Während die liberalen Demokratien weltweit unter Druck geraten und in den USA Präsident Trump eine zweite Amtszeit anstrebt, legt die gefeierte Historikerin Jill Lepore ein Manifest vor, das dem Rechtspopulismus eine seiner Lieblingsvokabeln streitig macht - die Nation. Die liberalen Eliten, so Lepore, haben die Nation viel zu lange den Rechten überlassen und zahlen dafür nun einen hohen Preis: Der neue Nationalismus von rechts verschlingt den Liberalismus. Es wird Zeit, die Nation zurückzugewinnen.
Im Zeitalter der Globalisierung und der kosmopolitischen Eliten schien die Nation ein obsoleter Begriff geworden zu sein: Eine Vokabel, deren Gehalt sich auf dem Weg zur Weltgesellschaft historisch überlebt hatte, eine Parole der Reaktion. Doch in einer Welt, die nach wie vor aus Nationalstaaten besteht, bleibt die Nation der verlässlichste Garant für Recht und Gesetz und das wirkungsvollste Instrument, um die Macht der Vorurteile, Intoleranz und Ungerechtigkeit zu bekämpfen. Das war historisch so, wie die Harvard-Historikerin Jill Lepore am Beispiel der USA zeigt, und das gilt für die Gegenwart. Wer den Liberalismus gegen die autoritäre Welle unserer Zeit verteidigen will, der muss die Nation neu denken - und besser als die falschen Herolde des Nationalismus.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Im Zeitalter der Globalisierung und der kosmopolitischen Eliten schien die Nation ein obsoleter Begriff geworden zu sein: Eine Vokabel, deren Gehalt sich auf dem Weg zur Weltgesellschaft historisch überlebt hatte, eine Parole der Reaktion. Doch in einer Welt, die nach wie vor aus Nationalstaaten besteht, bleibt die Nation der verlässlichste Garant für Recht und Gesetz und das wirkungsvollste Instrument, um die Macht der Vorurteile, Intoleranz und Ungerechtigkeit zu bekämpfen. Das war historisch so, wie die Harvard-Historikerin Jill Lepore am Beispiel der USA zeigt, und das gilt für die Gegenwart. Wer den Liberalismus gegen die autoritäre Welle unserer Zeit verteidigen will, der muss die Nation neu denken - und besser als die falschen Herolde des Nationalismus.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.03.2020Das gute gegen das böse Amerika
Die Nation darf man nicht den Nationalisten überlassen: Jill Lepore legt einen streitbaren Essay vor.
Jill Lepore hat mit "Dieses Amerika" einen streitbaren Essay vorgelegt, der den Geist des Konflikts zwischen dem liberalen und dem offen nationalistischen Amerika eines Donald Trump atmet. Die in Harvard lehrende Historikerin und Publizistin will den amerikanischen Nationalstaat gegen die kulturellen Hegemonialansprüche eines ethnozentrischen Nationalismus im Stile des allgegenwärtigen "America First" für ein liberales, weltoffenes, zivilbürgerliches Verständnis zurückgewinnen. Dabei setzt sie sich gleichermaßen von einer linksliberal gepflegten Transnationalisierung und Relativierung des Nationalstaates ab wie von einem isolationistischen Nationalismus.
In dieser doppelten Frontstellung gründet die Ambivalenz des Essays. Einerseits ist es berechtigt, auf die normative Macht des Faktischen hinzuweisen, wenn es um die historiographische Bedeutung des Nationalen und des Nationalstaates geht. Viel zu oft haben die berechtigte Kritik an den Gewaltexzessen im Namen von Nation und Volk oder Rasse genauso wie an der daraus resultierenden Sehnsucht nach der baldigen Überwindung des Nationalen dazu geführt, sich zu schnell über die Nation als Kategorie der historischen Erzählung hinwegzusetzen. Wodurch die Auseinandersetzung um das Selbstverständnis der Nation viel zu rasch Ideologen überlassen wurde, denen es um die mythische Überhöhung des Nationalen ging.
