Produktdetails
- Carlsen Comics
- Verlag: Carlsen
- Seitenzahl: 64
- Deutsch
- Abmessung: 12mm x 241mm x 320mm
- Gewicht: 670g
- ISBN-13: 9783551761484
- ISBN-10: 3551761485
- Artikelnr.: 10269955
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.04.2002Mister Hyde, der Nowhere Man
Die Stadt ist der Horror in dieser Geschichte, sie scheint aus Nächten gebaut, die man durchqueren muss wie unbekannte Räume. Ein Horror aber, der immer auch Hoffnung enthält – auf Wandel, auf Erneuerung. Selbst wenn es sich dabei um ein so miserables Subjekt, einen absolut miesen Charakter wie – siehe oben – den verrufenen Mr. Hyde handelt.
Hyde will heim, will zurück in die Welt des Normalen, des des diffusen Menschseins. Will die Trennung wieder rückgängig machen, die der von unbezwingbarer Neugier, von seiner Gier nach Wissen beherrschte Dr. Jekyll ihm aufgezwungen hat. Das teilt er mit all den anderen Helden des Comic-Zeichners Lorenzo Mattotti – diesen Moment, da er noch einmal zum Kind wird. Mattotti steht voll auf der Seite der Kinder, er liebt es, für sie zu erzählen – einmal hat er, als die Tochter eines Bekannten das gewünscht hat, mit seinem Freund Jerry Kramsky eins ihrer Bücher, „Labyrinthes”, als Kinderbuch nochmal erzählt.
Ein eigentümliches Hinundher bewegt uns, wenn wir uns ins erzählerische Labyrinth von Mattotti und Kramksy begeben. Zwischen Schauder und Faszination oszilliert unsere Lektüre, angezogen und zurückschreckend zugleich. Wenn Bewegung ist in diesen Bildern, dann ist sie total – egal, ob es Flucht ist und Verfolgung, oder einfach die Lust am Laufen. Mattotti sieht seine Kunst musikalisch: Ob das schwer sei, der Jazz, sei ein Musiker mal gefragt worden. Nein, habe er geantwortet, es genügt doch zuzuhören. Das scheint für Mattotti das Geheimnis der ligne claire – klare Konturen, die dem Leser den Raum lassen für die eigenen Gedanken, Träume, Visionen (Doktor Jekyll & Mister Hyde. Frei nach der Erzählung von Robert Louis Stevenson. Text: Lorenzo Mattotti, Jerry Kramsky. Zeichnungen: Lorenzo Mattotti. Aus dem Italienischen von Rossi Schreiber. Carlsen Verlag, Hamburg 2002. 46 Seiten).
Seit Borges, seit Calvino gehört auch Stevensons Edinburgh zu den unsichtbaren Städten der Moderne.Mattotti macht sie zur futuristischen Stadt, das heißt zu einem Ort, der zwischen dem Gestern und dem Morgen sein Heute verloren hat. Ein Niemandsort, in dem Hyde den perfekten Nobody abgibt. Farborgien gibt es, sexuelle brutale Exzesse, in die Hyde sich hoffnungslos verzettelt, aber von einer forcierten Farbigkeit scheint schon das bürgerliche Leben: Roaring Twenties, Grosz, Augen und Spiralen, Drogen, Jazz ... Die Ekstase hat wenig von Befreiung – alles ist so dicht gedrängt, ohne freien Raum. Man sehnt sich nach den toten Punkten der Nacht, nach Erschöpfung und Dunkelheit, wenn das Leben sich dem Schwarzweiß annähert – Hoffnung der Menschheit durch Monochromie.
Die Reise und die Flucht, Verwandlung und Erneuerung, die fremde Stadt ... Hyde will heim, zurück wie Pinocchio oder Huck Finn, aber die Brücken, die auf den Bildern immer wieder auftauchen, sind unpassierbar, und auf der anderen Seite liegt das Land der Phantome. Das Glück aber steckt in einem Goldfischglas, dessen Bild man sich bewahrt aus der Kindheit.
göt/Abb.
: Verlag
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Die Stadt ist der Horror in dieser Geschichte, sie scheint aus Nächten gebaut, die man durchqueren muss wie unbekannte Räume. Ein Horror aber, der immer auch Hoffnung enthält – auf Wandel, auf Erneuerung. Selbst wenn es sich dabei um ein so miserables Subjekt, einen absolut miesen Charakter wie – siehe oben – den verrufenen Mr. Hyde handelt.
Hyde will heim, will zurück in die Welt des Normalen, des des diffusen Menschseins. Will die Trennung wieder rückgängig machen, die der von unbezwingbarer Neugier, von seiner Gier nach Wissen beherrschte Dr. Jekyll ihm aufgezwungen hat. Das teilt er mit all den anderen Helden des Comic-Zeichners Lorenzo Mattotti – diesen Moment, da er noch einmal zum Kind wird. Mattotti steht voll auf der Seite der Kinder, er liebt es, für sie zu erzählen – einmal hat er, als die Tochter eines Bekannten das gewünscht hat, mit seinem Freund Jerry Kramsky eins ihrer Bücher, „Labyrinthes”, als Kinderbuch nochmal erzählt.
Ein eigentümliches Hinundher bewegt uns, wenn wir uns ins erzählerische Labyrinth von Mattotti und Kramksy begeben. Zwischen Schauder und Faszination oszilliert unsere Lektüre, angezogen und zurückschreckend zugleich. Wenn Bewegung ist in diesen Bildern, dann ist sie total – egal, ob es Flucht ist und Verfolgung, oder einfach die Lust am Laufen. Mattotti sieht seine Kunst musikalisch: Ob das schwer sei, der Jazz, sei ein Musiker mal gefragt worden. Nein, habe er geantwortet, es genügt doch zuzuhören. Das scheint für Mattotti das Geheimnis der ligne claire – klare Konturen, die dem Leser den Raum lassen für die eigenen Gedanken, Träume, Visionen (Doktor Jekyll & Mister Hyde. Frei nach der Erzählung von Robert Louis Stevenson. Text: Lorenzo Mattotti, Jerry Kramsky. Zeichnungen: Lorenzo Mattotti. Aus dem Italienischen von Rossi Schreiber. Carlsen Verlag, Hamburg 2002. 46 Seiten).
Seit Borges, seit Calvino gehört auch Stevensons Edinburgh zu den unsichtbaren Städten der Moderne.Mattotti macht sie zur futuristischen Stadt, das heißt zu einem Ort, der zwischen dem Gestern und dem Morgen sein Heute verloren hat. Ein Niemandsort, in dem Hyde den perfekten Nobody abgibt. Farborgien gibt es, sexuelle brutale Exzesse, in die Hyde sich hoffnungslos verzettelt, aber von einer forcierten Farbigkeit scheint schon das bürgerliche Leben: Roaring Twenties, Grosz, Augen und Spiralen, Drogen, Jazz ... Die Ekstase hat wenig von Befreiung – alles ist so dicht gedrängt, ohne freien Raum. Man sehnt sich nach den toten Punkten der Nacht, nach Erschöpfung und Dunkelheit, wenn das Leben sich dem Schwarzweiß annähert – Hoffnung der Menschheit durch Monochromie.
Die Reise und die Flucht, Verwandlung und Erneuerung, die fremde Stadt ... Hyde will heim, zurück wie Pinocchio oder Huck Finn, aber die Brücken, die auf den Bildern immer wieder auftauchen, sind unpassierbar, und auf der anderen Seite liegt das Land der Phantome. Das Glück aber steckt in einem Goldfischglas, dessen Bild man sich bewahrt aus der Kindheit.
göt/Abb.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Dank des Gleichgewichts zwischen Werktreue und persönlichem Zugriff ein interessantes Beispiel für die gelungene Comicadaption eines literarischen Stoffes, findet Rezensent Christian Gasser. Das Duo Mattotti und Kramsky würden zwar über weite Strecken den originalen Text übernehmen, doch hätten sie entscheidende Eingriffe vorgenommen. Die um Jekylls Abschiedsbrief artikulierte Geschichte hätten sie in die zwanziger Jahre des Zwanzigsten Jahrhunderts verlegt, die Zeit, in der "das Böse die politische Bühne" erobert hätte. Dies wiederum ermögliche Mattotti, Hydes wüste Exzesse mit "Otto-Dix- und George-Grosz-Zitaten zu schärfen. Dennoch vermisst der Rezensent bisweilen die Dichte und Poesie, die Mattottis eigene Comic-Romane seiner Meinung nach auszeichnen und hat den Eindruck, der prominente Comiczeichner würde sich hinter den spektakulären Bildern verstecken. Der Lustgewinn bei deren Betrachtung scheint jedoch beträchtlich gewesen zu sein.
© Perlentaucher Medien GmbH
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