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Patrizia Cavalli ist die bedeutendste Dichterin des zeitgenössischen Italien. Ihre Lyrik handelt von Erscheinungen des Alltags, von der Heimtücke der Gefühle, der Fülle und Leere der Liebe oder vom ungleichen Kampf gegen die Zeit. Momentaufnahmen ihrer Heimatstadt Rom, scharfsinnige Epigramme und Gedankenlyrik wechseln sich ab. Als stolpere die in Umbrien geborene Dichterin immer wieder in die trügerische Musik der Sprache, die den Eindruck eines längst aufgegebenen Sinns zu erwecken scheint. Ihre hier versammelten Gedichte werden ergänzt durch ein Nachwort des viel diskutierten Philosophen Giorgio Agamben.…mehr

Produktbeschreibung
Patrizia Cavalli ist die bedeutendste Dichterin des zeitgenössischen Italien. Ihre Lyrik handelt von Erscheinungen des Alltags, von der Heimtücke der Gefühle, der Fülle und Leere der Liebe oder vom ungleichen Kampf gegen die Zeit. Momentaufnahmen ihrer Heimatstadt Rom, scharfsinnige Epigramme und Gedankenlyrik wechseln sich ab. Als stolpere die in Umbrien geborene Dichterin immer wieder in die trügerische Musik der Sprache, die den Eindruck eines längst aufgegebenen Sinns zu erwecken scheint. Ihre hier versammelten Gedichte werden ergänzt durch ein Nachwort des viel diskutierten Philosophen Giorgio Agamben.
Autorenporträt
Cavalli, Patrizia
Patrizia Cavalli, 1949 in Todi, Umbrien, geboren, lebt in Rom. Sie veröffentlichte Gedichtbände und Erzählungen und trat als Shakespeare-Übersetzerin hervor. Für ihr in mehrere Sprachen übersetztes lyrisches Werk wurde sie mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.

Agamben, Giorgio
Giorgio Agamben, geboren 1942 in Rom, lehrt Philosophie in Verona und in den USA. Der Herausgeber der italienischen Ausgabe der Schriften Walter Benjamins entdeckte eine Reihe von dessen verloren geglaubten Manuskripten. Seit Ende der achtziger Jahre beschäftigt Agamben sich vor allem mit politischer Philosophie.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.09.2009

Träge Götter

Sich einen Reim machen aus rein nichts: die wundervollen Gedichte von Patrizia Cavalli in einer deutsch-italienischen Edition

Es gibt wieder gute Nachrichten aus Italien: "Diese schönen Tage" sind da, eine Werkschau der Dichterin Patrizia Cavalli, Jahrgang 1947, die seit 1968 in Rom lebt und der Giorgio Agamben im Nachwort die "fließendste, konsistenteste und alltäglichste Sprache in der italienischen Dichtung des 20. Jahrhunderts" bescheinigt. Man möchte dem Philosophen beipflichten, sobald man sich ihre Verse im Original leise murmelnd oder laut skandierend vorgelesen hat; dann tut man gut daran, die nebenstehenden Übersetzungen Piero Salabès zu konsultieren, die trotz ihrer schnörkellosen Exaktheit doch an den natürlichen Grenzen der deutschen Sprache haltmachen müssen.

Anmut, rhythmischer Wohlklang, Eleganz ohne Effekthascherei sind Phänomene, die im Lautkörper dieser Gedichte wohnen, deren Schlichtheit auf eigentümliche Weise mit der Musikalität des Italienischen harmoniert, seinen weichen, gleitenden Übergängen, dem hellen Vokalismus. Keine Übersetzung kann das so rekonstruieren - die Melodie wäre vielleicht noch zu erhalten und ist es oft auch, doch nie im Leben der Reichtum an Assonanzen, Binnen- und Endreimen, der nur im Italienischen so selbstverständlich und locker dahinfließt. Deshalb: Dank für die zweisprachige Edition. Dank an den Übersetzer, uns neben dem instruktiven Vorwort eine deutsche Lesart zur Seite zu stellen, unverzichtbar für alle, die nicht gerade ganzjährig unter römischen Himmel zu weilen Muße haben.