Aus diesem Grund bemüht sich Lepore um eine klare Differenzierung zwischen der staatsbürgerlichen, auf Partizipation beruhenden Nation einerseits und einem aggressiven Nationalismus auf der anderen Seite. Sie bietet einen Überblick über Kernmomente der amerikanischen und europäischen Geschichte und weist dabei unter anderem auf die Verquickung von Liberalismus und Nationalismus über weite Strecken des neunzehnten Jahrhunderts hin, in Europa wie in den Vereinigten Staaten.
Dieser kursorische Streifzug mag da und dort oberflächlich erscheinen, doch eine Streitschrift muss eben pointiert verfahren. Allerdings sollte eine differenzierte Argumentation dabei nicht ganz auf der Strecke bleiben. Es gab und gibt Gründe, warum die Geschichtsschreibung der vergangenen Jahrzehnte sich dem Konzept des Nationalstaates nur mit Vorbehalten näherte. So entkommt Lepore, aller Vorsicht zum Trotz, nicht der Falle, den von ihr gegen die nationalistischen Mythen in Stellung gebrachten Begriff der liberalen Bürgernation bedenkenlos zu idealisieren. Insbesondere greift sie die Vorstellung, die Vereinigten Staaten seien eine von allen anderen unterschiedene, zu einer spezifischen liberalen Mission berufene Nation, mit einer geradezu rührenden Naivität auf.
Sie kann an dieser Idee letztlich nur festhalten, indem sie durchweg den "guten" Bürgernationalismus vom "bösen" konservativen Nationalismus trennt. Heuristisch und in moralischer Hinsicht mag das angehen, aber in der Realität kommen beide Formen des Nationalen niemals voneinander getrennt in Reinform vor. Übersehen ist dabei auch, dass die Idee der amerikanischen Exzeptionalität selbst eine Geschichte hat, die als weiße, angelsächsisch-protestantische, liberale, nationalidentitäre Wiedervereinigungserzählung in der Zeit nach dem Bürgerkrieg ihren Anfang nahm, also selbst nur bedingt integrativ ist. Schwarze, Indianer, Latinos, Katholiken und asiatische Migranten waren nicht notwendig mitgedacht, meist sogar explizit ausgeschlossen, wenn in den achtziger und neunziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts vom "American Exceptionalism" die Rede war.
Noch weniger war diese Rede universalistisch gedacht. Aber genau diesen Universalismus benötigt Lepore, um den behaupteten liberal-bürgerschaftlichen Exzeptionalitätsanspruch der Vereinigten Staaten national wie international als vorbildhaft zur Geltung zu bringen. Es ist ein idealistischer Glaubensakt, den sie hier vollzieht. Denn die dunklen Seiten der amerikanischen Geschichte - etwa Sklaverei, die Unterdrückung der Indianer, Imperialismus oder die McCarthy-Ära - werden von ihr dem "bösen" Nationalismus in die Schuhe geschoben, während die liberale Nation beständig die Freiheit propagierte und nichts als die Freiheit.
Um diesen Anspruch aufrechtzuerhalten, werden Pappkameraden in großer Zahl aufgebaut. Lepore übernimmt etwa unreflektiert die schwarze Legende spanischer Kolonialherrschaft, ebenso wie sie von der britischen Kolonialherrschaft vollkommen zu Unrecht als Tyrannei spricht. Weder setzt sie sich mit dem liberalen Messianismus und seinen mörderischen Folgen in Vietnam, Indonesien oder gegenwärtig im arabischen Raum auseinander, noch geht sie auf das fragwürdige Verhältnis von bürgerlich-elitärem Liberalismus und Massendemokratie oder gar von Liberalismus und Kapitalismus ein.
