie die Figuren der Manon und der Ariadne, schließlich Elektra, die Vollenderin des Hasses. Überraschenderweise fehlt jeder Hinweis auf Giuseppe Verdi: Starobinski, vermutet man, mag dessen Bezauberungskünste stillschweigend der „nüchternen Intensität” des Anti-Wagner Bizet zugeordnet haben. Und in der glänzenden Coda „Ombra adorata” gewinnen plötzlich Stendhal, Rossini und Balzac Gestalt.
Reiz und Zauber der Starobinski-Lektüre haben mit der Leichtigkeit und Weite des Denkens, des Stils zu tun, womit ein großer Wissenschaftler und Kunstliebhaber seinen Stoff beherrscht und ausbreitet. WOLFGANG SCHREIBER
Jean Starobinski
Die Zauberinnen
Macht und Verführung in der Oper
Aus dem Französischen von Horst Günther. Hanser Verlag, München 2007. 326 Seiten, 24,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Voller Bewunderung schreibt Gisela von Wysocki über diese gewaltige Werk des Schweizer Gelehrten Jean Starobinski, den sie zu den letzten großen enzyklopädischen Denkern vom Range eines Claude-Levy-Strauss oder George Steiner zählt. Sein Buch "Die Zauberinnen" sei ein "geistesgeschichtlicher Kraftakt", der, wie sie einräumt, Leser mitunter an die "Grenzen der Fassungskraft" führen können. Wenn wir die Ausführungen der rezensentin richtig verstanden haben, untersucht Starobinski darin die Kraft, die in der Geschichte der Oper wirkte, den Zauber eben, der darin wirkt. Seine Erläuterungen folgen dabei dem Motiv des Ödipus, der selbst nur als Form des Komplexes die Tragödie des Sophokles in sich birgt. Und so tragen wir auch die die Tragödien der Oper in uns. Und die Musik, der "Rahmen von Schein und Schönheit" lassen uns diese grausamen oder empörenden Geschichten hinnehmen.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH