Produktdetails
- Verlag: B&T / Simon & Schuster UK
- Seitenzahl: 318
- Englisch
- Abmessung: 245mm
- Gewicht: 638g
- ISBN-13: 9780684855677
- Artikelnr.: 24999756
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.04.2002Maß und Gleichgewicht
Die weltpolitischen Betrachtungen des Historikers und Staatsmanns Henry Kissinger
Henry Kissinger: Die Herausforderung Amerikas. Weltpolitik im 21. Jahrhundert. Aus dem Amerikanischen von Hans-Ulrich Seebohm. Propyläen Verlag, München/Berlin 2002. 383 Seiten, 25,- Euro.
In seiner neuen Darstellung hält Henry Kissinger ein mächtiges Plädoyer für die Prinzipien von Maß und Gleichgewicht. Stabilität, Gerechtigkeit und Frieden haben nur dann eine Chance, wenn die Staatenwelt sich in der Balance befindet. Erneut ist es die historische Analogie, die dem Autor als Methode zur Beurteilung der Gegenwart dient. In dieser Perspektive wird die Epoche nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion mit dem nachnapoleonischen Europa der Jahre 1814/15 verglichen. Damals schützte die Quadrupelallianz der Russen, Briten, Österreicher und Preußen die Alte Welt vor einem militärischen Wiederaufstieg Frankreichs, das dessenungeachtet als gleichberechtigter Partner akzeptiert wurde. In Parallele dazu rät der Autor für unsere Tage dringend davon ab, "das ursprüngliche Konzept der Nato Schritt für Schritt der Doktrin der kollektiven Sicherheit" anzunähern. Vielmehr erscheint es ihm geboten, die Nato im herkömmlichen Sinne als "Absicherung gegen eine Reimperialisierung Rußlands" bereitzuhalten, auf gar keinen Fall aber mit dem "Fernziel eines Nato-Beitritts Rußlands" zu spielen.
Ganz anders schätzt er dagegen die chinesische Herausforderung ein: "Eine Konfrontation mit China sollte das letzte Mittel, nicht die strategische Wahl sein", lautet sein Rat, der von der Sorge getragen ist, die Vereinigten Staaten nicht mit der Bürde eines Weltpolizisten zu überlasten. Dagegen empfiehlt er seinem Land, sich der asiatischen Welt gegenüber so zu verhalten, wie Großbritannien das im 19. Jahrhundert gegenüber dem europäischen Kontinent getan hat: Ein Gleichgewicht der Mächte, der Chinesen und Inder allen voran, gilt als wünschenswert, um die Hegemonie einer einzigen Macht über alle anderen zu verhindern.
Während er für den südamerikanischen Rayon eine atlantische Freihandelszone favorisiert und statt Rivalität mit der Europäischen Union auf Zusammenarbeit mit ihr zu setzen vorschlägt, blickt er auf das Krisengebiet des Nahen Ostens, insbesondere auf den tief eingefressenen Kampf zwischen Arabern und Israelis, mit Zeichen von unverkennbarer Ratlosigkeit: "Ein derartiger Konflikt wird selten durch einen Kompromiß aufgelöst - jedenfalls nicht innerhalb der engen zeitlichen Grenzen eines amerikanischen Wahljahres; vielmehr endet er im allgemeinen aufgrund physischer und psychischer Erschöpfung." Was schließlich "Amerika und den Golf" angeht, so vermag - seiner Einschätzung nach - in dieser Region äußere Politik beileibe nicht "wilsonschen Grundsätzen" zu folgen, allein schon deshalb, weil es dort keine Demokratien zu verteidigen gebe. Statt dessen habe man hier vor allem dem "geopolitischen Imperativ" und dem nationalen Interesse der Vereinigten Staaten nachzukommen, für das man sich, ungeachtet innenpolitischer Kritik an den Verhältnissen dieses Landes, vor allem der türkischen Regionalmacht versichern solle.
Sich in Afrika einzumischen, erachtet Kissinger als falsch. Gewiß, eine "begrenzte militärische Intervention" hält er aus moralischen Gründen geradezu für eine selbstverständliche Verpflichtung - wenn ein Gemetzel wie in Ruanda oder Sierra Leone sich zu wiederholen droht und wenn "ein relativ kleiner Truppeneinsatz genügt, dem Morden ein Ende zu bereiten". Ansonsten plädiert er aber für Abstinenz als dem Gebot außenpolitischer Klugheit. Ohne die rabiaten Wirtschaftsinteressen Amerikas wohl genügend zu beachten, entwirft er eine gewiß stärker dem nationalen Interesse als der kollektiven Moral verpflichtete Perspektive: "Afrika sollte zu einem Testfall für die Vereinten Nationen, nichtstaatliche Organisationen, andere internationale Institutionen und den privaten Sektor werden, in Verfolgung universaler Ziele zusammenzuarbeiten."
Bleibt schließlich die Auseinandersetzung des Autors mit der säkularen Tendenz der Globalisierung, die das Prinzip der staatlichen Souveränität grundlegend herausfordert. Wenn die Vereinigten Staaten auch in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht der bevorzugte Nutznießer dieser geschichtsmächtigen Entwicklung sind, übersieht der wie einst Metternich als "baron de balance" argumentierende Kissinger doch keineswegs die für sein Land darin aufgehobenen Gefahren. Daher warnt er die Amerikaner (und Westeuropäer) davor, in globalem Maßstab für ihr Recht und ihre Moral zu intervenieren, um das westliche Modell von Kapitalismus und Demokratie zu exportieren - denn die Gefahr einer Überdehnung der Kraft beschreibt die problematische Kehrseite der universalen Vision. Gar von einem "benevolent empire" (Robert Kagan) auf Erden zu träumen, hält er für lebensgefährlich - außenpolitisch, weil imperiale Allmacht zu weltweiter Gegnerschaft führen kann, und innenpolitisch, weil das Imperium stets die Tendenz zum Cäsarismus in sich trägt.
Kein Wunder auch, daß Kissinger die Entwicklung zu universaler Verrechtlichung, mit einem Internationalen Strafgerichtshof beispielsweise, mehr als kritisch ansieht. Das Streben nach einem "endgültigen Frieden" (Woodrow Wilson) sowie nach weltumspannender Gerechtigkeit kann allzu leicht in permanenten Interventionen und globalem Krieg enden: "Die Gefahr" - so wägt er ab, ohne Politik und Recht grundsätzlich gegeneinander auszuspielen - "besteht darin, daß dieses Konzept zu weit getrieben wird und an die Stelle der Tyrannei von Regierungen die von Richtern tritt; in der Geschichte hat die Diktatur der Rechtschaffenen oft zu Inquisition und sogar zu Hexenjagden geführt." Mit anderen Worten: "Breitet sich die Doktrin der universalen Intervention erst einmal aus, und konkurrierende Wahrheiten geraten in Streit miteinander, so könnten wir in eine Welt eintreten, in der . . . ,die Tugend Amok läuft'".
Daher erstaunt es nicht, daß der Historiker und Staatsmann Kissinger, der die Außenpolitik im Sinne Bismarcks als "Wissenschaft des Relativen" betreibt, die Interventionen im ehemaligen Jugoslawien, ohne sie in Bausch und Bogen abzutun, mehr als zurückhaltend beurteilt. Und im Zeitalter einer unvergleichlichen Revolution der Information und des Wissens mahnt er, letztlich mehr der auf Empirie gegründeten Weisheit der Staatskunst und weniger der oftmals alles überlagernden Moral des Zeitgeistes zu vertrauen, eher maßvoll zu handeln, als tugendhaft zu sein - und vor allem Selbstbeschränkung zu üben. Ob die imperiale Republik dieser Forderung gerecht zu werden imstande sein wird, vor der im Verlauf der neueren Geschichte mit Ausnahme Großbritanniens im 19. Jahrhundert andere Hegemonialmächte mit historischer Regelmäßigkeit versagt haben, wird nicht nur über die Zukunft der Vereinigten Staaten, sondern auch über die Geschicke der Welt entscheiden.
KLAUS HILDEBRAND
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die weltpolitischen Betrachtungen des Historikers und Staatsmanns Henry Kissinger
Henry Kissinger: Die Herausforderung Amerikas. Weltpolitik im 21. Jahrhundert. Aus dem Amerikanischen von Hans-Ulrich Seebohm. Propyläen Verlag, München/Berlin 2002. 383 Seiten, 25,- Euro.
In seiner neuen Darstellung hält Henry Kissinger ein mächtiges Plädoyer für die Prinzipien von Maß und Gleichgewicht. Stabilität, Gerechtigkeit und Frieden haben nur dann eine Chance, wenn die Staatenwelt sich in der Balance befindet. Erneut ist es die historische Analogie, die dem Autor als Methode zur Beurteilung der Gegenwart dient. In dieser Perspektive wird die Epoche nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion mit dem nachnapoleonischen Europa der Jahre 1814/15 verglichen. Damals schützte die Quadrupelallianz der Russen, Briten, Österreicher und Preußen die Alte Welt vor einem militärischen Wiederaufstieg Frankreichs, das dessenungeachtet als gleichberechtigter Partner akzeptiert wurde. In Parallele dazu rät der Autor für unsere Tage dringend davon ab, "das ursprüngliche Konzept der Nato Schritt für Schritt der Doktrin der kollektiven Sicherheit" anzunähern. Vielmehr erscheint es ihm geboten, die Nato im herkömmlichen Sinne als "Absicherung gegen eine Reimperialisierung Rußlands" bereitzuhalten, auf gar keinen Fall aber mit dem "Fernziel eines Nato-Beitritts Rußlands" zu spielen.
Ganz anders schätzt er dagegen die chinesische Herausforderung ein: "Eine Konfrontation mit China sollte das letzte Mittel, nicht die strategische Wahl sein", lautet sein Rat, der von der Sorge getragen ist, die Vereinigten Staaten nicht mit der Bürde eines Weltpolizisten zu überlasten. Dagegen empfiehlt er seinem Land, sich der asiatischen Welt gegenüber so zu verhalten, wie Großbritannien das im 19. Jahrhundert gegenüber dem europäischen Kontinent getan hat: Ein Gleichgewicht der Mächte, der Chinesen und Inder allen voran, gilt als wünschenswert, um die Hegemonie einer einzigen Macht über alle anderen zu verhindern.
Während er für den südamerikanischen Rayon eine atlantische Freihandelszone favorisiert und statt Rivalität mit der Europäischen Union auf Zusammenarbeit mit ihr zu setzen vorschlägt, blickt er auf das Krisengebiet des Nahen Ostens, insbesondere auf den tief eingefressenen Kampf zwischen Arabern und Israelis, mit Zeichen von unverkennbarer Ratlosigkeit: "Ein derartiger Konflikt wird selten durch einen Kompromiß aufgelöst - jedenfalls nicht innerhalb der engen zeitlichen Grenzen eines amerikanischen Wahljahres; vielmehr endet er im allgemeinen aufgrund physischer und psychischer Erschöpfung." Was schließlich "Amerika und den Golf" angeht, so vermag - seiner Einschätzung nach - in dieser Region äußere Politik beileibe nicht "wilsonschen Grundsätzen" zu folgen, allein schon deshalb, weil es dort keine Demokratien zu verteidigen gebe. Statt dessen habe man hier vor allem dem "geopolitischen Imperativ" und dem nationalen Interesse der Vereinigten Staaten nachzukommen, für das man sich, ungeachtet innenpolitischer Kritik an den Verhältnissen dieses Landes, vor allem der türkischen Regionalmacht versichern solle.
