Hailed as "America's finest realistic novelist” by the Boston Globe, Richard Yates, author of Revolutionary Road, garnered rare critical acclaim for his bracing, unsentimental portraits of middle-class American life. Disturbing the Peace is no exception. Haunting, troubling, and mesmerizing, it shines a brilliant, unwavering light into the darkest recesses of a man's psyche. To all appearances, John Wilder has all the trappings of success, circa 1960: a promising career in advertising, a loving family, a beautiful apartment, even a country home. John's evenings are spent with associates at quiet Manhattan lounges and his weekends with friends at glittering cocktail parties. But something deep within this seemingly perfect life has long since gone wrong. Something has disturbed John's fragile peace, and he can no longer find solace in fleeting affairs or alcohol. The anger, the drinking, and the recklessness are building to a crescendo—and they're about to take down John's career and his family. What happens next will send John on a long, strange journey—at once tragic and inevitable.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.04.2010Mad Man
Richard Yates’ Roman „Ruhestörung” schildert den Höllensturz eines New Yorker Werbers in den sechziger Jahren
Schon der Titel von Richard Yates’ Roman „Ruhestörung” („Disturbing the Peace”) ist purer Sarkasmus. Ob es nicht besser für ihn hier sei, als draußen durch die Straßen zu laufen, bis ihn die Polizei wegen Ruhestörung einbuchte, fragt der junge Arzt von der Nachtschicht. Als sei es wichtiger, die Nachtruhe friedlicher Bürger zu schützen, als einen Mann vor dem Höllensturz zu bewahren.
Denn mit „hier” ist gemeint: die Station für gewalttätige Männer in der geschlossenen Psychiatrie des Bellevue Hospital, in die John Wilder im Jahr 1961 eingeliefert wird, nachdem er sich nach einer Dienstreise nicht mehr nach Hause traut. Übernächtigt und volltrunken hockt er in einer Bar von Manhattan und ruft seine Frau Janice an, um ihr zu sagen, dass er in Chicago eine Kollegin aus der PR-Abteilung einer Whiskey-Brennerei „fünfmal gevögelt” hat. Jetzt fürchtet er, er könne Janice und seinen zehnjährigen Sohn Tommy umbringen, sobald die Wohnungstür hinter ihm zuschlägt.
John Wilder wird ganze fünf Tage im Bellevue verbringen, denn es ist das Labor-Day-Wochenende, und die Ärzte haben frei. Nach seiner Entlassung verspricht er, regelmäßig zu den Treffen der Anonymen Alkoholiker zu gehen und es mit einer Psychotherapie zu versuchen. Meistens jedoch verbringt er die Abende in irgendeiner Bar, und bei einem Psychiater bleibt er erst, als er einen gefunden hat, der ihm Psychopharmaka verschreibt, deren Wirkung die des Alkohols verdoppelt.
John Wilder ist 36 Jahre alt, er arbeitet als Anzeigenverkäufer beim American Scientist und ist in seinem Job sehr erfolgreich. Wilder hat ein Mickey-Rooney-Gesicht und imitiert den Hollywood-Schauspieler Alan Ladd nicht nur, was die Frisur betrifft. Denn auch Wilder träumt von einer Karriere beim Film, und er fühlt „Größe” in sich. Im Übrigen ist er ein Säufer und Frauenheld, ein Großmaul und unberechenbarer Choleriker. Und ein grimmiges Zerrbild des Autors Richard Yates, der ihn mit den schlimmsten Eigenschaften seiner selbst ausgestattet hat. Die alkoholischen Exzesse hat Yates (1926-1992) genauso erlebt wie die psychischen Zusammenbrüche. Auch er war wie Wilder ein selbstzerstörerischer Charakter, Drogen und Bourbon waren sein Fluch. Auch er hat sich wie Wilder in einem seiner schizoiden Schübe für Christus gehalten und, barfuß auf dem Highway laufend, den Inhalt seiner Brieftasche verstreut; auch er musste immer wieder in stationäre Behandlung. Doch während Yates seinen heillosen Helden immer tiefer in den Abgrund stürzen lässt, hoffte der Autor für sich selbst noch auf Rettung.
Denn im Roman porträtiert er sich noch in einer zweiten Figur, dem Schriftsteller Chester Pratt, der – wie Yates – mit einem furiosen Debütroman auf sich aufmerksam gemacht hat, dann – wie Yates – dem Alkohol verfiel, und – ebenfalls wie Yates – eine Zeitlang im Justizministerium als Redenschreiber für Robert Kennedy tätig war. Dieser Pratt ist Wilders Nebenbuhler, lange kann sich dessen junge Freundin Pam nicht zwischen beiden Männern entscheiden. Doch im Gegensatz zu Wilder gelingt es Pratt, trocken zu werden. Am Ende sehen wir ihn in einem hübschen kleinen Haus in den Hollywood Hills, wo er voller Zuversicht an seinem zweiten Roman arbeitet und sich nach getaner Arbeit ein Gläschen Coca Cola gönnt. Chester Pratt sticht Wilder nicht nur bei Pam aus, er wird ihm noch eine andere Demütigung zufügen.
Wilder ist ein paar Jahre nach seinem ersten Zusammenbruch nach Hollywood gekommen, um Koproduzenten für den Film zu finden, den ein paar ambitionierte Jungfilmer über seine Zeit im Bellevue gedreht, aber nie fertiggestellt haben. Doch Wilders Partner meint, man müsste das Material erweitern und die Hauptfigur ausbauen, und er drückt das so aus: „Ich würde sagen, er soll komplett verrückt werden. Wir löschen ihn aus.” Beim Nachdenken entsteht das Bild eines unglücklich verheirateten Familienvaters, der einem gut bezahlten, aber sinnlosen Job in der Werbebranche nachgeht. Als einziger am Tisch weiß Wilder, wie nahe diese Idee der Wirklichkeit kommt, ohne jedoch zu ahnen, wie prophetisch die Auflösung ist. Das Drehbuch soll kein anderer schreiben als sein Rivale Chester Pratt.
Hier nimmt die Geschichte eine für Richard Yates typische Wendung, wie man sie aus seinem Suburbia-Klassiker „Zeiten des Aufruhrs” kennt. Die Produzenten halten die Idee, einen unglücklichen Werbemenschen verrückt werden zu lassen, für zu klischeehaft. Aber offensichtlich ist das wahre Leben noch viel klischeehafter als das Kino. Und darin liegt die bitterböse Ironie, für die John Wilders Schizophrenie nur ein Ausdruck ist. Denn er begehrt ja nur gegen den amerikanischen Traum auf, weil er für ihn nicht in Erfüllung zu gehen scheint; den Traum selbst stellt er nicht in Frage, er identifiziert sich vielmehr bis zur Selbstzerstörung mit dem Erfolgsdenken, das perfekt von John F. Kennedy verkörpert wird. Erst als ihm Pam, die reich, jung und schön ist wie die Stilikone Jackie Kennedy und auch noch so aussieht wie sie, nicht mehr das Gefühl geben kann, selbst dieser Mann zu sein, beginnt er, Kennedy zu hassen und behauptet, er sei der Mann gewesen, der in Dallas auf den Präsidenten geschossen hat.
Dunkel ahnt Wilder die Doppelmoral der amerikanischen Gesellschaft, die er jedoch nicht durchschaut. Für seine Kunden aus der Spirituosenbranche etwa formuliert Wilder den Grundsatz, dass der American Scientist seine Leser nie frage, was sie trinken und wie viel. Alkohol ist eine akzeptierte Droge, und wenn einer wie Wilder sie nicht verträgt, dann ist er das Problem, nicht sein Drink.
Was ihn an dem Film über Wilders Aufenthalt im Bellevue störe, sagt dessen Hollywood-Partner einmal, sei, dass die Hauptfigur zu schemenhaft bleibe, nicht greifbar werde. Yates’ Roman leidet unter dem entgegengesetzten Problem: Er hat nur eine einzige Figur, die nicht schemenhaft ist, nämlich John Wilder. Die Erfolglosigkeit des Buches sowie aller späteren, von denen kein einziges mehr lieferbar war, als Yates 1992 starb, dürfte jedoch einen anderen Grund haben.
Als Richard Yates’ erster Roman „Revolutionary Road” („Zeiten des Aufruhrs”) 1961 erschien, war der Autor eine Hoffnung. Doch er brauchte acht Jahre, bis sein nächstes Buch fertig war. „A Special Providence”, das unter dem Titel „Eine besondere Vorsehung” vor zwei Jahren erstmals auf Deutsch erschien, ist ein schöner Roman, aber er ist ein Werk der Festigung eines Talents, der nichts Neues brachte. Danach vergingen wieder fünf Jahre, bis Yates’ „Ruhestörung” vorlegte. Das war 1975, und niemand wollte eine Geschichte lesen, die Anfang der Sechziger spielt. Als das Buch herauskam, war es unzeitgemäß, denn die Gesellschaft hatte bereits den Umbruch hinter sich, den Yates anmahnt. Die Ordnung, gegen die sich sein Held nur blindwütig und begriffslos auflehnt, um seinen Protest letztlich gegen sich selbst zu richten, galt als überwunden, Widerspruch war nicht opportun.
Um so interessanter ist das Buch heute, da die Fernsehserie „Mad Men” Kultstatus genießt, weil sie zeigt, wie stark der Konformismus sein muss, um eine Rebellion heraufzubeschwören. „Ruhestörung” ist so etwas wie das Buch zur Serie, die ja ebenfalls in den Kennedy-Jahren, in denen sich der Umbruch vorbereitete, in einer Werbeagentur der Madison Avenue spielt. Der Vorspann der Serie zeigt ihren Helden, der so mittelmäßig ist wie John Wilder, in freiem Fall. Er stürzt vom Dach eines Hochhauses in die Schluchten von Manhattan, vorbei an haushohen Billboards, auf denen seine Dämonen zu sehen sind: eine Frau in einem enganliegenden Cocktailkleid und ein riesiger Whiskey-Tumbler. Doch anstatt auf dem Pflaster aufzuschlagen, landet er wundersam weich und sicher in einem Clubsessel. Richard Yates übersetzt in seinem Absturz-Roman „Ruhestörung” diese Fallhöhe so: Als Wilder im Wahn einen Pfleger anfleht, ihn sterben zu lassen, gibt dieser zur Antwort: „Auf keinen Fall. Das verdienen Sie nicht. Wir haben uns was Schlimmeres für Sie ausgedacht, Mr. Wilder. Etwas viel, viel Schlimmeres. Sie werden leben.” CHRISTOPHER SCHMIDT
RICHARD YATES: Ruhestörung. Roman. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2010. 300 Seiten, 19,95 Euro.
