Marktplatzangebote
14 Angebote ab € 2,20 €
  • Gebundenes Buch

1 Kundenbewertung

Über unsere Neigung, einander misszuverstehen, und das schwierig-schöne Miteinander, das Leben heißt
Hollyhock, eine Kleinstadt irgendwo in Virginia: von hier kommen sie, von hier fliehen sie, hierhin kehren sie zurück, manche für immer. Fünfzehn Menschen, fünfzehn Leben, die miteinander verbunden sind. Da sind Robert und Amy, die vor einem Jahr eine Vereinbarung getroffen haben: sie dürfen beide mit anderen schlafen, was Robert gar nicht will. Da ist Aiko, die glücklich sein könnte mit Alex, der eine Zuversicht ausstrahlt, die sie von ihrem Bruder Kenji kennt, doch das Glück will sich…mehr

Produktbeschreibung
Über unsere Neigung, einander misszuverstehen, und das schwierig-schöne Miteinander, das Leben heißt

Hollyhock, eine Kleinstadt irgendwo in Virginia: von hier kommen sie, von hier fliehen sie, hierhin kehren sie zurück, manche für immer. Fünfzehn Menschen, fünfzehn Leben, die miteinander verbunden sind. Da sind Robert und Amy, die vor einem Jahr eine Vereinbarung getroffen haben: sie dürfen beide mit anderen schlafen, was Robert gar nicht will. Da ist Aiko, die glücklich sein könnte mit Alex, der eine Zuversicht ausstrahlt, die sie von ihrem Bruder Kenji kennt, doch das Glück will sich nicht einstellen. Da ist Dan, dessen Ehe in die Brüche ging und der ahnt, dass auch die seiner Schwester Amy auf der Kippe steht. Da ist Kenji, der sich als Schriftsteller versucht, und Lucy, die sich zu ihrer eigenen Überraschung in eine Frau verliebt. Und da ist Basil, der ein Geheimnis mit sich trägt, von dem in Hollyhock niemand etwas ahnt.

Annette Mingels erzählt mit großer Wärme, heiterer Melancholie und Virtuosität von Menschen, die auf Durchreise in ihrem eigenen Leben sind. Ein Roman über die Unmöglichkeit der Nähe, unsere Sehnsucht danach und den manchmal lebenslangen, verzweifelten Versuch, sie zu erreichen.
Autorenporträt
Annette Mingels, geboren 1971 in Köln, studierte Germanistik, Linguistik und Soziologie in Frankfurt, Köln, Bern und Fribourg. Promotion in Germanistik. Nach Stationen in der Schweiz, in Montclair (USA), Hamburg und San Francisco lebt sie seit 2021 mit ihrem Mann Guido Mingels und den drei Kindern bei Berlin.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Rezensentin Ursula März empfiehlt den neuen Roman von Annette Mingels als den bisher besten der Autorin. Fasziniert ist März einmal mehr von Mingels' somnambul zurückhaltender Erzählweise, mit der die Autorin von der "melancholischen Unzufriedenheit" unserer Zeit berichtet. Passend dazu wählt sie den Episodenroman, um ihren "alltagskulturellen Stoff" um Karriere und Schicksalsschläge, Klassenunterschiede und Einsamkeit auszubreiten, erklärt März. Die von Lücken und Zäsuren geprägte Form scheint März zu vermitteln, dass alles miteinander zusammenhängt, nur nicht so, dass sich eine kontinuierliche Geschichte ergibt. Wenn die Leserin dabei die Übersicht behält, so ist das laut März der Autorin zu verdanken, die diese Form so gut beherrscht. Dass die Handlung in einer fiktiven Kleinstadt in den USA stattfindet, spielt eigentlich keine so große Rolle, die Nationalität der Figuren ist austauschbar, findet März.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.10.2020

Amerikaner, kommst du aus Hollyhock
Sage, du hast uns daniederliegen sehen: Der Episodenroman "Dieses entsetzliche Glück" von Annette Mingels über eine Kleinstadt in Virginia

Was für ein Titel! Nicht Glück, nicht Unglück, sondern "entsetzliches Glück". Da gelten alte schlichte Sprüche nichts mehr, etwa: "Froh zu sein bedarf es wenig, und wer froh ist, ist ein König." In Zeiten der mäandrierenden Identitätssuche gestaltet sich das Leben als schwer durchschaubare Wüstenei. In fünfzehn Kapiteln, Paar- und Familienbeziehungen verschiedenster Art, versucht die 1971 in Köln geborene Annette Mingels, den Möglichkeiten beziehungsweise Unmöglichkeiten von Glück auf die Spur zu kommen.

Tat- oder Spielort ist für alle Protagonisten das unscheinbare fiktive Hollyhock irgendwo in Virginia. Die Autorin kennt sich gut aus in den Vereinigten Staaten, seit 2018 lebt die Neunundvierzigjährige mit ihrer Familie in San Francisco. Wir begegnen jedoch nicht einem Amerika in Schockstarre vor dem derzeitigen Präsidenten, hier leben Menschen, die all ihre Energie darauf verwenden, ein erfülltes Leben zu finden. Jeder will seines Glückes Schmied sein, ganz redlich, ohne Sensationen oder Abenteuer. Das ist ein schlichter Anspruch, und die Autorin erzählt ihre Geschichten in ebenso schlichter Sprache. Eigentlich sind es Kurzgeschichten, aber Mingels nennt ihr Buch bewusst einen Roman, denn locker sind einige Personen miteinander verbunden, tauchen in verschiedenen Erzählungen wieder auf.

Wer aus dem gesichtslosen Kleinbürgerstädtchen Hollyhock kommt, dem steht die Welt nicht offen, der muss sich irgendwie durchschlagen und Lebensentwürfe entsinnen, der flieht oder igelt sich ein. Ein Paar glaubt, eine neue Freiheit zu gewinnen, indem beide sich gegenseitig amouröse Seitensprünge erlauben. Nur, der Mann hat gar keine Lust auf diese Befreiung.

Eine andere Frau wünscht sich sehnlich ein Kind. Es kommt zum Beischlaf mit ihrem Mann. "Danach blieb sie auf dem Rücken liegen, mindestens eine halbe Stunde sollte man nicht aufstehen, und dann - als River schon eingeschlafen war - machte sie eine Kerze, die Beine ganz gerade in die Luft, sodass seine trödeligen Spermien sich nur noch fallen lassen mussten, direkt in ihr sehnsüchtig wartendes Ei hinein." Die Turnübung ist nicht zur Nachahmung zu empfehlen, denn die Frau wird nicht schwanger.

Die Menschen wissen selten, wohin sie mit ihren Gefühlen sollen. Eine japanische Ärztin, deren japanischer Mann am selben Krankenhaus arbeitet, entscheidet sich plötzlich, Hals über Kopf zurückzugehen in ihre Heimat. Dort angekommen, weiß keiner aus ihrer Familie, was sie dort will, warum sie ihren Beruf aufgegeben hat. Der Leser erhält auch keine Aufklärung, was die Japanerin bewogen hat, Hollyhock zu verlassen, und zum Ende des Reigens der Geschichten taucht sie wieder dort auf, in der Buchhandlung, in der ihr Sohn Kenji seinen ersten Roman vorstellt. Warum sie zurückkommt, wie der Sohn auf ihren Überraschungsbesuch reagiert - alles bleibt offen.

Annette Mingels lässt gerne weiße Flecken in der Landschaft. Der Leser soll die Leerstellen ausfüllen. Was Kenji aus seinem Debüt vorliest, ist eine Schlüsselgeschichte auf seine Jugendfreundschaft mit Basil. Der wiederum erscheint nicht zu der Lesung, obwohl der Ort doch so überschaubar klein ist. Und was der Kern der Jugendfreundschaft ist, auch diese Nuss wird nicht geknackt.

