Keiner erhob seine Stimme um die Jahrhundertwende so laut, grundsätzlich und genial wie dieser wütende, schnaubende, angriffslustige Katholik - eine der Schlüsselfiguren der Moderne. Sein Leben war ein einziger Kreuzweg aus Armut, Verachtung und Krankheit, und umso radikaler seine Forderung nach striktem Gehorsam im Dienst der Sache Gottes. Die Bedingungslosigkeit seiner Überzeugung und die Tiefe seiner Einlassungen machen diesen Ausnahmeliteraten zum schwarzen Kontrapunkt im bunten Treiben des Fin de Siècle und zeigen ihn als ewigen Unzeitgemäßen. Dem deutschen Leser war Léon Bloy bislang nur durch vereinzelte Ausgaben von Prosabänden zugänglich. Mit der vorliegenden thematisch geordneten Ausgabe wird erstmals der ganze Bloy in seiner gedanklichen Schärfe und tragischen Genialität sichtbar. Zahlreiche historische Illustrationen ergänzen dieses Standardwerk und machen es zu einem monströsen, in die Gegenwart irrlichternden Epochenkommentar.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.01.2020Seht doch diese klebrigen bourgeoisen Monster
Unter dem Endkampf gegen eine dem Unheil verfallene säkulare Moderne tat es dieser Autor nicht: Alexander Pschera widmet Léon Bloy eine monumentale Anthologie.
Gegen große Vorzüge eines Andern", heißt es bei Goethe, "gibt es kein Rettungsmittel als die Liebe." Das gilt offenbar umso mehr, stehen den großen Vorzügen mindestens ebenso große Widerstände entgegen. Léon Bloy zählt seit einem Jahrhundert auf eine kleine, doch bedingungslos eingeschworene Anhängerschaft, und Alexander Pschera, der Herausgeber dieser neuen, monumentalen Anthologie, hat sich, um seine bewundernswerte Arbeit zu bewältigen, ebenfalls zu einer solchen heroischen Liebe entschlossen. Es kann ihm nicht leichtgefallen sein. Léon Bloys Werk ist eine Zumutung, und sein Autor hat das Menschenmögliche getan, dass niemand diese Zumutung je wieder eingemeinden könne in den Kanon frommer Gesellschaftskritik zur Verbesserung des Menschengeschlechts. Sein Christus ist nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Und in ungeduldiger Erwartung der himmlischen Waffe schlug sich der ansonsten sanftmütige Familienvater fürs Erste mit Feder und Tinte für seinen Glauben, den er in seiner gottlosen Epoche durch alle und jeden bedroht sah, besonders durch die lauen Christen selbst.
Bloy, 1846 im südfranzösischen Périgueux geboren, starb am 3. November 1917 im Pariser Vorort Bourg-la-Reine. Sein Leben war geprägt von Armut, ständigen Wohnungswechseln zwischen Montmartre und der Banlieue, vom Druck, eine vielköpfige Familie zu ernähren; und all diese Mühe und Arbeit ist das Herzstück seiner selbsterschaffenen Lebensmythologie vom Leid des einsamen Propheten. Im Mittelpunkt aber steht ein schier unüberschaubares Werk: Romane, Pamphlete, Aufzeichnungen, Tagebücher: radikal, wenig gelesen, doch von kaum zu überschätzendem Einfluss auf die "katholische Literatur", die im Frankreich des zwanzigsten Jahrhunderts eine so große Rolle spielt. Bloy ist recht eigentlich das Urbild jenes revolutionären Katholizismus, der alle Sünden der Moderne - Fortschritt, Materialismus, Kapitalismus - mit dem Feuer des wiedererweckten Gottesglaubens ausräuchern will: "Mit mir kann man sicher sein, für niemanden Partei zu ergreifen, wenn nicht für mich gegen die ganze Welt."
Um diesem Werk auf Deutsch neu Gehör zu verschaffen, hat Alexander Pschera eine angemessen radikale Entscheidung getroffen. Seine tausendseitige Anthologie sprengt die Grenzen der einzelnen Werke und setzt die mal langen, mal kurzen Bruchstücke chronologisch und thematisch geordnet wieder zusammen, versucht damit das erstarrte Schreckbild dieses "katholischen Wüterichs" durch historischen Abstand und Zuneigung zu korrigieren. Entstanden ist das ebenso faszinierende wie verstörende Konzentrat einer Radikalkritik des modernen Frankreichs, zugleich Heldenepos, politisches Zeitbild, aber auch komische Donquichotterie.
Die Gefahr eines solchen Verfahrens liegt auf der Hand. In Polemiken und Pamphleten, Briefen und Tagebuchnotizen spielt Bloy geradezu genussvoll mit seiner ungeheuren Begabung zur krassen Zuspitzung, zur überrumpelnden Pointe, zum provozierenden Paradox. Zuweilen aber landet dieser Kritiker rhetorischer Gemeinplätze dann doch nur beim giftigen Bonmot oder bei dialektischen Volten, denen allzu deutlich der pubertäre Wille zum "épater le bourgeois" anzusehen ist: "Die Menschheit ist derart degeneriert, dass sie nur noch ehrbare Bürger hervorbringen kann, das heißt weiche, klebrige Monster, die weder zu den Abgründen der Sünde noch zu den Abgründen der Tugend fähig sind!"
Es wäre ein leichtes Vergnügen, Seite um Seite eine Blütenlese des Bitterbösen, moralisch Unkorrekten, komisch oder finster Abstrusen zu zitieren, bis sich alles im Kopfschütteln der immergleichen Verblüffung auflöst - und die innere Konsequenz des Bloyschen Denkens gleich mit. Paradoxerweise ist es gerade der große Umfang dieser Anthologie, der dagegen wirkt, denn je weiter man sich vorarbeitet durch diesen Steinbruch, desto mehr verbinden sich die aphoristischen Provokationen dennoch wieder zu einem zusammenhängenden Bild. "Jesus Christus ist nicht für die Bourgeoisie gestorben. Für jeden Mörder, für jeden Räuber, für jeden Unzüchtigen, aber nicht für die Haubesitzer!!!" Eine Invektive an den eigenen Vermieter, aber zugleich das Konzentrat von Bloys Theologie der Erniedrigten und Beleidigten.
Dass bei diesem Sichvorarbeiten mancher Stein im Wege liegen bleibt, kann nicht verschwiegen werden. Zuweilen, bekennt der Rezensent, war er schließlich doch ermüdet von dem nicht endenden Staccato der Verwünschung im Banalen wie im Grandiosen. Dass der Bau einer Zahnradbahn zum Sacré-Coeur, um den Gläubigen den Fußweg zu ersparen, ein gottloses Unternehmen ist, begreift er sofort; die fast ausnahmslose Exekution der Weltliteratur von Dante ("erbärmlich") über Tolstoi ("ekelhaft") bis zum Hauptfeind Zola ("Kretin") akzeptiert er schulterzuckend als idiosynkratische Eigenbrötelei. Störrisch jedoch wird er bei Bloys ständiger Unterfütterung sämtlicher berufungsloser Urteile durch die göttliche Macht, und hier erteilt der Herausgeber vorschnell die Absolution einer "höheren Perspektive".
Tatsächlich statuiert Bloy, durch ihn spreche Gottes Stimme. Dass Bloy imstande war, seine Kenntnis von Gottes Willen sehr taktisch einzusetzen, zeigt sich immer wieder in politischen Fragen, in der Dreyfus-Affäre, bei der nicht einmal klammheimlichen Freude über ein Attentat auf die Nationalversammlung, besonders aber im Ersten Weltkrieg. Sein rasender Hass vermochte in dem machtpolitischen Konflikt nichts anderes zu sehen als den finalen Krieg der Heiligen Jungfrau gegen den Satan. Erzürnt registriert er, dass deutsche Bischöfe deutsche Waffen segnen, ein gottloser Akt - denn Gott stehe nun mal auf Seiten Frankreichs. Die wüstesten Exzesse hat Pschera sogar ausgeklammert - die einzige Stelle, wo er sozusagen schummelt: "Hätte ich die Ehre eines militärischen Kommandos, ich würde niemals zustimmen, einen Deutschen als Soldaten anzuerkennen, und niemals hätte ich Stricke genug, um die Gefangenen aufzuhängen."
In solchen Momenten zweifelt man an Bloys Geisteszustand, aber auch, ob man ihn tatsächlich umstandslos einreihen darf in die Tradition katholischer Literatur. Durch die Ausrufung des heiligen Krieges ermächtigt sich Bloy zu etwas, was schlechterdings nicht mehr Sache von Literatur ist, und die Berufung auf Gott für imperiale Mordgelüste ist eine letztlich blasphemische Anmaßung: Sein Katholizismus ist in entscheidenden Teilen eher eine radikal antimoderne, antibürgerliche und antikapitalistische Privatreligion.
So hilft gegen Bloys Vorzüge und abstoßende Widersinnigkeiten wohl nicht nur die bedingungslose Liebe, sondern vielleicht mehr noch etwas ironischer Abstand und von Zeit zu Zeit ein Gang an die frische Luft. Bloys Denken ist als Ganzes nicht zu retten. Doch gerade hier zeigt sich trotz allem ein Vorzug von Pscheras Zugang: Indem er dieses Werk fragmentiert und chronologisch auffächert, erkennt man deutlicher als sonst den relativierenden zeitlichen Hintergrund dieser schriftstellernden Schwerstarbeit. Und wer imstande ist zu einem Lesen, das sich vor pathetischer Pauschalbegeisterung ebenso hütet wie vor allzu naheliegender Ablehnung, der erlebt in diesem Buch noch einmal ein intellektuelles Abenteuer, das jeder politischen Korrektheit Hohn spricht; erlebt einen Autor, der den bis heute explosiven Konflikt zwischen Säkularisierung und Fundamentalismus nicht versöhnen will, sondern im Gegenteil radikal auf die äußerste Spitze treibt.
WOLFGANG MATZ
Léon Bloy: "Diesseits von Gut und Böse". Tagebücher, Briefe, Prosa.
Hrsg. und aus dem Französischen von Alexander Pschera. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2019. 1259 S., geb., 68,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Unter dem Endkampf gegen eine dem Unheil verfallene säkulare Moderne tat es dieser Autor nicht: Alexander Pschera widmet Léon Bloy eine monumentale Anthologie.
Gegen große Vorzüge eines Andern", heißt es bei Goethe, "gibt es kein Rettungsmittel als die Liebe." Das gilt offenbar umso mehr, stehen den großen Vorzügen mindestens ebenso große Widerstände entgegen. Léon Bloy zählt seit einem Jahrhundert auf eine kleine, doch bedingungslos eingeschworene Anhängerschaft, und Alexander Pschera, der Herausgeber dieser neuen, monumentalen Anthologie, hat sich, um seine bewundernswerte Arbeit zu bewältigen, ebenfalls zu einer solchen heroischen Liebe entschlossen. Es kann ihm nicht leichtgefallen sein. Léon Bloys Werk ist eine Zumutung, und sein Autor hat das Menschenmögliche getan, dass niemand diese Zumutung je wieder eingemeinden könne in den Kanon frommer Gesellschaftskritik zur Verbesserung des Menschengeschlechts. Sein Christus ist nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Und in ungeduldiger Erwartung der himmlischen Waffe schlug sich der ansonsten sanftmütige Familienvater fürs Erste mit Feder und Tinte für seinen Glauben, den er in seiner gottlosen Epoche durch alle und jeden bedroht sah, besonders durch die lauen Christen selbst.
Bloy, 1846 im südfranzösischen Périgueux geboren, starb am 3. November 1917 im Pariser Vorort Bourg-la-Reine. Sein Leben war geprägt von Armut, ständigen Wohnungswechseln zwischen Montmartre und der Banlieue, vom Druck, eine vielköpfige Familie zu ernähren; und all diese Mühe und Arbeit ist das Herzstück seiner selbsterschaffenen Lebensmythologie vom Leid des einsamen Propheten. Im Mittelpunkt aber steht ein schier unüberschaubares Werk: Romane, Pamphlete, Aufzeichnungen, Tagebücher: radikal, wenig gelesen, doch von kaum zu überschätzendem Einfluss auf die "katholische Literatur", die im Frankreich des zwanzigsten Jahrhunderts eine so große Rolle spielt. Bloy ist recht eigentlich das Urbild jenes revolutionären Katholizismus, der alle Sünden der Moderne - Fortschritt, Materialismus, Kapitalismus - mit dem Feuer des wiedererweckten Gottesglaubens ausräuchern will: "Mit mir kann man sicher sein, für niemanden Partei zu ergreifen, wenn nicht für mich gegen die ganze Welt."
Um diesem Werk auf Deutsch neu Gehör zu verschaffen, hat Alexander Pschera eine angemessen radikale Entscheidung getroffen. Seine tausendseitige Anthologie sprengt die Grenzen der einzelnen Werke und setzt die mal langen, mal kurzen Bruchstücke chronologisch und thematisch geordnet wieder zusammen, versucht damit das erstarrte Schreckbild dieses "katholischen Wüterichs" durch historischen Abstand und Zuneigung zu korrigieren. Entstanden ist das ebenso faszinierende wie verstörende Konzentrat einer Radikalkritik des modernen Frankreichs, zugleich Heldenepos, politisches Zeitbild, aber auch komische Donquichotterie.
Die Gefahr eines solchen Verfahrens liegt auf der Hand. In Polemiken und Pamphleten, Briefen und Tagebuchnotizen spielt Bloy geradezu genussvoll mit seiner ungeheuren Begabung zur krassen Zuspitzung, zur überrumpelnden Pointe, zum provozierenden Paradox. Zuweilen aber landet dieser Kritiker rhetorischer Gemeinplätze dann doch nur beim giftigen Bonmot oder bei dialektischen Volten, denen allzu deutlich der pubertäre Wille zum "épater le bourgeois" anzusehen ist: "Die Menschheit ist derart degeneriert, dass sie nur noch ehrbare Bürger hervorbringen kann, das heißt weiche, klebrige Monster, die weder zu den Abgründen der Sünde noch zu den Abgründen der Tugend fähig sind!"
Es wäre ein leichtes Vergnügen, Seite um Seite eine Blütenlese des Bitterbösen, moralisch Unkorrekten, komisch oder finster Abstrusen zu zitieren, bis sich alles im Kopfschütteln der immergleichen Verblüffung auflöst - und die innere Konsequenz des Bloyschen Denkens gleich mit. Paradoxerweise ist es gerade der große Umfang dieser Anthologie, der dagegen wirkt, denn je weiter man sich vorarbeitet durch diesen Steinbruch, desto mehr verbinden sich die aphoristischen Provokationen dennoch wieder zu einem zusammenhängenden Bild. "Jesus Christus ist nicht für die Bourgeoisie gestorben. Für jeden Mörder, für jeden Räuber, für jeden Unzüchtigen, aber nicht für die Haubesitzer!!!" Eine Invektive an den eigenen Vermieter, aber zugleich das Konzentrat von Bloys Theologie der Erniedrigten und Beleidigten.
Dass bei diesem Sichvorarbeiten mancher Stein im Wege liegen bleibt, kann nicht verschwiegen werden. Zuweilen, bekennt der Rezensent, war er schließlich doch ermüdet von dem nicht endenden Staccato der Verwünschung im Banalen wie im Grandiosen. Dass der Bau einer Zahnradbahn zum Sacré-Coeur, um den Gläubigen den Fußweg zu ersparen, ein gottloses Unternehmen ist, begreift er sofort; die fast ausnahmslose Exekution der Weltliteratur von Dante ("erbärmlich") über Tolstoi ("ekelhaft") bis zum Hauptfeind Zola ("Kretin") akzeptiert er schulterzuckend als idiosynkratische Eigenbrötelei. Störrisch jedoch wird er bei Bloys ständiger Unterfütterung sämtlicher berufungsloser Urteile durch die göttliche Macht, und hier erteilt der Herausgeber vorschnell die Absolution einer "höheren Perspektive".
Tatsächlich statuiert Bloy, durch ihn spreche Gottes Stimme. Dass Bloy imstande war, seine Kenntnis von Gottes Willen sehr taktisch einzusetzen, zeigt sich immer wieder in politischen Fragen, in der Dreyfus-Affäre, bei der nicht einmal klammheimlichen Freude über ein Attentat auf die Nationalversammlung, besonders aber im Ersten Weltkrieg. Sein rasender Hass vermochte in dem machtpolitischen Konflikt nichts anderes zu sehen als den finalen Krieg der Heiligen Jungfrau gegen den Satan. Erzürnt registriert er, dass deutsche Bischöfe deutsche Waffen segnen, ein gottloser Akt - denn Gott stehe nun mal auf Seiten Frankreichs. Die wüstesten Exzesse hat Pschera sogar ausgeklammert - die einzige Stelle, wo er sozusagen schummelt: "Hätte ich die Ehre eines militärischen Kommandos, ich würde niemals zustimmen, einen Deutschen als Soldaten anzuerkennen, und niemals hätte ich Stricke genug, um die Gefangenen aufzuhängen."
In solchen Momenten zweifelt man an Bloys Geisteszustand, aber auch, ob man ihn tatsächlich umstandslos einreihen darf in die Tradition katholischer Literatur. Durch die Ausrufung des heiligen Krieges ermächtigt sich Bloy zu etwas, was schlechterdings nicht mehr Sache von Literatur ist, und die Berufung auf Gott für imperiale Mordgelüste ist eine letztlich blasphemische Anmaßung: Sein Katholizismus ist in entscheidenden Teilen eher eine radikal antimoderne, antibürgerliche und antikapitalistische Privatreligion.
So hilft gegen Bloys Vorzüge und abstoßende Widersinnigkeiten wohl nicht nur die bedingungslose Liebe, sondern vielleicht mehr noch etwas ironischer Abstand und von Zeit zu Zeit ein Gang an die frische Luft. Bloys Denken ist als Ganzes nicht zu retten. Doch gerade hier zeigt sich trotz allem ein Vorzug von Pscheras Zugang: Indem er dieses Werk fragmentiert und chronologisch auffächert, erkennt man deutlicher als sonst den relativierenden zeitlichen Hintergrund dieser schriftstellernden Schwerstarbeit. Und wer imstande ist zu einem Lesen, das sich vor pathetischer Pauschalbegeisterung ebenso hütet wie vor allzu naheliegender Ablehnung, der erlebt in diesem Buch noch einmal ein intellektuelles Abenteuer, das jeder politischen Korrektheit Hohn spricht; erlebt einen Autor, der den bis heute explosiven Konflikt zwischen Säkularisierung und Fundamentalismus nicht versöhnen will, sondern im Gegenteil radikal auf die äußerste Spitze treibt.
WOLFGANG MATZ
Léon Bloy: "Diesseits von Gut und Böse". Tagebücher, Briefe, Prosa.
Hrsg. und aus dem Französischen von Alexander Pschera. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2019. 1259 S., geb., 68,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Wolfgang Matz macht klar: Léon Bloy ist nicht zu retten. Wie der Autor seinen revolutionären Katholizismus gegen alles und jeden schleudert, kann Matz in der von Alexander Pschera herausgegebenen Anthologie miterleben. Dass Pscheras Sammlung der Polemiken, Briefe, Notate die "Grenzen der einzelnen Werke sprengt" und die Teile chronologisch und thematisch ordnet, hilft laut Matz, Bloys Arbeit als Radikalkritik der Moderne und politisches Zeitbild, aber auch als Donquichotterie zu begreifen. Bloys Talent zur Pointierung und Provokation ist dabei laut Rezensent bis zum Abwinken erfahrbar. Dass sich das aphoristisch Provokante beim fortgesetzten Lesen wie ein Mosaik zu einem Bild mit "relativierendem zeitlichen Hintergrund" formt, scheint Matz zu verblüffen. Man kann diesen wütenden Katholizismus heute nur schwer verdauen, meint der Kritiker, aber wer sich davon nicht abstoßen lässt, dem verspricht er doch ein intellektuelles Abenteuer.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Die Beschäftigung mit Bloy lohnt sich unbedingt, und zwar weil er eben kein reaktionärer Dunkelmann gewesen ist! Es ging ihm gerade nicht um die Wiederherstellung vormoderner Verhältnisse. Bloy war ein Revolutionär; nichts verachtete er so sehr wie das verbürgerlichte Christentum. (...) Immer wieder erleben wir uns selbst staunend, betroffen und gebannt von der Tiefe und leuchtenden Kraft seiner Gedanken und seines Glaubens. Olaf Schmidt Der Sonntag 20200517