Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.01.2014Das Können ist entscheidend
Über die Grenzen der Entwicklungshilfe
Im Zuge von Diskussionen über Entwicklungshilfe wird häufig erörtert, was getan werden sollte. Weniger prominent sind Diskussionen über die Möglichkeiten und Grenzen der Entwicklungshilfe. Die für Handlungsempfehlungen relevantere Frage ist jedoch: Was kann mittels Entwicklungshilfe getan werden? Christopher Coyne, Ökonomieprofessor an der George Mason University in den Vereinigten Staaten, hat sich der Frage angenommen und untersucht, was Entwicklungshilfe in ihrer derzeitigen Form für die Verbesserung der Situation der Ärmsten tun kann. Viel ist es aus Coynes Sicht nicht.
Im Mittelpunkt des Buches steht eine theoretische Analyse staatlich gelenkter Entwicklungshilfe. Den Begriff der Entwicklungshilfe fasst Coyne weit. Humanitäre Hilfe in akuten Krisengebieten zählt er ebenso dazu wie Maßnahmen, die die Situation notleidender Menschen längerfristig verbessern sollen. Er konzentriert sich auf staatlich gelenkte Entwicklungshilfe, die von Regierungen zumindest zu Teilen durchgeführt, finanziert oder beaufsichtigt wird, weil sie die dominierende Form der Entwicklungshilfe ist und vollständig von Regierungen unabhängige Nichtregierungsorganisationen die Ausnahme sind.
Der Verfasser weist darauf hin, dass es in der empirischen Literatur keine systematischen Hinweise auf wachstumsfördernde Effekte von Entwicklungshilfe gibt. Daraus ergibt sich die Gretchenfrage: Warum scheitern Entwicklungshilfeprojekte regelmäßig, obwohl sie von wohlmeinenden und finanziell gut ausgestatteten Experten durchgeführt werden? Während Optimisten dazu neigen, Misserfolge auf fehlenden politischen Willen, mangelnde Finanzierung oder personelle Fehlbesetzungen zurückzuführen, nennt Coyne wirtschaftstheoretische Gründe. Auf Märkten sorgen Preise dafür, dass sich die Konsumenten mit den höchsten Zahlungsbereitschaften Zugang zu den von ihnen geschätzten Gütern und Dienstleistungen verschaffen können und Unternehmen durch Gewinne und Verluste signalisiert bekommen, ob andere Menschen wertschätzen, wie sie Ressourcen einsetzen. Unternehmen haben ein Interesse, sich Veränderungen ihrer Umwelt anzupassen.
Im Gegensatz dazu haben Non-Profit-Organisationen keine ähnlich starken Anreize, sich immer wieder Veränderungen anzupassen. Zum anderen erhalten Non-Profit-Organisationen kein Feedback, das eine so deutliche Sprache spricht wie Gewinne und Verluste, und wissen somit nicht, wie sehr ihre Leistungen von den Adressaten wertgeschätzt werden. Coyne sieht den Entwicklungshelfer deshalb stets mit dem "Problem des Planers" konfrontiert: Der Planer kann in Abwesenheit von Preisen Ressourcen nicht wohlfahrtsmaximierend verteilen. Wirtschaftliche Entwicklung, verstanden als die ständige Neuverteilung und dadurch bessere Verwendung von Ressourcen aus Sicht der Nutzer, kann, so Coyne, durch Entwicklungshilfe nicht herbeigeführt werden. Es sei im besten Fall möglich, die Ausbringungsmenge der von Entwicklungshelfern bestimmten Güter und Dienstleistungen zu erhöhen. Deshalb ist Coyne lediglich bezüglich kurzfristiger humanitärer Hilfe verhalten optimistisch.
Ein verhaltener Optimismus ist angebracht, denn der Verfasser zeigt mit Hilfe von Konzepten aus der Politischen Ökonomie überzeugend, warum Bemühungen der Entwicklungshilfe häufig bereits daran scheitern, die von Entwicklungshelfern gesetzten Ziele zu erreichen. Unter anderem beleuchtet Coyne Probleme großer bürokratischer Einheiten, von Zielen der Entwicklungshilfe abweichende politische Interessen, negative unbeabsichtigte Konsequenzen des Eingriffs in komplexe soziale Strukturen, das Streben nach größeren Budgets und die Abwesenheit bindender Verpflichtungen für Hilfsorganisationen.
Der interessierte Laie kann den detailreichen verbalen theoretischen Ausführungen problemlos folgen und profitiert von zahlreichen Fallstudien. Die Botschaft mag für viele ernüchternd sein, zeigt es doch die Grenzen der Gestaltung der sozialen Welt am Reißbrett auf. Der Autor spricht sich folgerichtig für eine "Entwicklung als Entdeckungsverfahren" aus. Anstatt im Rahmen der Entwicklungshilfe Ziele von außen zu formulieren, sollten Barrieren abgebaut und notleidenden Menschen der Zugang zu Märkten, auf denen sie ihre eigenen Ziele verfolgen können, erleichtert werden. Geberländer sollten sich für Güter und Dienstleistungen und insbesondere für Migranten aus Entwicklungsländern öffnen. Eine offenere Einwanderungspolitik der entwickelten Welt wäre, so Coyne, die effektivste Möglichkeit der Entwicklungshilfe.
ALEXANDER FINK
Christopher Coyne: Doing Bad by Doing Good. Stanford Economics and Finance, Stanford 2013, 272 Seiten, 19,30 Euro (Taschenbuch)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Über die Grenzen der Entwicklungshilfe
Im Zuge von Diskussionen über Entwicklungshilfe wird häufig erörtert, was getan werden sollte. Weniger prominent sind Diskussionen über die Möglichkeiten und Grenzen der Entwicklungshilfe. Die für Handlungsempfehlungen relevantere Frage ist jedoch: Was kann mittels Entwicklungshilfe getan werden? Christopher Coyne, Ökonomieprofessor an der George Mason University in den Vereinigten Staaten, hat sich der Frage angenommen und untersucht, was Entwicklungshilfe in ihrer derzeitigen Form für die Verbesserung der Situation der Ärmsten tun kann. Viel ist es aus Coynes Sicht nicht.
Im Mittelpunkt des Buches steht eine theoretische Analyse staatlich gelenkter Entwicklungshilfe. Den Begriff der Entwicklungshilfe fasst Coyne weit. Humanitäre Hilfe in akuten Krisengebieten zählt er ebenso dazu wie Maßnahmen, die die Situation notleidender Menschen längerfristig verbessern sollen. Er konzentriert sich auf staatlich gelenkte Entwicklungshilfe, die von Regierungen zumindest zu Teilen durchgeführt, finanziert oder beaufsichtigt wird, weil sie die dominierende Form der Entwicklungshilfe ist und vollständig von Regierungen unabhängige Nichtregierungsorganisationen die Ausnahme sind.
Der Verfasser weist darauf hin, dass es in der empirischen Literatur keine systematischen Hinweise auf wachstumsfördernde Effekte von Entwicklungshilfe gibt. Daraus ergibt sich die Gretchenfrage: Warum scheitern Entwicklungshilfeprojekte regelmäßig, obwohl sie von wohlmeinenden und finanziell gut ausgestatteten Experten durchgeführt werden? Während Optimisten dazu neigen, Misserfolge auf fehlenden politischen Willen, mangelnde Finanzierung oder personelle Fehlbesetzungen zurückzuführen, nennt Coyne wirtschaftstheoretische Gründe. Auf Märkten sorgen Preise dafür, dass sich die Konsumenten mit den höchsten Zahlungsbereitschaften Zugang zu den von ihnen geschätzten Gütern und Dienstleistungen verschaffen können und Unternehmen durch Gewinne und Verluste signalisiert bekommen, ob andere Menschen wertschätzen, wie sie Ressourcen einsetzen. Unternehmen haben ein Interesse, sich Veränderungen ihrer Umwelt anzupassen.
Im Gegensatz dazu haben Non-Profit-Organisationen keine ähnlich starken Anreize, sich immer wieder Veränderungen anzupassen. Zum anderen erhalten Non-Profit-Organisationen kein Feedback, das eine so deutliche Sprache spricht wie Gewinne und Verluste, und wissen somit nicht, wie sehr ihre Leistungen von den Adressaten wertgeschätzt werden. Coyne sieht den Entwicklungshelfer deshalb stets mit dem "Problem des Planers" konfrontiert: Der Planer kann in Abwesenheit von Preisen Ressourcen nicht wohlfahrtsmaximierend verteilen. Wirtschaftliche Entwicklung, verstanden als die ständige Neuverteilung und dadurch bessere Verwendung von Ressourcen aus Sicht der Nutzer, kann, so Coyne, durch Entwicklungshilfe nicht herbeigeführt werden. Es sei im besten Fall möglich, die Ausbringungsmenge der von Entwicklungshelfern bestimmten Güter und Dienstleistungen zu erhöhen. Deshalb ist Coyne lediglich bezüglich kurzfristiger humanitärer Hilfe verhalten optimistisch.
Ein verhaltener Optimismus ist angebracht, denn der Verfasser zeigt mit Hilfe von Konzepten aus der Politischen Ökonomie überzeugend, warum Bemühungen der Entwicklungshilfe häufig bereits daran scheitern, die von Entwicklungshelfern gesetzten Ziele zu erreichen. Unter anderem beleuchtet Coyne Probleme großer bürokratischer Einheiten, von Zielen der Entwicklungshilfe abweichende politische Interessen, negative unbeabsichtigte Konsequenzen des Eingriffs in komplexe soziale Strukturen, das Streben nach größeren Budgets und die Abwesenheit bindender Verpflichtungen für Hilfsorganisationen.
Der interessierte Laie kann den detailreichen verbalen theoretischen Ausführungen problemlos folgen und profitiert von zahlreichen Fallstudien. Die Botschaft mag für viele ernüchternd sein, zeigt es doch die Grenzen der Gestaltung der sozialen Welt am Reißbrett auf. Der Autor spricht sich folgerichtig für eine "Entwicklung als Entdeckungsverfahren" aus. Anstatt im Rahmen der Entwicklungshilfe Ziele von außen zu formulieren, sollten Barrieren abgebaut und notleidenden Menschen der Zugang zu Märkten, auf denen sie ihre eigenen Ziele verfolgen können, erleichtert werden. Geberländer sollten sich für Güter und Dienstleistungen und insbesondere für Migranten aus Entwicklungsländern öffnen. Eine offenere Einwanderungspolitik der entwickelten Welt wäre, so Coyne, die effektivste Möglichkeit der Entwicklungshilfe.
ALEXANDER FINK
Christopher Coyne: Doing Bad by Doing Good. Stanford Economics and Finance, Stanford 2013, 272 Seiten, 19,30 Euro (Taschenbuch)
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