Tierische Erzählperspektiven kennt man inzwischen reichlich, nicht zuletzt aus unzähligen Katzen-Krimis. Nicole Wunrams Kurzgeschichten lockten mich dennoch, da sie nicht nur ungewöhnliche tierische Protagonisten zu Wort kommen lässt, wie etwa eine Ratte auf der Mülldeponie, sondern auch aus Sicht
von Gegenständen erzählt. Ich war sehr gespannt, wie etwa ein Kieselstein die Welt "erlebt", oder was…mehrTierische Erzählperspektiven kennt man inzwischen reichlich, nicht zuletzt aus unzähligen Katzen-Krimis. Nicole Wunrams Kurzgeschichten lockten mich dennoch, da sie nicht nur ungewöhnliche tierische Protagonisten zu Wort kommen lässt, wie etwa eine Ratte auf der Mülldeponie, sondern auch aus Sicht von Gegenständen erzählt. Ich war sehr gespannt, wie etwa ein Kieselstein die Welt "erlebt", oder was ein Handfeger, ein Schuh oder ein Schmuckstück zu erzählen haben. Denn ich blicke gern über meinen eigenen Tellerrand, und eine andere Sichtweise einzunehmen, kann in großem Maß helfen, mehr Toleranz und Verständnis für andere zu entwickeln.
Ich schlug diese Sammlung von 50 Kurzgeschichten (genauer gesagt: 48 Geschichten und zwei Gedichten) also höchst neugierig und vielleicht mit etwas zu viel Erwartung auf. Und wurde prompt enttäuscht: Zum einen gibt es etliche Geschichten, die gar keine ungewöhnliche Erzählperspektive bieten. Wenn dann noch belangloser Inhalt hinzukommt, fühle ich mich schnell gelangweilt. So wird etwa detailliert und langatmig beschrieben, wie eine Mutter mit ihrer Tochter kocht, nur um die anschließende Reise einer Nudel vom Tellerrand über den Mülleimer zur Deponie einzuleiten. Eine andere Geschichte von nicht einmal einer Seite handelt von der Übernachtung eines Paares auf seinem Balkon mitten in der Stadt. Das könnte eine interessante Geschichte ergeben, hat es aber leider nicht. Weder erfährt der Leser, was die Beiden in der Nacht gesehen oder gehört haben, noch bekommt man einen Einblick in die Gefühle der Protagonisten, schade.
Eine Handvoll Geschichten sticht positiv hervor, etwa "Krankheit als Lebensabschnitt", in der gute Momentaufnahmen aus dem Leben eines Dementen geschildert werden. Auch "Zuckerwürfel" und nicht zuletzt "Der alberne Wind" haben mich hervorragend unterhalten und wirklich zum Nachdenken gebracht. Hier zeigt sich Unerwartetes und Witziges, der Plot entwickelt sich trotz der kurzen Erzählform - so hätte ich mir das von allen Geschichten gewünscht.
Auch sprachlich ist das Büchlein recht anspruchslos. Es wirkt auf mich fast wie eine Sammlung von Schulaufsätzen. Das muss nicht zwingend schlecht sein, ich lese nur eben gerne Texte, die stilistisch komplexer sind. Außerdem hat das Korrektorat leider einige Fehler übersehen.
Sehr gut gefallen haben mir hingegen die kleinen Schwarz-Weiß-Zeichnungen, die die Texte kreativ und mit einem Augenzwinkern illustrieren. Eine besondere Erwähnung verdient auch die Schriftart für die Überschriften, in der der rechte Schenkel des großen "W"s als Federkiel dargestellt wird. Ein sehr hübsches Detail!
Als Kinderbuch, speziell zum Vorlesen, scheint mir diese kleine Sammlung besser geeignet denn als Lektüre für Erwachsene, zumal einige Geschichten am Anfang wie ein Rätsel aufgebaut sind, bei dem die jungen Leser raten können, von welchem Gegenstand die Rede ist.
Wer keine großen literarischen Ansprüche stellt, sondern einfach ein paar nette kleine Geschichten für zwischendurch sucht, wird vermutlich gut unterhalten, mir war das leider zu wenig.