Produktdetails
- Goldmann Taschenbücher
- Verlag: Goldmann
- Gewicht: 210g
- ISBN-13: 9783442540013
- Artikelnr.: 24042839
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.07.1997Was macht die Brust im Winter?
Ein Fall für den Klempner: Annette Meyhöfer betrachtet die Welt
"Allein das Wort hat einen altmodischen Klang." So fängt es an, und so wird's wohl sein, heißt es doch schon zwei Zeilen weiter: "Und nach Vergangenheit klingt ja das ganze Wort." Auf erneute Bestätigung dieses rückwärtsgewandten Sachverhalts muß man dann aber ganze fünf Zeilen warten: "Es ist dies Wort ein Anachronismus." Das Wort, um das es geht, steht in der Überschrift des Besinnungsaufsatzes, und es heißt: die Geliebte. Und nach diesem Intro muß es die Geliebte unserer Tage ja wohl schwer haben. Dem ist so: "In solcher Lage sucht die Geliebte das Klischee." Und die, die sucht, findet: "Das eigentliche Zerrbild wirklicher Liebeskultur ist das Wäschermädel."
Soviel dazu, und wir fragen jetzt nicht, warum die Geliebte des Wäschers ein eigentliches Zerrbild ist, sondern konstatieren: Die Journalistin Annette Meyhöfer macht sich und uns Gedanken zur Zeit: zu Anachronismen, zum Stand der Sylter Partykultur, zu ihren Figur- und Kleidersorgen, der psychischen Bedeutung des Muttertages und anderen Problemen ähnlichen Kalibers, solches gleich zwölfmal in ihrem zweiten Buch. Dabei ist sie nie kurzatmig der Tagesaktualität verhaftet, sondern zielt immer auf die große historische Perspektive. "Früher, früher einmal machten sie sich mit fünfzig vom Acker", weiß etwa die Seniorenforscherin in ihr, "früher, früher einmal gab man Kinder an Dienstboten ab", konstatiert die Familiensoziologin, "früher, früher einmal gab es eine Etikette, in der Mode wie in der Erotik", so die Volkskundlerin.
Damit sind wir aber noch lange nicht am Ende von Annettes geschichtlichen Tiefbohrungen, denn ferner ist zu erfahren: "Früher, früher einmal ging man zum Friseur, um sich das Haar richten zu lassen." Bisweilen muß auch ein einsames "früher" reichen, was möglicherweise zeitnäher zu denken ist als das gedoppelte: "Früher einmal sollen Premierenfeiern ganz anders gewesen sein", das ist jetzt eher der Bereich Hörensagen. Knallhart soziologisch heißt es dann wieder: "Früher einmal kämpften die Söhne gegen die Väter."
Wer sich nun umzingelt fühlt von so viel Vergangenheit, wird Trost finden in der Versicherung, daß Annette uns in der aktuellen Umbruchsituation durchaus nicht allein läßt: "Heutzutage, da geht man zum Friseur, wo noch immer soziale Schicksale entschieden werden." (Dies den Gewerkschaftern ins Stammbuch, die immer noch meinen, der Kampf um soziale Gerechtigkeit sei - wie früher einmal - mit irgendwelchen Regierenden oder Arbeitgebern auszufechten.) Schriftsteller hingegen werden betroffen Annettes literarische Diagnose vernehmen, die da lautet: "Heute werden Bücher mit der Gebärmutter geschrieben." Hierin liegt implizit eine Herausforderung an die Transplantationsmedizin: geschlechtsneutrale Gebärmutterversorgung, dies auch deshalb, "weil heute zwischen Männern und Frauen nicht mehr so genau zu unterscheiden ist". Dem nun ist immerhin eine heitere Seite abzugewinnen, denn "die neue Androgynie, spottete ein englischer Kritiker, habe denn auch mehr fiskalische als physikalische Ursachen".
Ja, das ist englischer Humor at its best; daß sich dem Spott des einen Kritikers nun nicht alle seine Kollegen jubelnd anschlossen, wird daran liegen, daß sie die Pointe nicht verstanden haben. Aber das ist auch schwierig, jedenfalls solange Annette "physical" mit "physikalisch" übersetzt. (Das hier geeignete "körperlich" könnte da schon etwas weiterhelfen.) Doch: Was soll's und wozu, Annette wird weiter all das, was ein gut sortiertes Zeitschriftenarchiv zu allen Themen der Welt zu bieten hat, beherzt und besinnungslos in ihre Aufsätzchen rammen und mit selbst Erlebtem verschneiden. "Erfrischend subjektiv", heißt so etwas dann, wie ihr Hinweis auf die Vorzüge des strengen Winters, weil dann "Brut und Brust drinnen zu bleiben" haben; bei den anderen, denn Annette ist bewußt brutlos: "Sogar im ICE konnte man fahren, ohne daß einem die Milch um die Ohren spritzte."
Was uns nun leicht bedrücken könnte, ist erstens die Tatsache, daß Annette offensichtlich nicht genug Geld für den Klempner hat, ihr den Wasserhahn zu richten, aus dem unaufhörlich die names droppen. Zweitens, daß das in dem Buch versammelte rasende Gefasel ganz überwiegend erst im Bereich der gehobenen deutschen Publizistik abgedruckt wurde und daß dort und seitdem offensichtlich niemandem etwas auffiel. Geht der journalistische Stiefel oder Pumps heute so? Gemach! "Annette Meyhöfer ist im deutschen Journalismus eine Ausnahmeerscheinung", heißt es im Klappentext. Das wollen wir hoffen. Und zwar inständig! BURKHARD SCHERER
Annette Meyhöfer: "Dieser Kater wäre einen Rausch wert gewesen". Wilhelm Goldmann Verlag, München 1997. 156 S., br., 16,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Fall für den Klempner: Annette Meyhöfer betrachtet die Welt
"Allein das Wort hat einen altmodischen Klang." So fängt es an, und so wird's wohl sein, heißt es doch schon zwei Zeilen weiter: "Und nach Vergangenheit klingt ja das ganze Wort." Auf erneute Bestätigung dieses rückwärtsgewandten Sachverhalts muß man dann aber ganze fünf Zeilen warten: "Es ist dies Wort ein Anachronismus." Das Wort, um das es geht, steht in der Überschrift des Besinnungsaufsatzes, und es heißt: die Geliebte. Und nach diesem Intro muß es die Geliebte unserer Tage ja wohl schwer haben. Dem ist so: "In solcher Lage sucht die Geliebte das Klischee." Und die, die sucht, findet: "Das eigentliche Zerrbild wirklicher Liebeskultur ist das Wäschermädel."
Soviel dazu, und wir fragen jetzt nicht, warum die Geliebte des Wäschers ein eigentliches Zerrbild ist, sondern konstatieren: Die Journalistin Annette Meyhöfer macht sich und uns Gedanken zur Zeit: zu Anachronismen, zum Stand der Sylter Partykultur, zu ihren Figur- und Kleidersorgen, der psychischen Bedeutung des Muttertages und anderen Problemen ähnlichen Kalibers, solches gleich zwölfmal in ihrem zweiten Buch. Dabei ist sie nie kurzatmig der Tagesaktualität verhaftet, sondern zielt immer auf die große historische Perspektive. "Früher, früher einmal machten sie sich mit fünfzig vom Acker", weiß etwa die Seniorenforscherin in ihr, "früher, früher einmal gab man Kinder an Dienstboten ab", konstatiert die Familiensoziologin, "früher, früher einmal gab es eine Etikette, in der Mode wie in der Erotik", so die Volkskundlerin.
Damit sind wir aber noch lange nicht am Ende von Annettes geschichtlichen Tiefbohrungen, denn ferner ist zu erfahren: "Früher, früher einmal ging man zum Friseur, um sich das Haar richten zu lassen." Bisweilen muß auch ein einsames "früher" reichen, was möglicherweise zeitnäher zu denken ist als das gedoppelte: "Früher einmal sollen Premierenfeiern ganz anders gewesen sein", das ist jetzt eher der Bereich Hörensagen. Knallhart soziologisch heißt es dann wieder: "Früher einmal kämpften die Söhne gegen die Väter."
Wer sich nun umzingelt fühlt von so viel Vergangenheit, wird Trost finden in der Versicherung, daß Annette uns in der aktuellen Umbruchsituation durchaus nicht allein läßt: "Heutzutage, da geht man zum Friseur, wo noch immer soziale Schicksale entschieden werden." (Dies den Gewerkschaftern ins Stammbuch, die immer noch meinen, der Kampf um soziale Gerechtigkeit sei - wie früher einmal - mit irgendwelchen Regierenden oder Arbeitgebern auszufechten.) Schriftsteller hingegen werden betroffen Annettes literarische Diagnose vernehmen, die da lautet: "Heute werden Bücher mit der Gebärmutter geschrieben." Hierin liegt implizit eine Herausforderung an die Transplantationsmedizin: geschlechtsneutrale Gebärmutterversorgung, dies auch deshalb, "weil heute zwischen Männern und Frauen nicht mehr so genau zu unterscheiden ist". Dem nun ist immerhin eine heitere Seite abzugewinnen, denn "die neue Androgynie, spottete ein englischer Kritiker, habe denn auch mehr fiskalische als physikalische Ursachen".
Ja, das ist englischer Humor at its best; daß sich dem Spott des einen Kritikers nun nicht alle seine Kollegen jubelnd anschlossen, wird daran liegen, daß sie die Pointe nicht verstanden haben. Aber das ist auch schwierig, jedenfalls solange Annette "physical" mit "physikalisch" übersetzt. (Das hier geeignete "körperlich" könnte da schon etwas weiterhelfen.) Doch: Was soll's und wozu, Annette wird weiter all das, was ein gut sortiertes Zeitschriftenarchiv zu allen Themen der Welt zu bieten hat, beherzt und besinnungslos in ihre Aufsätzchen rammen und mit selbst Erlebtem verschneiden. "Erfrischend subjektiv", heißt so etwas dann, wie ihr Hinweis auf die Vorzüge des strengen Winters, weil dann "Brut und Brust drinnen zu bleiben" haben; bei den anderen, denn Annette ist bewußt brutlos: "Sogar im ICE konnte man fahren, ohne daß einem die Milch um die Ohren spritzte."
Was uns nun leicht bedrücken könnte, ist erstens die Tatsache, daß Annette offensichtlich nicht genug Geld für den Klempner hat, ihr den Wasserhahn zu richten, aus dem unaufhörlich die names droppen. Zweitens, daß das in dem Buch versammelte rasende Gefasel ganz überwiegend erst im Bereich der gehobenen deutschen Publizistik abgedruckt wurde und daß dort und seitdem offensichtlich niemandem etwas auffiel. Geht der journalistische Stiefel oder Pumps heute so? Gemach! "Annette Meyhöfer ist im deutschen Journalismus eine Ausnahmeerscheinung", heißt es im Klappentext. Das wollen wir hoffen. Und zwar inständig! BURKHARD SCHERER
Annette Meyhöfer: "Dieser Kater wäre einen Rausch wert gewesen". Wilhelm Goldmann Verlag, München 1997. 156 S., br., 16,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main