Richard Yates hetzte seine eigenen Dämonen auf die Hauptfigur seines dritten Romans
„Die traute Zweisamkeit eines Mannes mit seinem Lieblingsdrink ist seine Privatangelegenheit”
Frauen, Drinks und überquellende Aschenbecher: Der smarte Company Man Don Draper (gespielt von John Hamm) aus der amerikanischen Kultserie „Mad Men” ist so etwas wie das Alter Ego des verzweifelten Werbemenschen, von dem Richard Yates erzählt. Foto: action press/Everett Collection, Inc.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Richard Yates’ Roman „Ruhestörung” schildert den Höllensturz eines New Yorker Werbers in den sechziger Jahren
Schon der Titel von Richard Yates’ Roman „Ruhestörung” („Disturbing the Peace”) ist purer Sarkasmus. Ob es nicht besser für ihn hier sei, als draußen durch die Straßen zu laufen, bis ihn die Polizei wegen Ruhestörung einbuchte, fragt der junge Arzt von der Nachtschicht. Als sei es wichtiger, die Nachtruhe friedlicher Bürger zu schützen, als einen Mann vor dem Höllensturz zu bewahren.
Denn mit „hier” ist gemeint: die Station für gewalttätige Männer in der geschlossenen Psychiatrie des Bellevue Hospital, in die John Wilder im Jahr 1961 eingeliefert wird, nachdem er sich nach einer Dienstreise nicht mehr nach Hause traut. Übernächtigt und volltrunken hockt er in einer Bar von Manhattan und ruft seine Frau Janice an, um ihr zu sagen, dass er in Chicago eine Kollegin aus der PR-Abteilung einer Whiskey-Brennerei „fünfmal gevögelt” hat. Jetzt fürchtet er, er könne Janice und seinen zehnjährigen Sohn Tommy umbringen, sobald die Wohnungstür hinter ihm zuschlägt.
John Wilder wird ganze fünf Tage im Bellevue verbringen, denn es ist das Labor-Day-Wochenende, und die Ärzte haben frei. Nach seiner Entlassung verspricht er, regelmäßig zu den Treffen der Anonymen Alkoholiker zu gehen und es mit einer Psychotherapie zu versuchen. Meistens jedoch verbringt er die Abende in irgendeiner Bar, und bei einem Psychiater bleibt er erst, als er einen gefunden hat, der ihm Psychopharmaka verschreibt, deren Wirkung die des Alkohols verdoppelt.
John Wilder ist 36 Jahre alt, er arbeitet als Anzeigenverkäufer beim American Scientist und ist in seinem Job sehr erfolgreich. Wilder hat ein Mickey-Rooney-Gesicht und imitiert den Hollywood-Schauspieler Alan Ladd nicht nur, was die Frisur betrifft. Denn auch Wilder träumt von einer Karriere beim Film, und er fühlt „Größe” in sich. Im Übrigen ist er ein Säufer und Frauenheld, ein Großmaul und unberechenbarer Choleriker. Und ein grimmiges Zerrbild des Autors Richard Yates, der ihn mit den schlimmsten Eigenschaften seiner selbst ausgestattet hat. Die alkoholischen Exzesse hat Yates (1926-1992) genauso erlebt wie die psychischen Zusammenbrüche. Auch er war wie Wilder ein selbstzerstörerischer Charakter, Drogen und Bourbon waren sein Fluch. Auch er hat sich wie Wilder in einem seiner schizoiden Schübe für Christus gehalten und, barfuß auf dem Highway laufend, den Inhalt seiner Brieftasche verstreut; auch er musste immer wieder in stationäre Behandlung. Doch während Yates seinen heillosen Helden immer tiefer in den Abgrund stürzen lässt, hoffte der Autor für sich selbst noch auf Rettung.
Denn im Roman porträtiert er sich noch in einer zweiten Figur, dem Schriftsteller Chester Pratt, der – wie Yates – mit einem furiosen Debütroman auf sich aufmerksam gemacht hat, dann – wie Yates – dem Alkohol verfiel, und – ebenfalls wie Yates – eine Zeitlang im Justizministerium als Redenschreiber für Robert Kennedy tätig war. Dieser Pratt ist Wilders Nebenbuhler, lange kann sich dessen junge Freundin Pam nicht zwischen beiden Männern entscheiden. Doch im Gegensatz zu Wilder gelingt es Pratt, trocken zu werden. Am Ende sehen wir ihn in einem hübschen kleinen Haus in den Hollywood Hills, wo er voller Zuversicht an seinem zweiten Roman arbeitet und sich nach getaner Arbeit ein Gläschen Coca Cola gönnt. Chester Pratt sticht Wilder nicht nur bei Pam aus, er wird ihm noch eine andere Demütigung zufügen.
Wilder ist ein paar Jahre nach seinem ersten Zusammenbruch nach Hollywood gekommen, um Koproduzenten für den Film zu finden, den ein paar ambitionierte Jungfilmer über seine Zeit im Bellevue gedreht, aber nie fertiggestellt haben. Doch Wilders Partner meint, man müsste das Material erweitern und die Hauptfigur ausbauen, und er drückt das so aus: „Ich würde sagen, er soll komplett verrückt werden. Wir löschen ihn aus.” Beim Nachdenken entsteht das Bild eines unglücklich verheirateten Familienvaters, der einem gut bezahlten, aber sinnlosen Job in der Werbebranche nachgeht. Als einziger am Tisch weiß Wilder, wie nahe diese Idee der Wirklichkeit kommt, ohne jedoch zu ahnen, wie prophetisch die Auflösung ist. Das Drehbuch soll kein anderer schreiben als sein Rivale Chester Pratt.
Hier nimmt die Geschichte eine für Richard Yates typische Wendung, wie man sie aus seinem Suburbia-Klassiker „Zeiten des Aufruhrs” kennt. Die Produzenten halten die Idee, einen unglücklichen Werbemenschen verrückt werden zu lassen, für zu klischeehaft. Aber offensichtlich ist das wahre Leben noch viel klischeehafter als das Kino. Und darin liegt die bitterböse Ironie, für die John Wilders Schizophrenie nur ein Ausdruck ist. Denn er begehrt ja nur gegen den amerikanischen Traum auf, weil er für ihn nicht in Erfüllung zu gehen scheint; den Traum selbst stellt er nicht in Frage, er identifiziert sich vielmehr bis zur Selbstzerstörung mit dem Erfolgsdenken, das perfekt von John F. Kennedy verkörpert wird. Erst als ihm Pam, die reich, jung und schön ist wie die Stilikone Jackie Kennedy und auch noch so aussieht wie sie, nicht mehr das Gefühl geben kann, selbst dieser Mann zu sein, beginnt er, Kennedy zu hassen und behauptet, er sei der Mann gewesen, der in Dallas auf den Präsidenten geschossen hat.
Dunkel ahnt Wilder die Doppelmoral der amerikanischen Gesellschaft, die er jedoch nicht durchschaut. Für seine Kunden aus der Spirituosenbranche etwa formuliert Wilder den Grundsatz, dass der American Scientist seine Leser nie frage, was sie trinken und wie viel. Alkohol ist eine akzeptierte Droge, und wenn einer wie Wilder sie nicht verträgt, dann ist er das Problem, nicht sein Drink.
Was ihn an dem Film über Wilders Aufenthalt im Bellevue störe, sagt dessen Hollywood-Partner einmal, sei, dass die Hauptfigur zu schemenhaft bleibe, nicht greifbar werde. Yates’ Roman leidet unter dem entgegengesetzten Problem: Er hat nur eine einzige Figur, die nicht schemenhaft ist, nämlich John Wilder. Die Erfolglosigkeit des Buches sowie aller späteren, von denen kein einziges mehr lieferbar war, als Yates 1992 starb, dürfte jedoch einen anderen Grund haben.
Als Richard Yates’ erster Roman „Revolutionary Road” („Zeiten des Aufruhrs”) 1961 erschien, war der Autor eine Hoffnung. Doch er brauchte acht Jahre, bis sein nächstes Buch fertig war. „A Special Providence”, das unter dem Titel „Eine besondere Vorsehung” vor zwei Jahren erstmals auf Deutsch erschien, ist ein schöner Roman, aber er ist ein Werk der Festigung eines Talents, der nichts Neues brachte. Danach vergingen wieder fünf Jahre, bis Yates’ „Ruhestörung” vorlegte. Das war 1975, und niemand wollte eine Geschichte lesen, die Anfang der Sechziger spielt. Als das Buch herauskam, war es unzeitgemäß, denn die Gesellschaft hatte bereits den Umbruch hinter sich, den Yates anmahnt. Die Ordnung, gegen die sich sein Held nur blindwütig und begriffslos auflehnt, um seinen Protest letztlich gegen sich selbst zu richten, galt als überwunden, Widerspruch war nicht opportun.
Um so interessanter ist das Buch heute, da die Fernsehserie „Mad Men” Kultstatus genießt, weil sie zeigt, wie stark der Konformismus sein muss, um eine Rebellion heraufzubeschwören. „Ruhestörung” ist so etwas wie das Buch zur Serie, die ja ebenfalls in den Kennedy-Jahren, in denen sich der Umbruch vorbereitete, in einer Werbeagentur der Madison Avenue spielt. Der Vorspann der Serie zeigt ihren Helden, der so mittelmäßig ist wie John Wilder, in freiem Fall. Er stürzt vom Dach eines Hochhauses in die Schluchten von Manhattan, vorbei an haushohen Billboards, auf denen seine Dämonen zu sehen sind: eine Frau in einem enganliegenden Cocktailkleid und ein riesiger Whiskey-Tumbler. Doch anstatt auf dem Pflaster aufzuschlagen, landet er wundersam weich und sicher in einem Clubsessel. Richard Yates übersetzt in seinem Absturz-Roman „Ruhestörung” diese Fallhöhe so: Als Wilder im Wahn einen Pfleger anfleht, ihn sterben zu lassen, gibt dieser zur Antwort: „Auf keinen Fall. Das verdienen Sie nicht. Wir haben uns was Schlimmeres für Sie ausgedacht, Mr. Wilder. Etwas viel, viel Schlimmeres. Sie werden leben.” CHRISTOPHER SCHMIDT
RICHARD YATES: Ruhestörung. Roman. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2010. 300 Seiten, 19,95 Euro.
