Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus steht im Mittelpunkt dieses Romans. Johannas Familie gehört das traditionsreiche Modehaus Riemenschneider. Angeblich hat es ihr Großvater gegründet. Doch als Johanna mit einer Schülergruppe nach Israel fährt, trifft sie Frau Levin, deren Familie das Modehaus ursprünglich gehörte. Es stellt sich heraus, dass der Großvater das Geschäft Im Zuge der Arisierung während des Dritten Reichs übernommen hat. Johanna ist verunsichert. Gründet der Wohlstand ihrer Familie auf Unrecht? Johanna will mehr über die Hintergründe der Firmengeschichte erfahren. Aber sie fühlt sich hin und hergerissen zwischen ihrer Wahrheitsliebe und dem Bedürfnis, keine schlafenden Hunde zu wecken ...
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.11.2003Was tun mit Opas Beute?
Mirjam Pressler lüftet die Decke
So also sieht es in achtzehnjährigen Köpfen aus: "Ich muß einen Schlußstrich ziehen", grübelt es da, "ich muß wieder das unbekümmerte Mädchen werden, das ich bis zu jenen Tagen Ende April gewesen bin." Und weil die Abiturientin Johanna offenbar nur in gestelzten Formeln denken kann, will sie auch versuchen, "die Freude wiederzufinden, das Vergnügen an der Bewegung, an der Leichtigkeit, an selbstverständlichen Dingen". Während man sich noch fragt, ob man wirklich ein Jugendbuch aufgeschlagen hat oder den Lebensratgeberteil einer Illustrierten, weiß Johanna weiter, daß all dies Verlorene, das sie so klar benennt, immer noch "ein Teil von mir" ist, "das verliert man nicht einfach, es ist nur überlagert von dem, was eine alte Frau gesagt hat".
Die nämlich hat Johanna damit konfrontiert, daß Johannas Großvater in der Nazizeit an geraubtem jüdischen Besitz profitierte. Jetzt ist er gestorben, Johanna erbt eine Menge Geld und versucht, mehr über die Schuld ihres Großvaters herauszufinden und zu entscheiden, was sie mit dem Erbe anfangen soll.
Natürlich ist das ein guter Stoff für einen Roman, und Mirjam Pressler, die einen Roman daraus gemacht hat, gibt sich auch redlich Mühe, dem Thema gerecht zu werden. Sie zeigt die Kraft, die es Johanna kostet, an das begangene Unrecht zu erinnern, auch auf Kosten des Familienfriedens, sie läßt das Mädchen zweifeln, ob die Aufdeckung der Wahrheit diesen Preis wert ist, und umgibt es mit einer Reihe von Figuren, die Johanna sanft in Richtung dieser Enthüllung stupsen oder sich dagegen wehren. Doch weil von Anfang an klar ist, was Johanna zu tun hat und was sie schließlich auch tut, weil die Autorin eine ganze Reihe von Hinweisschildern aufstellt, um zu verdeutlichen, daß man eben nicht alles unter der Decke halten kann, weil sich drittens keine der Figuren von der ihr erkennbar zugedachten Rolle zu lösen vermag, wirkt dieses Buch auf quälende Weise wie geradewegs für den gymnasialen Lehrplan geschrieben.
Beim Aufwachen, im ersten Kapitel, hatte sich Johanna noch vorgenommen, "ein eigenständiger Mensch" zu sein, "nicht nur die Enkelin". Schwerer wiegt, daß sie in ihrem Reden und Denken so ganz und gar die Kopfgeburt ihrer Autorin ist und dies auch erkennen läßt, daß ihr also jenes Stückchen Eigenständigkeit versagt bleibt, das literarischen Gestalten Wahrscheinlichkeit in den Augen des Lesers verschafft. Das Anliegen, an einer beispielhaften Geschichte die Frage des Umgangs mit "arisiertem" jüdischen Eigentum zu diskutieren, steht dem Roman so offensichtlich auf der Stirn geschrieben, daß er genau deshalb als Roman scheitern muß. Ihm bliebe, gäbe es das schon, nur das Prüfstellen-Prädikat "bemüht wertvoll".
TILMAN SPRECKELSEN
Mirjam Pressler: "Die Zeit der schlafenden Hunde". Beltz & Gelberg, Weinheim 2003. 272 S., geb., 14,90 [Euro]. Ab 14 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mirjam Pressler lüftet die Decke
So also sieht es in achtzehnjährigen Köpfen aus: "Ich muß einen Schlußstrich ziehen", grübelt es da, "ich muß wieder das unbekümmerte Mädchen werden, das ich bis zu jenen Tagen Ende April gewesen bin." Und weil die Abiturientin Johanna offenbar nur in gestelzten Formeln denken kann, will sie auch versuchen, "die Freude wiederzufinden, das Vergnügen an der Bewegung, an der Leichtigkeit, an selbstverständlichen Dingen". Während man sich noch fragt, ob man wirklich ein Jugendbuch aufgeschlagen hat oder den Lebensratgeberteil einer Illustrierten, weiß Johanna weiter, daß all dies Verlorene, das sie so klar benennt, immer noch "ein Teil von mir" ist, "das verliert man nicht einfach, es ist nur überlagert von dem, was eine alte Frau gesagt hat".
Die nämlich hat Johanna damit konfrontiert, daß Johannas Großvater in der Nazizeit an geraubtem jüdischen Besitz profitierte. Jetzt ist er gestorben, Johanna erbt eine Menge Geld und versucht, mehr über die Schuld ihres Großvaters herauszufinden und zu entscheiden, was sie mit dem Erbe anfangen soll.
Natürlich ist das ein guter Stoff für einen Roman, und Mirjam Pressler, die einen Roman daraus gemacht hat, gibt sich auch redlich Mühe, dem Thema gerecht zu werden. Sie zeigt die Kraft, die es Johanna kostet, an das begangene Unrecht zu erinnern, auch auf Kosten des Familienfriedens, sie läßt das Mädchen zweifeln, ob die Aufdeckung der Wahrheit diesen Preis wert ist, und umgibt es mit einer Reihe von Figuren, die Johanna sanft in Richtung dieser Enthüllung stupsen oder sich dagegen wehren. Doch weil von Anfang an klar ist, was Johanna zu tun hat und was sie schließlich auch tut, weil die Autorin eine ganze Reihe von Hinweisschildern aufstellt, um zu verdeutlichen, daß man eben nicht alles unter der Decke halten kann, weil sich drittens keine der Figuren von der ihr erkennbar zugedachten Rolle zu lösen vermag, wirkt dieses Buch auf quälende Weise wie geradewegs für den gymnasialen Lehrplan geschrieben.
Beim Aufwachen, im ersten Kapitel, hatte sich Johanna noch vorgenommen, "ein eigenständiger Mensch" zu sein, "nicht nur die Enkelin". Schwerer wiegt, daß sie in ihrem Reden und Denken so ganz und gar die Kopfgeburt ihrer Autorin ist und dies auch erkennen läßt, daß ihr also jenes Stückchen Eigenständigkeit versagt bleibt, das literarischen Gestalten Wahrscheinlichkeit in den Augen des Lesers verschafft. Das Anliegen, an einer beispielhaften Geschichte die Frage des Umgangs mit "arisiertem" jüdischen Eigentum zu diskutieren, steht dem Roman so offensichtlich auf der Stirn geschrieben, daß er genau deshalb als Roman scheitern muß. Ihm bliebe, gäbe es das schon, nur das Prüfstellen-Prädikat "bemüht wertvoll".
TILMAN SPRECKELSEN
Mirjam Pressler: "Die Zeit der schlafenden Hunde". Beltz & Gelberg, Weinheim 2003. 272 S., geb., 14,90 [Euro]. Ab 14 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Auf Rezensent Tilman Spreckelsen wirkt dieser Jugendroman auf "geradezu quälende Weise" wie für den gymnasialen Lehrplan geschrieben. Zu demonstrativ sieht er daraus das Anliegen der Autorin hervortreten, "an einer beispielhaften Geschichte die Frage des Umgangs mit 'arisiertem' jüdischen Eigentum zu diskutieren". Darüber hinaus liest sich für Spreckelsen die Geschichte der Abiturientin Johanna, die sich seinen Informationen zufolge mit der Tatsache auseinandersetzen muss, dass sich ihr Großvater einst an jüdischem Eigentum bereichert hat, streckenweise nicht einmal wie ein Jugendbuch, sondern wie der "Lebensratgeber einer Illustrierten". Auch stört ihn, dass er die Protagonistin selbst "nur in gestelzten Formeln" denken sieht und sich letztlich keine der Figuren dieses Romans von der ihr zugedachten, moralischen Rolle zugunsten literarischer Eigenständigkeit zu lösen vermag.
© Perlentaucher Medien GmbH
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