Wie viele Stunden hat ein Tag,wenn man nicht die Halfte davonvor dem Fernseher verbringt?Wie lange ist es her, dass wir uns WIRKLICH anstrengen mussten, um etwas zu bekommen,das wir wollten?Wie lange ist es her, dass wir etwas WOLLTEN, das wir wirklich BRAUCHTEN?Die Welt, die wir kannten, ist Vergangenheit.Die Welt des Kommerzes und der Dekadenz ist einer Weltder Verantwortung und des Uberlebens gewichen.Eine Epidemie apokalyptischen Ausmaßes lasst rund um den Globusdie Toten auferstehen, die sich an den Lebenden schadlos halten. Nach ein paar Wochen ist die Gesellschaft am Ende.Es gibt keine Regierung mehr. Keinen Supermarkt.Kein Internet.Kein Kabelfernsehen.In einer Welt, die von den Toten regiert wird, sind wir gezwungen,endlich unser Leben selbst in die Hand zu nehmen.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.02.2020Der American Dream darf nicht sterben
Zum Abschluss der unfassbar erfolgreichen Comic-Serie „The Walking Dead“ von Robert Kirkman
Sie lief und lief und lief, diese Zombie-Serie, und lange wünschte man sich auch, das möge ewig so bleiben. Als im Herbst 2003 das erste Heft von „The Walking Dead“ erschien, rechneten wohl weder der amerikanische Image-Verlag noch der Szenarist Robert Kirkman mit einem überwältigenden Erfolg. Aber genau dieser trat ein, in globalem und crossmedialem Umfang: Inzwischen gibt es gleich drei TV-Adaptationen – neben dem verfilmten Ursprungscomic die Spin-offs „Fear the Walking Dead“ und „World Beyond“ –, dazu Computerspiele, mehrere Bücher, Brettspiele und natürlich Sammelfiguren. Umso größer war die Überraschung, als Kirkman im vergangenen Jahr kurzfristig verkündete, die Reihe abschließen zu wollen. Das war mit dem 193. Heft tatsächlich der Fall – und es war eine kluge Entscheidung.
Am Anfang von „The Walking Dead“ erwacht der Polizist Rick Grimes, nachdem er, von einer Schießerei schwer verletzt, mehrere Wochen im Koma gelegen ist, im Krankenhausbett einer Kleinstadt. Als er sein Zimmer verlässt, taumeln ihm lauter Zombies entgegen. Im zerstörten Atlanta findet Grimes schließlich seine Familie wieder. In einer Welt, in der die lebendigen Menschen den Untoten gegenüber eine kleine, gefährdete Minderheit darstellen, steht er vor der schwierigen Aufgabe, einen Platz zu finden, an dem ein dauerhaftes Überleben möglich ist.
Zusammen mit einer sorgfältigen, psychologisierenden Schilderung der Hauptfiguren waren es die verblüffenden Wendungen des Geschehens, mit denen es Kirkman, sekundiert von dem Zeichner Charlie Adlard, gelang, das Interesse an „The Walking Dead“ über anderthalb Jahrzehnte wachzuhalten. Wie in „Game of Thrones“ war disruptives Erzählen das Gebot: Unvermittelt konnte jederzeit Grauenvolles, Blutiges passieren; kaum ein lieb gewonnener Sympathieträger war davor gefeit, plötzlich eines brutalen Todes zu sterben. Auf die Dauer stellte sich paradoxerweise gerade dadurch jedoch ein gewisser Gewöhnungseffekt ein: Hatte man einmal durchschaut, dass die Karten ständig neu gemischt werden konnten, musste die Fieberkurve der Anteilnahme zwangsläufig fallen.
Je weiter die Serie voranschritt, Monat für Monat, wurde auch deutlich, wie sehr Kirkman bewährte, teilweise sehr alte Muster aufgriff. Rick Grimes ist eine radikalisierte Version des von Stan Lee mit Peter Parker alias Spider-Man erfundenen hero with a problem. Grimes reißt sich immer wieder zusammen, um seinen Pflichten als Held in einer postapokalyptischen Hölle zu genügen; durch seine schrecklichen Erlebnisse hat er aber mit massiven Seelenqualen zu kämpfen, die ihn bis an den Rand des Wahnsinns führen. Zugleich schimmert Religiöses durch: Wenn Grimes die Gemeinschaft, der er vorsteht, durch alle Fährnisse leitet und mit zündenden Reden immer wieder aufbaut, erinnert er an Moses; die körperlichen Versehrungen, die er zu erdulden hat, machen ihn zu einem jesusmäßigen Schmerzensmann.
In dem Sammelband, der die letzten sieben Ausgaben von „The Walking Dead“ vereint, herrscht heftiger Streit unter den Bewohnern von Grimes’ Siedlung. Verschärft wird die Lage dadurch, dass sich eine riesige Horde von Zombies nähert. Der große schockierende Moment, auf den alles zuläuft, ist so schockierend dann gar nicht: Kirkman zieht nur den letzten Joker, der ihm noch geblieben ist. Nach einem Zeitsprung klingt die Serie fast friedlich aus, in einer Westernszenerie. Die Sterne funkeln, hohes Gras biegt sich im Wind, eine Dampfeisenbahnstrecke wird gebaut; die Menschen leben in kleinen Städten und reiten, das Gewehr über der Schulter, durch die Gegend. Der American Dream darf nicht sterben; zum Schluss von „The Walking Dead“ wird er, mit stark nostalgischer Grundierung, erneut beschworen.
CHRISTOPH HAAS
Robert KIrkman (Text) / Charlie Adlard (Zeichnungen): The Walking Dead, Bd. 32: Ruhe in Frieden. Aus dem Amerikanischen von Frank Neubauer. Cross Cult Verlag, Ludwigsburg 2019. 224 Seiten, 18 Euro.
Die Serie klingt friedlich aus,
die Menschen leben in kleinen
Städten, die Sterne funkeln
Überlebensstrategien unter Untoten sind das Spezialgebiet von Rick Grimes in „The Walking Dead“.
Foto: Cross Cult Verlag
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Zum Abschluss der unfassbar erfolgreichen Comic-Serie „The Walking Dead“ von Robert Kirkman
Sie lief und lief und lief, diese Zombie-Serie, und lange wünschte man sich auch, das möge ewig so bleiben. Als im Herbst 2003 das erste Heft von „The Walking Dead“ erschien, rechneten wohl weder der amerikanische Image-Verlag noch der Szenarist Robert Kirkman mit einem überwältigenden Erfolg. Aber genau dieser trat ein, in globalem und crossmedialem Umfang: Inzwischen gibt es gleich drei TV-Adaptationen – neben dem verfilmten Ursprungscomic die Spin-offs „Fear the Walking Dead“ und „World Beyond“ –, dazu Computerspiele, mehrere Bücher, Brettspiele und natürlich Sammelfiguren. Umso größer war die Überraschung, als Kirkman im vergangenen Jahr kurzfristig verkündete, die Reihe abschließen zu wollen. Das war mit dem 193. Heft tatsächlich der Fall – und es war eine kluge Entscheidung.
Am Anfang von „The Walking Dead“ erwacht der Polizist Rick Grimes, nachdem er, von einer Schießerei schwer verletzt, mehrere Wochen im Koma gelegen ist, im Krankenhausbett einer Kleinstadt. Als er sein Zimmer verlässt, taumeln ihm lauter Zombies entgegen. Im zerstörten Atlanta findet Grimes schließlich seine Familie wieder. In einer Welt, in der die lebendigen Menschen den Untoten gegenüber eine kleine, gefährdete Minderheit darstellen, steht er vor der schwierigen Aufgabe, einen Platz zu finden, an dem ein dauerhaftes Überleben möglich ist.
Zusammen mit einer sorgfältigen, psychologisierenden Schilderung der Hauptfiguren waren es die verblüffenden Wendungen des Geschehens, mit denen es Kirkman, sekundiert von dem Zeichner Charlie Adlard, gelang, das Interesse an „The Walking Dead“ über anderthalb Jahrzehnte wachzuhalten. Wie in „Game of Thrones“ war disruptives Erzählen das Gebot: Unvermittelt konnte jederzeit Grauenvolles, Blutiges passieren; kaum ein lieb gewonnener Sympathieträger war davor gefeit, plötzlich eines brutalen Todes zu sterben. Auf die Dauer stellte sich paradoxerweise gerade dadurch jedoch ein gewisser Gewöhnungseffekt ein: Hatte man einmal durchschaut, dass die Karten ständig neu gemischt werden konnten, musste die Fieberkurve der Anteilnahme zwangsläufig fallen.
Je weiter die Serie voranschritt, Monat für Monat, wurde auch deutlich, wie sehr Kirkman bewährte, teilweise sehr alte Muster aufgriff. Rick Grimes ist eine radikalisierte Version des von Stan Lee mit Peter Parker alias Spider-Man erfundenen hero with a problem. Grimes reißt sich immer wieder zusammen, um seinen Pflichten als Held in einer postapokalyptischen Hölle zu genügen; durch seine schrecklichen Erlebnisse hat er aber mit massiven Seelenqualen zu kämpfen, die ihn bis an den Rand des Wahnsinns führen. Zugleich schimmert Religiöses durch: Wenn Grimes die Gemeinschaft, der er vorsteht, durch alle Fährnisse leitet und mit zündenden Reden immer wieder aufbaut, erinnert er an Moses; die körperlichen Versehrungen, die er zu erdulden hat, machen ihn zu einem jesusmäßigen Schmerzensmann.
In dem Sammelband, der die letzten sieben Ausgaben von „The Walking Dead“ vereint, herrscht heftiger Streit unter den Bewohnern von Grimes’ Siedlung. Verschärft wird die Lage dadurch, dass sich eine riesige Horde von Zombies nähert. Der große schockierende Moment, auf den alles zuläuft, ist so schockierend dann gar nicht: Kirkman zieht nur den letzten Joker, der ihm noch geblieben ist. Nach einem Zeitsprung klingt die Serie fast friedlich aus, in einer Westernszenerie. Die Sterne funkeln, hohes Gras biegt sich im Wind, eine Dampfeisenbahnstrecke wird gebaut; die Menschen leben in kleinen Städten und reiten, das Gewehr über der Schulter, durch die Gegend. Der American Dream darf nicht sterben; zum Schluss von „The Walking Dead“ wird er, mit stark nostalgischer Grundierung, erneut beschworen.
CHRISTOPH HAAS
Robert KIrkman (Text) / Charlie Adlard (Zeichnungen): The Walking Dead, Bd. 32: Ruhe in Frieden. Aus dem Amerikanischen von Frank Neubauer. Cross Cult Verlag, Ludwigsburg 2019. 224 Seiten, 18 Euro.
Die Serie klingt friedlich aus,
die Menschen leben in kleinen
Städten, die Sterne funkeln
Überlebensstrategien unter Untoten sind das Spezialgebiet von Rick Grimes in „The Walking Dead“.
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