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Produktdetails
  • Verlag: edition ost
  • Seitenzahl: 332
  • Deutsch
  • Abmessung: 215mm
  • Gewicht: 494g
  • ISBN-13: 9783360010353
  • ISBN-10: 3360010353
  • Artikelnr.: 10284086
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.10.1996

Der Geist der Selektion
Robert Wright will die Moral auf die Biologie gründen / Von Joachim Müller-Jung

Mit der Fülle der Informationen über die genetische Komponente des menschlichen Verhaltens nehmen auch die Versuchungen zu, sie zu mißbrauchen. Verbrechen gelten in den Plädoyers von Strafverteidigern als unvermeidlich, ja fast als natürlich, weil die Triebhaftigkeit des Vergewaltigers, die Aggressionsbereitschaft des Mörders oder das Suchtverhalten des notorischen Kriminellen in den Genen programmiert sein sollen. Der Täter als Werkzeug seiner selbst, angetrieben von einer unsichtbaren materiellen Instanz, die sich dem freien Willen des Täters entzieht. Die Rechtsprechung der Vereinigten Staaten kennt inzwischen viele solcher Fälle.

Hier kommt jener genetische Determinismus zum Vorschein, der in den siebziger Jahren heftigen Widerstand hervorgerufen hat. Damals machten Autoren wie Edward O. Wilson ("Soziobiologie") und Richard Dawkins ("Das egoistische Gen") die Soziobiologie populär. Ihnen wurde der Vorwurf gemacht, den Darwinismus gewissenlos zu popularisieren. Die zentrale These der Soziobiologen war eine Kampfansage an die Human- und Sozialwissenschaften. Sie besagt, daß die Natur des Menschen ebensowenig wie die von Ameise, Hund oder Schimpanse ein Produkt göttlicher Eingebung oder kultureller Prägung sei, sondern eine Folge von Mutation und Selektion. Sie sorgten als die Motoren der Evolution unentwegt dafür, daß nur diejenigen Gene, die sich in der Umwelt am besten behaupten, an die nächsten Generationen weitergegeben werden. Gewann der häßliche Sozialdarwinismus ("Der Stärkere siegt"), der bereits früher für faschistische und rassistische Ziele mißbraucht worden war, mit dem neuen naturwissenschaftlichen Weltbild, das zunehmend von der Biologie geprägt wurde, wieder an Boden? Die Soziobiologie ist diesen Verdacht nie ganz losgeworden.

Der amerikanische Wissenschaftsautor Robert Wright versucht, den Vorwurf des Amoralischen als Denunziation zu entlarven. Nicht des Menschen Geist, sondern die Natur trage die Grundlagen der Moral in sich. "Alle jene Dinge wie Mitleid, Einfühlung, Liebe, Altruismus, Gerechtigkeitssinn und Gewissen, welche die Gesellschaft zusammenhalten, haben eine feste genetische Basis." Woher nimmt der Autor diese Gewißheit? Eindeutige Beweise aus der Verhaltensforschung oder gar genetische Belege vermag er nicht zu liefern. Tatsächlich weiß heute niemand zu sagen, ob die Ursprünge so komplexer Verhaltensweisen und Empfindungen jemals in den Erbanlagen zu entdecken sein werden.

Akzeptiert man freilich die zwangsläufig spekulative Natur der Evolutionsforschung, so erkennt man in Wrights Schrift einen interessanten Versuch, das menschliche Wesen auf entwicklungsgeschichtlicher Grundlage zu interpretieren. Bei der Wirkungsweise der natürlichen Selektion hätte es gar nicht anders kommen können, meint der Autor, "daß es am Ende eine Spezies mit einem Gewissen, mit Mitgefühl und sogar Liebe geben würde" - gewissermaßen als "Gegengift" gegen unsere niederen Triebe. Aber ebenso wie die animalischen Impulse, deren Erblichkeit aufgrund neuerer genetischer Forschungen wenigstens in Teilen als wahrscheinlich gelten darf, komme auch das moralische Rüstzeug des Menschen jeweils nur zum Einsatz, wenn der Eigennutz es verlangt. Der Egoismus, das alte darwinistische Prinzip, nimmt hier wie in den provozierenden Schriften von Dawkins oder Desmond Morris ("Der nackte Affe") eine zentrale Rolle ein.

Auf den ersten Blick erscheint das auch plausibel. Die genannten Ziele des menschlichen Verhaltens - Status, Sexualität, Fürsorge für den Nachwuchs - sind schließlich auch keine neuen Erfindungen der Natur. Schon Konrad Lorenz ist es ohne exakte molekulargenetische Kenntnisse leichtgefallen, solche Verhaltensweisen als das wiederkehrende und erfolgreiche Produkt einer Entwicklungsgeschichte zu erkennen, deren Geschichte weit über den Ursprung der eigenen Spezies zurückreicht. Ob er allerdings wie Wright die alltäglichen Gedanken und Gefühle, die etwa bei Seitensprüngen oder beim Ehekrach auftreten, als die verlängerten "Waffen der Gene" bezeichnet hätte, darf bezweifelt werden.

Wenn die Natur keine moralischen Normen kennt, was kann dann als Maßstab für gut und böse, für richtig oder falsch gelten? Das biologische Vakuum an dieser Stelle wird nach Auffassung Wrights vom formbaren Geist des Menschen gefüllt. Seiner "angeborenen" Flexibilität obliege es, das Erbe der Gene vernünftig zu verwalten. Die Spielregeln, die sich ein soziales Gemeinwesen schafft, scheinen damit doch nicht der Willkür der Evolution ausgeliefert zu sein. Es ergibt sich jeweils ein Moralkodex aus dem Zusammenspiel von sozialer Umwelt und angeborenen Impulsen: "Der Mensch hat sich unter Mitmenschen entwickelt."

Tatsächlich kann die natürliche Selektion der Gene unmöglich so schnell arbeiten, daß sie allein Motor der Veränderungsprozesse auf politischer und kultureller Ebene sein könnte. "Aber die Evolution hat die Köpfe und Herzen geformt, die diesen Wandel bewirkt haben", entgegnet der Autor. Und so erkennt er im sozialen Verhalten überall noch Zeugnisse der natürlichen Selektion: die "elementare sexuelle Asymmetrie" - der Hang der Männer zur Vielweiberei und die Sprödigkeit der Frauen -, das Bedürfnis nach Vergeltung, die Benachteiligung von Stiefkindern gegenüber eigenen Kindern.

Hier liegt die eigentliche provozierende These des Buches: daß nämlich vieles, das wir mit aller Macht zu unterdrücken suchen, im Wesen des Menschen fixiert sei. Besonders auf sexuellem Gebiet wird Wrights Konservativismus deutlich. Seine Sympathien für die viktorianische Sittenlehre, die Darwins Leben selbst noch geprägt haben, sind unverkennbar. Eiserne Selbstzucht sei notwendig, um das animalische Tier zu bändigen und dem moralischen Tier eine Chance zu geben.

Mit der Moralpredigt hapert es bei Wright freilich noch mehr als mit der strengen wissenschaftlichen Analyse. Seine Beweisführung für ein "neues Paradigma", das in eine darwinistisch orientierte Entwicklungspsychologie mündet, ist auf Sand gebaut. Nicht nur Sozialwissenschaftler wehren sich gegen solche Totalerklärungen. Auch berühmte Evolutionsforscher wie Stephen Jay Gould beklagen an solchen Werken, daß Beweis und Plausibilität oft verwechselt werden. Der universelle Darwinismus als Naturgesetz bleibt eine bloße Vision.

Robert Wright: "Diesseits von Gut und Böse". Die biologischen Grundlagen unserer Ethik. Aus dem Amerikanischen von Johann Georg Scheffner. Limes Verlag, München 1996. 720 S., geb., 58,- DM.

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