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In einer Zeit zunehmender Säkularisierung und Entkirchlichung, aber auch neuer Bedürfnisse nach Religiosität und Spiritualität, nimmt das Interesse an religiösen Erscheinungen der Vergangenheit zu. Der Band "Dimensionen des Heiligen" setzt diesbezügliche spezifische Akzente. Es geht um heilige Orte, heilige Zeiten, heilige Handlungen, heilige Gegenstände, heilige Namen etc. Was Menschen jeweils heilig war und ist wird dabei nicht konfessionell beschränkt gesehen. Vor- und außerchristliche Phänomene finden genauso Behandlung wie Nachwirkungen christlicher Heiligkeitsvorstellungen in säkularer…mehr

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Produktbeschreibung
In einer Zeit zunehmender Säkularisierung und Entkirchlichung, aber auch neuer Bedürfnisse nach Religiosität und Spiritualität, nimmt das Interesse an religiösen Erscheinungen der Vergangenheit zu. Der Band "Dimensionen des Heiligen" setzt diesbezügliche spezifische Akzente. Es geht um heilige Orte, heilige Zeiten, heilige Handlungen, heilige Gegenstände, heilige Namen etc. Was Menschen jeweils heilig war und ist wird dabei nicht konfessionell beschränkt gesehen. Vor- und außerchristliche Phänomene finden genauso Behandlung wie Nachwirkungen christlicher Heiligkeitsvorstellungen in säkularer Form. "Heiliges" wird dabei nicht gegenüber "Profanem" abgegrenzt behandelt, sondern gerade in seiner besonderen Wirkkraft auf Lebenswelten, in die es eingeordnet ist. Der Band verfolgt einen vergleichenden Ansatz sowie eine Betrachtungsweise im epochenübergreifenden Längsschnitt.
Autorenporträt
Mitterauer, Michael
Michael Mitterauer ist emeritierter Professor für Sozialgeschichte an der Universität Wien.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.02.2001

Laß uns ein Wunder sein, ein wunderbares Wunder sein!
Auch Töne, Steine und Scherben kann man auf einen Altar stellen: Michael Mitterauer findet einfach alles mächtig kultig und vergißt die Unterscheidung der Geister

In zehn Fallstudien will der Wirtschafts- und Familienhistoriker Michael Mitterauer "Dimensionen der Heiligen" erschließen. Es geht um "heilige Orte, Zeiten, Personen, Handlungen, Gegenstände und Worte". Den Protagonisten der neuen Historischen Anthropologie gelten sehr unterschiedliche Phänomene als heilig. Sie operieren mit vagen, weiten Begriffen. Das Heilige bedürfe "keiner definitorischen Festlegung". Wie läßt es sich dann vom Profanen unterscheiden? Der Historische Anthropologe behilft sich mit subjektiver Bedeutsamkeit. "Daß einem etwas ,heilig' ist, kann im Alltagsverständnis auch ,besonders bedeutsam' meinen. Solche besondere (!) Bedeutsamkeiten über religiöse Sinngebung hinaus sind durchaus mit ,Dimensionen des Heiligen' mitgemeint."

Mit diesem offenen Konzept will Mitterauer Spuren des Heiligen in allen Bereichen des Lebens identifizieren können. Frau X ist St. Martin und Herrn Y Madonna heilig. In den "verfließenden Übergängen zwischen religiösen und anderen Bedeutsamkeiten" können auch kleine braune Teddybären oder die Waden des Lothar Matthäus zu Kultobjekten werden. Wer wollte noch normative Unterscheidungen zwischen dem Kruzifix im Herrgottswinkel und dem Pin-up-Girl im Soldatenspind vorschlagen? Hier wie dort handelt es sich ja um subjektiv bedeutsame Symbole verehrender Hingabe.

Anschauung ohne Begriffe ist blind, kann man bei Kant lesen. Religionsforschung ohne präzise Konzepte bleibt in positivistischer Anhäufung von Anschauungsmaterial stecken. Mancher Anthropologe stellt nur seines Kastens Zettel in die akademische Vitrine, die Aufsatzband heißt. Diese Präsentation wissenschaftlichen Sammlerfleißes läßt sich im Lichte anthropologischer Aufklärung selbst als Zeichen religiöser Transzendenzkultur deuten. Im Essay "Von der Reliquiensammlung zur Vitrine" beschreibt Mitterauer den Glasschrank im Wohnzimmer, den bürgerlichen Zentralort der Aufbewahrung aller Porzellanschätze, als ein genuin sakrales Möbel. Ursprünglich habe man hier die von Wallfahrten und Pilgerreisen mitgebrachten Porzellanhäferl ausgestellt, um sich der bleibenden Präsenz des Heiligen zu versichern. Ist auf der endlichen Lebensreise nicht jedermann nur ein Pilger? Sind letztlich nicht alle Möbel vom Hausaltar "herzuleiten"? Auch die omnipotenten Assoziationsphantasien des Historischen Anthropologen dürften aufs Göttliche verweisen. Nichts existiert für ihn, das er nicht auf religiöse Wurzeln zurückführen kann. Die moderne politische Erinnerungskultur sei nur eine unbewußte Wiederkehr der Eucharistie. Staatliche Gedenktage seien als späte Folge der einst in Byzanz entstandenen politischen Heiligenfeste zu entziffern. In der Republik Österreich werde "Geschichte-Erinnern als eine religiöse Kulthandlung" betrieben.

