Durch die fortschreitende Pluralisierung und Säkularisierung der Gesellschaft stellt sich für konfessionell gebundene Unternehmen die Frage, wie sie ihre christliche Identität bewahren und auf dieser Basis einen bereits begonnenen Wandlungsprozess im Bereich der Personalentwicklung aktiv weiter gestalten können. Die Gewinnung von Fachkräften ist insbesondere für Unternehmen aus Diakonie und Caritas eine zunehmende Herausforderung, da die Rekrutierung von qualifiziertem Personal mit der Kirchenmitgliedschaft an zusätzliche Bedingungen geknüpft ist. Die Thesen des Brüsseler Kreises stellen hier einen neuen Ansatz vor, der im vorliegenden Band entfaltet wird. Kernpunkt der Argumentation ist die Überzeugung, dass die konfessionelle Profilierung eine unternehmerische Aufgabe ist und keine individuelle Bedingung der Mitarbeitenden. Namhafte Vertreter aus anderen Religionen und Fachwissenschaftler bereichern die Diskussion dieser Position mit wegweisenden Kommentierungen. Der Brüsseler Kreis ist ein Zusammenschluss von 13 gemeinnützigen sozial- und gesundheitswirtschaftlichen Unternehmen aus Diakonie und Caritas.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.04.2015Das christliche "Profil"
Überlegungen zur Zukunft sozialer Einrichtungen in kirchlicher Trägerschaft
Sollte es nicht in letzter Minute doch noch massiven Widerstand aus den eigenen Reihen geben, dann dürften sich die katholischen Bischöfe zu Beginn der kommenden Woche am Ende eines langen Weges fühlen: Das kirchliche Dienst- und Arbeitsrecht, dem etwa 500000 Beschäftige in der Seelsorge, in Bildungseinrichtungen und der Caritas unterliegen, soll in einem entscheidenden Punkt verändert werden. Sogenannte Loyalitätsverstöße sollen nicht länger mehr oder weniger automatisch die Kündigung des Dienstverhältnisses aus kirchenspezifischen Gründen nach sich ziehen. Stattdessen soll - ähnlich wie im jüngsten Kopftuch-Urteil des Bundesverfassungsgerichts - im Grundsatz auf das Ausmaß des "Ärgernisses" abgestellt werden, das ein Loyalitätsverstoß wie das Eingehen einer zweiten Ehe oder eine eingetragene Lebenspartnershaft nach sich ziehen kann. Nicht der Dienstnehmer, wie es im kirchlichen Sprachgebrauch heißt, sondern der Dienstgeber ist damit in der Beweispflicht, dass ein kirchliches Arbeitsverhältnis nicht mehr weitergeführt werden kann.
Was für die Bischöfe ein großer Schritt ist, dürfte indes aus Sicht vieler kirchlicher Sozialeinrichtungen ein kleiner sein. Denn Caritas und Diakonie stehen vielerorts längst nicht mehr vor der Frage, welche Pflichten sie kirchlich gebundenen Mitarbeitern zumuten können. Im Osten Deutschlands wie in immer mehr Großstädten ist der Anteil der Christen unter der Bevölkerung inzwischen so gering, dass die Kirchenmitgliedschaft als solche nicht mehr zur Einstellungsvoraussetzung gemacht werden kann - es sei denn, man gäbe Arbeitsfelder auf, sobald eine bestimmte Quote unterschritten wäre.
Diesen Weg wollen viele caritative und diakonische Einrichtungen nicht gehen, gleichzeitig aber auch nicht davon abrücken, dass sie eine "Lebens- und Wesensäußerung der Kirche" sind. Dieses soll sich in einem klar erkennbaren christlichen Profil niederschlagen, das seinerseits ein wesentliches Merkmal ihrer unternehmerischen Identität sein soll. Doch woran bemisst sich dieses "christliche" Profil?
Im März 2013 haben Unternehmensverantwortliche aus Caritas und Diakonie, die im "Brüsseler Kreis" zusammengeschlossen sind, ein fünf Punkte umfassendes Positionspapier verabschiedet. Mit einer ausführlichen Begründung versehen, wurde das Papier anschließend Fachleuten aus dem Raum beider Kirchen mit der Bitte um Kommentierung vorlegt und jetzt veröffentlicht.
Das Positionspapier wie die Kommentierung haben es in sich. Denn der Brüsseler Kreis plädiert dafür, die rein formale Kirchenmitgliedschaft als Einstellungsvoraussetzung aufzugeben. Die Begründung: "Die konfessionelle Exklusivität unterschreitet theologisch die Universalitätsdynamik des biblischen Zeugnisses, ist mit einer Inklusionsperspektive nicht vereinbar und führt in eine unternehmenstratagische Sackgasse." Der Ausweg: Die Christlichkeit eines Unternehmens als "grundsätzliche Dimension" zu gestalten, von Stärkung der Identitätsmerkmale in Basisprozessen über die Angebotspalette einer bestimmten Abteilung bis zu einer spezifischen Reflexions- und Beteiligungskultur einschließlich der Eröffnung spiritueller Erfahrungsräume im Arbeitsalltag. Christliche Identität erscheint somit nicht als eine an der Zahl kirchlich gebundener Mitarbeiter festgemachte quantitative Größe, sondern als "Prozess von Bezügen und Interdependenzen", der von christlichen Überzeugungen und Ritualen lebt.
Fragen der Wertebegründung und der Besonderheit des christlichen Deutungshorizonts treten in einer solchen Perspektive nach Ansicht der Herausgeber des Buches um so schärfer hervor. Zustimmung ist ihnen deswegen noch nicht gewiss. Wie grundstürzend, aber auch neue Horizonte eröffnend die Überlegungen des Brüsseler Kreises sind, geben die insgesamt 13 Beiträge zu erkennen, in denen die Thesen äußerst kontrovers kommentiert werden. Doch auch diese Vielstimmigkeit ist ein Beweis dafür, dass Konfessionsbindung und Überzeugungspluralismus einander nicht widersprechen müssen, sondern sich so ergänzen dürften, dass viele Lebenslügen der Kirchen bald der Vergangenheit angehören könnten.
Hanns-Stephan Haas/Dierk Starnitzke (Herausgeber): "Diversität und Identität. Konfessionsbindung und Überzeugungspluralismus in caritativen und diakonischen Unternehmen". Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 2015. 263 S., 29,99 [Euro].
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Überlegungen zur Zukunft sozialer Einrichtungen in kirchlicher Trägerschaft
Sollte es nicht in letzter Minute doch noch massiven Widerstand aus den eigenen Reihen geben, dann dürften sich die katholischen Bischöfe zu Beginn der kommenden Woche am Ende eines langen Weges fühlen: Das kirchliche Dienst- und Arbeitsrecht, dem etwa 500000 Beschäftige in der Seelsorge, in Bildungseinrichtungen und der Caritas unterliegen, soll in einem entscheidenden Punkt verändert werden. Sogenannte Loyalitätsverstöße sollen nicht länger mehr oder weniger automatisch die Kündigung des Dienstverhältnisses aus kirchenspezifischen Gründen nach sich ziehen. Stattdessen soll - ähnlich wie im jüngsten Kopftuch-Urteil des Bundesverfassungsgerichts - im Grundsatz auf das Ausmaß des "Ärgernisses" abgestellt werden, das ein Loyalitätsverstoß wie das Eingehen einer zweiten Ehe oder eine eingetragene Lebenspartnershaft nach sich ziehen kann. Nicht der Dienstnehmer, wie es im kirchlichen Sprachgebrauch heißt, sondern der Dienstgeber ist damit in der Beweispflicht, dass ein kirchliches Arbeitsverhältnis nicht mehr weitergeführt werden kann.
Was für die Bischöfe ein großer Schritt ist, dürfte indes aus Sicht vieler kirchlicher Sozialeinrichtungen ein kleiner sein. Denn Caritas und Diakonie stehen vielerorts längst nicht mehr vor der Frage, welche Pflichten sie kirchlich gebundenen Mitarbeitern zumuten können. Im Osten Deutschlands wie in immer mehr Großstädten ist der Anteil der Christen unter der Bevölkerung inzwischen so gering, dass die Kirchenmitgliedschaft als solche nicht mehr zur Einstellungsvoraussetzung gemacht werden kann - es sei denn, man gäbe Arbeitsfelder auf, sobald eine bestimmte Quote unterschritten wäre.
Diesen Weg wollen viele caritative und diakonische Einrichtungen nicht gehen, gleichzeitig aber auch nicht davon abrücken, dass sie eine "Lebens- und Wesensäußerung der Kirche" sind. Dieses soll sich in einem klar erkennbaren christlichen Profil niederschlagen, das seinerseits ein wesentliches Merkmal ihrer unternehmerischen Identität sein soll. Doch woran bemisst sich dieses "christliche" Profil?
Im März 2013 haben Unternehmensverantwortliche aus Caritas und Diakonie, die im "Brüsseler Kreis" zusammengeschlossen sind, ein fünf Punkte umfassendes Positionspapier verabschiedet. Mit einer ausführlichen Begründung versehen, wurde das Papier anschließend Fachleuten aus dem Raum beider Kirchen mit der Bitte um Kommentierung vorlegt und jetzt veröffentlicht.
Das Positionspapier wie die Kommentierung haben es in sich. Denn der Brüsseler Kreis plädiert dafür, die rein formale Kirchenmitgliedschaft als Einstellungsvoraussetzung aufzugeben. Die Begründung: "Die konfessionelle Exklusivität unterschreitet theologisch die Universalitätsdynamik des biblischen Zeugnisses, ist mit einer Inklusionsperspektive nicht vereinbar und führt in eine unternehmenstratagische Sackgasse." Der Ausweg: Die Christlichkeit eines Unternehmens als "grundsätzliche Dimension" zu gestalten, von Stärkung der Identitätsmerkmale in Basisprozessen über die Angebotspalette einer bestimmten Abteilung bis zu einer spezifischen Reflexions- und Beteiligungskultur einschließlich der Eröffnung spiritueller Erfahrungsräume im Arbeitsalltag. Christliche Identität erscheint somit nicht als eine an der Zahl kirchlich gebundener Mitarbeiter festgemachte quantitative Größe, sondern als "Prozess von Bezügen und Interdependenzen", der von christlichen Überzeugungen und Ritualen lebt.
Fragen der Wertebegründung und der Besonderheit des christlichen Deutungshorizonts treten in einer solchen Perspektive nach Ansicht der Herausgeber des Buches um so schärfer hervor. Zustimmung ist ihnen deswegen noch nicht gewiss. Wie grundstürzend, aber auch neue Horizonte eröffnend die Überlegungen des Brüsseler Kreises sind, geben die insgesamt 13 Beiträge zu erkennen, in denen die Thesen äußerst kontrovers kommentiert werden. Doch auch diese Vielstimmigkeit ist ein Beweis dafür, dass Konfessionsbindung und Überzeugungspluralismus einander nicht widersprechen müssen, sondern sich so ergänzen dürften, dass viele Lebenslügen der Kirchen bald der Vergangenheit angehören könnten.
Hanns-Stephan Haas/Dierk Starnitzke (Herausgeber): "Diversität und Identität. Konfessionsbindung und Überzeugungspluralismus in caritativen und diakonischen Unternehmen". Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 2015. 263 S., 29,99 [Euro].
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