Dietrich von Freiberg, 1240/50 bis gegen 1320, war einer der originellsten Philosophen, Theologen und Naturforscher der älteren Zeit. Nach Albert dem Großen und Meister Eckhart erreichte er als einziger Deutscher das hohe Amt eines Magisters in Paris. In eingehender Beweisführung gelang ihm als erstem die heute als richtig geltende Theorie des Regenbogens. Seine persönliche Verbindung zu Meister Eckhart ist belegt, ebenso sein Einfluss auf Eckharts Denken. Seine Schriften bilden den historisch verlässlichen Zugang zu Eckharts Werk. Kurt Flasch, der von 1977 bis 1985 die vierbändige Ausgabe der Schriften Dietrichs veranlasst und geleitet hat, führt zunächst ein in Dietrichs intellektuelle Welt und gibt dann Traktat für Traktat eine philosophisch-historische Analyse sämtlicher Schriften Dietrichs. Es ist die erste Gesamtdarstellung dieses Denkers seit hundert Jahren, erstmals auf verlässlicher und vollständiger Textgrundlage. Sie berücksichtigt Dietrichs Philosophie, Theologie und Naturforschung und arbeitet detailliert die außerordentliche denkerische Originalität des antithomistischen Dominikanerprofessors heraus. Diese Buch fasst vierzig Jahre der Dietrichforschung autoritativ zusammen; es verändert überraschend das Bild der intellektuellen Situation der Zeit um 1300 und generell der Geschichte der Philosophie. Es erschließt in klarer Sprache Dietrichs subtile Theorien und wird auf lange Zeit die Grundlage künftiger Forschung bilden.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.05.2008Hinterm Horizont geht's weiter
Kurt Flasch lässt den Panoramablick schweifen, den Dietrich von Freiberg auf den Schultern des Geistesriesen Thomas von Aquin gewann
Der fast achtzigjährige Grandseigneur der Geistesgeschichte des Mittelalters, Kurt Flasch, meldet sich erneut zu Wort: mit einem mehr als siebenhundert Seiten umfassenden Werk über einen bislang nur Spezialisten aus Profession bekannten mittelalterlichen Gelehrten. Und was er bietet, ist eine so geist- wie facettenreiche Studie, die auch geschichtlich Interessierte aus Passion anspricht; denn sie ist voller Informationen, überraschender Einblicke, neuer Einsichten, dazu hervorragend recherchiert und glänzend geschrieben.
Es geht um Dietrich von Freiberg. Er lebte um 1300, war Dominikanerpater, Philosoph, Naturwissenschaftler und Theologe. 1296/97 avancierte er - nach Albert dem Großen und vor Meister Eckhart - zum Professor für Theologie in Paris. Doch war er nie nur ein Stubengelehrter. Als Angehöriger eines Bettelordens zog er stets zu Fuß durch die Lande, den Kontakt mit den Menschen suchend und die Natur experimentell erkundend. Kein Wunder, dass der aufgeweckte Dietrich auch immer wieder Leitungsaufgaben innerhalb seines inzwischen über ganz Europa verbreiteten Ordens übernehmen musste.
Seine wissenschaftliche Arbeit vergleicht der aus der Silberstadt Freiberg in Sachsen stammende und um 1240 geborene Denker mit der eines Hilfsarbeiters bei der Ernte - einer Ernte, die ja längst durch die großen Schnitter (Thomas von Aquin und Bonaventura) eingefahren war. Beide Geistesriesen hatten zuvor beeindruckende Denkkathedralen errichtet, an denen ihre Schüler nicht immer klug und weise weiterarbeiteten. Flasch zeigt es im Detail: Dietrichs Nachlese war anderer Art. Er behielt das weite Feld im Auge und konzentrierte sich auf das, was die Großen übersehen hatten; denn er spürte, was auch andere um 1300 wahrnahmen: Hier stimmt was nicht, irgendetwas ist übersehen worden. Aber was?
Arnald von Villanova, Zeitgenosse Dietrichs, von dem Flasch aber nichts weiß, warnte in Paris vor dem baldigen Kommen des Antichrist und sah das Ende der Welt hereinbrechen. Die akademische Welt reagierte auf dieses apokalyptische Denken und beobachtete sorgfältig den Himmel, Beobachtungen, die zu Berechnungen und allerlei Überlegungen führten, die wiederum, wie Johannes Fried vor einigen Jahren nachwies, entscheidend zur Entstehung der modernen Naturwissenschaften beitrugen. Leider erwähnt Flasch diesen Streit um das Ende der Welt mit keinem Wort, zeigt aber umso deutlicher den Ertrag der Ernte Dietrichs. Was der Sachse fand, verdient alle Beachtung, zumal sich seine Nachlese zunehmend zur gründlichen Relecture entwickelte, ja zur "Revision von Grundlagen", zur Fundamentalkritik einer wissenschaftlichen, religiösen und gesellschaftlichen Kultur.
