Dante Medema reduziert „Diese eine Lüge“ auf das Wesentliche und erzielt damit eine maximale Wirkung. Die Geschichte besteht aus Gedichten, E-Mails und Chatnachrichten, und dennoch (oder gerade deswegen) schafft sie es, tiefe Gefühle besonders hervorzuheben. Es geht um Delia, die im Rahmen eines
Schulprojekts ihre DNA testet und herausfindet, dass ihr Vater nicht ihr biologischer Vater ist.…mehrDante Medema reduziert „Diese eine Lüge“ auf das Wesentliche und erzielt damit eine maximale Wirkung. Die Geschichte besteht aus Gedichten, E-Mails und Chatnachrichten, und dennoch (oder gerade deswegen) schafft sie es, tiefe Gefühle besonders hervorzuheben. Es geht um Delia, die im Rahmen eines Schulprojekts ihre DNA testet und herausfindet, dass ihr Vater nicht ihr biologischer Vater ist. Vermutet hatte sie es schon lange, doch die Bestätigung wirbelt ihr Leben dennoch vollkommen durcheinander. Gleichzeitig muss sie sich weiter mit dem begonnenen Projekt auseinandersetzen und sich mit ihren Gefühlen für ihren Kindheitsfreund Kodiak befassen. Eine aufwühlende Handlung und ein Roman, der nicht nur aufgrund der Erzählform auffällt.
Der Roman besticht durch seine Ernsthaftigkeit, Ehrlichkeit und Emotionalität. Diese Wahrnehmung liegt für mich insbesondere im Schreibstil begründet. Was ist ausdrucksvoller als Lyrik? Was ist authentischer und ungekünstelter als E-Mails und Chatnachrichten an Freunde? Es sind ungefilterte Momentaufnahmen und zutiefst gefühlsbetonte Eruptionen, in denen sich Delia offenbart und all das ausspricht, was sie belastet.
Und das ist jede Menge, denn mit der Entdeckung, dass sie nicht die biologische Tochter ihres Vaters ist, gerät Delias gesamtes Weltbild ins Wanken. Während Jugendliche in ihrem Alter sowieso schon im Prozess der Identitätsfindung sind, wird es für Delia noch schwerer gemacht. Und das Schlimmste daran? Sie muss schweigen, um ihre Familie nicht zu zerstören. Diese Last, gepaart mit dem Druck, ein Projekt für die Schule zu bearbeiten, lässt ihr keine Ruhe. Sie beginnt zu straucheln, sie weist ihre beste Freundin ab, ihre Schwester, und letztendlich verliert sie zeitweise auch sich selbst. Die einzige verlässliche Konstante wird Kodiak, der mit ihr gemeinsam am Schulprojekt arbeitet und der ihre Sprache spricht und sie versteht. Doch kann er sie auffangen? Er, der doch selbst eine schwere Zeit hinter sich hat und gerade erst eine gewisse Stabilität wiedergefunden hat? Dante Medema beschreibt die Gefühle und Gedanken ihrer Protagonisten mit einer unglaublichen Sensibilität.
Flankiert werden die Protagonisten von starken Nebenfiguren. Da wäre Sana-Freundin, die mit Delia durch dick und dünn geht, die sie unterstützt, aber auch verletzt wird und ihren eigenen Weg finden muss. Da ist die Mutter, die an den Folgen der Lüge kaputtzugehen droht, die leidet und nicht weiß, was sie tun kann, um alles wieder in Ordnung zu bringen. Da ist der Vater von Delia, der ahnungslos versucht, seine Frau zu trösten und für seine Tochter da zu sein. Da sind die altkluge ältere Schwester und die verwirrte und verängstigte jüngere Schwester, die nicht wissen, was in Delia vorgeht. Da ist Ms Nadeer, die Lehrerin von Delia, die an sie glaubt und ihr Talent fördern möchte. Und schlussendlich ist da Jack Bisset, der leibliche Vater. Zusammen ergibt dies ein komplexes Netz an Bedürfnissen, Wünschen, Vorwürfen, Wut und der Sehnsucht dazuzugehören.
Was mich etwas umgetrieben hat ist die Frage, inwiefern es sich bei den Passagen in Gedichtform tatsächlich um Lyrik handelt und nicht vielmehr um Prosa. Oft lasen sich die Sätze wie Prosa, ich wünschte mir mehr Rhythmus, mehr das Gefühl, ein Gedicht zu lesen. Vielleicht liegt das aber auch an der Übersetzung? Doch letztendlich war es gleichgültig, denn wie auch immer man den Stil betiteln mag – was bleibt, ist eine verdichtete Form der Erzählung und das war letztendlich das, was für mich maßgeblich die Schlagkraft ausmachte. Zudem liebe ich die Doppelrolle der Lyrik, da Delias Passion die Lyrik ist und diese auch in ihrem Projekt verwurzelt. Alles, was sie beschäftigt, fließt in Gedichte, sie verpackt ihre Erlebnisse in Worte, schnürt sie fest und versucht, sie auf diese Weise zu verarbeiten. Ein verzweifelter Versuch, alles greifbarer, kontrollierbarer und geordneter werden zu lassen.