Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.10.2008Einsamkeit hat viele Namen
Kein richtiges Leben im falschen: Heinz Strunks zweiter Roman / Von Edo Reents
Der Held hat sich gehäutet; seine Aknepickel ist er los, dafür hat er jetzt Übergewicht. War es früher seine Hauptsorge, dass man ihn fassungslos anstarrt, so ist es nun sein "größter und in Wirklichkeit einziger Wunsch: mit nacktem Oberkörper Holz hacken, ohne dass es scheiße aussieht. Glück könnte so einfach sein. Nichts schmeckt so gut, wie Dünnheit sich anfühlt."
Heinz Strunk hat sich nach dem großen Erfolg von "Fleisch ist mein Gemüse" Zeit gelassen mit seinem zweiten Buch. Aber seinen Helden erkennt man wieder. Aus Heinzer, dem "Mucker", der sich durch seine trübe, mit Komik und Trauer ausgemalte Tanzkapellenexistenz schleppt, ist Markus Erdmann geworden, ein vierunddreißig Jahre alter Junggeselle aus Hamburg, der einen Fernsehunterhalter mit Gags beliefert. Milieu und Personal haben also Wiedererkennungswert, schon das war eine kluge Entscheidung: darüber zu schreiben, was man kennt. Statt der "Landjugend mit Musik", die sich über einen Großteil der Kohl-Ära hinzog, nun das eine Woche lang drastisch geschilderte Großstadtdasein eines einsamen, wieder in fast jeder Hinsicht zu kurz gekommenen Mannes.
Man wird über der zeitlichen Straffung kaum übersehen, dass Strunks neuer Roman "Die Zunge Europas" einen weniger bündigen Eindruck als der Vorgänger macht. Die schon dort spürbare Neigung zu essayistischen Passagen und phantastischen Ausflüchten in Form von Liedtexten und Gedichten hat sich erheblich verstärkt und macht sich bisweilen selbständig, bis hin zu Kommentaren in eigener Sache, in denen Strunk über die Gelungenheit seiner Formulierungen nachdenkt. Die sieben Tage können, in biblischer Anspielung, gleichsam ontologische Geltung beanspruchen. Was hier erzählt wird, ist die negative Schöpfungsgeschichte einer als zutiefst desolat erlebten Gegenwartsexistenz ohne Anfang und Ende. Strunk, ein Kind der siebziger Jahre, lässt diese eine, unerträglich heiße Woche nach alter Väter Sitte an einem Sonntag beginnen und an einem Samstag enden - vermutlich nicht zufällig an dem Tag, der für junge Leute der Höhepunkt der Woche ist, für Markus Erdmann aber der auch vom Leser für nicht mehr möglich gehaltene Tiefpunkt: "Mein Niedergang geht in die letzte Phase."
Dem gehen relativ ereignislose Tage voran. Markus Erdmann wuchs bei seinen Großeltern auf. Der Opa, früher ein "lebendes Verbotsschild", dämmert der vollständigen Verkalkung entgegen; die Oma empfängt ihn zum sonntäglichen Mittagessen mit einem nur für ihn reservierten Gesichtsausdruck: "Enttäuschung und Trauer. Ich sollte mich schuldig fühlen. Als Grundgefühl. Entweder fürs Zuspätkommen oder für die anderen Sachen, die ich schon verbrochen hatte und noch verbrechen würde, und wenn das alles nicht langte, gab's ja noch die Erbsünde." Innerhalb dieses von Strunk vorsichtig angedeuteten quasireligiösen Rahmens entfaltet sich das Leben des Enkels als eine fortlaufende Serie von Pannen, Frustrationen und verpassten Chancen, in deren Zentrum erotische Bedürfnisse und Phantasien stehen, die Markus Erdmann nie ausleben konnte und die auch in dem tristen Zusammensein mit der Gewohnheitsfreundin Sonja keine große Rolle spielen.
Man kennt Strunks Obsession für sexuelle Nöte - hier ist sie zum Äußersten getrieben und entlädt sich in einer Nacht auf der Reeperbahn, die Markus Erdmann mit einer Zufallsbekanntschaft hinter sich bringt und die das Hauptthema des Romans mit einer geradezu schmerzlichen Direktheit in den Blick rückt: den Wettbewerb der Körper, der jeden links liegenlässt, der sich ungeschickt anstellt oder anderweitig gehandicapt ist. Es spricht für den Tatsachensinn des Helden, dass er dafür nicht die Schuld bei anderen sucht, sondern die darwinistische, von der Unterhaltungs- und Werbeindustrie bekräftigte Dimension, die hinter dem Treiben steckt, unumwunden anerkennt. Mit von eigenen Entbehrungen grotesk geschärften Augen registriert er auf St. Pauli das Diktat der Attraktivität und die trostlosen, demütigenden Geschlechterrituale, die es erzwingt.
Dahinter steckt die im Kern konservativ gestimmte Kulturkritik, um die es Strunk immer schon zu tun war und die hier noch einmal präzisiert wird: Das Leben junger Leute, vom Verlust an Orientierungen schon genug geplagt, wird korrumpiert vom falschen Denken der Konsumgesellschaft. Strunk zeigt, wie viel Unheil die auf gute Laune gedrillte und von ihm dafür in Grund und Boden verachtete Kreativszene anrichtet, indem sie den Leidensgrund des Daseins übersieht.
Diese Diagnose erhält zusätzliche Schärfe durch eine sich am Detail aufreibende Psychopathologie des Alltags: Ob es um Essens- oder Redegewohnheiten der Mitmenschen geht, um Musikgeschmack oder Freizeitgestaltung - Markus Erdmann, ängstlich auf Schonung seiner "armen Nerven" bedacht, den Kopf voller unschöner Kindheitserinnerungen und bisweilen abartiger Körperphantasien, registriert alles, als liefe er mit abgezogener Haut durch ein Leben, dem er sich nicht gewachsen fühlt.