Als Leitmotive ziehen sich durch die Geschichten Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung, Selbstzweifel, Beziehungslosigkeit, Ehezerwürfnisse, Treueverluste. Das Schicksalspanorama dieser Menschen ist nicht typisch amerikanisch, es könnte überall die bürgerliche Gesellschaft prägen. Vor drei Jahren hat Annette Mingels der Zeitschrift "Psychologie heute" ein Interview gegeben. Anlass dazu waren ihre Erfahrungen als ein Kind, das erst mit zwölf Jahren erfuhr, dass ihre Eltern sie adoptiert hatten. Für Annette Mingels ist dies keine traumatische Erfahrung, sie liebt ihre Adoptiveltern. In dem Gespräch bekennt sie: "Ich bin mir jeden Tag bewusst, dass es mir gutgeht - und auch, dass dieser Zustand endlich sein kann."

Die menschliche Existenz ist eine gefährliche Gratwanderung. Vor zwei Jahren hat Mingels einen Essay geschrieben, "Flucht vor der Atemnot", in dem sie darstellte, wie ihre Familie eine damalige kalifornische Feuersbrunst erlebte. In diesem Jahr nun hat sich das Feuer-Inferno an der Westküste der Vereinigten Staaten noch schlimmer ausgebreitet, Corona tobt ungehemmt im Land, die politische Führung ist ein Desaster. In dieser bedrohlichen Gemengelage muten die fast biederen Geschichten aus Hollyhock bizarr an.

Vom Glück ist keine der Personen in Annette Mingels' Roman verfolgt. Das Glück ist immer ambivalent, vielleicht ist dies auch das Entsetzliche; das ist nicht ironisch, nicht sarkastisch gemeint. Keiner ist wirklich bedroht, der unerträgliche Alltag bedrückt und löst Langeweile aus. Die Missgeschicke, Pechsträhnen und Zumutungen, die den Romangestalten widerfahren, wirken kleinkariert. Vielleicht ist das entsetzliche Glück ja nur ein entsetzliches Missverständnis.

LERKE VON SAALFELD

Annette Mingels:

"Dieses entsetzliche Glück". Roman.

Penguin Verlag, München 2020. 348 S., geb., 20,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr
»Annette Mingels ist eine Meisterin des Episodenromans. »Dieses entsetzliche Glück« erzählt von der Melancholie der Mittelklasse und ist ihr bestes Buch.« DIE ZEIT, Ursula März
Amerikaner, kommst du aus Hollyhock
Sage, du hast uns daniederliegen sehen: Der Episodenroman "Dieses entsetzliche Glück" von Annette Mingels über eine Kleinstadt in Virginia

Was für ein Titel! Nicht Glück, nicht Unglück, sondern "entsetzliches Glück". Da gelten alte schlichte Sprüche nichts mehr, etwa: "Froh zu sein bedarf es wenig, und wer froh ist, ist ein König." In Zeiten der mäandrierenden Identitätssuche gestaltet sich das Leben als schwer durchschaubare Wüstenei. In fünfzehn Kapiteln, Paar- und Familienbeziehungen verschiedenster Art, versucht die 1971 in Köln geborene Annette Mingels, den Möglichkeiten beziehungsweise Unmöglichkeiten von Glück auf die Spur zu kommen.

Tat- oder Spielort ist für alle Protagonisten das unscheinbare fiktive Hollyhock irgendwo in Virginia. Die Autorin kennt sich gut aus in den Vereinigten Staaten, seit 2018 lebt die Neunundvierzigjährige mit ihrer Familie in San Francisco. Wir begegnen jedoch nicht einem Amerika in Schockstarre vor dem derzeitigen Präsidenten, hier leben Menschen, die all ihre Energie darauf verwenden, ein erfülltes Leben zu finden. Jeder will seines Glückes Schmied sein, ganz redlich, ohne Sensationen oder Abenteuer. Das ist ein schlichter Anspruch, und die Autorin erzählt ihre Geschichten in ebenso schlichter Sprache. Eigentlich sind es Kurzgeschichten, aber Mingels nennt ihr Buch bewusst einen Roman, denn locker sind einige Personen miteinander verbunden, tauchen in verschiedenen Erzählungen wieder auf.

Wer aus dem gesichtslosen Kleinbürgerstädtchen Hollyhock kommt, dem steht die Welt nicht offen, der muss sich irgendwie durchschlagen und Lebensentwürfe entsinnen, der flieht oder igelt sich ein. Ein Paar glaubt, eine neue Freiheit zu gewinnen, indem beide sich gegenseitig amouröse Seitensprünge erlauben. Nur, der Mann hat gar keine Lust auf diese Befreiung.

