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"Im Dezember 1960 wurden drei Schwestern, die im Untergrund tätig waren, auf der Heimfahrt auf einer einsamen Gebirgsstraße im Norden der Dominikanischen Republik ermordet. Sie hatten ihre inhaftierten Männer besucht, die man tückischerweise in ein abgelegenes Gefängnis verlegt hatte, um die jungen Frauen zu zwingen, die gefährliche Reise auf sich zu nehmen. Nur die vierte Schwester, die nicht mitgefahren war, blieb verschont. Ich war noch ein junges Mädchen, als ich von dem 'Unfall' hörte, und seitdem gingen mir die Schwestern Mirabal nicht mehr aus dem Sinn. Ich machte mich daran, ihre…mehr

Produktbeschreibung
"Im Dezember 1960 wurden drei Schwestern, die im Untergrund tätig waren, auf der Heimfahrt auf einer einsamen Gebirgsstraße im Norden der Dominikanischen Republik ermordet. Sie hatten ihre inhaftierten Männer besucht, die man tückischerweise in ein abgelegenes Gefängnis verlegt hatte, um die jungen Frauen zu zwingen, die gefährliche Reise auf sich zu nehmen. Nur die vierte Schwester, die nicht mitgefahren war, blieb verschont. Ich war noch ein junges Mädchen, als ich von dem 'Unfall' hörte, und seitdem gingen mir die Schwestern Mirabal nicht mehr aus dem Sinn. Ich machte mich daran, ihre Geschichte aufzuschreiben", sagt Julia Alvarez, die die Dominikanische Republik kurz vor der Ermordung des Diktators Trujillo mit ihren Eltern verlassen mußte.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.06.1996

Aufstand der Schmetterlinge
Julia Alvarez hat ein Herz für sanfte Rebellen

Wer als europäischer Leser zu bestimmten Erwartungen an ein Buch neigt, erwärmt sich vielleicht nur zögernd für "Die Zeit der Schmetterlinge", den neuen Roman der 1950 in der Dominikanischen Republik geborenen Wahlamerikanerin Julia Alvarez. Wenn man es etwa für selbstverständlich hält, daß eine Geschichte, die hauptsächlich vom Widerstand gegen die Trujillo-Diktatur handelt, zumindest ansatzweise mit einer Erläuterung der damaligen ökonomischen Verhältnisse in dem karibischen Inselstaat aufwartet, so wird man hier eher enttäuscht. Spätestens seitdem "Roots" als Roman und Fernsehserie in den Vereinigten Staaten zum Renner geworden war, weiß man dort, daß sich historische Stoffe mit besonderem Erfolg unters Publikum bringen lassen, wenn man sie stark personalisiert und ohne allzuviel generalisierendes Beiwerk präsentiert.

Und noch etwas anderes hat Julia Alvarez in ihrer neuen Heimat gelernt: Ähnlich wie Truman Capote oder Norman Mailer versucht sie, per faction, also mittels Verschmelzung von Fakten und Fiktion, das Exemplarische an Ereignissen herauszuarbeiten, welche erst durch die literarische Aufbereitung ihren allgemeingültigen Charakter offenbaren sollen. "Englischsprachigen Lesern", nämlich denen in Nordamerika, will die Autorin laut eigener Auskunft "die Lebensgeschichte der berühmten Mirabal-Schwestern" nahebringen. Aber infolge des von ihr angewandten Verfahrens, so berichtet sie, "wuchsen die Figuren der Handlung über alle Fakten und strittigen Fragen hinaus und verselbständigten sich in meiner Phantasie: Ich erschuf sie neu."

Die Mirabal-Schwestern - Patria Mercedes, Minerva, Maria Teresa; drei verheiratete jüngere Frauen, die von der Bevölkerung den Kosenamen "Schmetterlinge" erhielten - und ihr Fahrer Rufino de la Cruz wurden Ende 1960 auf Anweisung des Diktators Rafael L. Trujillo in einen Hinterhalt gelockt und von staatlich besoldeten Mördern umgebracht. Ihre Ehemänner saßen zu jener Zeit (schon gegen Ende der mehr als dreißigjährigen Tyrannei des Mannes, der sich gern "El Jefe" nennen ließ und schließlich selber das Opfer eines Mordkomplotts wurde) als Oppositionelle unter erschwerten Haftbedingungen im Gefängnis. Die am Leben gebliebene vierte Schwester, Dedé genannt, dient der Autorin, die selber als "die Frau" oder die "Interviewerin" über eine bescheidene Hintergrundexistenz nicht hinauskommt, als Auskunftsperson in einer Art Rahmenhandlung; der große Rest der Geschichte wird aus der Sicht der verschiedenen Schwestern erzählt - in Form von Tagebucheintragungen beziehungsweise von längeren Abschnitten, die wie Briefe oder Aufzeichnungen mündlicher Berichte wirken.

