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Russland, 1980er Jahre bis in die Gegenwart: Ein Land, das sich öffnete, hat sich wieder verschlossen. Eine Gesellschaft, die zu Emanzipation, Freiheit und Selbsterkenntnis aufgebrochen war, leidet heute unter Bevormundung und Repression. Wie konnte es dazu kommen? Die Frage hat die Bestsellerautorin Masha Gessen nicht losgelassen, und sie packt auch die Leser.
Im Zentrum stehen vier Menschen der Generation 1984. Sie kamen in die Schule, als die Sowjetunion zerfiel, und wurden unter Präsident Putin erwachsen. Junge Leute aus unterschiedlichen sozialen und familiären Verhältnissen: zum
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Produktbeschreibung
Russland, 1980er Jahre bis in die Gegenwart: Ein Land, das sich öffnete, hat sich wieder verschlossen. Eine Gesellschaft, die zu Emanzipation, Freiheit und Selbsterkenntnis aufgebrochen war, leidet heute unter Bevormundung und Repression. Wie konnte es dazu kommen? Die Frage hat die Bestsellerautorin Masha Gessen nicht losgelassen, und sie packt auch die Leser.

Im Zentrum stehen vier Menschen der Generation 1984. Sie kamen in die Schule, als die Sowjetunion zerfiel, und wurden unter Präsident Putin erwachsen. Junge Leute aus unterschiedlichen sozialen und familiären Verhältnissen: zum Beispiel Zhanna, deren Vater Boris Nemzow, ein prominenter Reformer, mitten in Moskau erschossen wurde. Oder Ljoscha, der als schwuler Dozent seine Stelle an der Uni Perm verliert.

Die große Erzählung von Aufbrüchen und gescheiterten Hoffnungen der Jungen wird flankiert von den Bildungsgeschichten des liberalen Soziologen Lew Gudkow, der Psychoanalytikerin Marina Arutjunjan und desrechtsnationalistischen Philosophen Alexander Dugin.

Masha Gessen hat ein Russland-Buch geschrieben, wie es noch keines gab: fesselnd wie ein Gesellschaftsroman, angetrieben von dem leidenschaftlichen Wunsch zu verstehen, warum ein Land, das in einem ungeheuren Kraftakt seine lähmenden Machtstrukturen abschütteln konnte, zu einem autoritär geführten Staat mit neoimperialen Zügen geworden ist.

Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Autorenporträt
Masha Gessen, geboren 1967 in Moskau, wurde mit Büchern wie Der Mann ohne Gesicht: Wladimir Putin. Eine Enthüllung (2012) und Der Beweis des Jahrhunderts. Die faszinierende Geschichte des Mathematikers Grigori Perelman (2013) bekannt. Die Zukunft ist Geschichte. Wie Russland die Freiheit gewann und verlor wurde vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem National Book Award 2017 und dem Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung 2019. Gessen schreibt für das Magazin The New Yorker und lehrt am Amherst College. Masha Gessen lebt in New York.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Ekaterina Makhotina erhebt Einspruch gegen Masha Gessens viel gelobtes und in Leipzig ausgezeichnetes Buch "Die Zukunft ist Geschichte", das anhand verschiedener Protagonisten den Weg des postsowjetischen Russlands zurück in die Unfreiheit nachzeichnet. Makhotina findet problematisch, wie die Autorin unbelegte Thesen und moralische Urteile miteinander vermengt, wenn sie die russische Bevölkerung als eine im Totalitarismus gefangene Gemeinschaft nostalgischer Sowjetmenschen beschreibt. Wie Gessen damit Menschen stigmatisiert und pathologisiert, gefällt der Rezensentin nicht, den Umgang mit den Begriffen Totalitarismus und Sowjetmensch findet sie zudem undifferenziert bis fahrlässig.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.01.2019

Der Reiz des Autoritären
Eine Anklage der Menschen im nachsowjetischen Russland

Es ist in Vergessenheit geraten, dass auf die Frage, was Freiheit ist, unterschiedliche Antworten gegeben werden können. Frei kann sein, wer seinen Ermessensspielraum zu Lasten anderer ausweitet, wer sich Vorteile durch Rücksichtslosigkeit verschafft.