"Wer die Wahrheit übers unmittelbare Leben erfahren will, muss dessen entfremdeter Gestalt nachforschen, den objektiven Mächten, die die individuelle Existenz bis ins Verborgenste bestimmen. Redet man unmittelbar vom Unmittelbaren, so verhält man sich kaum anders als jene Romanschreiber, die ihre Marionetten wie mit billigem Schmuck mit den Imitationen der Leidenschaft von ehedem behängen, und Personen, die nichts mehr sind als Bestandstücke der Maschinerie, handeln lassen, als ob sie überhaupt noch als Subjekte handeln könnten, und als ob von ihrem Handeln etwas abhinge. Der Blick aufs Leben ist übergegangen in die Ideologie, die darüber betrügt, dass es keines mehr gibt." Die objektiven Mächte, die Adorno in der "Zueignung" seiner "Minima Moralia" aufruft, haben von ihrer heillosen Kraft nichts eingebüßt. Strunk legt sie ohne Rücksicht auf Verluste bloß und redet dabei einem Pessimismus das Wort, der sich vor Schopenhauer wahrlich nicht zu verstecken braucht. Was dieser als ontologischen, folglich unabänderlichen Tatbestand deklarierte, war für Adorno dem System geschuldet und bot deswegen noch Aussicht auf Besserung; Strunk liegt hier ungefähr in der Mitte. Gerade durch die Einsicht in den Verblendungszusammenhang gibt er Markus Erdmann jene Würde, die der im Alltag dauernd zu verlieren meint, und hält am Anspruch auf Humanität fest: "Alle Menschen sind am Anfang gut und am Ende wieder und die Zeit dazwischen damit beschäftigt, ein Leben zu führen, das nichts mit ihnen zu tun hat."
Das tiefe Gefühl der Entfremdung vom wahren, unverstellten Leben, von dem Adorno träumte, gibt auch Strunk seinem bis zur Erschöpfung verzweifelten Helden mit, der gleichzeitig weiß, dass die "Fabrikware der Natur", wie Schopenhauer die Mehrheit der Menschen nannte, auch unter anderen Umständen kaum glücklicher wäre: "Error! Der ganze Mensch eine Fehlermeldung, B-Ware, dysfunktional auf die Welt gekommen, Gewölle, in Bruchstücken herausgepresst, und niemand hat sich die Mühe gemacht, das Puzzle richtig zusammenzufügen. Sein ganzes Leben eine unausgesetzte Schwächung, immer entwich irgendwas, ohne dass mal was hinzugekommen wäre. Nie ist etwas in Schwingung geraten, dabei hätte man nur mal eine Seite (gemeint ist vermutlich Saite; die Red.) anzupfen müssen, früher, und gleich hätte das ganze Orchester mit eingestimmt. Er ist erfüllt, von oben bis unten ausgegossen mit diesem brennenden Schmerz, sein Herz ein blutender, schwerer Klumpen, der langsam nach unten durchsackt . . . Wie lange erträgt man es zu wissen, dass nichts mehr kommt?"
Strunks Reflexionen aus dem beschädigten Leben sind von einer nicht mehr zu überbietenden Trostlosigkeit, die freilich erträglich wird durch die bezwingende Komik, die er auch diesmal dem Leiden abgewinnt. So entfaltet dieses meisterliche, mit großer Wahrhaftigkeit geschriebene, im Innersten berührende Buch zuletzt eine reinigende Wirkung, die allein dem Lachen zu danken ist.
Heinz Strunk: "Die Zunge Europas". Roman. Rowohlt Verlag, Reinbek 2008. 320 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Kein richtiges Leben im falschen: Heinz Strunks zweiter Roman / Von Edo Reents
Der Held hat sich gehäutet; seine Aknepickel ist er los, dafür hat er jetzt Übergewicht. War es früher seine Hauptsorge, dass man ihn fassungslos anstarrt, so ist es nun sein "größter und in Wirklichkeit einziger Wunsch: mit nacktem Oberkörper Holz hacken, ohne dass es scheiße aussieht. Glück könnte so einfach sein. Nichts schmeckt so gut, wie Dünnheit sich anfühlt."
Heinz Strunk hat sich nach dem großen Erfolg von "Fleisch ist mein Gemüse" Zeit gelassen mit seinem zweiten Buch. Aber seinen Helden erkennt man wieder. Aus Heinzer, dem "Mucker", der sich durch seine trübe, mit Komik und Trauer ausgemalte Tanzkapellenexistenz schleppt, ist Markus Erdmann geworden, ein vierunddreißig Jahre alter Junggeselle aus Hamburg, der einen Fernsehunterhalter mit Gags beliefert. Milieu und Personal haben also Wiedererkennungswert, schon das war eine kluge Entscheidung: darüber zu schreiben, was man kennt. Statt der "Landjugend mit Musik", die sich über einen Großteil der Kohl-Ära hinzog, nun das eine Woche lang drastisch geschilderte Großstadtdasein eines einsamen, wieder in fast jeder Hinsicht zu kurz gekommenen Mannes.
Man wird über der zeitlichen Straffung kaum übersehen, dass Strunks neuer Roman "Die Zunge Europas" einen weniger bündigen Eindruck als der Vorgänger macht. Die schon dort spürbare Neigung zu essayistischen Passagen und phantastischen Ausflüchten in Form von Liedtexten und Gedichten hat sich erheblich verstärkt und macht sich bisweilen selbständig, bis hin zu Kommentaren in eigener Sache, in denen Strunk über die Gelungenheit seiner Formulierungen nachdenkt. Die sieben Tage können, in biblischer Anspielung, gleichsam ontologische Geltung beanspruchen. Was hier erzählt wird, ist die negative Schöpfungsgeschichte einer als zutiefst desolat erlebten Gegenwartsexistenz ohne Anfang und Ende. Strunk, ein Kind der siebziger Jahre, lässt diese eine, unerträglich heiße Woche nach alter Väter Sitte an einem Sonntag beginnen und an einem Samstag enden - vermutlich nicht zufällig an dem Tag, der für junge Leute der Höhepunkt der Woche ist, für Markus Erdmann aber der auch vom Leser für nicht mehr möglich gehaltene Tiefpunkt: "Mein Niedergang geht in die letzte Phase."
Dem gehen relativ ereignislose Tage voran. Markus Erdmann wuchs bei seinen Großeltern auf. Der Opa, früher ein "lebendes Verbotsschild", dämmert der vollständigen Verkalkung entgegen; die Oma empfängt ihn zum sonntäglichen Mittagessen mit einem nur für ihn reservierten Gesichtsausdruck: "Enttäuschung und Trauer. Ich sollte mich schuldig fühlen. Als Grundgefühl. Entweder fürs Zuspätkommen oder für die anderen Sachen, die ich schon verbrochen hatte und noch verbrechen würde, und wenn das alles nicht langte, gab's ja noch die Erbsünde." Innerhalb dieses von Strunk vorsichtig angedeuteten quasireligiösen Rahmens entfaltet sich das Leben des Enkels als eine fortlaufende Serie von Pannen, Frustrationen und verpassten Chancen, in deren Zentrum erotische Bedürfnisse und Phantasien stehen, die Markus Erdmann nie ausleben konnte und die auch in dem tristen Zusammensein mit der Gewohnheitsfreundin Sonja keine große Rolle spielen.
Man kennt Strunks Obsession für sexuelle Nöte - hier ist sie zum Äußersten getrieben und entlädt sich in einer Nacht auf der Reeperbahn, die Markus Erdmann mit einer Zufallsbekanntschaft hinter sich bringt und die das Hauptthema des Romans mit einer geradezu schmerzlichen Direktheit in den Blick rückt: den Wettbewerb der Körper, der jeden links liegenlässt, der sich ungeschickt anstellt oder anderweitig gehandicapt ist. Es spricht für den Tatsachensinn des Helden, dass er dafür nicht die Schuld bei anderen sucht, sondern die darwinistische, von der Unterhaltungs- und Werbeindustrie bekräftigte Dimension, die hinter dem Treiben steckt, unumwunden anerkennt. Mit von eigenen Entbehrungen grotesk geschärften Augen registriert er auf St. Pauli das Diktat der Attraktivität und die trostlosen, demütigenden Geschlechterrituale, die es erzwingt.
Dahinter steckt die im Kern konservativ gestimmte Kulturkritik, um die es Strunk immer schon zu tun war und die hier noch einmal präzisiert wird: Das Leben junger Leute, vom Verlust an Orientierungen schon genug geplagt, wird korrumpiert vom falschen Denken der Konsumgesellschaft. Strunk zeigt, wie viel Unheil die auf gute Laune gedrillte und von ihm dafür in Grund und Boden verachtete Kreativszene anrichtet, indem sie den Leidensgrund des Daseins übersieht.
Diese Diagnose erhält zusätzliche Schärfe durch eine sich am Detail aufreibende Psychopathologie des Alltags: Ob es um Essens- oder Redegewohnheiten der Mitmenschen geht, um Musikgeschmack oder Freizeitgestaltung - Markus Erdmann, ängstlich auf Schonung seiner "armen Nerven" bedacht, den Kopf voller unschöner Kindheitserinnerungen und bisweilen abartiger Körperphantasien, registriert alles, als liefe er mit abgezogener Haut durch ein Leben, dem er sich nicht gewachsen fühlt.
"Wer die Wahrheit übers unmittelbare Leben erfahren will, muss dessen entfremdeter Gestalt nachforschen, den objektiven Mächten, die die individuelle Existenz bis ins Verborgenste bestimmen. Redet man unmittelbar vom Unmittelbaren, so verhält man sich kaum anders als jene Romanschreiber, die ihre Marionetten wie mit billigem Schmuck mit den Imitationen der Leidenschaft von ehedem behängen, und Personen, die nichts mehr sind als Bestandstücke der Maschinerie, handeln lassen, als ob sie überhaupt noch als Subjekte handeln könnten, und als ob von ihrem Handeln etwas abhinge. Der Blick aufs Leben ist übergegangen in die Ideologie, die darüber betrügt, dass es keines mehr gibt." Die objektiven Mächte, die Adorno in der "Zueignung" seiner "Minima Moralia" aufruft, haben von ihrer heillosen Kraft nichts eingebüßt. Strunk legt sie ohne Rücksicht auf Verluste bloß und redet dabei einem Pessimismus das Wort, der sich vor Schopenhauer wahrlich nicht zu verstecken braucht. Was dieser als ontologischen, folglich unabänderlichen Tatbestand deklarierte, war für Adorno dem System geschuldet und bot deswegen noch Aussicht auf Besserung; Strunk liegt hier ungefähr in der Mitte. Gerade durch die Einsicht in den Verblendungszusammenhang gibt er Markus Erdmann jene Würde, die der im Alltag dauernd zu verlieren meint, und hält am Anspruch auf Humanität fest: "Alle Menschen sind am Anfang gut und am Ende wieder und die Zeit dazwischen damit beschäftigt, ein Leben zu führen, das nichts mit ihnen zu tun hat."
Das tiefe Gefühl der Entfremdung vom wahren, unverstellten Leben, von dem Adorno träumte, gibt auch Strunk seinem bis zur Erschöpfung verzweifelten Helden mit, der gleichzeitig weiß, dass die "Fabrikware der Natur", wie Schopenhauer die Mehrheit der Menschen nannte, auch unter anderen Umständen kaum glücklicher wäre: "Error! Der ganze Mensch eine Fehlermeldung, B-Ware, dysfunktional auf die Welt gekommen, Gewölle, in Bruchstücken herausgepresst, und niemand hat sich die Mühe gemacht, das Puzzle richtig zusammenzufügen. Sein ganzes Leben eine unausgesetzte Schwächung, immer entwich irgendwas, ohne dass mal was hinzugekommen wäre. Nie ist etwas in Schwingung geraten, dabei hätte man nur mal eine Seite (gemeint ist vermutlich Saite; die Red.) anzupfen müssen, früher, und gleich hätte das ganze Orchester mit eingestimmt. Er ist erfüllt, von oben bis unten ausgegossen mit diesem brennenden Schmerz, sein Herz ein blutender, schwerer Klumpen, der langsam nach unten durchsackt . . . Wie lange erträgt man es zu wissen, dass nichts mehr kommt?"
Strunks Reflexionen aus dem beschädigten Leben sind von einer nicht mehr zu überbietenden Trostlosigkeit, die freilich erträglich wird durch die bezwingende Komik, die er auch diesmal dem Leiden abgewinnt. So entfaltet dieses meisterliche, mit großer Wahrhaftigkeit geschriebene, im Innersten berührende Buch zuletzt eine reinigende Wirkung, die allein dem Lachen zu danken ist.
Heinz Strunk: "Die Zunge Europas". Roman. Rowohlt Verlag, Reinbek 2008. 320 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.11.2008Die Genialität des Schreibgehemmten
Sieben belanglose Tage eines unattraktiven Witzeautors: Heinz Strunk erkundet die Grundlagen seines Humors
Mathias Halfpape hat sich in den letzten Jahren zu einem veritablen Star entwickelt, obwohl sein Name kaum bekannt ist. Seine Lesungen – meist vor jungem, popaffinem Publikum – sind meist ausverkauft. Sein Roman „Fleisch ist mein Gemüse” verkaufte sich hunderttausendfach und wurde auch prompt verfilmt. Das Pseudonym, unter dem er veröffentlicht wurde, Heinz Strunk, ist nur eine von mehreren Rollen, in die der Komiker schlüpft. Seit über fünfzehn Jahren tritt Halfpape in verschiedenen Konstellationen auf, mal als Heinz Strunk, mal als Jürgen Dose, mal als Teil des genialen Hamburger Telefonstreich-Trios „Studio Braun”.
Der gewaltige Erfolg seines Debüts darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Humor von Heinz Strunk zunächst einmal als Performance funktioniert. Strunks humoristischer Trick besteht darin, dass er es offenhält, worüber man lachen soll: über seine Witze oder über ihn, der diese Witze mit einer jämmerlich quiekenden Stimme auf so seltsam stolpernde und verkorkste Art vorträgt. Das Lachen über Heinz Strunk ist nie unschuldig, es ist immer auch ein Auslachen der haspelnden Witzfigur Heinz Strunk – oder gar der realen Person Mathias Halfpape.
Die Frage ist freilich, wie sich dieser autoaggressive Zug von Strunks Komik, für den Halfpape mit seinem Körper einsteht, in einen Text überführen lässt. In Heinz Strunks Debüt, der autobiographischen Erzählung „Fleisch ist mein Gemüse”, löste er dieses Problem auf der Inhaltsebene, indem er schonungslos seine erbärmliche Jugend (und damit, wie kolportiert wird, auch die erbärmliche Jugend Halfpapes) beschrieb. Strunk erzählte aus der zugleich todtraurigen und lächerlichen Welt der Mucker, jener bemitleidenswerten Musikerspezies, die von Autohauseinweihung zu Altenheimfest tingelt, um Fetenkracher vergangener Dekaden zum Besten zu geben. Das war schon deshalb lesenswert, weil es die immer noch vom Authentizitätsmythos des „Sex, Drugs & Rock’n’Roll” vernebelte Popwelt mit einem Gegenprogramm konfrontierte: mit pickeligen Saxophonisten, schäbigen Dorffesten und lauwarmem Bier. Auch das ist Pop.
Während die Kurzweil in „Fleisch ist mein Gemüse” den Anekdoten geschuldet war, funktioniert Strunks Nachfolgewerk „Die Zunge Europas” anders. Protagonist ist nicht mehr Heinz Strunk, sondern der Komiker Markus Erdmann – die Distanzierung vom realen Autor Halfpape wird also noch weiter getrieben. Erdmann fristet aber freilich ein ähnlich tristes Dasein wie der Mucker in „Fleisch ist mein Gemüse”.
Muss man immer streicheln
Wo es aber aus dessen Alltag eine Menge Skurriles zu berichten gab, so wird in „Die Zunge Europas” fast nichts erzählt – oder besser: die Nichtigkeit selbst. Sieben belanglose Tage eines verzweifelten, unattraktiven, in einer toten Beziehung lebenden Witzeautors ziehen in bleierner Monotonie vorüber. Eine Affäre deutet sich an, verläuft sich aber wieder, ein Buchprojekt wird skizziert – selbstverständlich aber nicht ausgeführt und die einzige Handlungssimulation ist ein undramatisches Beziehungsende zum Schluss der Erzählung.
Und zu all dem läuft das Verkaufsfernsehen. Dieses beschädigte Leben aber bildet nur die Kulisse für das eigentliche Thema, das Strunk verhandelt, und das ist ein poetologisches: er stellt die Grundlagen seiner Komik aus.
Der Protagonist Markus Erdmann verdingt sich als Pointenschreiber für einen abgetakelten Comedian, den er eigentlich verachtet. Er selbst möchte mit dumpfem Reflexhumor nichts zu tun haben und sieht sich stattdessen in der hehren Tradition der „Neuen Frankfurter Schule”. Er verzweifelt manchmal an seinen Schreibhemmungen, findet sich oft aber auch schlicht genial. Der Leser wird Zeuge dieser Genialität, denn immer wieder wird der träge Strom der Erzählung unterbrochen durch Einschübe aus Erdmanns Arbeitsmappe. Und da wird es schwierig. Zum Teil sind diese Texte in der Tat gut – etwa wenn ein überfülltes Freibad als apokalyptisches Szenario geschildert wird. Dann aber wieder, wenn Erdmann seine Umschrift von „Sind so kleine Hände” des „Trauerkloßes” Bettina Wegner präsentiert: „Sind so kleine Kerlkes, mit Köpke, Arm und Bein / musst sie immer lieb ham, Kerlkes tun sonst schrein /sind so kleine Kerlkes, mit Augen, Ohr und Nas / musst sie immer streicheln, verfallen sonst dem Hass”, ist der Humor ein ganz andrer.
Die eigentliche Pointe ist hier die holprige und erbärmliche Sprache, mit der die Betroffenheits-Schnulze aus den siebziger Jahren parodiert werden soll. Was Halfpape/Strunk hier macht, ist etwas ziemlich Vertracktes: er überträgt das Prinzip seiner Auftritte auf den Text und setzt es stilistisch um. Bei seinen Performances weiß man nicht, ob er die haspelnde Mitleidsfigur bloß spielt oder vielleicht doch ist. Genau so ist man sich in „Die Zunge Europas” nicht sicher, ob der Sprachgebrauch künstlich lächerlich ist oder vielleicht doch unfreiwillig. Der feste Bezugspunkt, den Ironie immer braucht, um als solche erkennbar zu sein, er geht im potenzierten Rollenspiel verloren. Genau daher rührt der zutiefst verunsichernde Effekt Heinz Strunks – genau so wie sein unheimlicher Reiz.PAUL-PHILIPP HANSKE
HEINZ STRUNK: Die Zunge Europas. Roman. Rowohlt Verlag, Reinbek 2008. 320 Seiten, 19,90 Euro.
Heinz Strunk Foto: malzkornfoto.de
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
Sieben belanglose Tage eines unattraktiven Witzeautors: Heinz Strunk erkundet die Grundlagen seines Humors
Mathias Halfpape hat sich in den letzten Jahren zu einem veritablen Star entwickelt, obwohl sein Name kaum bekannt ist. Seine Lesungen – meist vor jungem, popaffinem Publikum – sind meist ausverkauft. Sein Roman „Fleisch ist mein Gemüse” verkaufte sich hunderttausendfach und wurde auch prompt verfilmt. Das Pseudonym, unter dem er veröffentlicht wurde, Heinz Strunk, ist nur eine von mehreren Rollen, in die der Komiker schlüpft. Seit über fünfzehn Jahren tritt Halfpape in verschiedenen Konstellationen auf, mal als Heinz Strunk, mal als Jürgen Dose, mal als Teil des genialen Hamburger Telefonstreich-Trios „Studio Braun”.
Der gewaltige Erfolg seines Debüts darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Humor von Heinz Strunk zunächst einmal als Performance funktioniert. Strunks humoristischer Trick besteht darin, dass er es offenhält, worüber man lachen soll: über seine Witze oder über ihn, der diese Witze mit einer jämmerlich quiekenden Stimme auf so seltsam stolpernde und verkorkste Art vorträgt. Das Lachen über Heinz Strunk ist nie unschuldig, es ist immer auch ein Auslachen der haspelnden Witzfigur Heinz Strunk – oder gar der realen Person Mathias Halfpape.
Die Frage ist freilich, wie sich dieser autoaggressive Zug von Strunks Komik, für den Halfpape mit seinem Körper einsteht, in einen Text überführen lässt. In Heinz Strunks Debüt, der autobiographischen Erzählung „Fleisch ist mein Gemüse”, löste er dieses Problem auf der Inhaltsebene, indem er schonungslos seine erbärmliche Jugend (und damit, wie kolportiert wird, auch die erbärmliche Jugend Halfpapes) beschrieb. Strunk erzählte aus der zugleich todtraurigen und lächerlichen Welt der Mucker, jener bemitleidenswerten Musikerspezies, die von Autohauseinweihung zu Altenheimfest tingelt, um Fetenkracher vergangener Dekaden zum Besten zu geben. Das war schon deshalb lesenswert, weil es die immer noch vom Authentizitätsmythos des „Sex, Drugs & Rock’n’Roll” vernebelte Popwelt mit einem Gegenprogramm konfrontierte: mit pickeligen Saxophonisten, schäbigen Dorffesten und lauwarmem Bier. Auch das ist Pop.
Während die Kurzweil in „Fleisch ist mein Gemüse” den Anekdoten geschuldet war, funktioniert Strunks Nachfolgewerk „Die Zunge Europas” anders. Protagonist ist nicht mehr Heinz Strunk, sondern der Komiker Markus Erdmann – die Distanzierung vom realen Autor Halfpape wird also noch weiter getrieben. Erdmann fristet aber freilich ein ähnlich tristes Dasein wie der Mucker in „Fleisch ist mein Gemüse”.