Was die Affinitäten dieser Dichterin betrifft, so ist sicher mehr als Koketterie und klangliche Nähe der Namen im Spiel, wenn Patrizia Cavalli, statt etwa Eugenio Montale zu erwähnen, die gedanklich und bildersprachlich überragende Figur in der italienischen Dichtung des zwanzigsten Jahrhunderts, lieber von Guido Cavalcanti spricht, dem mittelalterlichen Zeitgenossen Dantes und poeta minore, Schöpfer von nicht mehr als fünfzig ätherisch liedhaften Liebeskanzonen und -sonetten. Aber auch die Verse Wilhelms von Aquitanien könnten einem zu Cavalli einfallen: Sich einen Reim machen aus rein nichts, dieser Leitspruch des Troubadours könnte auch als Motto über dem poetischen Vexierspiel Patrizia Cavallis stehen: "Ist das vielleicht nicht mein Beruf? / Zeit verlieren ist mein Beruf, / und es ist schön zu verlieren, was man nicht hat. // Zeit habe ich verloren, die ich sicher nicht hatte, / doch im Verlieren gewinne, ja erlange ich / den höchsten Überfluß, meine Unsterblichkeit. // Und nur unsterblich will ich sein / unsterblich auf dieser Erde, mitten / in der Zeit schwebend, die mir nicht mehr gehört, ausgeliefert // und schon vergangen, ein verschlossenes das sicher nicht / wiederaufersteht, im Spielen mit Worten bin ich der Anfang."

Bezeichnenderweise figurieren fast alle von Cavallis Gedichten titellos auf der Seite, variieren suggestiv das mit den Titeln ihrer jeweiligen Bände angekündigte Programm, etwa "Der Himmel", "Mein einzelnes eigenes Ich", "Träge Götter und träges Schicksal". Und doch enthalten sie alles an Welt, was ein Gedicht nötig hat: Sie sind einfach da, ohne Geraune, ohne Pathos, ohne Metaphysik, wie es die Reminiszenz an einen Espresso, an eine Foccaccia zu Mittag mit einem geliebten Wesen bei klarem Himmel ist: "So kommst du, wie immer, / den Verdacht des Paradieses zu säen, / und noch bevor ich das Fenster öffne / erkenne ich dich am trägeren Licht / am durcheinanderschwebenden Staub / am obsessiven Widersang der Vögel, / und wären es nicht Vögel, dann anderes, / für jeden Ort hältst du eine Besonderheit bereit; / und trittst du dann ein überlasse ich dir meine Sinne / und bewohne noch einmal unbekannte Häuser sehne mich / nach nie gewesenen Dingen. Durch deine Labyrinthe / schiebst du mir Kontinente und Jahreszeiten zu / und ich werde zur Wand an der sie sich stoßen und abprallen, / der Halt wo jede Flucht entsteht / bis zum lautlosen Sog des Sommers."

Es sind Gedichte, die einfach wie Tagträume unsere Gedankenwelt begleiten, die wie Ein- und Ausatmen notwendig zum Lebensvollzug gehören - sprachgewordene Pausenblöcke der Existenz: "Geräusche lösen sich auf: Schreie und Sirenen / sind einfach nur. Das gerissene Gewebe / der Gerüche bringt jede Ferne zurück / und die Erinnerung erfindet Klänge, läßt die Stimme / ein Lied singen das sich durch / Verkehr und Gedränge schlängelt." Das Schwarzweißfoto Anna Vivantes auf dem Buchdeckel trifft die schwerelose Gestimmtheit dieser Verse gut: ein über den Schirmwipfeln zweier Pinien entschwebender Ballon. Es könnte im Garten der Villa Borghese aufgenommen sein, jener Parkterrasse über der "ewigen" Stadt, auf die wohl folgendes Gedicht gemünzt ist: "Was ist das nur für eine Stadt, die ein Dorf ist / und doch Gesichter in sich saugt wie eine Metropole? / Was sind das für Plätze, was ist das für ein Platz, / der Jahrmarkt ist und doch die weite Wüste / meiner Spaziergänge? Was sind das für Manieren? / Sich erst als süße Heimat geben, dann als Fremde, / erst Kupplerin, dann Carabiniera."