Mitterauer will christliche Bedingungen sozialer Beziehungen erkunden. Der Familienhistoriker sieht im Christentum "eine Anti-Abstammungsreligion". Der europäische Sonderweg der Familien- und Gesellschaftsentwicklung beginne damit, daß die Christen die kultische Verehrung von Ahnen ablehnten. So schwächten sie die emotionale Bindung an die Vorfahren. Bei den Serben entdeckt Mitterauer allerdings einen kirchlichen Feiertag, an dem man den Patron der Hausgemeinschaft beziehungsweise des patrilinearen Abstammungsverbandes verehrt. Sind diese Orthodoxen keine Christen? Der Historische Anthropologe deutet ihre Rituale als christlich übertünchten Ahnenkult. Auch für andere Lebenssphären betont er tiefe Differenzen zwischen der Ostkirche und dem lateinischen Christentum. Seine Beschreibungen der konfessionellen Vielfalt des Christlichen sind von überschaubarer Originalität. Über die Sonderentwicklung der Predigt in der Westkirche kann man bei den Kirchenhistorikern um 1900 Präziseres lesen.

Einige Feldstudien über "heilige Orte" und "heilige Gegenstände" entstanden im Gespräch mit bulgarischen Kulturhistorikern. "Impressionen einer Führung durch Kirche und Friedhof in einer bulgarischen Kleinstadt" zeigen die tiefe kognitive Dissonanz zwischen den Lebens- und Vorstellungswelten vieler "einfacher Leute" und der Hermeneutik gelehrter Anthropologen. Die Mikrohistorie von Passionsgebeten an den Samstagen der Fastenzeit und die dichte Beschreibung möglicher Zusammenhänge zwischen "Jenseitsvorstellungen und Sozialentwicklung" erschließen "eigensinnige Gegenwelten" der Frommen, die sich jedem schnellen souveränen Deutungsgestus entziehen.

Mitterauer verspielt die Einsicht in den "Eigensinn" des Religiösen sofort wieder durch die konventionelle Entgegensetzung von Theologie und Volksglaube, kirchlich verordnetem Credo und real gelebter Frömmigkeit. Entbehrte der Glaube der "einfachen Leute" theologischer Vorstellungen? Gab es im Christentum jemals gelebte Religion ohne "implizite Theologie" (Jan Assmann)? Die Vorstellung einer homogenen Amtskirche mit autoritäten dogmatischen Disziplinierungsstrategien ist nur das Konstrukt von whig historians des neunzehnten Jahrhunderts. Differenzierungsfähig ist auch die Gleichsetzung katholischer Volksfrömmigkeit mit "Magie". Mitterauers Historische Anthropologie bleibt weit unter dem Reflexionsniveau der klassischen Historischen Kulturwissenschaften, weil sie die Historizität ihrer Fragen und Begriffe abblendet.

Englischsprachige Kulturanthropologen und Ethnologen führen seit den achtziger Jahren intellektuell aufregende Debatten über kritizistisch erkennbare Grenzen der writing culture und die konstitutive Differenz von Insider- and Outsider-Perspektiven. In Mitterauers Historischer Anthropologie hat dies keine Spuren hinterlassen. Er folgt eher den älteren "Religionsvolkskundlern", ohne die ideologischen Subtexte ihrer Vorstellungen vom archaischen Volksglauben guter einfacher Leute wahrzunehmen. O sancta simplicitas, mag man jetzt den heiligen Immanuel anflehen! Wenn irgendwie alles aus der Religion stammt, dann sind unklare Begriffe nur Spuren heiliger Einfalt. Dennoch wird der Rezensent dieses Buch in keine Vitrine stellen.

FRIEDRICH WILHELM GRAF

Michael Mitterauer: "Dimensionen des Heiligen". Annäherungen eines Historikers. Böhlau Verlag, Wien 2000. 328 S., geb., 69,80 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Auf den Spuren der alten "Religionsvolkskundler" wähnt Rezensent Friedrich Wilhelm Graf den Autor Michael Mitterauer und kritisiert damit nachdrücklich seinen Ansatz der Historischen Anthropologie. Ein mangelhafte theoretische Reflexion, die wissenschaftliche Begriffsbildung durch das Aufsuchen von "subjektiven Bedeutsamkeiten" ersetze, macht die Arbeit nach Meinung des Rezensenten fast schon selbst zu einem magischen Objekt, in dem die "omnipotenten Assoziationsphantasien des Historischen Anthropologen" selbst "auf das Göttliche verweisen". Somit schaffe sich die Arbeit selbst das Objekt, das sie eigentlich untersuchen wolle. "Mitterauer will christliche Bedingungen sozialer Beziehungen erkunden", scheitert an diesem Vorhaben nach Meinung des Rezensenten kläglich, weil er "weit unter dem Reflexionsniveau der klassischen Historischen Kulturwissenschaft bleibt", indem er die "Historizität" seiner "Fragen und Begriffe abblendet". Mit einem Stoßseufzer, der nach Kant verlangt, endet die Besprechung und man glaubt eine Rezension von jemand gelesen zu haben, der durch die Hölle ging.

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