Der New Yorker Maler Duncan Hannah hat die siebziger Jahre über Tagebuch geführt - ein Glücksfall, eine literarische Entdeckung: «Dive» liest sich wie der letzte große Beatroman. Kaum volljährig, kommt Duncan Hannah 1971 aus dem verschlafenen Minneapolis nach New York, erlebnishungrig und immer auf der Suche nach Partys, Sex, Alkohol, Drogen, Rock 'n' Roll und was die Kunsthauptstadt der Welt ihm sonst noch zu bieten hat. Bald ist er Teil jener brodelnden Boheme, die heute legendär ist - besucht mit Andy Warhol die Talking Heads, zieht mit Bryan Ferry und David Bowie um die Häuser, dreht Filme mit Debbie Harry, wird von Lou Reed umworben, philosophiert mit David Hockney. In einem LSD-Rausch hat er den besten Sex nicht etwa mit der umschwärmten Patti Smith, sondern mit Mutter Erde, und auch sonst lässt er nichts aus - am Ende der Aufzeichnungen, als mit dem Mord an John Lennon im Jahr 1980 eine Ära zu Ende geht, ist der junge Kunststudent selbst zu einem Künstler geworden.
Duncan Hannahs Tagebuch ist ein außergewöhnliches Zeitdokument, selten kann man eine Epoche und ein Lebensgefühl derart hautnah und intensiv miterleben. Mit ihm tauchen wir ein in jene rauschhafte, elektrisierende Zeit - und erfahren, warum dieses Jahrzehnt längst zu einem Mythos geworden ist.
Duncan Hannahs Tagebuch ist ein außergewöhnliches Zeitdokument, selten kann man eine Epoche und ein Lebensgefühl derart hautnah und intensiv miterleben. Mit ihm tauchen wir ein in jene rauschhafte, elektrisierende Zeit - und erfahren, warum dieses Jahrzehnt längst zu einem Mythos geworden ist.
Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension
So schnell, wie sich dieses Buch liest, dürfte wohl auch Duncan Hannahs darin beschriebenes Leben gewesen sein, vermutet Rezensent Jens Uthoff. Im Tagebuch des bildenden Künstlers, ein wilder Ritt durch die New Yorker "Bohème" der 70er Jahre und Hannahs exzessives Leben, wird "alle zwei Seiten gehascht, gekokst und gefickt" und treten sämtliche Berühmtheiten der Zeit (Iggy Pop, Patty Smith, Sid Vicious…) auf, resümiert Uthoff. Es gehe aber auch, betont der Rezensent, um die Kehrseite der Zerstreuungen, um Süchte, Vergewaltigungen und die Selbstentfremdung Hannahs, der sich schließlich von diesem Lebensstil abwendete. Beschrieben werde das (in Thomas Gunkels gelungener Übersetzung, so Uthoff) "mitreißend" und stellenweise sprachlich raffiniert. Hannahs rasantes "Szeneporträt" dürfte für Fans der aufgeführten 70er-Stars von besonderem Interesse sein, biete aber auch generell eine Lektüre voller Witz und Pointen, schließt Uthoff.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.04.2021Warhol, Ferry,
Harry, Bowie
Die Siebziger-Tagebücher des
Malers Duncan Hannah
Tagebücher sind die älteste Reality-Show der Menschheit. Wenn es gut läuft, mausern sie sich zu reflektierten Dokumentationen. Kreist die Eitelkeit unkontrolliert um sich selbst, gebiert sie meist einen biografischen Porno. Das ist nicht nur sexuell zu verstehen, aber auch. Zum Beispiel, wenn man der Maler Duncan Hannah ist. In seinen Tagebüchern der Siebziger sind alle Frauen sehr hübsch und wollen unbedingt mit ihm schlafen. Aber nicht nur die Mädchen, auch nahezu alle berühmten Künstler, die auftauchen, wollen mit Duncan Hannah schlafen. Bis auf Lou Reed, der will, dass Duncan Hannah ihm in den Mund, nun ja, fäkaliert.
Leute, die nicht mit Duncan Hannah schlafen wollen, kommen in seinen Tagebüchern nicht oder nur am Rande vor – seine Eltern zum Beispiel. Die sind dafür ständig wütend auf den jungen Künstler. Hannah, geboren 1952 in Minneapolis, wächst in Minnesota auf und studiert dann am feinen Bard College, bevor er nach New York geht. Dort stürzt er sich, zumeist schwer betrunken, mitten in die Künstlerszene. Begegnet Andy Warhol, Patti Smith, Bryan Ferry, David Bowie, Debbie Harry, Lou Reed, David Hockney, Dalí. Treibt sich im CBGB und im Max’s Kansas City rum. Und alle vier Seiten sagt ihm jemand, wie wunderschön er ist.
„Ich bin frei, weiß und achtundzwanzig. Vor mir liegt eine rosige Zukunft“, jubelt er nach einer Trennung. Wenn er Frauen beschreibt, kommt nach ihrem Namen fast immer eine Einschätzung ihrer Brüste. Aber hey, die Siebziger, da ist man ja schon froh, wenn die Angebetete nicht 13 ist. Dabei hat er durchaus künstlerische Ambitionen. Er verehrt Egon Schiele („Würde ihn gern in einem Film spielen. Was für eine tolle Geschichte. Mit achtundzwanzig schon tot. Toller Haarschnitt“) und würde gerne Popstar werden („Kann aber nicht singen“).
Seine Erlebnisse werden von Listen unterbrochen, in denen er notiert, welche Bücher er gelesen, welche Filme er gesehen und welche Konzerte er besucht hat. Er ist geschmackssicher, aber seine künstlerischen Reflexionen lesen sich banal. Dass die Zeit vergeht, merkt man nur, wenn er vermerkt, dass ein Star gestorben ist: Jimi Hendrix etwa („fand ihn ein bisschen albern, aber er spielte echt gut Gitarre“) oder Janis Joplin (mit der er mal gekifft hat und die er nicht mochte, „zu viel Angst“). Im Pressetext wird behauptet, man könne „selten eine Epoche und ein Lebensgefühl derart hautnah und intensiv miterleben“ – das stimmt. Allerdings vergisst man das meiste – wie der immer betrunkene Erzähler – auch sofort wieder. Was soll’s, ein Buch für alle Fans der Siebziger
.
JULIANE LIEBERT
Duncan Hannah: Dive – Tagebuch der Siebziger. Aus dem Englischen
von Thomas Gunkel. Rowohlt Berlin,
Berlin 2021.
560 Seiten, 28 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Harry, Bowie
Die Siebziger-Tagebücher des
Malers Duncan Hannah
Tagebücher sind die älteste Reality-Show der Menschheit. Wenn es gut läuft, mausern sie sich zu reflektierten Dokumentationen. Kreist die Eitelkeit unkontrolliert um sich selbst, gebiert sie meist einen biografischen Porno. Das ist nicht nur sexuell zu verstehen, aber auch. Zum Beispiel, wenn man der Maler Duncan Hannah ist. In seinen Tagebüchern der Siebziger sind alle Frauen sehr hübsch und wollen unbedingt mit ihm schlafen. Aber nicht nur die Mädchen, auch nahezu alle berühmten Künstler, die auftauchen, wollen mit Duncan Hannah schlafen. Bis auf Lou Reed, der will, dass Duncan Hannah ihm in den Mund, nun ja, fäkaliert.
Leute, die nicht mit Duncan Hannah schlafen wollen, kommen in seinen Tagebüchern nicht oder nur am Rande vor – seine Eltern zum Beispiel. Die sind dafür ständig wütend auf den jungen Künstler. Hannah, geboren 1952 in Minneapolis, wächst in Minnesota auf und studiert dann am feinen Bard College, bevor er nach New York geht. Dort stürzt er sich, zumeist schwer betrunken, mitten in die Künstlerszene. Begegnet Andy Warhol, Patti Smith, Bryan Ferry, David Bowie, Debbie Harry, Lou Reed, David Hockney, Dalí. Treibt sich im CBGB und im Max’s Kansas City rum. Und alle vier Seiten sagt ihm jemand, wie wunderschön er ist.
„Ich bin frei, weiß und achtundzwanzig. Vor mir liegt eine rosige Zukunft“, jubelt er nach einer Trennung. Wenn er Frauen beschreibt, kommt nach ihrem Namen fast immer eine Einschätzung ihrer Brüste. Aber hey, die Siebziger, da ist man ja schon froh, wenn die Angebetete nicht 13 ist. Dabei hat er durchaus künstlerische Ambitionen. Er verehrt Egon Schiele („Würde ihn gern in einem Film spielen. Was für eine tolle Geschichte. Mit achtundzwanzig schon tot. Toller Haarschnitt“) und würde gerne Popstar werden („Kann aber nicht singen“).
Seine Erlebnisse werden von Listen unterbrochen, in denen er notiert, welche Bücher er gelesen, welche Filme er gesehen und welche Konzerte er besucht hat. Er ist geschmackssicher, aber seine künstlerischen Reflexionen lesen sich banal. Dass die Zeit vergeht, merkt man nur, wenn er vermerkt, dass ein Star gestorben ist: Jimi Hendrix etwa („fand ihn ein bisschen albern, aber er spielte echt gut Gitarre“) oder Janis Joplin (mit der er mal gekifft hat und die er nicht mochte, „zu viel Angst“). Im Pressetext wird behauptet, man könne „selten eine Epoche und ein Lebensgefühl derart hautnah und intensiv miterleben“ – das stimmt. Allerdings vergisst man das meiste – wie der immer betrunkene Erzähler – auch sofort wieder. Was soll’s, ein Buch für alle Fans der Siebziger
.
JULIANE LIEBERT
Duncan Hannah: Dive – Tagebuch der Siebziger. Aus dem Englischen
von Thomas Gunkel. Rowohlt Berlin,
Berlin 2021.
560 Seiten, 28 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Hannahs Tagebücher aus den Siebzigern entwickeln eine gewaltige Sogkraft und lassen sich wie ein subkultureller Bildungs- und Künstlerroman lesen ... Anekdotenreich und drogenberauscht schildern seine Aufzeichnungen dieses aufregende Jahrzehnt. Deutschlandfunk "Büchermarkt" 20210423