Muss man immer streicheln
Wo es aber aus dessen Alltag eine Menge Skurriles zu berichten gab, so wird in „Die Zunge Europas” fast nichts erzählt – oder besser: die Nichtigkeit selbst. Sieben belanglose Tage eines verzweifelten, unattraktiven, in einer toten Beziehung lebenden Witzeautors ziehen in bleierner Monotonie vorüber. Eine Affäre deutet sich an, verläuft sich aber wieder, ein Buchprojekt wird skizziert – selbstverständlich aber nicht ausgeführt und die einzige Handlungssimulation ist ein undramatisches Beziehungsende zum Schluss der Erzählung.
Und zu all dem läuft das Verkaufsfernsehen. Dieses beschädigte Leben aber bildet nur die Kulisse für das eigentliche Thema, das Strunk verhandelt, und das ist ein poetologisches: er stellt die Grundlagen seiner Komik aus.
Der Protagonist Markus Erdmann verdingt sich als Pointenschreiber für einen abgetakelten Comedian, den er eigentlich verachtet. Er selbst möchte mit dumpfem Reflexhumor nichts zu tun haben und sieht sich stattdessen in der hehren Tradition der „Neuen Frankfurter Schule”. Er verzweifelt manchmal an seinen Schreibhemmungen, findet sich oft aber auch schlicht genial. Der Leser wird Zeuge dieser Genialität, denn immer wieder wird der träge Strom der Erzählung unterbrochen durch Einschübe aus Erdmanns Arbeitsmappe. Und da wird es schwierig. Zum Teil sind diese Texte in der Tat gut – etwa wenn ein überfülltes Freibad als apokalyptisches Szenario geschildert wird. Dann aber wieder, wenn Erdmann seine Umschrift von „Sind so kleine Hände” des „Trauerkloßes” Bettina Wegner präsentiert: „Sind so kleine Kerlkes, mit Köpke, Arm und Bein / musst sie immer lieb ham, Kerlkes tun sonst schrein /sind so kleine Kerlkes, mit Augen, Ohr und Nas / musst sie immer streicheln, verfallen sonst dem Hass”, ist der Humor ein ganz andrer.
Die eigentliche Pointe ist hier die holprige und erbärmliche Sprache, mit der die Betroffenheits-Schnulze aus den siebziger Jahren parodiert werden soll. Was Halfpape/Strunk hier macht, ist etwas ziemlich Vertracktes: er überträgt das Prinzip seiner Auftritte auf den Text und setzt es stilistisch um. Bei seinen Performances weiß man nicht, ob er die haspelnde Mitleidsfigur bloß spielt oder vielleicht doch ist. Genau so ist man sich in „Die Zunge Europas” nicht sicher, ob der Sprachgebrauch künstlich lächerlich ist oder vielleicht doch unfreiwillig. Der feste Bezugspunkt, den Ironie immer braucht, um als solche erkennbar zu sein, er geht im potenzierten Rollenspiel verloren. Genau daher rührt der zutiefst verunsichernde Effekt Heinz Strunks – genau so wie sein unheimlicher Reiz.PAUL-PHILIPP HANSKE
HEINZ STRUNK: Die Zunge Europas. Roman. Rowohlt Verlag, Reinbek 2008. 320 Seiten, 19,90 Euro.
Heinz Strunk Foto: malzkornfoto.de
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Zuletzt lacht Edo Reents dann doch. Zum Glück. Vermutungen über das, was das Buch anderenfalls anzurichten imstande gewesen wäre, jagen einem Schauer über den Rücken. Schon der von Reents konstatierte Wiedererkennungswert von Personal und Milieu verheißt nichts Gutes: Der Held hat zwar keine Akne mehr, dafür Übergewicht. Der sexuelle Frust und die relative Ereignislosigkeit seines Daseins knabbern wie gehabt an ihm. Und Heinz Strunks Gesellschaftskritik hat an Pessimismus noch dazu gewonnen. Reents verortet sie in der Mitte zwischen Schopenhauer und Adorno. Trostlos ist das. Wäre da nicht die Komik und ihre kathartische Wirkung. Reents arbeitet sich durch die bisweilen von der Handlung losgelösten kritischen Reflexionen des Autors, durch eine ihn tief berührende Wahrhaftigkeit - und lacht sich einen Ast.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Die Genialität des Schreibgehemmten
Sieben belanglose Tage eines unattraktiven Witzeautors: Heinz Strunk erkundet die Grundlagen seines Humors
Mathias Halfpape hat sich in den letzten Jahren zu einem veritablen Star entwickelt, obwohl sein Name kaum bekannt ist. Seine Lesungen – meist vor jungem, popaffinem Publikum – sind meist ausverkauft. Sein Roman „Fleisch ist mein Gemüse” verkaufte sich hunderttausendfach und wurde auch prompt verfilmt. Das Pseudonym, unter dem er veröffentlicht wurde, Heinz Strunk, ist nur eine von mehreren Rollen, in die der Komiker schlüpft. Seit über fünfzehn Jahren tritt Halfpape in verschiedenen Konstellationen auf, mal als Heinz Strunk, mal als Jürgen Dose, mal als Teil des genialen Hamburger Telefonstreich-Trios „Studio Braun”.
Der gewaltige Erfolg seines Debüts darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Humor von Heinz Strunk zunächst einmal als Performance funktioniert. Strunks humoristischer Trick besteht darin, dass er es offenhält, worüber man lachen soll: über seine Witze oder über ihn, der diese Witze mit einer jämmerlich quiekenden Stimme auf so seltsam stolpernde und verkorkste Art vorträgt. Das Lachen über Heinz Strunk ist nie unschuldig, es ist immer auch ein Auslachen der haspelnden Witzfigur Heinz Strunk – oder gar der realen Person Mathias Halfpape.
Die Frage ist freilich, wie sich dieser autoaggressive Zug von Strunks Komik, für den Halfpape mit seinem Körper einsteht, in einen Text überführen lässt. In Heinz Strunks Debüt, der autobiographischen Erzählung „Fleisch ist mein Gemüse”, löste er dieses Problem auf der Inhaltsebene, indem er schonungslos seine erbärmliche Jugend (und damit, wie kolportiert wird, auch die erbärmliche Jugend Halfpapes) beschrieb. Strunk erzählte aus der zugleich todtraurigen und lächerlichen Welt der Mucker, jener bemitleidenswerten Musikerspezies, die von Autohauseinweihung zu Altenheimfest tingelt, um Fetenkracher vergangener Dekaden zum Besten zu geben. Das war schon deshalb lesenswert, weil es die immer noch vom Authentizitätsmythos des „Sex, Drugs & Rock’n’Roll” vernebelte Popwelt mit einem Gegenprogramm konfrontierte: mit pickeligen Saxophonisten, schäbigen Dorffesten und lauwarmem Bier. Auch das ist Pop.
Während die Kurzweil in „Fleisch ist mein Gemüse” den Anekdoten geschuldet war, funktioniert Strunks Nachfolgewerk „Die Zunge Europas” anders. Protagonist ist nicht mehr Heinz Strunk, sondern der Komiker Markus Erdmann – die Distanzierung vom realen Autor Halfpape wird also noch weiter getrieben. Erdmann fristet aber freilich ein ähnlich tristes Dasein wie der Mucker in „Fleisch ist mein Gemüse”.
Muss man immer streicheln
Wo es aber aus dessen Alltag eine Menge Skurriles zu berichten gab, so wird in „Die Zunge Europas” fast nichts erzählt – oder besser: die Nichtigkeit selbst. Sieben belanglose Tage eines verzweifelten, unattraktiven, in einer toten Beziehung lebenden Witzeautors ziehen in bleierner Monotonie vorüber. Eine Affäre deutet sich an, verläuft sich aber wieder, ein Buchprojekt wird skizziert – selbstverständlich aber nicht ausgeführt und die einzige Handlungssimulation ist ein undramatisches Beziehungsende zum Schluss der Erzählung.
Und zu all dem läuft das Verkaufsfernsehen. Dieses beschädigte Leben aber bildet nur die Kulisse für das eigentliche Thema, das Strunk verhandelt, und das ist ein poetologisches: er stellt die Grundlagen seiner Komik aus.
Der Protagonist Markus Erdmann verdingt sich als Pointenschreiber für einen abgetakelten Comedian, den er eigentlich verachtet. Er selbst möchte mit dumpfem Reflexhumor nichts zu tun haben und sieht sich stattdessen in der hehren Tradition der „Neuen Frankfurter Schule”. Er verzweifelt manchmal an seinen Schreibhemmungen, findet sich oft aber auch schlicht genial. Der Leser wird Zeuge dieser Genialität, denn immer wieder wird der träge Strom der Erzählung unterbrochen durch Einschübe aus Erdmanns Arbeitsmappe. Und da wird es schwierig. Zum Teil sind diese Texte in der Tat gut – etwa wenn ein überfülltes Freibad als apokalyptisches Szenario geschildert wird. Dann aber wieder, wenn Erdmann seine Umschrift von „Sind so kleine Hände” des „Trauerkloßes” Bettina Wegner präsentiert: „Sind so kleine Kerlkes, mit Köpke, Arm und Bein / musst sie immer lieb ham, Kerlkes tun sonst schrein /sind so kleine Kerlkes, mit Augen, Ohr und Nas / musst sie immer streicheln, verfallen sonst dem Hass”, ist der Humor ein ganz andrer.
Die eigentliche Pointe ist hier die holprige und erbärmliche Sprache, mit der die Betroffenheits-Schnulze aus den siebziger Jahren parodiert werden soll. Was Halfpape/Strunk hier macht, ist etwas ziemlich Vertracktes: er überträgt das Prinzip seiner Auftritte auf den Text und setzt es stilistisch um. Bei seinen Performances weiß man nicht, ob er die haspelnde Mitleidsfigur bloß spielt oder vielleicht doch ist. Genau so ist man sich in „Die Zunge Europas” nicht sicher, ob der Sprachgebrauch künstlich lächerlich ist oder vielleicht doch unfreiwillig. Der feste Bezugspunkt, den Ironie immer braucht, um als solche erkennbar zu sein, er geht im potenzierten Rollenspiel verloren. Genau daher rührt der zutiefst verunsichernde Effekt Heinz Strunks – genau so wie sein unheimlicher Reiz.PAUL-PHILIPP HANSKE
HEINZ STRUNK: Die Zunge Europas. Roman. Rowohlt Verlag, Reinbek 2008. 320 Seiten, 19,90 Euro.
Heinz Strunk Foto: malzkornfoto.de
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
Sieben belanglose Tage eines unattraktiven Witzeautors: Heinz Strunk erkundet die Grundlagen seines Humors
Mathias Halfpape hat sich in den letzten Jahren zu einem veritablen Star entwickelt, obwohl sein Name kaum bekannt ist. Seine Lesungen – meist vor jungem, popaffinem Publikum – sind meist ausverkauft. Sein Roman „Fleisch ist mein Gemüse” verkaufte sich hunderttausendfach und wurde auch prompt verfilmt. Das Pseudonym, unter dem er veröffentlicht wurde, Heinz Strunk, ist nur eine von mehreren Rollen, in die der Komiker schlüpft. Seit über fünfzehn Jahren tritt Halfpape in verschiedenen Konstellationen auf, mal als Heinz Strunk, mal als Jürgen Dose, mal als Teil des genialen Hamburger Telefonstreich-Trios „Studio Braun”.