Richard Yates hetzte seine eigenen Dämonen auf die Hauptfigur seines dritten Romans
„Die traute Zweisamkeit eines Mannes mit seinem Lieblingsdrink ist seine Privatangelegenheit”
Frauen, Drinks und überquellende Aschenbecher: Der smarte Company Man Don Draper (gespielt von John Hamm) aus der amerikanischen Kultserie „Mad Men” ist so etwas wie das Alter Ego des verzweifelten Werbemenschen, von dem Richard Yates erzählt. Foto: action press/Everett Collection, Inc.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.07.2010Und der Haifisch, der hat Pläne
Richard Yates ist die wichtigste Wiederentdeckung der amerikanischen Literatur: Mit seinem autobiographisch eingeschwärzten Trinker-Drama "Ruhestörung" liegt ein weiteres Hauptwerk erstmals auf Deutsch vor.
Vorgeplänkel gibt es bei diesem Autor nicht. Es ist, als würde eine Faust aus dem Buch kommen und den Leser hineinziehen: "Im Spätsommer 1960 begann für Janice Wilder alles schiefzugehen. Und das Schlimmste daran war, sagte sie später immer wieder, das Schreckliche daran war, dass es aus heiterem Himmel zu geschehen schien."
Was ist geschehen? John Wilder war eine Woche auf "Geschäftsreise". Er hat durchgesoffen, kaum geschlafen und mit seinem Leben gehadert. Jetzt sitzt er am Flughafen La Guardia in einer Kneipe und trinkt weiter. Von dort ruft er seine Frau an: Er könne nicht nach Hause kommen. Aber warum denn nicht, Schatz? Weil er Angst habe, dass er sie dann umbringen würde, sie und den Jungen. Und weil er eine kleine, schmuddelige Affäre hatte, mit der PR-Frau aus einer Whisky-Brennerei. Nach "heiterem Himmel" klingt das alles nicht.
Auf Rat eines Freundes lässt Wilder sich ins psychiatrische Krankenhaus "Bellevue" einweisen. Er landet auf der geschlossenen Abteilung für gewalttätige Männer; es wird ein Horrortrip. Denn gerade beginnt das Labour-Day-Wochenende, und alle Ärzte haben frei. Bis Wilder endlich untersucht wird, vergeht fast eine Woche - Zeit für fünfzig Seiten Grenzerfahrungen unter Süchtigen, Verwirrten, "Clowns in Zwangsjacken". Dieser Roman ist eine Tragödie, die bereits sehr abschüssig mit dem vierten Akt einsetzt.
Als Richard Yates 1992 starb, war sein Werk fast vergessen. Inzwischen zählt er zu den großen Autoren des zwanzigsten Jahrhunderts. Auch hierzulande werden Bücher wie "Easter Parade", der grandiose Roman zweier Schwestern, als Darstellungen des amerikanischen Durchschnittslebens gerühmt. "Revolutionary Road" aus dem Jahr 1961, eine fulminante Demontage der Vorstadtidylle, ist inzwischen durch eine mäßige Verfilmung mit Kate Winslet und Leonardo DiCaprio breitenwirksam ins Gespräch gekommen.
Unzufrieden sind sie alle, die Figuren dieses Schriftstellers. Sie gleichen ihr Leben ab mit den Glücksschablonen von Hollywood und kommen zu keinem guten Ergebnis; die Wirklichkeit hinkt ihren Träumen abgeschlagen hinterher. Zum Mythos Yates gehört die Alkoholkrankheit. Zu viel getrunken wird in allen seinen Büchern. Heute liest man solche Passagen, als würde in Wagners "Ring" das Todesmotiv erklingen. Deshalb besitzt heute auch Yates' dritter Roman "Ruhestörung" eine ganz andere Wucht als 1975, als man sich über vermeintliche Konstruktionsschwächen und vor allem die unsympathische Hauptfigur mokierte.
Tatsächlich muss man lange suchen, um einen ähnlich unangenehmen und gerade deshalb auch wieder faszinierenden "Helden" zu finden. Wilder (der Name ist Programm) hat diese kaum zu kontrollierenden Impulse der Aggression. Wilder gehört nicht zu jenen überlebensgroßen Heroen des Suffs (wie Malcolm Lowrys Konsul Geoffrey Firmin), deren Kaputtheit mit einem Mehrwert an Lebensphilosophie einhergeht und ins Metaphysische reicht. Er ist nur ein Angestellter, in dem die Lebenswut kocht. Seine Schwächen schmerzen ihn wie Wunden: die Kleinwüchsigkeit, die lächerliche Unfähigkeit beim Schwimmen oder die leichte Legasthenie, die ihm das Lesen verleidet hat. Aus Gründen der Kompensation hat er eine Passion für den Film entwickelt; er hat alles gesehen, er kennt sich aus, er wäre am liebsten Filmproduzent geworden. Wie zum Hohn spannt Yates diesen Mann mit einer Ehefrau von patenter Durchschnittlichkeit zusammen.
Nach der Rückkehr aus "Bellevue" besucht er Treffen der Anonymen Alkoholiker - aber er ist nicht demütig genug, um sich deren Beichtpraxis und euphorischer Zerknirschung anzuschließen. Auch die Sitzungen beim Psychologen nehmen einen ungünstigen Verlauf: Immer wenn Wilder an die Schmerzpunkte seiner Biographie kommt, tönt es zuverlässig vom Therapeuten: "Mr. Wilder, ich fürchte, unsere Zeit ist jetzt um." Dieses "fürchte" ist schon sehr gut. Natürlich bekommt Wilder da wieder einen seiner Ausbrüche von "Feindseligkeit". Dabei ist er ein Sohn des von Anstand und Ambition geprägten Mittelstands. Die Eltern haben es in monomaner Konzentration auf ihre Geschäftsidee (feine Pralinen) zu etwas gebracht: "Man kann verdammt noch mal keinen amerikanischen Supermarkt mehr betreten, ohne mit einem dieser großkotzigen Drehgestelle zusammenzustoßen: ,Marjorie Wilders Pralinen'", schimpft der verlorene Sohn. In einer atemberaubenden Szene wird er tatsächlich mit einem der familiären Drehgestelle kollidieren.
Im Mittelteil des Romans kommt unverhofft eine Aufwärtsbewegung in Gang. Eigentlich ist Wilder ja auch alles andere als ein aussichtsloser Fall; in seiner Werbeagentur gehört er zu den Besten. Für ihn aber ist das alles eine Nummer zu klein. Und plötzlich scheinen seine alten Filmträume wahr zu werden. Seine neue Geliebte Pamela teilt die Kinoleidenschaft mit ihm und bestärkt ihn in der Idee, über seine Bellevue-Erfahrung einen Kunstfilm zu drehen. Pamela hat Kontakte; der Weg führt von Filmstudentenkreisen bis nach Hollywood. Es scheint die große Wende zu sein. Aber da wir den vierten Akt schon zu Anfang hatten, kommt die Katastrophe umso rapider. Das Filmprojekt stagniert, im Gegensatz zu Wilders eskalierendem Alkohol- und Tablettenmissbrauch.
Genau werden die Stadien des Verfalls beschrieben, etwa der Ekel vor dem Essen, als Wilder in einem Restaurant vor einem obszön großen Steak und einer gewaltigen Ofenkartoffel sitzt und schon den ersten Bissen nicht herunterbekommt. Auch wenn der Roman in der dritten Person erzählt ist, hält er sich zumeist doch an Wilders Wahrnehmung. So werden im außerordentlich starken Schlussdrittel Desorientierung und Filmriss zu narrativen Prinzipien. Der Leser erwacht mit Wilder nach einem Zusammenbruch an ungewohntem Ort: "Er war nackt und lag um sich schlagend in einem Krankenhausbett, drei oder vier weiß gewandete Menschen beugten sich über ihn, hielten ihn fest und versuchten, ihm etwas in den Arm zu stechen. Eine von ihnen war eine junge Krankenschwester, deren linke Brust vor seinem Auge hing. Er biss hinein und sie sagte ,Au', so leise, als würde ihr die Schwesternausbildung absolute Zurückhaltung gebieten." Lässt sich Wilders latenter Haifisch-Charakter kurioser verdeutlichen?
Der feste Boden entgleitet; die Realität wird löchrig. Die paranoiden Schübe, der Durchbruch des schizophrenen Wahns, die Erlöserphantasien - all das wird nicht behauptet, sondern vergegenwärtigt. Yates beherrscht die Kunst, Lieblosigkeit und scheiternde Kommunikation im Umgang nah vertrauter Menschen darzustellen, in einem unaufgeregten, präzisen Erzählton, dessen trockene Pointen die Übersetzung von Anette Grube gut vermittelt. Die meisterhafte Lakonik macht sich in vielen kleinen Szenen geltend, etwa bei den Auftritten von Wilders Sohn Tommy, der um seine Kindheit nicht zu beneiden ist. Außer "Okay, Dad" hören wir wenig von ihm - aber das reicht, um vieles anzudeuten.
Ebenso unaufdringlich wie markant ist der Roman eingebettet in den historischen Hintergrund, die sechziger Jahre. Mit ungewohnter Empathie reagiert Wilder auf die Nachricht von der Ermordung Kennedys, später wird er sich gar mit dem Attentäter verwechseln.
Der literarische Realismus, den dieser Autor seit "Revolutionary Road" unbeirrt verfolgte, galt um 1970 als überholt. Yates verachtete seinerseits die angesagten Bücher der Postmodernen: schwerverdauliches Zeug, voller intellektueller Puzzlespiele und Oberseminarwitzigkeit; emotional leer, Literatur, die nicht "gefühlt" ist. Trotzdem hat Yates in "Ruhestörung" mit dem Filmmotiv selbst einige metafiktionale Volten und Spiegelfunktionen eingebaut - was in diesem Fall die bittere existentielle Ironie aber nur noch steigert: Wilders Leben wird zur tragischen Farce. Er lebt nach, was ein rasch angeheuerter Drehbuchautor aus dem Handgelenk als weiteren Handlungsverlauf für sein autobiographisches "Bellevue"-Projekt skizziert hatte. Sogar die Heilanstalt, die der Hollywood-Schreiber fürs Finale vorgesehen hatte, ist dieselbe, in der Wilder am Ende als Dauerpatient hinlebt. Der Drehbuchentwurf war vom Produzenten abgelehnt worden: zu klischeehaft. Die Realität schert sich nicht um solche Geschmackseinwände.
WOLFGANG SCHNEIDER
Richard Yates: "Ruhestörung". Roman. Aus dem Englischen von Anette Grube. DVA, München 2010, 315 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Richard Yates ist die wichtigste Wiederentdeckung der amerikanischen Literatur: Mit seinem autobiographisch eingeschwärzten Trinker-Drama "Ruhestörung" liegt ein weiteres Hauptwerk erstmals auf Deutsch vor.
Vorgeplänkel gibt es bei diesem Autor nicht. Es ist, als würde eine Faust aus dem Buch kommen und den Leser hineinziehen: "Im Spätsommer 1960 begann für Janice Wilder alles schiefzugehen. Und das Schlimmste daran war, sagte sie später immer wieder, das Schreckliche daran war, dass es aus heiterem Himmel zu geschehen schien."
Was ist geschehen? John Wilder war eine Woche auf "Geschäftsreise". Er hat durchgesoffen, kaum geschlafen und mit seinem Leben gehadert. Jetzt sitzt er am Flughafen La Guardia in einer Kneipe und trinkt weiter. Von dort ruft er seine Frau an: Er könne nicht nach Hause kommen. Aber warum denn nicht, Schatz? Weil er Angst habe, dass er sie dann umbringen würde, sie und den Jungen. Und weil er eine kleine, schmuddelige Affäre hatte, mit der PR-Frau aus einer Whisky-Brennerei. Nach "heiterem Himmel" klingt das alles nicht.
Auf Rat eines Freundes lässt Wilder sich ins psychiatrische Krankenhaus "Bellevue" einweisen. Er landet auf der geschlossenen Abteilung für gewalttätige Männer; es wird ein Horrortrip. Denn gerade beginnt das Labour-Day-Wochenende, und alle Ärzte haben frei. Bis Wilder endlich untersucht wird, vergeht fast eine Woche - Zeit für fünfzig Seiten Grenzerfahrungen unter Süchtigen, Verwirrten, "Clowns in Zwangsjacken". Dieser Roman ist eine Tragödie, die bereits sehr abschüssig mit dem vierten Akt einsetzt.
Als Richard Yates 1992 starb, war sein Werk fast vergessen. Inzwischen zählt er zu den großen Autoren des zwanzigsten Jahrhunderts. Auch hierzulande werden Bücher wie "Easter Parade", der grandiose Roman zweier Schwestern, als Darstellungen des amerikanischen Durchschnittslebens gerühmt. "Revolutionary Road" aus dem Jahr 1961, eine fulminante Demontage der Vorstadtidylle, ist inzwischen durch eine mäßige Verfilmung mit Kate Winslet und Leonardo DiCaprio breitenwirksam ins Gespräch gekommen.
Unzufrieden sind sie alle, die Figuren dieses Schriftstellers. Sie gleichen ihr Leben ab mit den Glücksschablonen von Hollywood und kommen zu keinem guten Ergebnis; die Wirklichkeit hinkt ihren Träumen abgeschlagen hinterher. Zum Mythos Yates gehört die Alkoholkrankheit. Zu viel getrunken wird in allen seinen Büchern. Heute liest man solche Passagen, als würde in Wagners "Ring" das Todesmotiv erklingen. Deshalb besitzt heute auch Yates' dritter Roman "Ruhestörung" eine ganz andere Wucht als 1975, als man sich über vermeintliche Konstruktionsschwächen und vor allem die unsympathische Hauptfigur mokierte.
Tatsächlich muss man lange suchen, um einen ähnlich unangenehmen und gerade deshalb auch wieder faszinierenden "Helden" zu finden. Wilder (der Name ist Programm) hat diese kaum zu kontrollierenden Impulse der Aggression. Wilder gehört nicht zu jenen überlebensgroßen Heroen des Suffs (wie Malcolm Lowrys Konsul Geoffrey Firmin), deren Kaputtheit mit einem Mehrwert an Lebensphilosophie einhergeht und ins Metaphysische reicht. Er ist nur ein Angestellter, in dem die Lebenswut kocht. Seine Schwächen schmerzen ihn wie Wunden: die Kleinwüchsigkeit, die lächerliche Unfähigkeit beim Schwimmen oder die leichte Legasthenie, die ihm das Lesen verleidet hat. Aus Gründen der Kompensation hat er eine Passion für den Film entwickelt; er hat alles gesehen, er kennt sich aus, er wäre am liebsten Filmproduzent geworden. Wie zum Hohn spannt Yates diesen Mann mit einer Ehefrau von patenter Durchschnittlichkeit zusammen.
Nach der Rückkehr aus "Bellevue" besucht er Treffen der Anonymen Alkoholiker - aber er ist nicht demütig genug, um sich deren Beichtpraxis und euphorischer Zerknirschung anzuschließen. Auch die Sitzungen beim Psychologen nehmen einen ungünstigen Verlauf: Immer wenn Wilder an die Schmerzpunkte seiner Biographie kommt, tönt es zuverlässig vom Therapeuten: "Mr. Wilder, ich fürchte, unsere Zeit ist jetzt um." Dieses "fürchte" ist schon sehr gut. Natürlich bekommt Wilder da wieder einen seiner Ausbrüche von "Feindseligkeit". Dabei ist er ein Sohn des von Anstand und Ambition geprägten Mittelstands. Die Eltern haben es in monomaner Konzentration auf ihre Geschäftsidee (feine Pralinen) zu etwas gebracht: "Man kann verdammt noch mal keinen amerikanischen Supermarkt mehr betreten, ohne mit einem dieser großkotzigen Drehgestelle zusammenzustoßen: ,Marjorie Wilders Pralinen'", schimpft der verlorene Sohn. In einer atemberaubenden Szene wird er tatsächlich mit einem der familiären Drehgestelle kollidieren.
Im Mittelteil des Romans kommt unverhofft eine Aufwärtsbewegung in Gang. Eigentlich ist Wilder ja auch alles andere als ein aussichtsloser Fall; in seiner Werbeagentur gehört er zu den Besten. Für ihn aber ist das alles eine Nummer zu klein. Und plötzlich scheinen seine alten Filmträume wahr zu werden. Seine neue Geliebte Pamela teilt die Kinoleidenschaft mit ihm und bestärkt ihn in der Idee, über seine Bellevue-Erfahrung einen Kunstfilm zu drehen. Pamela hat Kontakte; der Weg führt von Filmstudentenkreisen bis nach Hollywood. Es scheint die große Wende zu sein. Aber da wir den vierten Akt schon zu Anfang hatten, kommt die Katastrophe umso rapider. Das Filmprojekt stagniert, im Gegensatz zu Wilders eskalierendem Alkohol- und Tablettenmissbrauch.
Genau werden die Stadien des Verfalls beschrieben, etwa der Ekel vor dem Essen, als Wilder in einem Restaurant vor einem obszön großen Steak und einer gewaltigen Ofenkartoffel sitzt und schon den ersten Bissen nicht herunterbekommt. Auch wenn der Roman in der dritten Person erzählt ist, hält er sich zumeist doch an Wilders Wahrnehmung. So werden im außerordentlich starken Schlussdrittel Desorientierung und Filmriss zu narrativen Prinzipien. Der Leser erwacht mit Wilder nach einem Zusammenbruch an ungewohntem Ort: "Er war nackt und lag um sich schlagend in einem Krankenhausbett, drei oder vier weiß gewandete Menschen beugten sich über ihn, hielten ihn fest und versuchten, ihm etwas in den Arm zu stechen. Eine von ihnen war eine junge Krankenschwester, deren linke Brust vor seinem Auge hing. Er biss hinein und sie sagte ,Au', so leise, als würde ihr die Schwesternausbildung absolute Zurückhaltung gebieten." Lässt sich Wilders latenter Haifisch-Charakter kurioser verdeutlichen?
Der feste Boden entgleitet; die Realität wird löchrig. Die paranoiden Schübe, der Durchbruch des schizophrenen Wahns, die Erlöserphantasien - all das wird nicht behauptet, sondern vergegenwärtigt. Yates beherrscht die Kunst, Lieblosigkeit und scheiternde Kommunikation im Umgang nah vertrauter Menschen darzustellen, in einem unaufgeregten, präzisen Erzählton, dessen trockene Pointen die Übersetzung von Anette Grube gut vermittelt. Die meisterhafte Lakonik macht sich in vielen kleinen Szenen geltend, etwa bei den Auftritten von Wilders Sohn Tommy, der um seine Kindheit nicht zu beneiden ist. Außer "Okay, Dad" hören wir wenig von ihm - aber das reicht, um vieles anzudeuten.
Ebenso unaufdringlich wie markant ist der Roman eingebettet in den historischen Hintergrund, die sechziger Jahre. Mit ungewohnter Empathie reagiert Wilder auf die Nachricht von der Ermordung Kennedys, später wird er sich gar mit dem Attentäter verwechseln.
Der literarische Realismus, den dieser Autor seit "Revolutionary Road" unbeirrt verfolgte, galt um 1970 als überholt. Yates verachtete seinerseits die angesagten Bücher der Postmodernen: schwerverdauliches Zeug, voller intellektueller Puzzlespiele und Oberseminarwitzigkeit; emotional leer, Literatur, die nicht "gefühlt" ist. Trotzdem hat Yates in "Ruhestörung" mit dem Filmmotiv selbst einige metafiktionale Volten und Spiegelfunktionen eingebaut - was in diesem Fall die bittere existentielle Ironie aber nur noch steigert: Wilders Leben wird zur tragischen Farce. Er lebt nach, was ein rasch angeheuerter Drehbuchautor aus dem Handgelenk als weiteren Handlungsverlauf für sein autobiographisches "Bellevue"-Projekt skizziert hatte. Sogar die Heilanstalt, die der Hollywood-Schreiber fürs Finale vorgesehen hatte, ist dieselbe, in der Wilder am Ende als Dauerpatient hinlebt. Der Drehbuchentwurf war vom Produzenten abgelehnt worden: zu klischeehaft. Die Realität schert sich nicht um solche Geschmackseinwände.
WOLFGANG SCHNEIDER
Richard Yates: "Ruhestörung". Roman. Aus dem Englischen von Anette Grube. DVA, München 2010, 315 S., geb., 19,95 [Euro].
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A devastating story that won't let go Boston Globe