Dabei beobachtete auch Dietrich den Himmel, allerdings nicht - wie die Apokalyptiker - um zu prüfen, ob womöglich der Himmel zusammenfällt, sondern um allerlei Berechnungen und Reflexionen anzustellen. Nicht die plötzliche Veränderung, sondern die bei aller Veränderung zu beobachtende Regelmäßigkeit, ja Beständigkeit, interessierte ihn. Nicht von ungefähr wählte Dietrich den Regenbogen zu seinem speziellen Forschungsobjekt. War diese Himmelserscheinung doch seit den Zeiten Noahs das große Symbol der Beständigkeit, Zeichen des ewigen Bundes zwischen Gott und allen lebenden Wesen..
Überdies hatte, was Flasch ebenfalls übersieht, inzwischen aber durch die Erforschung der mittelalterlichen Predigtliteratur erwiesen ist, der Regenbogen gerade bei den damaligen Dominikanern in Deutschland noch eine spezifische Bedeutung: Das altbundliche Heilszeichen wies hin auf das Zeichen des Neuen Bundes: auf Maria. Sie, die Gottesmutter und Jungfrau, ist den Dominikanern der "Regenbogen" der neuen Heilszeit. Ihr gilt alle Aufmerksamkeit. Jedenfalls widmet Dietrich sich dem Regenbogen unter bestimmter Perspektive: Er will an ihm die Regelmäßigkeit und "unfehlbare" Vorhersagbarkeit der Farbenfolge beim Regenbogen demonstrieren. Das Wort "unfehlbar" stammt, wie Flasch betont, in diesem Zusammenhang von Dietrich. Es ist ihm wichtig, weil es zu seiner Ernte gehört: Bei allem Rätselhaften und scheinbar Zufälligem gibt es in der Welt Zufallsenthobenes, Zeitüberlegenes. Es gibt, wie Flasch im Blick auf Dietrich formuliert, "Per-se-Verhältnisse". Was der Dominikaner dabei im Blick auf den Regenbogen erstmals feststellte, ist in von Flasch genau bestimmter Hinsicht noch heute gültig.
Überhaupt werden hier meisterhaft vierzig Jahre der Dietrich-Forschung zusammengefasst und neu zur Diskussion gestellt; und zwar von einem, der die Quelle wie kaum ein Zweiter kennt, ja, der die vierbändige Edition dieser Quellen allererst initiiert und acht Jahre lang, von 1977 bis 1985, geleitet hat. Flasch ist dafür und für die vorliegende exzellente Nachlese zu danken.
MANFRED GERWING
Flasch, Kurt: "Dietrich von Freiberg". Philosophie, Theologie, Naturforschung um 1300. Vittorio Klostermann Verlag, Frankfurt am Main 2007. 718 S., geb., 119,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Kurt Flasch lässt den Panoramablick schweifen, den Dietrich von Freiberg auf den Schultern des Geistesriesen Thomas von Aquin gewann
Der fast achtzigjährige Grandseigneur der Geistesgeschichte des Mittelalters, Kurt Flasch, meldet sich erneut zu Wort: mit einem mehr als siebenhundert Seiten umfassenden Werk über einen bislang nur Spezialisten aus Profession bekannten mittelalterlichen Gelehrten. Und was er bietet, ist eine so geist- wie facettenreiche Studie, die auch geschichtlich Interessierte aus Passion anspricht; denn sie ist voller Informationen, überraschender Einblicke, neuer Einsichten, dazu hervorragend recherchiert und glänzend geschrieben.
Es geht um Dietrich von Freiberg. Er lebte um 1300, war Dominikanerpater, Philosoph, Naturwissenschaftler und Theologe. 1296/97 avancierte er - nach Albert dem Großen und vor Meister Eckhart - zum Professor für Theologie in Paris. Doch war er nie nur ein Stubengelehrter. Als Angehöriger eines Bettelordens zog er stets zu Fuß durch die Lande, den Kontakt mit den Menschen suchend und die Natur experimentell erkundend. Kein Wunder, dass der aufgeweckte Dietrich auch immer wieder Leitungsaufgaben innerhalb seines inzwischen über ganz Europa verbreiteten Ordens übernehmen musste.
Seine wissenschaftliche Arbeit vergleicht der aus der Silberstadt Freiberg in Sachsen stammende und um 1240 geborene Denker mit der eines Hilfsarbeiters bei der Ernte - einer Ernte, die ja längst durch die großen Schnitter (Thomas von Aquin und Bonaventura) eingefahren war. Beide Geistesriesen hatten zuvor beeindruckende Denkkathedralen errichtet, an denen ihre Schüler nicht immer klug und weise weiterarbeiteten. Flasch zeigt es im Detail: Dietrichs Nachlese war anderer Art. Er behielt das weite Feld im Auge und konzentrierte sich auf das, was die Großen übersehen hatten; denn er spürte, was auch andere um 1300 wahrnahmen: Hier stimmt was nicht, irgendetwas ist übersehen worden. Aber was?
