Schon in der Hochzeitsnacht wird den beiden klar, dass diese Ehe ein Missverständnis ist: Die starke Dojnaa und der schmächtige Waise Doormak passen nicht zusammen, aber den anderen abzulehnen, dazu waren sie beide zu schüchtern. Dojnaa gibt sich alle Mühe, Doormak zu lieben, und als der ihr unterlegene Doormak beginnt, Bestätigung bei anderen Frauen und bei seinen Trinkkumpanen zu suchen, bleiben ihr immerhin die Kinder. Erst wie er eines Tages ganz wegbleibt, vermisst ihn Dojnaa - zu ihrem eigenen Erstaunen: Alles scheint ihr besser als das Alleinsein. Doch ganz unerwartet erwacht in ihr die alte Jagdleidenschaft wieder. Sie entdeckt ihre Unabhängigkeit und stellt fest, dass es nicht unbedingt die Ehe braucht, um Liebe und Glück zu finden. Dojnaas Geschichte, auf den ersten Blick fern und fremd, überwindet alle Grenzen und wird zur eindringlichen und heutigen Erzählung über die Sehnsucht nach Liebe und Erfüllung. "Eine fesselnde, eindringliche Geschichte über die Menschheitsthemen von Liebe und Sehnsucht, Verletzung und Heilung." Petra Faryn, Lesart ">Dojnaa< steht >Dshamilja<, der schönsten Liebesgeschichte der Welt, in nichts nach." Sabine Berking, Frankfurter Allgemeine Zeitung "Ein Autor, der mit einem Werk von archaischer Wucht und feiner Psychologie fasziniert." Kölner Stadt-Anzeiger "Zur gleichen Zeit, wie die bekannt geglaubte Muttersprache dem deutschen Leser neue Züge offenbart, wird die fremde Welt der tuwinischen Nomaden ganz vertraut. Um das zu erreichen, erlaubt sich Tschinags Körper-Sprache keine Verklemmtheiten." Mareile Ahrndt, Financial Times Deutschland
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.07.2001Kampf der Jägerin und der Wölfin
Vergeßt die Tuwa nicht: Galsan Tschinags Erzählung "Dojnaa" setzt einem Nomadenvolk im Altai ein Denkmal · Von Sabine Berking
Auf der diesjährigen Pariser Buchmesse präsentierte sich der Ehrengast Deutschland mit vielen neuen Namen, die zuweilen alles andere als deutsch klangen, darunter Feridun Zaimoglu, Wladimir Kaminer, Zafer Senocak. Es scheint, als könnten wir aufatmen: Nicht nur den Engländern, Franzosen oder Amerikanern weht mit der wachsenden Zahl von "translated men" - wie Salman Rushdie jene Grenzgänger einmal nannte, die in einer anderen als ihrer Muttersprache schreiben - ein frischer Wind in ihre Erzählwelten. Natürlich ist nicht gleich jeder Kulturgrenzgänger ein kongenialer Wortakrobat, doch "stemmen" die Sprach- und Kulturnomaden, wie einer von ihnen einmal sagte, "Frische in die Branche".
Längst hat sich zu den schreibenden Gastarbeiterkindern, die mit der deutschen Sprache aufgewachsen sind, eine zunehmende Zahl von Migranten und Weltenbummlern verschiedenster Couleur gesellt: der Brasilianer Zé de Rock, der Syrer Rafik Schami, die Japanerin Yoko Tawada, die Ungarin Terezia Mora, der Bulgare Ilija Trojanow oder der Pole Dariusz Muszer, um nur einige zu nennen.
Zu ihnen gehört auch der aus der Mongolei stammende Galsan Tschinag. Er ist nicht das, was man gemeinhin einen Kulturnomaden nennt, der, aus dem Süden oder Osten kommend, auf einer der transkulturellen Kreuzungen in Europa oder Nordamerika seine Zelte aufschlägt und seine Nahrung aus dem Nebeneinander und der Vermischung der Kulturen bezieht. Auch Tschinag, Träger des Chamisso-Preises und des Puchheimer Leserpreises, war in Paris dabei, aber es wird leicht vergessen, daß Tschinag seine Bücher auf deutsch schreibt. Fern liegen ihre Schauplätze, märchenhaft muten die Handlungen an, fremd erscheinen die Charaktere, exotisch die Landschaften.
Als ein Märchen bezeichnet Tschinag auch sein Leben: Der deutschsprachige Schriftsteller und Dichter lebt und arbeitet in Ulaanbaatar, der mongolischen Hauptstadt. Er gehört zum kleinen Volk der Tuwa, turksprachigen Nomaden, die im hohen Altai, einer "Hintertasche Zentralasiens", seit Jahrhunderten mit ihren Jurten von Weideplatz zu Weideplatz ziehen. Tschinag ist ihr Stammesfürst und obendrein ein anerkannter Schamane. Im Jahr 1996 führte er Teile seines Volkes, das in den sechziger Jahren den Kasachen weichen mußte und in die Zentralmongolei umgesiedelt worden war, mit einer Karawane über zweitausend Kilometer in die angestammte Heimat zurück. Die Tuwa, die lange auf der untersten Stufe der ethnischen Rangleiter der Mongolei standen, bilden eine Brücke zwischen den altaisprachigen, buddhistischen Mongolen und den turksprachigen, muslimischen Kasachen - der Altai ist eine natürliche Grenze. Dort wurde Galsan Tschinag in einem Winter Anfang der vierziger Jahre geboren, wann genau, weiß er selbst nicht, denn es ist die Jahreszeit, die für die Viehzüchter zählt, nicht die Jahreszahl. Dem Land, das nur langsam "von der Urzeit in die Uhrzeit" gelangt, das wie im Zeittunnel eine Gesellschaftsordnung übersprungen hat, vom Feudalismus schnurstracks in den Kommunismus sowjetischer Prägung marschierte und heute mit den Auswüchsen der unverdauten Marktwirtschaft kämpft, bescherte der Sozialismus einst eine bescheidene Bildungsreform. Tschinag, der Nomadensohn, dessen Eltern vermutlich nie eine höhere Schule kennengelernt hatten, wollte früh ein Dichter werden wie Lermontow, ein Gelehrter wie der Bauernsohn Lomonossow und ein Kosmonaut wie Gagarin, der erste Mann im All. Das Schreiben lernte er früh - anhand der Epen und Schamanengesänge seines Volkes. Später studierte er in Ulaanbataar mongolische Sprache und Literatur, bis die Regierung den begabten jungen Mann zum Germanistik-Studium nach Leipzig schickte. Seitdem heißt er Galsan Tschinag, denn wer im Westen hätte sich den Namen Irgit Schynykbaj-oglu Dshuruk-uwaa wohl merken können?
In Leipzig begann er damit, sich die deutsche Sprache, die er nach wenigen Monaten fließend beherrschte, für einen höheren Zweck zu leihen. Virtuos, wortgewaltig und sendungsbewußt: Sein mittlerweile auf fünfzehn Bände - Erzählungen, Romane, Gedichte - angewachsenes OEuvre, das inzwischen in zehn Sprachen übersetzt wurde, nennt er den "Schwanengesang eines gehenden Volkes". Tschinag möchte seinem kleinen Volk, das bis heute keine Schriftsprache besitzt, in der Weltkultur ein Denkmal setzen. Mit seiner jüngsten Erzählung fügt er diesem Monument einen weiteren Stein hinzu.
Im Zentrum der Novelle "Dojnaa" steht die starke und stolze Tochter des Elefanten, eines legendären Tuwa-Jägers. Die "gewaltig-hügelige" Frau heiratet einen mickrigen Nichtsnutz und Trinker, weil die Halbwaise sich zu ihm, dem Vollwaisen, hingezogen fühlte und weil das Naturkind allzu fest glaubte, daß auch bei den Menschen alles Männliche zu allem Weiblichen passe. Wozu die Qual der Wahl? Geduldig erträgt Dojnaa den Verlust dreier Kinder, die zahlreichen Schwangerschaften, die Lasten der Arbeit und die zunehmenden Erniedrigungen in der Ehe, die fehlende Liebe, das Fremdgehen und Trinken ihres Mannes. Erst als dieser die Pferde, ja selbst die einzige Stute und die Jagdausrüstung ihres Vaters gegen ein Motorrad eintauschen will und sich seine Wut auch gegen die Kinder richtet, begehrt Dojnaa auf und schlägt, stark und gewaltig wie sie ist, zurück. Der unterlegene Hausherr verläßt gedemütigt die Jurte. Was folgt, ist die Wiedergeburt einer Heldin. Ausgerechnet der alte Ergek freit - von seiner eigenen Frau dazu mehr als ermuntert - um die junge Jägerin. Das Paar ist kinderlos, und Anaj, die Alte, will ihrem Mann auf diese Weise vielleicht doch noch zum ersehnten Nachwuchs und sich selbst zu einer Tochter, Schwester und Freundin verhelfen.
Louis Aragon nannte Aitmatows "Dschamila" einst eine der schönsten Liebesgeschichten. "Dojnaa" steht der poetischen Novelle des Kirgisen in nichts nach. Es ist eine Geschichte über Liebe und Pragmatismus, über den Kampf um Selbstachtung und um den Erhalt einer Sippe. Vieles mutet archaisch an, wie das mit vitaler Bildhaftigkeit und viel Humor beschriebene lieblose Liebesleben Dojnaas und ihres Mannes. Und doch erzählt Tschinag eine ganz und gar moderne Geschichte vom Zerfall der Familie, vom Scheitern einer Ehe und dem damit verbundenen Ende eines Traums, vom Kampf zwischen Männern und Frauen, bei dem es immer mehr Verlierer als Gewinner gibt, und von dem folgenreichen Bruch des Menschen mit der ihn nährenden Natur. Zuweilen fühlt der westliche Leser, wie Tschinag den Staub und Schutt unserer Zivilisation abkratzt und uns zurückblicken läßt in die Kindheitstage der menschlichen Existenz.
Die Erzählung berührt dort am stärksten, wo ihre Protagonistin auf der Jagd ihrem Alter ego in der Natur begegnet, einer Wölfin, die Dojnaas einzige Stute gerissen hatte, um sich und den Nachwuchs, der in ihr heranwächst, zu erhalten. Tschinag muß keine DNA-Entschlüsselungen bemühen, um uns daran zu erinnern, daß es nur winzige Details sind, die Jägerin und Gejagte trennen - Leben ist Leben, vor allem dann, wenn es ums Überleben geht: "Sie sah eine Wölfin und eine Frau, und beide steckten in einer Falle. Die der Ersten war stählern, aus drei Paaren messerdünner, verbogener Bänder, jedes so breit wie zwei zusammengelegte Finger, die der Letzteren war aus Fleisch, aus einem Geschlinge von Menschenleibern. Die eine war voll wilder Wut, legte ihr gefletschtes, grell blitzendes Gebiß an den eigenen Leib, sägte und kaute daran, die andere, voll zahmer Demut, gefiel sich im Gebaren, immer tiefer in das Geschlinge versinken zu wollen."
Dann kommt es zu einer beklemmenden Szene: Die Jägerin tötet das Tier und sucht in den Falten der Leber vergebens nach der Galle, die sie austrinken will - um die eigene kranke Galle zu heilen, aber auch als Geste. mit der sie die Wölfin um Vergebung bitten will, denn sie hatte das Tier "in einem ungleichen Kampf bezwungen". Am Ende wird die Wölfin der Jägerin wieder erscheinen und mit ihr die Gewißheit, daß Blut eben nicht nur mit Blut "verschreckt und vertilgt" werden kann. Denn das ist eine schale Weisheit aus einer männlichen Welt.
Gewidmet hat der Autor seine Erzählung "der nomadischen Frau, auf deren Schultern das Geschick einer untergehenden Welt ruht". Doch ist der schmale Band weit mehr als die Hommage an tapfere Frauen und die ethnologisch-detaillierte Beschreibung des Endes einer althergebrachten Lebensform in einem vergessenen Winkel des Erdballs. In seinem melodiösen, kraftvollen Deutsch, das die bildhafte, "wurzelig-kernige" Sprache der Tuwa, die sich wohl deshalb seit Jahrhunderten kaum verändert hat, weil auch das Leben der Nomaden nur wenigen Veränderungen unterlegen war, durchschimmern läßt, entwickelt der Autor eine große Parabel vom Sinn und Unsinn des Brudermordes und vom zweifelhaften Segen der Zivilisation.
Tschinag hat stets betont, daß der Untergang der Nomadenwelt in Zentralasien unabwendbar sei, daß auch sein Volk "bald aus der Geschichte gehen wird" und daß es - wie er in seiner Dokumentation "Die Karawane" konstatiert - die "gutmütigen, selbstlosen Mitglieder einer Urgesellschaft nicht gibt". Doch spürt man in "Dojnaa" wie in kaum einem anderen seiner Bücher die sich dem Abschiedsgesang widersetzende Phantasie des deutsch-tuwinischen Schriftstellers, der den Westen nur allzu gut kennt und der dem eigenen "Schwanengesang" nicht mehr zu glauben scheint. Sein Altai ist kein Tschechowscher Kirschgarten, und seine Heldinnen sind keine träumenden, melancholischen Schwestern, sondern eine Jägerin von "frech-stolzer Erscheinung" und eine "unversehrte und springlebendige" Wölfin.
Und wem erzählt er die Geschichte aus einer prämodernen Gesellschaft? Uns, einer Leserschaft, die eine Krise der industriellen Landwirtschaft nach der anderen erfahren muß und sich über die Risiken und Chancen der Genmanipulation den abendländisch-müden Kopf zerbricht. Uns, die wir so gern glauben würden, daß es irgendwo noch ein Stück unverbrauchte Natur gibt, in das wir uns retten können, wenn die Kassandrarufe der Umweltschützer wahr werden. Welcher Schwan singt hier welches Lied? Und für wen?
Galsan Tschinag: "Dojnaa". Erzählung. A1 Verlag, München 2001. 144 S., geb., 32,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Vergeßt die Tuwa nicht: Galsan Tschinags Erzählung "Dojnaa" setzt einem Nomadenvolk im Altai ein Denkmal · Von Sabine Berking
Auf der diesjährigen Pariser Buchmesse präsentierte sich der Ehrengast Deutschland mit vielen neuen Namen, die zuweilen alles andere als deutsch klangen, darunter Feridun Zaimoglu, Wladimir Kaminer, Zafer Senocak. Es scheint, als könnten wir aufatmen: Nicht nur den Engländern, Franzosen oder Amerikanern weht mit der wachsenden Zahl von "translated men" - wie Salman Rushdie jene Grenzgänger einmal nannte, die in einer anderen als ihrer Muttersprache schreiben - ein frischer Wind in ihre Erzählwelten. Natürlich ist nicht gleich jeder Kulturgrenzgänger ein kongenialer Wortakrobat, doch "stemmen" die Sprach- und Kulturnomaden, wie einer von ihnen einmal sagte, "Frische in die Branche".
Längst hat sich zu den schreibenden Gastarbeiterkindern, die mit der deutschen Sprache aufgewachsen sind, eine zunehmende Zahl von Migranten und Weltenbummlern verschiedenster Couleur gesellt: der Brasilianer Zé de Rock, der Syrer Rafik Schami, die Japanerin Yoko Tawada, die Ungarin Terezia Mora, der Bulgare Ilija Trojanow oder der Pole Dariusz Muszer, um nur einige zu nennen.
Zu ihnen gehört auch der aus der Mongolei stammende Galsan Tschinag. Er ist nicht das, was man gemeinhin einen Kulturnomaden nennt, der, aus dem Süden oder Osten kommend, auf einer der transkulturellen Kreuzungen in Europa oder Nordamerika seine Zelte aufschlägt und seine Nahrung aus dem Nebeneinander und der Vermischung der Kulturen bezieht. Auch Tschinag, Träger des Chamisso-Preises und des Puchheimer Leserpreises, war in Paris dabei, aber es wird leicht vergessen, daß Tschinag seine Bücher auf deutsch schreibt. Fern liegen ihre Schauplätze, märchenhaft muten die Handlungen an, fremd erscheinen die Charaktere, exotisch die Landschaften.
Als ein Märchen bezeichnet Tschinag auch sein Leben: Der deutschsprachige Schriftsteller und Dichter lebt und arbeitet in Ulaanbaatar, der mongolischen Hauptstadt. Er gehört zum kleinen Volk der Tuwa, turksprachigen Nomaden, die im hohen Altai, einer "Hintertasche Zentralasiens", seit Jahrhunderten mit ihren Jurten von Weideplatz zu Weideplatz ziehen. Tschinag ist ihr Stammesfürst und obendrein ein anerkannter Schamane. Im Jahr 1996 führte er Teile seines Volkes, das in den sechziger Jahren den Kasachen weichen mußte und in die Zentralmongolei umgesiedelt worden war, mit einer Karawane über zweitausend Kilometer in die angestammte Heimat zurück. Die Tuwa, die lange auf der untersten Stufe der ethnischen Rangleiter der Mongolei standen, bilden eine Brücke zwischen den altaisprachigen, buddhistischen Mongolen und den turksprachigen, muslimischen Kasachen - der Altai ist eine natürliche Grenze. Dort wurde Galsan Tschinag in einem Winter Anfang der vierziger Jahre geboren, wann genau, weiß er selbst nicht, denn es ist die Jahreszeit, die für die Viehzüchter zählt, nicht die Jahreszahl. Dem Land, das nur langsam "von der Urzeit in die Uhrzeit" gelangt, das wie im Zeittunnel eine Gesellschaftsordnung übersprungen hat, vom Feudalismus schnurstracks in den Kommunismus sowjetischer Prägung marschierte und heute mit den Auswüchsen der unverdauten Marktwirtschaft kämpft, bescherte der Sozialismus einst eine bescheidene Bildungsreform. Tschinag, der Nomadensohn, dessen Eltern vermutlich nie eine höhere Schule kennengelernt hatten, wollte früh ein Dichter werden wie Lermontow, ein Gelehrter wie der Bauernsohn Lomonossow und ein Kosmonaut wie Gagarin, der erste Mann im All. Das Schreiben lernte er früh - anhand der Epen und Schamanengesänge seines Volkes. Später studierte er in Ulaanbataar mongolische Sprache und Literatur, bis die Regierung den begabten jungen Mann zum Germanistik-Studium nach Leipzig schickte. Seitdem heißt er Galsan Tschinag, denn wer im Westen hätte sich den Namen Irgit Schynykbaj-oglu Dshuruk-uwaa wohl merken können?
In Leipzig begann er damit, sich die deutsche Sprache, die er nach wenigen Monaten fließend beherrschte, für einen höheren Zweck zu leihen. Virtuos, wortgewaltig und sendungsbewußt: Sein mittlerweile auf fünfzehn Bände - Erzählungen, Romane, Gedichte - angewachsenes OEuvre, das inzwischen in zehn Sprachen übersetzt wurde, nennt er den "Schwanengesang eines gehenden Volkes". Tschinag möchte seinem kleinen Volk, das bis heute keine Schriftsprache besitzt, in der Weltkultur ein Denkmal setzen. Mit seiner jüngsten Erzählung fügt er diesem Monument einen weiteren Stein hinzu.
Im Zentrum der Novelle "Dojnaa" steht die starke und stolze Tochter des Elefanten, eines legendären Tuwa-Jägers. Die "gewaltig-hügelige" Frau heiratet einen mickrigen Nichtsnutz und Trinker, weil die Halbwaise sich zu ihm, dem Vollwaisen, hingezogen fühlte und weil das Naturkind allzu fest glaubte, daß auch bei den Menschen alles Männliche zu allem Weiblichen passe. Wozu die Qual der Wahl? Geduldig erträgt Dojnaa den Verlust dreier Kinder, die zahlreichen Schwangerschaften, die Lasten der Arbeit und die zunehmenden Erniedrigungen in der Ehe, die fehlende Liebe, das Fremdgehen und Trinken ihres Mannes. Erst als dieser die Pferde, ja selbst die einzige Stute und die Jagdausrüstung ihres Vaters gegen ein Motorrad eintauschen will und sich seine Wut auch gegen die Kinder richtet, begehrt Dojnaa auf und schlägt, stark und gewaltig wie sie ist, zurück. Der unterlegene Hausherr verläßt gedemütigt die Jurte. Was folgt, ist die Wiedergeburt einer Heldin. Ausgerechnet der alte Ergek freit - von seiner eigenen Frau dazu mehr als ermuntert - um die junge Jägerin. Das Paar ist kinderlos, und Anaj, die Alte, will ihrem Mann auf diese Weise vielleicht doch noch zum ersehnten Nachwuchs und sich selbst zu einer Tochter, Schwester und Freundin verhelfen.
Louis Aragon nannte Aitmatows "Dschamila" einst eine der schönsten Liebesgeschichten. "Dojnaa" steht der poetischen Novelle des Kirgisen in nichts nach. Es ist eine Geschichte über Liebe und Pragmatismus, über den Kampf um Selbstachtung und um den Erhalt einer Sippe. Vieles mutet archaisch an, wie das mit vitaler Bildhaftigkeit und viel Humor beschriebene lieblose Liebesleben Dojnaas und ihres Mannes. Und doch erzählt Tschinag eine ganz und gar moderne Geschichte vom Zerfall der Familie, vom Scheitern einer Ehe und dem damit verbundenen Ende eines Traums, vom Kampf zwischen Männern und Frauen, bei dem es immer mehr Verlierer als Gewinner gibt, und von dem folgenreichen Bruch des Menschen mit der ihn nährenden Natur. Zuweilen fühlt der westliche Leser, wie Tschinag den Staub und Schutt unserer Zivilisation abkratzt und uns zurückblicken läßt in die Kindheitstage der menschlichen Existenz.
Die Erzählung berührt dort am stärksten, wo ihre Protagonistin auf der Jagd ihrem Alter ego in der Natur begegnet, einer Wölfin, die Dojnaas einzige Stute gerissen hatte, um sich und den Nachwuchs, der in ihr heranwächst, zu erhalten. Tschinag muß keine DNA-Entschlüsselungen bemühen, um uns daran zu erinnern, daß es nur winzige Details sind, die Jägerin und Gejagte trennen - Leben ist Leben, vor allem dann, wenn es ums Überleben geht: "Sie sah eine Wölfin und eine Frau, und beide steckten in einer Falle. Die der Ersten war stählern, aus drei Paaren messerdünner, verbogener Bänder, jedes so breit wie zwei zusammengelegte Finger, die der Letzteren war aus Fleisch, aus einem Geschlinge von Menschenleibern. Die eine war voll wilder Wut, legte ihr gefletschtes, grell blitzendes Gebiß an den eigenen Leib, sägte und kaute daran, die andere, voll zahmer Demut, gefiel sich im Gebaren, immer tiefer in das Geschlinge versinken zu wollen."
Dann kommt es zu einer beklemmenden Szene: Die Jägerin tötet das Tier und sucht in den Falten der Leber vergebens nach der Galle, die sie austrinken will - um die eigene kranke Galle zu heilen, aber auch als Geste. mit der sie die Wölfin um Vergebung bitten will, denn sie hatte das Tier "in einem ungleichen Kampf bezwungen". Am Ende wird die Wölfin der Jägerin wieder erscheinen und mit ihr die Gewißheit, daß Blut eben nicht nur mit Blut "verschreckt und vertilgt" werden kann. Denn das ist eine schale Weisheit aus einer männlichen Welt.
Gewidmet hat der Autor seine Erzählung "der nomadischen Frau, auf deren Schultern das Geschick einer untergehenden Welt ruht". Doch ist der schmale Band weit mehr als die Hommage an tapfere Frauen und die ethnologisch-detaillierte Beschreibung des Endes einer althergebrachten Lebensform in einem vergessenen Winkel des Erdballs. In seinem melodiösen, kraftvollen Deutsch, das die bildhafte, "wurzelig-kernige" Sprache der Tuwa, die sich wohl deshalb seit Jahrhunderten kaum verändert hat, weil auch das Leben der Nomaden nur wenigen Veränderungen unterlegen war, durchschimmern läßt, entwickelt der Autor eine große Parabel vom Sinn und Unsinn des Brudermordes und vom zweifelhaften Segen der Zivilisation.
Tschinag hat stets betont, daß der Untergang der Nomadenwelt in Zentralasien unabwendbar sei, daß auch sein Volk "bald aus der Geschichte gehen wird" und daß es - wie er in seiner Dokumentation "Die Karawane" konstatiert - die "gutmütigen, selbstlosen Mitglieder einer Urgesellschaft nicht gibt". Doch spürt man in "Dojnaa" wie in kaum einem anderen seiner Bücher die sich dem Abschiedsgesang widersetzende Phantasie des deutsch-tuwinischen Schriftstellers, der den Westen nur allzu gut kennt und der dem eigenen "Schwanengesang" nicht mehr zu glauben scheint. Sein Altai ist kein Tschechowscher Kirschgarten, und seine Heldinnen sind keine träumenden, melancholischen Schwestern, sondern eine Jägerin von "frech-stolzer Erscheinung" und eine "unversehrte und springlebendige" Wölfin.
Und wem erzählt er die Geschichte aus einer prämodernen Gesellschaft? Uns, einer Leserschaft, die eine Krise der industriellen Landwirtschaft nach der anderen erfahren muß und sich über die Risiken und Chancen der Genmanipulation den abendländisch-müden Kopf zerbricht. Uns, die wir so gern glauben würden, daß es irgendwo noch ein Stück unverbrauchte Natur gibt, in das wir uns retten können, wenn die Kassandrarufe der Umweltschützer wahr werden. Welcher Schwan singt hier welches Lied? Und für wen?
Galsan Tschinag: "Dojnaa". Erzählung. A1 Verlag, München 2001. 144 S., geb., 32,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Eine fesselnde, eindringliche Geschichte über die Menschheitsthemen von Liebe und Sehnsucht, Verletzung und Heilung.« Petra Faryn Lesart