Entstanden in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts aus der historischen Semantik und als Nebenschauplatz einer programmatisch orientierten Untersuchungs- und Reflexionskultur hat sich die Begriffsgeschichte in den epistemologischen Bedingungen der siebziger und achtziger Jahre beinahe unbemerkt zum dominanten Paradigma der Geisteswissenschaften in Deutschland entwickelt. Unter der Dominanz der Hermeneutik und des neo-historischen Stils liess sich sogar - mindestens im Stil einer provozierenden Geste - der maximalistische Anspruch vertreten, dass Begriffsgeschichte deckungsgleich sei mit jener historischen Arbeit schlechthin, welche nicht unter den Verdacht philosophischer Naivität fiele.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.03.2007Der Stern der Begriffsgeschichte
Dieser Rückblick auf die großen begriffsgeschichtlichen Unternehmungen (Hans Ulrich Gumbrecht: "Dimensionen und Grenzen der Begriffsgeschichte". Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2006. 261 S., br., 26,90 [Euro]) beginnt mit einem elegisch schweifenden Blick über die in der eigenen Bibliothek griffbereiten Bände des "Historischen Wörterbuchs der Philosophie", der "Geschichtlichen Grundbegriffe", der "Ästhetischen Grundbegriffe" und einiger anderer Nachschlagewerke. "Vor allem aber sind diese Bände Pyramiden, weil, was einmal vielversprechende Zukunft war, mit ihrem redaktionellen Abschluss zur vergangenen Zukunft geworden ist - und starb."
Die Todesanzeige ist etwas missverständlich. Schließlich besteht jedes wissenschaftspolitische Projekt größeren Zuschnitts darin, vielversprechende Ankündigungen in viele gedruckte Bände umzusetzen. Tot wäre das in ihnen abgelegte Wissen wohl dann, wenn sie niemand verwenden würde, und darauf möchte Gumbrecht überhaupt nicht hinaus. Dass diese Bände höchst nützlich sind, unterliegt für ihn keinem Zweifel.
Was Gumbrecht mit seinen Überlegungen über "den schnellen Aufstieg, die unsichtbaren Dimensionen und das plötzliche Abebben der begriffsgeschichtlichen Bewegung" anvisiert, ist nicht weniger als eine Diagnose der intellektuellen Gegenwart. Die Karriere der deutschen Begriffsgeschichte von den fünfziger Jahren an soll dazu einige Aufschlüsse an die Hand geben: in einem Kontrastverfahren, das die programmatischen Absichten von Gründerfiguren wie Joachim Ritter und Reinhart Koselleck gegen ein heute vorherrschendes geisteswissenschaftliches Regime hält, dem die Anknüpfungspunkte für den von der Begriffsgeschichte kultivierten hermeneutischen Ehrgeiz verlorengegangen zu sein scheinen.
Die im Hintergrund stehende Gegenwartsdiagnose lautet in nuce: Ein spezifisch modernes historisches Bewusstsein, das vom Prozessideal subjektiver und kollektiver Emanzipation nicht zu trennen ist, wird abgelöst durch das Bewusstsein einer "breiten" Gegenwart von Simultaneitäten, in der die Überlagerung von Vergangenheiten sich vor den Horizont einer erschließbaren offenen Zukunft schiebt. Das lässt schon erkennen, warum Gumbrecht mit dem Übergang in diese neue "epistemologische Umwelt" der Postmoderne den Stern der Begriffsgeschichte sinken sieht. Wo aus der Vergangenheit nicht mehr jene Momente gewonnen werden können, die auf eine anvisierte Zukunft weisen, da verliert auch das begriffsgeschichtliche Pochen auf Durchdringung des "Überlieferungsgeschehens" seine Überzeugungskraft und Dringlichkeit.
In diesen allgemeinen Grundriss trägt Gumbrecht jedoch auch einige speziellere Züge ein. Sie knüpfen sich an die "verdeckten Dimensionen" der Begriffsgeschichte, die für ihn im Rückblick hervortreten. Die erste besteht in einer institutionalisierten Unentschiedenheit zwischen der Fokussierung auf den sprachlichen Diskurs und der offengelassenen Möglichkeit, von ihm aus zur Sachgeschichte und den Dingen selbst vorzustoßen. Genau diese Hoffnung, mit Begriffen eine nichtsemantische Wirklichkeit erreichen zu können, sei mittlerweile zu Grabe getragen worden. Wiederbelebbar ist für Gumbrecht auch nicht die Selbstverständlichkeit, mit der das Bewusstmachen des Überlieferungsgeschehens zur unumgänglichen Voraussetzung geisteswissenschaftlicher Arbeit erklärt wurde. Und schließlich habe sich Begriffsgeschichte im Vertrauen auf Gadamers Diktum "Sein, das verstanden werden kann, ist Sprache" jenem Sein verschlossen, das gerade nicht Sprache werden kann.