Der gewaltige Erfolg seines Debüts darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Humor von Heinz Strunk zunächst einmal als Performance funktioniert. Strunks humoristischer Trick besteht darin, dass er es offenhält, worüber man lachen soll: über seine Witze oder über ihn, der diese Witze mit einer jämmerlich quiekenden Stimme auf so seltsam stolpernde und verkorkste Art vorträgt. Das Lachen über Heinz Strunk ist nie unschuldig, es ist immer auch ein Auslachen der haspelnden Witzfigur Heinz Strunk – oder gar der realen Person Mathias Halfpape.
Die Frage ist freilich, wie sich dieser autoaggressive Zug von Strunks Komik, für den Halfpape mit seinem Körper einsteht, in einen Text überführen lässt. In Heinz Strunks Debüt, der autobiographischen Erzählung „Fleisch ist mein Gemüse”, löste er dieses Problem auf der Inhaltsebene, indem er schonungslos seine erbärmliche Jugend (und damit, wie kolportiert wird, auch die erbärmliche Jugend Halfpapes) beschrieb. Strunk erzählte aus der zugleich todtraurigen und lächerlichen Welt der Mucker, jener bemitleidenswerten Musikerspezies, die von Autohauseinweihung zu Altenheimfest tingelt, um Fetenkracher vergangener Dekaden zum Besten zu geben. Das war schon deshalb lesenswert, weil es die immer noch vom Authentizitätsmythos des „Sex, Drugs & Rock’n’Roll” vernebelte Popwelt mit einem Gegenprogramm konfrontierte: mit pickeligen Saxophonisten, schäbigen Dorffesten und lauwarmem Bier. Auch das ist Pop.
Während die Kurzweil in „Fleisch ist mein Gemüse” den Anekdoten geschuldet war, funktioniert Strunks Nachfolgewerk „Die Zunge Europas” anders. Protagonist ist nicht mehr Heinz Strunk, sondern der Komiker Markus Erdmann – die Distanzierung vom realen Autor Halfpape wird also noch weiter getrieben. Erdmann fristet aber freilich ein ähnlich tristes Dasein wie der Mucker in „Fleisch ist mein Gemüse”.
Muss man immer streicheln
Wo es aber aus dessen Alltag eine Menge Skurriles zu berichten gab, so wird in „Die Zunge Europas” fast nichts erzählt – oder besser: die Nichtigkeit selbst. Sieben belanglose Tage eines verzweifelten, unattraktiven, in einer toten Beziehung lebenden Witzeautors ziehen in bleierner Monotonie vorüber. Eine Affäre deutet sich an, verläuft sich aber wieder, ein Buchprojekt wird skizziert – selbstverständlich aber nicht ausgeführt und die einzige Handlungssimulation ist ein undramatisches Beziehungsende zum Schluss der Erzählung.
Und zu all dem läuft das Verkaufsfernsehen. Dieses beschädigte Leben aber bildet nur die Kulisse für das eigentliche Thema, das Strunk verhandelt, und das ist ein poetologisches: er stellt die Grundlagen seiner Komik aus.
Der Protagonist Markus Erdmann verdingt sich als Pointenschreiber für einen abgetakelten Comedian, den er eigentlich verachtet. Er selbst möchte mit dumpfem Reflexhumor nichts zu tun haben und sieht sich stattdessen in der hehren Tradition der „Neuen Frankfurter Schule”. Er verzweifelt manchmal an seinen Schreibhemmungen, findet sich oft aber auch schlicht genial. Der Leser wird Zeuge dieser Genialität, denn immer wieder wird der träge Strom der Erzählung unterbrochen durch Einschübe aus Erdmanns Arbeitsmappe. Und da wird es schwierig. Zum Teil sind diese Texte in der Tat gut – etwa wenn ein überfülltes Freibad als apokalyptisches Szenario geschildert wird. Dann aber wieder, wenn Erdmann seine Umschrift von „Sind so kleine Hände” des „Trauerkloßes” Bettina Wegner präsentiert: „Sind so kleine Kerlkes, mit Köpke, Arm und Bein / musst sie immer lieb ham, Kerlkes tun sonst schrein /sind so kleine Kerlkes, mit Augen, Ohr und Nas / musst sie immer streicheln, verfallen sonst dem Hass”, ist der Humor ein ganz andrer.
Die eigentliche Pointe ist hier die holprige und erbärmliche Sprache, mit der die Betroffenheits-Schnulze aus den siebziger Jahren parodiert werden soll. Was Halfpape/Strunk hier macht, ist etwas ziemlich Vertracktes: er überträgt das Prinzip seiner Auftritte auf den Text und setzt es stilistisch um. Bei seinen Performances weiß man nicht, ob er die haspelnde Mitleidsfigur bloß spielt oder vielleicht doch ist. Genau so ist man sich in „Die Zunge Europas” nicht sicher, ob der Sprachgebrauch künstlich lächerlich ist oder vielleicht doch unfreiwillig. Der feste Bezugspunkt, den Ironie immer braucht, um als solche erkennbar zu sein, er geht im potenzierten Rollenspiel verloren. Genau daher rührt der zutiefst verunsichernde Effekt Heinz Strunks – genau so wie sein unheimlicher Reiz.PAUL-PHILIPP HANSKE
HEINZ STRUNK: Die Zunge Europas. Roman. Rowohlt Verlag, Reinbek 2008. 320 Seiten, 19,90 Euro.
Heinz Strunk Foto: malzkornfoto.de
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de