Arnald von Villanova, Zeitgenosse Dietrichs, von dem Flasch aber nichts weiß, warnte in Paris vor dem baldigen Kommen des Antichrist und sah das Ende der Welt hereinbrechen. Die akademische Welt reagierte auf dieses apokalyptische Denken und beobachtete sorgfältig den Himmel, Beobachtungen, die zu Berechnungen und allerlei Überlegungen führten, die wiederum, wie Johannes Fried vor einigen Jahren nachwies, entscheidend zur Entstehung der modernen Naturwissenschaften beitrugen. Leider erwähnt Flasch diesen Streit um das Ende der Welt mit keinem Wort, zeigt aber umso deutlicher den Ertrag der Ernte Dietrichs. Was der Sachse fand, verdient alle Beachtung, zumal sich seine Nachlese zunehmend zur gründlichen Relecture entwickelte, ja zur "Revision von Grundlagen", zur Fundamentalkritik einer wissenschaftlichen, religiösen und gesellschaftlichen Kultur.
Dabei beobachtete auch Dietrich den Himmel, allerdings nicht - wie die Apokalyptiker - um zu prüfen, ob womöglich der Himmel zusammenfällt, sondern um allerlei Berechnungen und Reflexionen anzustellen. Nicht die plötzliche Veränderung, sondern die bei aller Veränderung zu beobachtende Regelmäßigkeit, ja Beständigkeit, interessierte ihn. Nicht von ungefähr wählte Dietrich den Regenbogen zu seinem speziellen Forschungsobjekt. War diese Himmelserscheinung doch seit den Zeiten Noahs das große Symbol der Beständigkeit, Zeichen des ewigen Bundes zwischen Gott und allen lebenden Wesen..
Überdies hatte, was Flasch ebenfalls übersieht, inzwischen aber durch die Erforschung der mittelalterlichen Predigtliteratur erwiesen ist, der Regenbogen gerade bei den damaligen Dominikanern in Deutschland noch eine spezifische Bedeutung: Das altbundliche Heilszeichen wies hin auf das Zeichen des Neuen Bundes: auf Maria. Sie, die Gottesmutter und Jungfrau, ist den Dominikanern der "Regenbogen" der neuen Heilszeit. Ihr gilt alle Aufmerksamkeit. Jedenfalls widmet Dietrich sich dem Regenbogen unter bestimmter Perspektive: Er will an ihm die Regelmäßigkeit und "unfehlbare" Vorhersagbarkeit der Farbenfolge beim Regenbogen demonstrieren. Das Wort "unfehlbar" stammt, wie Flasch betont, in diesem Zusammenhang von Dietrich. Es ist ihm wichtig, weil es zu seiner Ernte gehört: Bei allem Rätselhaften und scheinbar Zufälligem gibt es in der Welt Zufallsenthobenes, Zeitüberlegenes. Es gibt, wie Flasch im Blick auf Dietrich formuliert, "Per-se-Verhältnisse". Was der Dominikaner dabei im Blick auf den Regenbogen erstmals feststellte, ist in von Flasch genau bestimmter Hinsicht noch heute gültig.
Überhaupt werden hier meisterhaft vierzig Jahre der Dietrich-Forschung zusammengefasst und neu zur Diskussion gestellt; und zwar von einem, der die Quelle wie kaum ein Zweiter kennt, ja, der die vierbändige Edition dieser Quellen allererst initiiert und acht Jahre lang, von 1977 bis 1985, geleitet hat. Flasch ist dafür und für die vorliegende exzellente Nachlese zu danken.
MANFRED GERWING
Flasch, Kurt: "Dietrich von Freiberg". Philosophie, Theologie, Naturforschung um 1300. Vittorio Klostermann Verlag, Frankfurt am Main 2007. 718 S., geb., 119,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Dieses Buch ist nicht leicht zu lesen, räumt Rezensent Wilhelm Schmidt-Biggemann ein, aber höchst gewinnbringend. Kurt Flasch, unumstrittene Koryphäe auf dem Gebiet der mittelalterlichen Philosophie, nimmt sich darin des Mittelalter-Denkers Dietrich von Freiberg an und vollbringt damit für den Rezensenten nicht nur eine Pioniertat, sondern auch eine intellektuelle Glanzleistung. Den Informationen des Rezensenten zufolge positioniert Flasch den Philosophen gegen Thomas von Aquin und dessen "orthodoxe, aber theoretisch flache" Theorie, wonach die Erkenntnis des Göttlichen nicht einer menschlichen Leistung, sondern göttlicher Gnade entspringt. Bei Dietrich von Freiberg dagegen ist die intellektuelle Erkenntnis eine "Leistung der Seele" und nur im Denken werde das Seiende wirklich, wie Schmidt-Briggemann es fasst. Gegen den orthodoxen Thomismus war Dietrichs Lehre chancenlos, aber so würdigt der Rezensent umso mehr Flaschs Verdienst, diesen Theoretiker wieder ins Blickfeld der Philosophiehistorie gerückt zu haben.
© Perlentaucher Medien GmbH
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