Für den dritten Punkt der Diagnose führt Gumbrecht den programmatischen Ausschluss von Hans Blumenbergs "Metaphorologie" aus dem begriffsgeschichtlichen Unternehmen als "metonymisch" zu verstehenden Beleg an. Natürlich weiß er, dass es von Blumenbergs Aufmerksamkeit für die vor- und unbegrifflichen Präformierungen theoretischer Grundeinstellungen noch ein sehr langer Weg bis zum sprachlosen Geschehen ist. Blumenberg hat seine "Paradigmen zu einer Metaphorologie" von 1960 als Hilfestellung für die Begriffsgeschichte verstanden: eine Einschätzung, die auch durch den Umstand nicht widerlegt wird, dass er später eine "Theorie der Unbegrifflichkeit" anvisierte, für die Metaphern nur mehr ein schmaler Spezialfall sein sollten.
An dieser heiklen Stelle schickt Gumbrecht Anselm Haverkamp vor. Dessen auf Anhieb wenig plausible Einschätzung, dass die Metaphorologie Ritters philosophisches Wörterbuchprojekt "gesprengt" und insgesamt "erledigt" hätte, wird wohlwollend zitiert. Und in Haverkamps Worten wird auch der Verdacht eingeräumt, dass das Insistieren auf sprachlich vermitteltem Sinn einem Interesse des Latenthaltens der deutschen Geschichte entsprochen und damit für die Generation der Kriegsteilnehmer eine bequeme Versöhnungsmöglichkeit eröffnet habe.
Hier würde man dann aber doch lieber Gumbrecht selbst hören. Schon um seine abschließende Prognose einschätzen zu können, nach welcher der Metaphorologie als Beschäftigung mit dem nie ganz begrifflich Gegebenen die Zukunft gehört: In ihr "könnte die Tradition der begriffsgeschichtlichen Bewegung zugleich präsent bleiben und an ein Ende gekommen sein". Am demnächst erscheinenden "Wörterbuch der philosophischen Metaphern" wird man die Probe auf solche Erwartungen machen können.
HELMUT MAYER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Dieser Rückblick auf die großen begriffsgeschichtlichen Unternehmungen (Hans Ulrich Gumbrecht: "Dimensionen und Grenzen der Begriffsgeschichte". Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2006. 261 S., br., 26,90 [Euro]) beginnt mit einem elegisch schweifenden Blick über die in der eigenen Bibliothek griffbereiten Bände des "Historischen Wörterbuchs der Philosophie", der "Geschichtlichen Grundbegriffe", der "Ästhetischen Grundbegriffe" und einiger anderer Nachschlagewerke. "Vor allem aber sind diese Bände Pyramiden, weil, was einmal vielversprechende Zukunft war, mit ihrem redaktionellen Abschluss zur vergangenen Zukunft geworden ist - und starb."
Die Todesanzeige ist etwas missverständlich. Schließlich besteht jedes wissenschaftspolitische Projekt größeren Zuschnitts darin, vielversprechende Ankündigungen in viele gedruckte Bände umzusetzen. Tot wäre das in ihnen abgelegte Wissen wohl dann, wenn sie niemand verwenden würde, und darauf möchte Gumbrecht überhaupt nicht hinaus. Dass diese Bände höchst nützlich sind, unterliegt für ihn keinem Zweifel.
Was Gumbrecht mit seinen Überlegungen über "den schnellen Aufstieg, die unsichtbaren Dimensionen und das plötzliche Abebben der begriffsgeschichtlichen Bewegung" anvisiert, ist nicht weniger als eine Diagnose der intellektuellen Gegenwart. Die Karriere der deutschen Begriffsgeschichte von den fünfziger Jahren an soll dazu einige Aufschlüsse an die Hand geben: in einem Kontrastverfahren, das die programmatischen Absichten von Gründerfiguren wie Joachim Ritter und Reinhart Koselleck gegen ein heute vorherrschendes geisteswissenschaftliches Regime hält, dem die Anknüpfungspunkte für den von der Begriffsgeschichte kultivierten hermeneutischen Ehrgeiz verlorengegangen zu sein scheinen.
Die im Hintergrund stehende Gegenwartsdiagnose lautet in nuce: Ein spezifisch modernes historisches Bewusstsein, das vom Prozessideal subjektiver und kollektiver Emanzipation nicht zu trennen ist, wird abgelöst durch das Bewusstsein einer "breiten" Gegenwart von Simultaneitäten, in der die Überlagerung von Vergangenheiten sich vor den Horizont einer erschließbaren offenen Zukunft schiebt. Das lässt schon erkennen, warum Gumbrecht mit dem Übergang in diese neue "epistemologische Umwelt" der Postmoderne den Stern der Begriffsgeschichte sinken sieht. Wo aus der Vergangenheit nicht mehr jene Momente gewonnen werden können, die auf eine anvisierte Zukunft weisen, da verliert auch das begriffsgeschichtliche Pochen auf Durchdringung des "Überlieferungsgeschehens" seine Überzeugungskraft und Dringlichkeit.
In diesen allgemeinen Grundriss trägt Gumbrecht jedoch auch einige speziellere Züge ein. Sie knüpfen sich an die "verdeckten Dimensionen" der Begriffsgeschichte, die für ihn im Rückblick hervortreten. Die erste besteht in einer institutionalisierten Unentschiedenheit zwischen der Fokussierung auf den sprachlichen Diskurs und der offengelassenen Möglichkeit, von ihm aus zur Sachgeschichte und den Dingen selbst vorzustoßen. Genau diese Hoffnung, mit Begriffen eine nichtsemantische Wirklichkeit erreichen zu können, sei mittlerweile zu Grabe getragen worden. Wiederbelebbar ist für Gumbrecht auch nicht die Selbstverständlichkeit, mit der das Bewusstmachen des Überlieferungsgeschehens zur unumgänglichen Voraussetzung geisteswissenschaftlicher Arbeit erklärt wurde. Und schließlich habe sich Begriffsgeschichte im Vertrauen auf Gadamers Diktum "Sein, das verstanden werden kann, ist Sprache" jenem Sein verschlossen, das gerade nicht Sprache werden kann.
Für den dritten Punkt der Diagnose führt Gumbrecht den programmatischen Ausschluss von Hans Blumenbergs "Metaphorologie" aus dem begriffsgeschichtlichen Unternehmen als "metonymisch" zu verstehenden Beleg an. Natürlich weiß er, dass es von Blumenbergs Aufmerksamkeit für die vor- und unbegrifflichen Präformierungen theoretischer Grundeinstellungen noch ein sehr langer Weg bis zum sprachlosen Geschehen ist. Blumenberg hat seine "Paradigmen zu einer Metaphorologie" von 1960 als Hilfestellung für die Begriffsgeschichte verstanden: eine Einschätzung, die auch durch den Umstand nicht widerlegt wird, dass er später eine "Theorie der Unbegrifflichkeit" anvisierte, für die Metaphern nur mehr ein schmaler Spezialfall sein sollten.
An dieser heiklen Stelle schickt Gumbrecht Anselm Haverkamp vor. Dessen auf Anhieb wenig plausible Einschätzung, dass die Metaphorologie Ritters philosophisches Wörterbuchprojekt "gesprengt" und insgesamt "erledigt" hätte, wird wohlwollend zitiert. Und in Haverkamps Worten wird auch der Verdacht eingeräumt, dass das Insistieren auf sprachlich vermitteltem Sinn einem Interesse des Latenthaltens der deutschen Geschichte entsprochen und damit für die Generation der Kriegsteilnehmer eine bequeme Versöhnungsmöglichkeit eröffnet habe.
Hier würde man dann aber doch lieber Gumbrecht selbst hören. Schon um seine abschließende Prognose einschätzen zu können, nach welcher der Metaphorologie als Beschäftigung mit dem nie ganz begrifflich Gegebenen die Zukunft gehört: In ihr "könnte die Tradition der begriffsgeschichtlichen Bewegung zugleich präsent bleiben und an ein Ende gekommen sein". Am demnächst erscheinenden "Wörterbuch der philosophischen Metaphern" wird man die Probe auf solche Erwartungen machen können.
HELMUT MAYER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Mit diesem Buch blättere Hans-Ulrich Gumbrecht noch einmal das Kapitel Begriffsgeschichte auf, um es "historisch zu erledigen", konstatiert Rezensent Stephan Schlak nach Lektüre des Bands "Dimensionen und Grenzen der Begriffsgeschichte". Neu sind die hierin versammelten Texte nicht, es sind Gumbrechts Studien zu politischen und ästhetischen Grundbegriffen wie "Moderne", "Postmoderne" und "Philosophie" oder "Stil", "Ausdruck" und Maß". Am meisten Interesse weckt deshalb bei Schlak das Vorwort, das er mit dem Attribut "originell" belegt. Denn hier herrsche der "Sound der Sentimentalität": Die Begriffe, einst in Gumbrechts eigenen Worten "Pyramiden des Geistes", konnten ihr Versprechen nicht einlösen. Kurios mutet dem Rezensenten allerdings die Wehmut an, mit der sich Gumbrecht nun in einen Zustand "intellektueller Unschuld" zurücksehne, für dessen Naivität er einst die Herren der Hermeneutik gnadenlos gescholten habe. Auch dass Gumbrecht inzwischen auf "Formzwang und Maßideal" statt auf "allzu viel Sinn und theoretische Grübelei" setze, gibt Stephan Schlak Rätsel auf.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH