Henry Leutwyler's new book Document reveals the unseen, the humble, and the intimate within iconic moments: the firstmoonwalk, political assassinations, the lives of musicians,artists, and athletes. The product of twelve years of discoveryand dreaming, Document is a collection of portraits of things: Mahatma Ghandi's sandal, Alan Shepard's golf club, Janis Joplin's acoustic guitar, Jack Ruby's handgun. Leutwyler shows us these objects close up-straight on and without backdrop-a style that is equal parts still life, portraiture, and crime scene photography. Isolated from their contexts and owners, the objects have our full attention, and although we have never seen them, they feel utterly familiar. These are authentic objects, imperfect and unrestored, and in their scuffs, scratches, dirt and wear they powerfully evoke presence. They are the testaments of bodily histories, the traces of personalities, and the stuff of our collective memory. Document invites us to engage with our "icons" in wholly new ways, and to see our history differently, through the unexpected emotional charge of singular objects.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.11.2016Auch mit Musikinstrumenten wird Literaturgeschichte geschrieben
Die Welt ist wahnsinnig: Henry Leutwyler fotografiert Dinge, die einmal Künstlern gehört haben, und schafft einen Starkult ganz eigener Art.
Von Freddy Langer
Es klingt wie ein Mysterium der Kunstgeschichte und liegt womöglich doch nur an einem Missverständnis unter Künstlern, weshalb es ein Menschenleben lang gedauert hat, bevor sich die Fotografie ihrer ureigensten Möglichkeit bewusst geworden ist: der präzisen, nachgerade wissenschaftlich exakten Abbildung von Gegenständen. Aber selbst dann noch, als die Neue Sachlichkeit in einer nüchternen, zurückhaltenen Bildsprache zu einer neuen, bestechenden Ästhetik fand, gab es Vorbehalte gegen die reine Dokumentation. So hatte Albert Renger-Patzsch die fotografische Katalogisierung seines Lebensraums "Die Dinge" nennen wollen, obwohl sich darin auch Landschaften, Tierbilder und sogar etliche Porträts fanden. Doch sein Verleger, Carl Georg Heise, setzte für den Bildband einen vermeintlich verkaufsträchtigeren Titel durch: "Die Welt ist schön". Das war 1928. Längst ist das Buch ein Klassiker. Der Fotograf Henry Leutwyler traf jetzt auf mehr Verständnis. Sein Fotoband mit farbigen Sachaufnahmen heißt schlicht: "Document". Dabei hätte ihm sein Verleger, Gerhard Steidl, guten Gewissens den womöglich werbewirksameren Titel aufs Auge drücken können: "Die Welt ist wahnsinnig".
Auch "Document" gleicht mit seinen 123 Aufnahmen einer Inventarisierung. Ein Reisepass mit kyrillischen Buchstaben und der Unterschrift Waslaw Nijinskys eröffnet das Buch, es folgen verrostete Metallstücke, ein Sportschuh in einem Pappkarton, eine Sonnenbrille mit blauen Gläsern, ein Revolver, dann eine Brieftasche mit dem eingedruckten Namen des Besitzers: James Dean. Und spätestens da wird klar, dass es sich bei den im Buch versammelten Gegenständen weder um die Habseligkeiten eines Künstlers noch um Zufallsfunde handelt. Vielmehr sind es Stücke aus der Asservatenkammer der Kulturgeschichte des zwanzigsten und 21. Jahrhunderts. Ebenso gut könnte man von Reliquien sprechen, von Heiligtümern, in denen etwas gebannt ist von dem Ruhm, dem Schmerz oder der Genialität ihrer früheren Besitzer - der Prominenz aus Kultur und Show Business.
Und dann geht Leutwyler mit der Kamera ganz dicht heran an die Objekte und lässt sie zum Ersatz werden für die Hand des Fans, der diese Dinge nie berühren wird. Gegenstände, die einmal Buster Keaton, Stan Laurel und Oliver Hardy gehörten, Janis Joplin, Jimi Hendrix und Bob Marley, Marilyn Monroe, Audrey Hepburn und Elizabeth Taylor, Andy Warhol, Donald Judd und Jean-Michel Basquiat - oder mit denen John Lennon erschossen wurde und Lee Harvey Oswald, der vorgebliche Attentäter Kennedys. Aber das erkennt man natürlich nicht. Oder nur in den wenigsten Fällen, wie bei Michael Jacksons mit Pailletten besetztem Handschuh und, nach längerem Nachdenken, dem Spazierstock von Charlie Chaplin.
Was Henry Leutwyler betreibt, ist Starkult auf Umwegen. Man könnte von optischen Metaphern sprechen, in denen das Ding zum Stellvertreter für den Besitzer wird, als wäre durch den Gebrauch ein Teil von dessen DNA in das Material eingedrungen. An Spuren herrscht kein Mangel. Vieles ist zerschlissen, zerkratzt, verrostet. Weshalb es in diesen präzisen Farbaufnahmen auch niemals um das Ding an sich geht. Und dennoch sind die meisten dieser Bilder Behauptungen. Buntstifte, Malpinsel, Bergstiefel: Sie könnten jedem gehört haben. Und es bleibt dem Betrachter nichts übrig, als Henry Leutwyler zu vertrauen, wenn er behauptet, den schwarzen Plastikkamm in seiner Auswahl habe einst Elvis Presley besessen. Dann freilich hat man augenblicklich den Musiker vor Augen, wie er sich die Haartolle in Form legt. Und genau dann entfaltet sich der magische Moment dieses Buchs: wenn aus banalen Gegenständen epochale Geschichten aufsteigen.
Henry Leutwylers Sammlung ist weder ein Kuriositätenkabinett, noch gleicht sie der Schatzkammer eines Fürsten. Denn jedes Objekt wird erst durch seine Herkunft bedeutend. Leutwylers Kunst aber besteht darin, diese Bedeutung schon im Foto anzudeuten. So zeigt er die Dinge eine Spur weniger nüchtern, weniger distanziert, als es bei Albert Renger-Patzsch der Fall gewesen ist. Manche vergrößert er um ein Vielfaches, womit er etwa einer Armbanduhr ein Moment des Dämonischen verleiht. Und nahezu alle Gegenstände werfen lange Schatten, fast wie in einem film noir, ein Verfahren, mit dem Leutwyler nicht nur bei Waffen düstere Assoziationen evoziert, sondern den meisten Objekten etwas Rätselhaftes anheftet - und nicht wenige ins Unheimliche rückt.
Das größte Rätsel aber bleibt die Geschichte dieses Buchs und dieses Bilderreigens. Zwölf Jahre lang, so heißt es, habe Leutwyler an der Serie gearbeitet, und die Dankesliste mit den Namen der Personen, die ihm Zugang zu den Stücken verschafft haben, nimmt kein Ende. Kein Wort hingegen darüber, woher die Dinge stammen oder nach welchen Kriterien Leutwyler sie ausgewählt hat. Einige Indizien führen in Museen, andere in Archive der Polizei. Doch Henry Leutwyler traut man keinen enzyklopädischen Eifer zu - eher ist er der Künstler als Fan.
Henry Leutwyler: "Document".
Steidl Verlag, Göttingen 2016. 208 S., Abb., geb., 65,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Welt ist wahnsinnig: Henry Leutwyler fotografiert Dinge, die einmal Künstlern gehört haben, und schafft einen Starkult ganz eigener Art.
Von Freddy Langer
Es klingt wie ein Mysterium der Kunstgeschichte und liegt womöglich doch nur an einem Missverständnis unter Künstlern, weshalb es ein Menschenleben lang gedauert hat, bevor sich die Fotografie ihrer ureigensten Möglichkeit bewusst geworden ist: der präzisen, nachgerade wissenschaftlich exakten Abbildung von Gegenständen. Aber selbst dann noch, als die Neue Sachlichkeit in einer nüchternen, zurückhaltenen Bildsprache zu einer neuen, bestechenden Ästhetik fand, gab es Vorbehalte gegen die reine Dokumentation. So hatte Albert Renger-Patzsch die fotografische Katalogisierung seines Lebensraums "Die Dinge" nennen wollen, obwohl sich darin auch Landschaften, Tierbilder und sogar etliche Porträts fanden. Doch sein Verleger, Carl Georg Heise, setzte für den Bildband einen vermeintlich verkaufsträchtigeren Titel durch: "Die Welt ist schön". Das war 1928. Längst ist das Buch ein Klassiker. Der Fotograf Henry Leutwyler traf jetzt auf mehr Verständnis. Sein Fotoband mit farbigen Sachaufnahmen heißt schlicht: "Document". Dabei hätte ihm sein Verleger, Gerhard Steidl, guten Gewissens den womöglich werbewirksameren Titel aufs Auge drücken können: "Die Welt ist wahnsinnig".
Auch "Document" gleicht mit seinen 123 Aufnahmen einer Inventarisierung. Ein Reisepass mit kyrillischen Buchstaben und der Unterschrift Waslaw Nijinskys eröffnet das Buch, es folgen verrostete Metallstücke, ein Sportschuh in einem Pappkarton, eine Sonnenbrille mit blauen Gläsern, ein Revolver, dann eine Brieftasche mit dem eingedruckten Namen des Besitzers: James Dean. Und spätestens da wird klar, dass es sich bei den im Buch versammelten Gegenständen weder um die Habseligkeiten eines Künstlers noch um Zufallsfunde handelt. Vielmehr sind es Stücke aus der Asservatenkammer der Kulturgeschichte des zwanzigsten und 21. Jahrhunderts. Ebenso gut könnte man von Reliquien sprechen, von Heiligtümern, in denen etwas gebannt ist von dem Ruhm, dem Schmerz oder der Genialität ihrer früheren Besitzer - der Prominenz aus Kultur und Show Business.
Und dann geht Leutwyler mit der Kamera ganz dicht heran an die Objekte und lässt sie zum Ersatz werden für die Hand des Fans, der diese Dinge nie berühren wird. Gegenstände, die einmal Buster Keaton, Stan Laurel und Oliver Hardy gehörten, Janis Joplin, Jimi Hendrix und Bob Marley, Marilyn Monroe, Audrey Hepburn und Elizabeth Taylor, Andy Warhol, Donald Judd und Jean-Michel Basquiat - oder mit denen John Lennon erschossen wurde und Lee Harvey Oswald, der vorgebliche Attentäter Kennedys. Aber das erkennt man natürlich nicht. Oder nur in den wenigsten Fällen, wie bei Michael Jacksons mit Pailletten besetztem Handschuh und, nach längerem Nachdenken, dem Spazierstock von Charlie Chaplin.
Was Henry Leutwyler betreibt, ist Starkult auf Umwegen. Man könnte von optischen Metaphern sprechen, in denen das Ding zum Stellvertreter für den Besitzer wird, als wäre durch den Gebrauch ein Teil von dessen DNA in das Material eingedrungen. An Spuren herrscht kein Mangel. Vieles ist zerschlissen, zerkratzt, verrostet. Weshalb es in diesen präzisen Farbaufnahmen auch niemals um das Ding an sich geht. Und dennoch sind die meisten dieser Bilder Behauptungen. Buntstifte, Malpinsel, Bergstiefel: Sie könnten jedem gehört haben. Und es bleibt dem Betrachter nichts übrig, als Henry Leutwyler zu vertrauen, wenn er behauptet, den schwarzen Plastikkamm in seiner Auswahl habe einst Elvis Presley besessen. Dann freilich hat man augenblicklich den Musiker vor Augen, wie er sich die Haartolle in Form legt. Und genau dann entfaltet sich der magische Moment dieses Buchs: wenn aus banalen Gegenständen epochale Geschichten aufsteigen.
Henry Leutwylers Sammlung ist weder ein Kuriositätenkabinett, noch gleicht sie der Schatzkammer eines Fürsten. Denn jedes Objekt wird erst durch seine Herkunft bedeutend. Leutwylers Kunst aber besteht darin, diese Bedeutung schon im Foto anzudeuten. So zeigt er die Dinge eine Spur weniger nüchtern, weniger distanziert, als es bei Albert Renger-Patzsch der Fall gewesen ist. Manche vergrößert er um ein Vielfaches, womit er etwa einer Armbanduhr ein Moment des Dämonischen verleiht. Und nahezu alle Gegenstände werfen lange Schatten, fast wie in einem film noir, ein Verfahren, mit dem Leutwyler nicht nur bei Waffen düstere Assoziationen evoziert, sondern den meisten Objekten etwas Rätselhaftes anheftet - und nicht wenige ins Unheimliche rückt.
Das größte Rätsel aber bleibt die Geschichte dieses Buchs und dieses Bilderreigens. Zwölf Jahre lang, so heißt es, habe Leutwyler an der Serie gearbeitet, und die Dankesliste mit den Namen der Personen, die ihm Zugang zu den Stücken verschafft haben, nimmt kein Ende. Kein Wort hingegen darüber, woher die Dinge stammen oder nach welchen Kriterien Leutwyler sie ausgewählt hat. Einige Indizien führen in Museen, andere in Archive der Polizei. Doch Henry Leutwyler traut man keinen enzyklopädischen Eifer zu - eher ist er der Künstler als Fan.
Henry Leutwyler: "Document".
Steidl Verlag, Göttingen 2016. 208 S., Abb., geb., 65,- [Euro].
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