Eine andere Frau wünscht sich sehnlich ein Kind. Es kommt zum Beischlaf mit ihrem Mann. "Danach blieb sie auf dem Rücken liegen, mindestens eine halbe Stunde sollte man nicht aufstehen, und dann - als River schon eingeschlafen war - machte sie eine Kerze, die Beine ganz gerade in die Luft, sodass seine trödeligen Spermien sich nur noch fallen lassen mussten, direkt in ihr sehnsüchtig wartendes Ei hinein." Die Turnübung ist nicht zur Nachahmung zu empfehlen, denn die Frau wird nicht schwanger.

Die Menschen wissen selten, wohin sie mit ihren Gefühlen sollen. Eine japanische Ärztin, deren japanischer Mann am selben Krankenhaus arbeitet, entscheidet sich plötzlich, Hals über Kopf zurückzugehen in ihre Heimat. Dort angekommen, weiß keiner aus ihrer Familie, was sie dort will, warum sie ihren Beruf aufgegeben hat. Der Leser erhält auch keine Aufklärung, was die Japanerin bewogen hat, Hollyhock zu verlassen, und zum Ende des Reigens der Geschichten taucht sie wieder dort auf, in der Buchhandlung, in der ihr Sohn Kenji seinen ersten Roman vorstellt. Warum sie zurückkommt, wie der Sohn auf ihren Überraschungsbesuch reagiert - alles bleibt offen.

Annette Mingels lässt gerne weiße Flecken in der Landschaft. Der Leser soll die Leerstellen ausfüllen. Was Kenji aus seinem Debüt vorliest, ist eine Schlüsselgeschichte auf seine Jugendfreundschaft mit Basil. Der wiederum erscheint nicht zu der Lesung, obwohl der Ort doch so überschaubar klein ist. Und was der Kern der Jugendfreundschaft ist, auch diese Nuss wird nicht geknackt.

Als Leitmotive ziehen sich durch die Geschichten Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung, Selbstzweifel, Beziehungslosigkeit, Ehezerwürfnisse, Treueverluste. Das Schicksalspanorama dieser Menschen ist nicht typisch amerikanisch, es könnte überall die bürgerliche Gesellschaft prägen. Vor drei Jahren hat Annette Mingels der Zeitschrift "Psychologie heute" ein Interview gegeben. Anlass dazu waren ihre Erfahrungen als ein Kind, das erst mit zwölf Jahren erfuhr, dass ihre Eltern sie adoptiert hatten. Für Annette Mingels ist dies keine traumatische Erfahrung, sie liebt ihre Adoptiveltern. In dem Gespräch bekennt sie: "Ich bin mir jeden Tag bewusst, dass es mir gutgeht - und auch, dass dieser Zustand endlich sein kann."

Die menschliche Existenz ist eine gefährliche Gratwanderung. Vor zwei Jahren hat Mingels einen Essay geschrieben, "Flucht vor der Atemnot", in dem sie darstellte, wie ihre Familie eine damalige kalifornische Feuersbrunst erlebte. In diesem Jahr nun hat sich das Feuer-Inferno an der Westküste der Vereinigten Staaten noch schlimmer ausgebreitet, Corona tobt ungehemmt im Land, die politische Führung ist ein Desaster. In dieser bedrohlichen Gemengelage muten die fast biederen Geschichten aus Hollyhock bizarr an.

Vom Glück ist keine der Personen in Annette Mingels' Roman verfolgt. Das Glück ist immer ambivalent, vielleicht ist dies auch das Entsetzliche; das ist nicht ironisch, nicht sarkastisch gemeint. Keiner ist wirklich bedroht, der unerträgliche Alltag bedrückt und löst Langeweile aus. Die Missgeschicke, Pechsträhnen und Zumutungen, die den Romangestalten widerfahren, wirken kleinkariert. Vielleicht ist das entsetzliche Glück ja nur ein entsetzliches Missverständnis.

LERKE VON SAALFELD

Annette Mingels:

"Dieses entsetzliche Glück". Roman.

Penguin Verlag, München 2020. 348 S., geb., 20,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr