Der 'Discours de la méthode', 1637 anonym publiziert, gilt als das erste und wirkmächtigste Manifest des neuzeitlichen Rationalismus und wissenschaftlichen Methodenbewußtseins.Beachtenswerter noch als die von Descartes angeführten vier Regeln selbst, die er als die Grundregeln für die methodische Erlangung wahrer Erkenntnis heraushebt, erscheint aus heutiger Sicht die autobiographische Perspektive, aus der heraus der Autor das breite Publikum dafür gewinnen will, ihm auf seinem Wege zu folgen, der ihn zu der Entdeckung einer universalen wissenschaftlichen Methode und von lediglich auf die autonome Vernunft gegründeten metaphysischen Prinzipien aller Wissenschaften geführt habe.Die Neuausgabe bietet neben dem französischen Text und einer völlig neu erstellten deutschen Übersetzung die erstmals ins Deutsche übersetzte frühe Traumerzählung 'Olympica 'sowie den späten 'Brief an Picot', der 1647 der französischen Ausgabe der 'Principia philosophiae 'vorangestellt war - beide geben wichtige Zeugnisse der Selbsterläuterung Descartes' ab. Mit der Einbeziehung dieser Supplemente spannt der Band einen Bogen von Descartes' frühesten Texten von 1619 über den 'Discours 'von 1637 bis zu den 'Principes 'von 1647 und dokumentiert so die Stadien der Entwicklung seines Denkens.Die Einleitung des Herausgebers zielt auf den Nachvollzug und die Aufhellung, wie der programmatische Ansatz Descartes' »von außen« einzuschätzen ist, was die Entwicklung dieses Denkens »von innen« bestimmte - und was uns Descartes verschwieg.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.07.2011Träumen von der Wissenschaft
Er verausgabte sich so sehr, dass ihm das Feuer ins Gehirn stieg und er in eine Art von Begeisterung fiel, die seinen bereits niedergeschlagenen Geist in einer Weise belastete, dass er ihn in den Zustand versetzte, die Eindrücke von Träumen und Visionen zu empfangen." Eine Krankengeschichte also, wird der Leser denken, und offenbar eine recht alte. Und ganz falsch muss diese Einschätzung gar nicht sein. Selbst wenn die Träume und Visionen, von denen gleich darauf in diesem Text die Rede ist, nicht in Richtung Hospital weisen, sondern vielmehr eng mit einem wissenschaftlichen Reformprogramm von epochaler Wirkung verknüpft sind. Der Träumer ist der junge René Descartes, der im November 1619 im gut geheizten Zimmer wohl in Neuenburg an der Donau sitzt, dort die Grundzüge einer neuen wissenschaftlichen Methodik ersinnt und diese bald darauf in einer in Regeln gefassten - später unvollendet gelassenen - Anleitung zu Papier bringt.
Vom Inhalt dieser Träume berichtet Descartes' erster Biograph Adrien Baillet mit Verweis auf ein nicht erhaltenes Manuskript von Descartes' Hand, die sogenannten "Olympica". Baillets Referat findet man nun - eine Premiere im Rahmen der renommierten "Philosophischen Bibliothek" - im Anhang des von Christian Wohlers neu übersetzten "Discours de la méthode" (René Descartes: "Discours de la méthode". Französisch-Deutsch. Übersetzt und mit einer Einleitung von Christian Wohlers. Felix Meiner Verlag, Hamburg 2011. 218 S., br., 19,90 [Euro].) An Baillets Text hat die Forschung nie gezweifelt. Weshalb es tatsächlich, wie Christian Wohlers anmerkt, fast ein wenig überraschend ist, dass die Traumprotokolle nur eine recht überschaubare Literatur von Interpretationen hervorgebracht haben. Obwohl sie doch als Einladung gelten können, ein eingeschliffenes Bild vom "Vater der modernen Philosophie" zu attackieren, was wiederum zu bewährten Formen des Descartes-Bashing - als Vater aller modernen Entfremdungen des Geistes von der Natur, - eigentlich vorzüglich passen würde.
Vielleicht waren die Traumprotokolle dafür einfach zu enigmatisch, in gewisser Weise zu echt. Auch wenn der um Auskunft gebetene Sigmund Freud Zweifel genau daran durchblicken ließ. Die interessantere Frage mit Blick auf die "Olympica" mag ohnehin sein, warum Descartes eigentlich diesen Bericht niederschrieb, der doch mit seiner eigenen Darstellung des Durchbruchs zu einer neuen Grundlegung im Rückblick des "Discours" schwer zur Deckung zu bringen ist. Dort glaubt er eigens festhalten zu müssen, dass ihn damals weder Sorgen noch Leidenschaft plagten - wofür die "Olympica" wohl kaum der richtige Beleg sind.
Christian Wohlers versteht die Träume als Anstoß für Descartes' philosophisches Gründungsunternehmen. Man kann es sich freilich auch anderes zurechtlegen. Stephen Gaukroger gab dafür in einer Seitenbemerkung seiner magistralen Biographie ein hübsches Beispiel: Warum sollte sich Descartes' neue Methode nicht als Rationalisierung seiner glücklichen Erholung nach der offenbar durchlebten Krise verstehen lassen? Es wäre das kurz gesagt die These vom Ursprung moderner Wissenschaft aus dem Nervenzusammenbruch.
HELMUT MAYER
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Er verausgabte sich so sehr, dass ihm das Feuer ins Gehirn stieg und er in eine Art von Begeisterung fiel, die seinen bereits niedergeschlagenen Geist in einer Weise belastete, dass er ihn in den Zustand versetzte, die Eindrücke von Träumen und Visionen zu empfangen." Eine Krankengeschichte also, wird der Leser denken, und offenbar eine recht alte. Und ganz falsch muss diese Einschätzung gar nicht sein. Selbst wenn die Träume und Visionen, von denen gleich darauf in diesem Text die Rede ist, nicht in Richtung Hospital weisen, sondern vielmehr eng mit einem wissenschaftlichen Reformprogramm von epochaler Wirkung verknüpft sind. Der Träumer ist der junge René Descartes, der im November 1619 im gut geheizten Zimmer wohl in Neuenburg an der Donau sitzt, dort die Grundzüge einer neuen wissenschaftlichen Methodik ersinnt und diese bald darauf in einer in Regeln gefassten - später unvollendet gelassenen - Anleitung zu Papier bringt.
Vom Inhalt dieser Träume berichtet Descartes' erster Biograph Adrien Baillet mit Verweis auf ein nicht erhaltenes Manuskript von Descartes' Hand, die sogenannten "Olympica". Baillets Referat findet man nun - eine Premiere im Rahmen der renommierten "Philosophischen Bibliothek" - im Anhang des von Christian Wohlers neu übersetzten "Discours de la méthode" (René Descartes: "Discours de la méthode". Französisch-Deutsch. Übersetzt und mit einer Einleitung von Christian Wohlers. Felix Meiner Verlag, Hamburg 2011. 218 S., br., 19,90 [Euro].) An Baillets Text hat die Forschung nie gezweifelt. Weshalb es tatsächlich, wie Christian Wohlers anmerkt, fast ein wenig überraschend ist, dass die Traumprotokolle nur eine recht überschaubare Literatur von Interpretationen hervorgebracht haben. Obwohl sie doch als Einladung gelten können, ein eingeschliffenes Bild vom "Vater der modernen Philosophie" zu attackieren, was wiederum zu bewährten Formen des Descartes-Bashing - als Vater aller modernen Entfremdungen des Geistes von der Natur, - eigentlich vorzüglich passen würde.
Vielleicht waren die Traumprotokolle dafür einfach zu enigmatisch, in gewisser Weise zu echt. Auch wenn der um Auskunft gebetene Sigmund Freud Zweifel genau daran durchblicken ließ. Die interessantere Frage mit Blick auf die "Olympica" mag ohnehin sein, warum Descartes eigentlich diesen Bericht niederschrieb, der doch mit seiner eigenen Darstellung des Durchbruchs zu einer neuen Grundlegung im Rückblick des "Discours" schwer zur Deckung zu bringen ist. Dort glaubt er eigens festhalten zu müssen, dass ihn damals weder Sorgen noch Leidenschaft plagten - wofür die "Olympica" wohl kaum der richtige Beleg sind.
Christian Wohlers versteht die Träume als Anstoß für Descartes' philosophisches Gründungsunternehmen. Man kann es sich freilich auch anderes zurechtlegen. Stephen Gaukroger gab dafür in einer Seitenbemerkung seiner magistralen Biographie ein hübsches Beispiel: Warum sollte sich Descartes' neue Methode nicht als Rationalisierung seiner glücklichen Erholung nach der offenbar durchlebten Krise verstehen lassen? Es wäre das kurz gesagt die These vom Ursprung moderner Wissenschaft aus dem Nervenzusammenbruch.
HELMUT MAYER
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