Wenn man alle schwarzen Flecken weglässt, bleibt die Weste des Liberalismus blütenrein. Dieses Verfahren ist leider zu konstatieren - obwohl Jill Lepores Grundfrage nach der Rolle der Nation in der Geschichtsschreibung berechtigt und aktuell ist.
MICHAEL HOCHGESCHWENDER
Jill Lepore: "Dieses Amerika". Manifest für eine bessere Nation.
Aus dem Englischen von Werner Roller.
C. H. Beck Verlag, München 2020. 158 S., br., 14,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Nation darf man nicht den Nationalisten überlassen: Jill Lepore legt einen streitbaren Essay vor.
Jill Lepore hat mit "Dieses Amerika" einen streitbaren Essay vorgelegt, der den Geist des Konflikts zwischen dem liberalen und dem offen nationalistischen Amerika eines Donald Trump atmet. Die in Harvard lehrende Historikerin und Publizistin will den amerikanischen Nationalstaat gegen die kulturellen Hegemonialansprüche eines ethnozentrischen Nationalismus im Stile des allgegenwärtigen "America First" für ein liberales, weltoffenes, zivilbürgerliches Verständnis zurückgewinnen. Dabei setzt sie sich gleichermaßen von einer linksliberal gepflegten Transnationalisierung und Relativierung des Nationalstaates ab wie von einem isolationistischen Nationalismus.
In dieser doppelten Frontstellung gründet die Ambivalenz des Essays. Einerseits ist es berechtigt, auf die normative Macht des Faktischen hinzuweisen, wenn es um die historiographische Bedeutung des Nationalen und des Nationalstaates geht. Viel zu oft haben die berechtigte Kritik an den Gewaltexzessen im Namen von Nation und Volk oder Rasse genauso wie an der daraus resultierenden Sehnsucht nach der baldigen Überwindung des Nationalen dazu geführt, sich zu schnell über die Nation als Kategorie der historischen Erzählung hinwegzusetzen. Wodurch die Auseinandersetzung um das Selbstverständnis der Nation viel zu rasch Ideologen überlassen wurde, denen es um die mythische Überhöhung des Nationalen ging.
Aus diesem Grund bemüht sich Lepore um eine klare Differenzierung zwischen der staatsbürgerlichen, auf Partizipation beruhenden Nation einerseits und einem aggressiven Nationalismus auf der anderen Seite. Sie bietet einen Überblick über Kernmomente der amerikanischen und europäischen Geschichte und weist dabei unter anderem auf die Verquickung von Liberalismus und Nationalismus über weite Strecken des neunzehnten Jahrhunderts hin, in Europa wie in den Vereinigten Staaten.
Dieser kursorische Streifzug mag da und dort oberflächlich erscheinen, doch eine Streitschrift muss eben pointiert verfahren. Allerdings sollte eine differenzierte Argumentation dabei nicht ganz auf der Strecke bleiben. Es gab und gibt Gründe, warum die Geschichtsschreibung der vergangenen Jahrzehnte sich dem Konzept des Nationalstaates nur mit Vorbehalten näherte. So entkommt Lepore, aller Vorsicht zum Trotz, nicht der Falle, den von ihr gegen die nationalistischen Mythen in Stellung gebrachten Begriff der liberalen Bürgernation bedenkenlos zu idealisieren. Insbesondere greift sie die Vorstellung, die Vereinigten Staaten seien eine von allen anderen unterschiedene, zu einer spezifischen liberalen Mission berufene Nation, mit einer geradezu rührenden Naivität auf.
Sie kann an dieser Idee letztlich nur festhalten, indem sie durchweg den "guten" Bürgernationalismus vom "bösen" konservativen Nationalismus trennt. Heuristisch und in moralischer Hinsicht mag das angehen, aber in der Realität kommen beide Formen des Nationalen niemals voneinander getrennt in Reinform vor. Übersehen ist dabei auch, dass die Idee der amerikanischen Exzeptionalität selbst eine Geschichte hat, die als weiße, angelsächsisch-protestantische, liberale, nationalidentitäre Wiedervereinigungserzählung in der Zeit nach dem Bürgerkrieg ihren Anfang nahm, also selbst nur bedingt integrativ ist. Schwarze, Indianer, Latinos, Katholiken und asiatische Migranten waren nicht notwendig mitgedacht, meist sogar explizit ausgeschlossen, wenn in den achtziger und neunziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts vom "American Exceptionalism" die Rede war.