Liberale hingegen definieren Freiheit als jenen Schutzraum, zu dem sich die staatliche Gewalt keinen Zutritt verschaffen darf. In allen Gesellschaften gibt es auch Menschen, die unter fehlender Anerkennung leiden. Wer in Armut lebt und herablassend behandelt wurde, verlangt nach Anerkennung und Gerechtigkeit. Nicht freie Rede und demokratische Wahlen, sondern das Gefühl, jemand zu sein, heben das Selbstwertgefühl solcher Menschen. Und bisweilen ziehen sie es deshalb vor, in einer autoritären Ordnung zu leben, wenn sie ihnen gibt, wonach sie verlangen. Davon aber haben Liberale gewöhnlich keinen Begriff.

Dieses Unverständnis offenbart sich auch in Masha Gessens neuem Buch. "Wie Russland die Freiheit gewann und verlor", lautet der Untertitel. Er verrät den Lesern, worauf es hinausläuft. Russland ist nicht geworden, was es hätte sein können, wenn nach dem Ende der Sowjetunion nicht das autoritäre über das Projekt der offenen Gesellschaft gesiegt hätte. Aber warum? Der Leser erfährt es nicht. Ihm werden stattdessen Geschichten von Menschen erzählt, die mit dem Leben nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Ordnung zurechtkommen mussten und als Befreiung empfanden, was nach 1991 geschah. Gessen erzählt von Serjoscha, dem Enkel Alexander Jakowlews, des Vordenkers der Perestrojka, von der Psychoanalytikerin Maria Arutjunjan, vom Soziologen Lew Gudkow, von Shanna und ihrem Vater, dem liberalen Politiker Boris Nemzow, von Mascha und ihrer Mutter Tatjana, die sich in den Jahren der Perestrojka durch den Betrieb einer Nachhilfevermittlung am Leben erhielt, von Ljoscha, dem Sohn einer Lehrerin, der seine Homosexualität entdeckt, sich zu ihr bekennt und erfahren muss, was es bedeutet, im Russland Putins ein Außenseiter zu sein.

Gessen gefällt sich in der Rolle der Anklägerin. Denn sie erzählt nur von der leidvollen Seite des Lebens. Dunkel und trostlos sei die sowjetische Welt gewesen, nur in den Studierstuben der Dissidenten habe das Licht der Aufklärung gebrannt. Arutjunjan und Gudkow seien Karriere und Einkommen einerlei gewesen, sie hätten gelernt, ohne jemals über die Nützlichkeit des Gelernten nachzudenken. In den Jahren der Perestrojka hätten sich ihnen ungeahnte Möglichkeiten der Entfaltung eröffnet: Die Psychoanalyse und die Soziologie als angewandte Sozialwissenschaft wurden wiederentdeckt. Arutjunjan musste sich in wenigen Monaten aneignen, was in Jahrzehnten erarbeitet worden war. Mit offenen Augen reiste sie in eine neue Welt. 1987 gründete Juri Lewada das "Allsowjetische Zentrum für Meinungsforschung", in dem auch der junge Gudkow eine Anstellung fand. Hier entstanden die ersten Untersuchungen über den "homo sovieticus", den fügsamen Menschen, der über Jahrzehnte abgerichtet worden war.

Die Dissidenten jener Jahre glaubten, dass eine neue Zeit anbrechen werde, sobald auch die Sowjetmenschen von den Früchten der Freiheit gekostet hätten. Das Ende der Sowjetunion wurde tatsächlich von vielen Menschen als Aufbruch in eine leuchtende Zukunft verstanden, und für eine kurze Zeit waren sie bereit, abweichende Auffassungen und Lebensweisen als jenen Preis zu akzeptieren, der für die Ankunft in der neuen Welt zu entrichten war.

Die sowjetische Vergangenheit aber ließ sich nicht durch "Aufarbeitung" bewältigen. Zwar arbeitete der Reformer Alexander Jakowlew unermüdlich an der Dokumentation der stalinistischen Verbrechen, Arutjunjan versuchte, traumatisierten Opfern zu helfen, die Schrecken der Vergangenheit zu verarbeiten, Gudkow, die sozialen Bedingungen des sowjetischen Gedächtnisses zu verstehen. Aber was hat man davon, wenn niemand hören will, was man selbst für den einzigen Weg hält, mit dem blutigen Erbe zurechtzukommen? Die Schriftstellerin Lidija Tschukowskaja sprach es deutlich aus: "Die Regierung ist ohne jeden nachvollziehbaren Grund über ihre Bürger hergefallen, hat sie geschlagen, gefoltert und erschossen. Und jetzt versuche mal, zu verstehen, wozu! ... Die Leute sind vor der Wahrheit in Deckung gegangen wie vor einer Revolvermündung."

Am Ende gingen die Bürger auch vor der neu gewonnenen Freiheit in Deckung, weil die marktwirtschaftlichen Reformen ihnen nicht zu geben vermochten, wonach sie sich sehnten. Alle Ideale, die einst das Ende der kommunistischen Ordnung gerechtfertigt hatten, gerieten nun in Verruf, und mit ihnen auch die Reformer und Dissidenten, die sie vertraten. Nach Jahren der Demütigung mochten die meisten Menschen in Russland nicht mehr am Katzentisch der Europäer sitzen. Sie waren es einfach leid, sich für ihre Armut und Rückständigkeit zu schämen. "Was für Arutjunjan selbst eine Befreiung von den Beschränkungen des totalitären Staates gewesen war", schreibt Gessen, "hatten viele ihrer Klienten als Druck erlebt, irgendwie durchzukommen, Erwartungen zu erfüllen, mit den anderen mitzuhalten. Als unter den Klängen der Stabilitätsfanfare die ersten Freiheiten wieder eingeschränkt wurden, hatte das beruhigend auf sie gewirkt."

Gudkows Umfragen bestätigten, was Arutjunjan vermutete. Der "homo sovieticus" war wiederauferstanden. Gessen bringt dieses Phänomen auf eine sehr einfache Formel: Der paternalistische Mafiastaat Putins habe sich mit der "totalitären Gesellschaft" der Abgerichteten und Fügsamen verbunden und Russland in einen finsteren Ort verwandelt. Die Bürger hätten es dem Regime leichtgemacht. Denn die "ausgehöhlte Persönlichkeit" habe die Leere als ihre größte Tugend gepriesen und sich freiwillig unterworfen.

Putins Triumph war das Ende jener Freiheit, von der Liberale träumen. Die Mehrheit der Bevölkerung aber war offenbar bereit, den Preis zu bezahlen, der für die Wiederherstellung von Sicherheit und bescheidenem Wohlstand verlangt wurde. Gessen hat dafür kein Verständnis. Zwei Drittel des Buches bestehen aus nichts anderem als Leidensgeschichten. Gessen geißelt die Kampagnen des Regimes gegen Homosexuelle und Pädophile, verurteilt die Gängelung der Opposition, die Manipulation von Wahlen und den Zynismus der Machthaber, und sie erweckt den Eindruck, als sei die manipulierte Gesellschaft der einzige Grund, auf dem die autoritäre Persönlichkeit gedeiht. Es ist wahr: In Russland werden Oppositionelle bedrängt, in den Medien Loblieder auf die Regierung gesungen, die Toleranz für abweichendes Verhalten ist in der russischen Gesellschaft geringer als hierzulande. Gessen aber behauptet, die Regierung habe Homosexuelle zu inneren Feinden erklärt und die Gesellschaft gegen sie mobilisiert. Die sexuelle Identität aber ist keine Frage, die im Alltag der meisten Menschen eine bedeutende Rolle spielt, und schon gar nicht rechtfertigen solche Hinweise das herbe Urteil, die russische Gesellschaft sei totalitär, die Regierung nichts weiter als eine Mafiaorganisation.

Gessen hat ein bitteres Buch geschrieben, in dem nichts Schönes und nichts Tröstendes zu finden ist und das uns die Antwort auf die eigentliche Frage schuldig bleibt: Warum arrangieren sich Menschen mit einer autoritären Ordnung, wenn sie sich doch auch für ein anderes Leben hätten entscheiden können?

JÖRG BABEROWSKI

Masha Gessen: Die Zukunft ist Geschichte. Wie Russland die Freiheit gewann und verlor.

Suhrkamp Verlag, Berlin 2018. 639 S., 26,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Für jeden, der sich fragt, wie Russland in den Händen von Putin und seinen Freunden enden konnte und was dies für uns alle bedeutet, zeichnet Masha Gessen ein so alarmierendes wie überzeugendes Bild. «
Ed Lucas, The Times 07.05.2018