Mit dem Eindruck von Unmittelbarkeit, den diese Darstellungsmethode bewirkt, hat Julia Alvarez ihr wichtigstes Problem gelöst: Wie kann man ein Publikum, das schon von der heutigen Dominikanischen Republik kaum mehr kennen dürfte als ein paar Fotos von Strandhotels, für die Leiden der dortigen Bevölkerung unter einem bereits in die regionale Zeitgeschichte eingegangenen Dritte-Welt-Regime interessieren? Alvarez gelingt dies mit Hilfe der persönlichen, ja privaten Perspektiven der Schwestern ungemein anschaulich. Sie läßt ihre Hauptgestalten aus deren Kindheit und Jugend erzählen: vom Aufwachsen in einer einigermaßen wohlhabenden Gutsbesitzerfamilie, von der religiös geprägten Erziehung in einer Art Klosterschule und auch von Studium, erstem Liebesgeplänkel und jungen Ehejahren - letztere freilich schon verdüstert durch das wachsende Bewußtsein, in einem "Polizeistaat" zu leben und sich wehren zu müssen.

"In jedem größeren Haushalt", erfahren die Mädchen, "gab es einen Bediensteten, der in doppeltem Sold stand"; "für eine Flasche Rum und ein paar Pesos" berichtet der Stallbursche der Familie "dem Geheimdienst alles, was er im Haus der Mirabals aufgeschnappt hat". Als Minerva dem zudringlichen Diktator, der durchweg als schürzenjägerischer Lustmolch und als das Böse schlechthin geschildert wird, während einer offiziellen Tanzveranstaltung eine Ohrfeige verpaßt, ist der Niedergang der Mirabals besiegelt.

Die Darstellung der Art und Weise, wie die Trujillo-Tyrannei, obschon innerlich morsch, mit unheimlicher Zwangsläufigkeit Macht über die Menschen gewann und ausübte, gehört neben viel sorgsam wiedergegebenem Lokalkolorit zu den einprägsamsten Merkmalen dieses Romans. Wenngleich die Diktatur als das absolute Übel erscheint, weiß Alvarez nur zu gut, daß Vereinfachungen oft nicht einmal die Hälfte erklären, weshalb sie einem Rundfunkkommentator, der die Wirren in ihrer Heimat nach der Ära Trujillo analysiert, folgende Erkenntnis in den Mund legt: "Diktaturen . . . sind phantheistisch. Einem Diktator gelingt es irgendwie, ein Stückchen von sich selbst in jeden von uns einzupflanzen."

Einen solchen indirekten Vorwurf hätte etwa ein André Brink, der sich vor Jahren (in "Zeit des Terrors") mit dem südafrikanischen Widerstand zu Apartheid-Zeiten auseinandersetzte, seinen Oppositionsprotagonisten mit wesentlich weniger Recht machen können. Während diese bei Brink mit dem Establishment in ihrer Heimat radikal gebrochen haben und als zielbewußt Handelnde mit klarem Programm in einem zumindest in den Städten hochentwickelten Land agieren, erscheinen Alvarez' Revolutionäre als gutmütige Provinz-Idealisten und Familienmenschen, ja beinahe Folklorekämpfer, welche mit ideologischem Schliff weder etwas bewegen wollen noch können. Selbst für die Entschlossensten von ihnen bleiben schlagkräftige Figuren wie Fidel Castro vom Nachbareiland Kuba angehimmelte Fixsterne. Nicht zuletzt wegen solcher Schwächen müssen die dominikanischen Rebellen scheitern; und dies liefert auch einen Gutteil der Erklärung dafür, daß "Die Zeit der Schmetterlinge" zu einer anrührenden, trotz gefühlsgeladener Szenen niemals kitschigen Hommage der Exilantin Julia Alvarez an ihre Heimatinsel geworden ist. WOLFGANG STEUHL

Julia Alvarez: "Die Zeit der Schmetterlinge". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Carina von Enzenberg und Hartmut Zahn. Piper Verlag, München 1996. 463 S., geb., 39,80 DM.

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