Sich in Afrika einzumischen, erachtet Kissinger als falsch. Gewiß, eine "begrenzte militärische Intervention" hält er aus moralischen Gründen geradezu für eine selbstverständliche Verpflichtung - wenn ein Gemetzel wie in Ruanda oder Sierra Leone sich zu wiederholen droht und wenn "ein relativ kleiner Truppeneinsatz genügt, dem Morden ein Ende zu bereiten". Ansonsten plädiert er aber für Abstinenz als dem Gebot außenpolitischer Klugheit. Ohne die rabiaten Wirtschaftsinteressen Amerikas wohl genügend zu beachten, entwirft er eine gewiß stärker dem nationalen Interesse als der kollektiven Moral verpflichtete Perspektive: "Afrika sollte zu einem Testfall für die Vereinten Nationen, nichtstaatliche Organisationen, andere internationale Institutionen und den privaten Sektor werden, in Verfolgung universaler Ziele zusammenzuarbeiten."
Bleibt schließlich die Auseinandersetzung des Autors mit der säkularen Tendenz der Globalisierung, die das Prinzip der staatlichen Souveränität grundlegend herausfordert. Wenn die Vereinigten Staaten auch in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht der bevorzugte Nutznießer dieser geschichtsmächtigen Entwicklung sind, übersieht der wie einst Metternich als "baron de balance" argumentierende Kissinger doch keineswegs die für sein Land darin aufgehobenen Gefahren. Daher warnt er die Amerikaner (und Westeuropäer) davor, in globalem Maßstab für ihr Recht und ihre Moral zu intervenieren, um das westliche Modell von Kapitalismus und Demokratie zu exportieren - denn die Gefahr einer Überdehnung der Kraft beschreibt die problematische Kehrseite der universalen Vision. Gar von einem "benevolent empire" (Robert Kagan) auf Erden zu träumen, hält er für lebensgefährlich - außenpolitisch, weil imperiale Allmacht zu weltweiter Gegnerschaft führen kann, und innenpolitisch, weil das Imperium stets die Tendenz zum Cäsarismus in sich trägt.
Kein Wunder auch, daß Kissinger die Entwicklung zu universaler Verrechtlichung, mit einem Internationalen Strafgerichtshof beispielsweise, mehr als kritisch ansieht. Das Streben nach einem "endgültigen Frieden" (Woodrow Wilson) sowie nach weltumspannender Gerechtigkeit kann allzu leicht in permanenten Interventionen und globalem Krieg enden: "Die Gefahr" - so wägt er ab, ohne Politik und Recht grundsätzlich gegeneinander auszuspielen - "besteht darin, daß dieses Konzept zu weit getrieben wird und an die Stelle der Tyrannei von Regierungen die von Richtern tritt; in der Geschichte hat die Diktatur der Rechtschaffenen oft zu Inquisition und sogar zu Hexenjagden geführt." Mit anderen Worten: "Breitet sich die Doktrin der universalen Intervention erst einmal aus, und konkurrierende Wahrheiten geraten in Streit miteinander, so könnten wir in eine Welt eintreten, in der . . . ,die Tugend Amok läuft'".
Daher erstaunt es nicht, daß der Historiker und Staatsmann Kissinger, der die Außenpolitik im Sinne Bismarcks als "Wissenschaft des Relativen" betreibt, die Interventionen im ehemaligen Jugoslawien, ohne sie in Bausch und Bogen abzutun, mehr als zurückhaltend beurteilt. Und im Zeitalter einer unvergleichlichen Revolution der Information und des Wissens mahnt er, letztlich mehr der auf Empirie gegründeten Weisheit der Staatskunst und weniger der oftmals alles überlagernden Moral des Zeitgeistes zu vertrauen, eher maßvoll zu handeln, als tugendhaft zu sein - und vor allem Selbstbeschränkung zu üben. Ob die imperiale Republik dieser Forderung gerecht zu werden imstande sein wird, vor der im Verlauf der neueren Geschichte mit Ausnahme Großbritanniens im 19. Jahrhundert andere Hegemonialmächte mit historischer Regelmäßigkeit versagt haben, wird nicht nur über die Zukunft der Vereinigten Staaten, sondern auch über die Geschicke der Welt entscheiden.
KLAUS HILDEBRAND
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Walter Russell Mead The Washington Post Book World An intellectual event: a tour of the foreign-policy horizon that is also a tour de force.