Es gibt zweifellos eine Konstante in Cavallis umfangmäßig moderatem OEuvre: Die Liebe ist das "immer offene Theater" - so der Titel ihres vorletzten Gedichtbandes von 1999 -, aus dem das Bewusstsein den Stoff für seine tagtäglichen kleinen Epiphanien, intimen Sehnsüchte und privaten Obsessionen schöpft: "Würdest du jetzt an meine Tür klopfen / und deine Brille abnehmen / und ich meine, die gleich ist / und kämst du in meinen Mund / ohne Furcht vor ungleichen Küssen / und sagtest zu mir: ,Liebste, / was ist denn jetzt passiert?', der Erfolg / des Stücks wär garantiert".

Es mag gute Gründe geben, Patrizia Cavalli zu jener "anderen Tradtion" von women poets zu zählen, die sich auf Sappho wie auf Gertrude Stein beziehen lässt und mit den male poets die Vorliebe fürs Besingen der Weiblichkeit teilt. Wesentlich scheint mir das nicht zu sein. Es soll noch immer Interpreten geben, die ein Gedicht von Platen an erster Stelle als Ausdruck von gay pride lesen, ohne zu merken, dass Verse nicht in existentiellem Determinismus aufgehen. Dasselbe lässt sich von Patrizia Cavalli behaupten. An wen, für wen und aus welcher biographischen Verfassung heraus ihre Verse sprechen, fällt nicht ins Gewicht angesichts des Faktums, dass wir uns alle darin wiedererkennen: "Alles ist so einfach, ja, war so einfach, / so offensichtlich daß ich es kaum glaube. / Dazu ist der Körper da: du berührst mich oder nicht, / du umarmst mich oder wehrst mich ab. Alles andere ist für Verrückte."

JAN VOLKER RÖHNERT.

Patrizia Cavalli: "Diese schönen Tage". Ausgewählte Gedichte 1974-2006. Aus dem Italienischen von Piero Salabè. Mit einem Nachwort von Giorgio Agamben. Edition Lyrik Kabinett bei Hanser, München 2009. 153 S., geb., 14,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Jan Volker Röhnert schwelgt intensiv in den zwischen 1974 und 2006 entstandenen Gedichten von Patrizia Cavalli, von denen der vorliegende Band eine Auswahl bietet, und hingerissen zitiert er ganze Verse. Für den Rezensenten versteht es sich von selbst, dass bei aller lobenswerten Genauigkeit des Übersetzers Piero Salabe eine deutsche Übersetzung nicht mit der Melodik und der Eleganz der italienischen Sprache mithalten kann. Umso dankbarer ist er deshalb, dass die zweisprachige Ausgabe auch die italienischen Originale zugänglich macht, die er wegen ihres Klangs zum laut Lesen empfiehlt. Insbesondere die Selbstverständlichkeit und Klarheit der Gedichte bringen Röhnert zum Schwärmen. Als eines ihrer Hauptthemen macht er das, wie es bei Cavalli heißt, "immer offene Theater" der Liebe aus. Ganz falsch wäre es in den Augen Röhnerts, Cavalli als reine Frauen-Dichterin in der Tradition Gertrude Steins zu vereinnahmen, er betont enthusiastisch, dass sich in ihren Versen "alle" "wieder erkennen".

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