Noch weniger war diese Rede universalistisch gedacht. Aber genau diesen Universalismus benötigt Lepore, um den behaupteten liberal-bürgerschaftlichen Exzeptionalitätsanspruch der Vereinigten Staaten national wie international als vorbildhaft zur Geltung zu bringen. Es ist ein idealistischer Glaubensakt, den sie hier vollzieht. Denn die dunklen Seiten der amerikanischen Geschichte - etwa Sklaverei, die Unterdrückung der Indianer, Imperialismus oder die McCarthy-Ära - werden von ihr dem "bösen" Nationalismus in die Schuhe geschoben, während die liberale Nation beständig die Freiheit propagierte und nichts als die Freiheit.
Um diesen Anspruch aufrechtzuerhalten, werden Pappkameraden in großer Zahl aufgebaut. Lepore übernimmt etwa unreflektiert die schwarze Legende spanischer Kolonialherrschaft, ebenso wie sie von der britischen Kolonialherrschaft vollkommen zu Unrecht als Tyrannei spricht. Weder setzt sie sich mit dem liberalen Messianismus und seinen mörderischen Folgen in Vietnam, Indonesien oder gegenwärtig im arabischen Raum auseinander, noch geht sie auf das fragwürdige Verhältnis von bürgerlich-elitärem Liberalismus und Massendemokratie oder gar von Liberalismus und Kapitalismus ein.
Wenn man alle schwarzen Flecken weglässt, bleibt die Weste des Liberalismus blütenrein. Dieses Verfahren ist leider zu konstatieren - obwohl Jill Lepores Grundfrage nach der Rolle der Nation in der Geschichtsschreibung berechtigt und aktuell ist.
MICHAEL HOCHGESCHWENDER
Jill Lepore: "Dieses Amerika". Manifest für eine bessere Nation.
Aus dem Englischen von Werner Roller.
C. H. Beck Verlag, München 2020. 158 S., br., 14,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"In "Dieses Amerika. Manifest für eine bessere Nation" ruft (Jill Lepore) Sprecher der Anti-Sklaverei-Bewegung, Aktivistinnen der Frauenemanzipation und Führer der indigenen Stämme Amerikas als Kronzeugen an für ihre These, dass die Nation sehr wohl ein passendes Gefäß für einen echten, egalitären Liberalismus ist."
Süddeutsche Zeitung, Meredith Haaf
"Eine ebenso erhellende wie ermutigende Kurzfassung: Das historische Pendel schwingt immer auch wieder zurück."
Neue Zürcher Zeitung, Kathrin Meier-Rust
"Eine der wichtigen amerikanischen Denkerinnen unserer Zeit."
Bayern 2, Niels Beintker
"Eines der besten Bücher, die ich in diesem Jahr gelesen habe."
Bill Clinton
"Jill Lepore ist der seltene Fall einer Doppelbegabung zwischen Akademie und Journalismus."
Tobias Rüther, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
Süddeutsche Zeitung, Meredith Haaf
"Eine ebenso erhellende wie ermutigende Kurzfassung: Das historische Pendel schwingt immer auch wieder zurück."
Neue Zürcher Zeitung, Kathrin Meier-Rust
"Eine der wichtigen amerikanischen Denkerinnen unserer Zeit."
Bayern 2, Niels Beintker
"Eines der besten Bücher, die ich in diesem Jahr gelesen habe."
Bill Clinton
"Jill Lepore ist der seltene Fall einer Doppelbegabung zwischen Akademie und Journalismus."
Tobias Rüther, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung