Neue Reihe zur deutsch-deutschen Militärgeschichte
Dieser Band versammelt zahlreiche bislang unveröffentlichte Dokumente zur Militärgeschichte der Bundesrepublik Deutschland und der DDR. Sie stammen aus den Verteidigungsministerien, den Streitkräften, den Protestbewegungen oder aus privater Hand. Mit dieser breiten Basis wird die Geschichte des deutschen Militärs während des Ost-West-Konflikts in ihren politischen, gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Dimensionen erstmals umfassend in Quellen präsentiert.
In insgesamt 217 Dokumenten und vier Karten werden zahlreiche Themen behandelt. Dazu zählen die sicherheitspolitische Einbindung beider deutscher Staaten in den internationalen Kontext, militärische Selbst- und Fremdbilder, Repräsentationen des Militärischen in einer medialisierten Gesellschaft oder das Verhältnis von Frauen und Jugend zum Militär. Auf diese Weise macht der Band erschließbar, wie das Militärische die deutsch-deutsche Geschichte vomEnde des Zweiten Weltkriegs bis zur Wiedervereinigung prägte.
Band 1 der Reihe »Deutsch-deutsche Militärgeschichte«
Dieser Band versammelt zahlreiche bislang unveröffentlichte Dokumente zur Militärgeschichte der Bundesrepublik Deutschland und der DDR. Sie stammen aus den Verteidigungsministerien, den Streitkräften, den Protestbewegungen oder aus privater Hand. Mit dieser breiten Basis wird die Geschichte des deutschen Militärs während des Ost-West-Konflikts in ihren politischen, gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Dimensionen erstmals umfassend in Quellen präsentiert.
In insgesamt 217 Dokumenten und vier Karten werden zahlreiche Themen behandelt. Dazu zählen die sicherheitspolitische Einbindung beider deutscher Staaten in den internationalen Kontext, militärische Selbst- und Fremdbilder, Repräsentationen des Militärischen in einer medialisierten Gesellschaft oder das Verhältnis von Frauen und Jugend zum Militär. Auf diese Weise macht der Band erschließbar, wie das Militärische die deutsch-deutsche Geschichte vomEnde des Zweiten Weltkriegs bis zur Wiedervereinigung prägte.
Band 1 der Reihe »Deutsch-deutsche Militärgeschichte«
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.11.2019Über den Eisernen Vorhang
Grundlagenforschung: Quellen aus Ost und West zur deutsch-deutschen Militärgeschichte
Der Herausgeber schreibt, es sei "das Ziel des vorliegenden Bandes, die Bedeutung des Militärischen in der deutschen Geschichte vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis zur Wiedervereinigung . . . erschließbar zu machen". Damit trifft Christoph Nübel eine Lücke der Geschichtsschreibung über die zwei Deutschlands, die zum Teil auch dem gerade im Militärischen eingeschränkten Quellenzugang geschuldet ist. Das Problem vom Standpunkt eines nicht hauptamtlichen Historikers sind hier freilich die drei Worte, die in dem zitierten Satz ausgelassen wurden. Das Vorhaben soll nämlich "anhand von Dokumenten" erreicht werden.
Auf mehr als 800 Seiten werden 217 Originaltexte aus der Zeit zwischen 1944 und 1989 abgedruckt und mit Anmerkungen in ihren Kontext eingeordnet. Die Dokumente stammen aus Ost und West. Der Band begründet eine Reihe namens "Deutsch-deutsche Militärgeschichte". Das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam erfüllt also weiter seinen Auftrag, durch Grundlagenforschung Dienstleister für die Geschichtsschreibung zu sein. Schon ein flüchtiger Blick in den umfangreichen Band lässt ahnen, mit wie viel Arbeit die Quellenauswahl und Bearbeitung der Dokumente verbunden gewesen sein muss. Fachhistoriker werden also sicher den Hut ziehen vor den Forschern aus Potsdam
Es bleibt die Frage, ob Fachhistorikern mit einer noch so umfangreichen Auswahl an Quellen wirklich geholfen ist. Mit der Einleitung des Herausgebers können Fachleute und "normale" Leser dagegen eine Menge anfangen. Christoph Nübel lenkt den Blick auf ein noch wenig beackertes Feld und skizziert Möglichkeiten weiterführender Forschung. Spannend ist allein schon die Perspektive. Bisher wurden Bundesrepublik und DDR meist im Kontext ihrer jeweiligen Bündnissysteme betrachtet. Mit diesem Band überfliegt Nübel gewissermaßen den Eisernen Vorhang und kontrastiert östliche und westliche Perspektive unter besonderer Berücksichtigung des geteilten Landes.
Er zeigt Perspektiven der Forschung auf. Einzelstudien zu den angerissenen Themen werden aber auf mehr Quellen zurückgreifen müssen, als sie selbst dieses dicke Buch zu bieten vermag. Eine Dokumentensammlung ist sicher keine Freizeitlektüre. Das ist aber kein für die Beurteilung relevantes Kriterium. Allerdings könnte das Nachdenken darüber lohnen, ob man die Möglichkeiten der Digitalisierung nicht auch für Projekte wie dieses ausnutzen sollte. Dokumente, auch nicht eine gut sortierte Auswahl, in gedruckter Form zu präsentieren erscheint vor diesem Hintergrund ein wenig aus der Zeit gefallen. Das ist in keiner Weise ein Werturteil über die Qualität der Arbeit von Herausgeber und Mitarbeitern, sondern eine Frage, die an viele ähnliche Projekte historischer Grundlagenforschung und Quellenerschließung zu stellen ist.
PETER STURM
Christoph Nübel (Hrsg.): Dokumente zur Deutschen Militärgeschichte 1945-1990. Bundesrepublik und DDR im Ost-West-Konflikt.
Ch.Links Verlag, Berlin 2019. 986 S., 80,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Grundlagenforschung: Quellen aus Ost und West zur deutsch-deutschen Militärgeschichte
Der Herausgeber schreibt, es sei "das Ziel des vorliegenden Bandes, die Bedeutung des Militärischen in der deutschen Geschichte vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis zur Wiedervereinigung . . . erschließbar zu machen". Damit trifft Christoph Nübel eine Lücke der Geschichtsschreibung über die zwei Deutschlands, die zum Teil auch dem gerade im Militärischen eingeschränkten Quellenzugang geschuldet ist. Das Problem vom Standpunkt eines nicht hauptamtlichen Historikers sind hier freilich die drei Worte, die in dem zitierten Satz ausgelassen wurden. Das Vorhaben soll nämlich "anhand von Dokumenten" erreicht werden.
Auf mehr als 800 Seiten werden 217 Originaltexte aus der Zeit zwischen 1944 und 1989 abgedruckt und mit Anmerkungen in ihren Kontext eingeordnet. Die Dokumente stammen aus Ost und West. Der Band begründet eine Reihe namens "Deutsch-deutsche Militärgeschichte". Das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam erfüllt also weiter seinen Auftrag, durch Grundlagenforschung Dienstleister für die Geschichtsschreibung zu sein. Schon ein flüchtiger Blick in den umfangreichen Band lässt ahnen, mit wie viel Arbeit die Quellenauswahl und Bearbeitung der Dokumente verbunden gewesen sein muss. Fachhistoriker werden also sicher den Hut ziehen vor den Forschern aus Potsdam
Es bleibt die Frage, ob Fachhistorikern mit einer noch so umfangreichen Auswahl an Quellen wirklich geholfen ist. Mit der Einleitung des Herausgebers können Fachleute und "normale" Leser dagegen eine Menge anfangen. Christoph Nübel lenkt den Blick auf ein noch wenig beackertes Feld und skizziert Möglichkeiten weiterführender Forschung. Spannend ist allein schon die Perspektive. Bisher wurden Bundesrepublik und DDR meist im Kontext ihrer jeweiligen Bündnissysteme betrachtet. Mit diesem Band überfliegt Nübel gewissermaßen den Eisernen Vorhang und kontrastiert östliche und westliche Perspektive unter besonderer Berücksichtigung des geteilten Landes.
Er zeigt Perspektiven der Forschung auf. Einzelstudien zu den angerissenen Themen werden aber auf mehr Quellen zurückgreifen müssen, als sie selbst dieses dicke Buch zu bieten vermag. Eine Dokumentensammlung ist sicher keine Freizeitlektüre. Das ist aber kein für die Beurteilung relevantes Kriterium. Allerdings könnte das Nachdenken darüber lohnen, ob man die Möglichkeiten der Digitalisierung nicht auch für Projekte wie dieses ausnutzen sollte. Dokumente, auch nicht eine gut sortierte Auswahl, in gedruckter Form zu präsentieren erscheint vor diesem Hintergrund ein wenig aus der Zeit gefallen. Das ist in keiner Weise ein Werturteil über die Qualität der Arbeit von Herausgeber und Mitarbeitern, sondern eine Frage, die an viele ähnliche Projekte historischer Grundlagenforschung und Quellenerschließung zu stellen ist.
PETER STURM
Christoph Nübel (Hrsg.): Dokumente zur Deutschen Militärgeschichte 1945-1990. Bundesrepublik und DDR im Ost-West-Konflikt.
Ch.Links Verlag, Berlin 2019. 986 S., 80,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.02.2020Neustart
mit Ladehemmung
Christoph Nübel versammelt wichtige und skurrile
historische Dokumente über Bundeswehr und NVA
VON WILLI WINKLER
Nachdem die Wehrmacht, dieses „herrliche Instrument“ (so der ehemalige Stoßtruppführer Ernst Jünger), 1945 mit dem ehemaligen Gefreiten Adolf Hitler glorreich untergegangen war, gestaltete sich die Zukunft für das deutsche Militär schwierig. Nichts zeigt das besser als die Rede, die Wilhelm Pieck im Dezember 1944 im Moskauer Exil vor Führungsoffizieren der Roten Armee hielt. Pieck, der 1917 vor einem Kriegsgericht gestanden hatte und vernünftigerweise desertiert war, beklagte fünf Monate vor der bedingungslosen Kapitulation, dass Deutschland bald „völlig entwaffnet“ werde. Das müsse „im Interesse des dtsch. Volkes“ verhindert werden, wie es in den Vortragsnotizen heißt. Der KPD-Vorsitzende kündigte in Moskau die Wiederbewaffnung an: „Wir werden wieder eine Wehrmacht haben – aber eine demokratische – dem Frieden und den Interessen des Volkes dienende.“
Die Rote Armee nahm dann Berlin ein, und die deutsche Hand, die wahlweise verdorren oder abfallen sollte, falls sie je wieder eine Waffe anrührte, begann recht bald mit der Aufrüstung, im Osten mit Hilfe der Sowjetunion und im Westen mit amerikanischer Bruderhilfe. Der Kalte Krieg begünstigte die Remilitarisierung, aber manchmal musste doch eine neue Spielart der Erkenntnistheorie bemüht werden, so als SED-Chef Walter Ulbricht sich von den „amerikanischen und westdeutschen Imperialisten“ absetzen wollte: „Eine Waffe und eine Waffe ist zweierlei.“
Die Gefahr aus dem Westen, gegen die die Kasernierte Volkspolizei, die spätere Nationale Verteidigungsarmee (NVA), aufgestellt werden sollte, war im Westen jene aus dem Osten. Konrad Adenauer bot bereits in seinen ersten Regierungsmonaten einen deutschen, das heißt westdeutschen Verteidigungsbeitrag an. In einem Besprechungsplan wollten die ehemaligen Wehrmachtsgeneräle Foertsch, Speidel und Heusinger Anfang 1950 die „Frage eines Wehraufbaus in Westdeutschland“ klären. Da wird nicht nur die Weltlage untersucht, da geht es auch darum, dass die Prozesse gegen die selbstverständlich in Anführungszeichen gesetzten „Kriegsverbrecher“ aufhören, dass kritische Zeitungen eingestellt werden, der „landesverräterische Pazifismus“ ebenso wie das im Grundgesetz garantierte Recht auf Kriegsdienstverweigerung bekämpft wird.
Die Bundeswehr, die fünf Jahre später gegründet wurde, ließ es sich angelegen sein, die landesverräterischen Ostermarschierer zu diskreditieren, sie regelrecht zu unterwandern. So wurden Flugblätter der Friedensbewegung gefälscht und Märsche so genau beobachtet, dass sich anhand von „vorgelegten Fotos aus den Nachtquartieren“ die „sittlich-moralische Gefährdung“ der Marschteilnehmer beweisen ließ. Für 1961, als die Bundesrepublik doch schon zwölf Jahre der einzige wahrhaft demokratische Staat auf deutschem Boden sein wollte, dann doch überraschend – oder auch nicht.
Der Band mit den 217 Dokumenten, die Christoph Nübel mit bewunderungswürdigem Fleiß zur deutsch-deutschen Militärgeschichte vom Kriegsende bis 1990 zusammengetragen hat, bildet nicht nur für Spezialisten eine schöne Fundgrube, er zeigt vor allem, wie ähnlich sich die Geschichte in Ost und West manchmal zugetragen hat. Die Probleme in der DDR waren oft nicht anders als die im Westen, und das nicht nur in der Sicht des deutsch-deutschen Volkssängers Wolf Biermann: „Soldaten sehn sich alle gleich / Lebendig und als Leich.“
Als besonders schwierig erweist sich das militärische Leitbild, schließlich standen für die Ausbildung der neuen Soldaten nur die Offiziere der alten Wehrmacht zur Verfügung. Die „Eidbrecher“ vom 20. Juli 1944 galten so wenig, dass der Personalgutachterausschuss 1955 die „künftigen Soldaten“ darauf verpflichtet, die „Gewissensgründe der Hitler-Gegner“ anzuerkennen. Lieber berief man sich, wie es der erste westdeutsche Verteidigungsminister Theodor Blank tat, auf die Befreiungskriege gegen Napoleon. Ulbricht hielt es weiter im Osten nicht anders, als er auf die Völkerschlacht von Leipzig 1813 verwies, den „nationalen Befreiungskrieg“.
Der „Landesverrat“, der nach dem Willen der Planer außer „Zersetzung“ und „Beleidigung“ Eingang in die Wehrschutzgesetzgebung finden sollte, wird im Herbst 1962 zum großen Thema, als der Spiegel damit inkriminiert wird. Der Bundeswehrgutachter betrachtet den Artikel „Bedingt abwehrbereit“ als „Einbruch in den Geheimbereich der Bundeswehr“, den er als „außerordentlich schwerwiegend“ bezeichnet. Ein weiterer Bericht, entstanden nach der gleichzeitig stattfindenden Kuba-Krise, besagt das Gleiche wie der Spiegel, nämlich „dass die Bundeswehr in einem größeren militärischen Konflikt zur Zeit kaum länger als eine Woche kämpfen könnte“.
Im Verteidigungsministerium von Helmut Schmidt, einem ehemaligen Oberleutnant der Wehrmacht, wird 1971 „die zunehmende Wehrunwilligkeit“ konstatiert. Stimmungsberichte der Stasi legen nahe, dass sich auch in der zunächst noch sowjetisch besetzten Zone die Wehrbereitschaft nie wie von Pieck und Ulbricht gewünscht ausprägt. 1978 muss der Verteidigungsminister der DDR vortragen, dass seine Leute nicht ganz dem sozialistischen Menschenbild entsprechen, sondern gelegentlich den „Führergeburtstag“ begehen und vom „Weltjudentum“ faseln. Im Westen sieht’s nicht viel besser aus, wenn besoffene Nachwuchsoffiziere der Bundeswehrhochschule München das Horst-Wessel-Lied grölen und vom Judenverbrennen tönen.
Der „Ungediente“ Hans Apel verbietet 1980 Bundeswehrsoldaten, in Uniform an der Beerdigung des Kriegsverbrechers Karl Dönitz teilzunehmen, muss sich dafür aber noch rechtfertigen. Die Bundeswehr verdankt Apel den ersten historisch halbwegs korrekten Traditionserlass.
In diesem reichen Fundus fehlt es nicht an Kuriositäten wie den 1956 entstandenen „Gedanken zur deutschen Verteidigung“, deren Autor beklagt, dass die Naturverbundenheit „geringer als früher“ sei, weshalb es für den „deutschen Menschen“ im Ernstfall schwierig werden könne, zumal das „Bild eines künftigen Krieges“ unklar sei. Sicherheitshalber ist aber schon vom Einsatz von Atomwaffen „als Feuerschlag, Feuerzusammenfassung oder Bombenteppich gegen Flächenziele“ die Rede. Es gab auch Konterbande. Der fromme Gustav Heinemann trat aus Protest gegen Adenauers Aufrüstungspolitik 1950 als Innenminister zurück. In der von dem Krypto-Kommunisten Hans Huffzky geleiteten Hamburger Zeitschrift Constanze, der Vorform der Brigitte, erschien im gleichen Jahr ein Artikel, der die Frauen zum Generalstreik gegen die Remilitarisierung aufrief. „Die Frauen müssten nur einmal zeigen, welche Macht in ihrer Hand liegt – und es gäbe keinen Krieg.“ Schöner Gedanke eigentlich.
In einer Vorlage für Bundesverteidigungsminister Rupert Scholz wird 1988 eine Emnid-Umfrage referiert, wonach der Dienst in der Bundeswehr noch immer mehrheitlich positiv gesehen werde. Allerdings habe die positive Einschätzung von Wehrdienstverweigerern „weiterhin zugenommen“. Verantwortlich dafür sind Abrüstungsverhandlungen und die weltweite Entspannungspolitik, sodass „die Bedrohung“, wie besorgt festgehalten wird, „wiederum gegenüber dem Vorjahr als geringer angesehen“ werde. Der Minister bat handschriftlich um „Vorschläge, anschließend Bespr. im Kollegium“. Aber die Vor-Wende-Bundeswehr war da längst ein Unternehmen geworden, dessen Dienstleistungen immer weniger nachgefragt werden. Ein Jahr später fiel die Mauer. Der Wehrdienstverweigerer Rainer Eppelmann wurde 1990 Minister für Abrüstung und Verteidigung, die NVA ging in der Bundeswehr auf.
Die NS-Vergangenheit
wurde weder im Osten noch
im Westen schnell abgelegt
Christoph Nübel (Hg.): Dokumente zur
deutschen Militär-
geschichte 1945 – 1990. Bundesrepublik und DDR im Ost-West-Konflikt. Ch.-Links-Verlag,
Berlin 2020 (zweite
Auflage). 992 S., 80 Euro.
Wie geht das? Soldaten lesen 1956 die Zeitschrift „Die ersten Schritte“.
Foto: AP / SZ Photo
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
mit Ladehemmung
Christoph Nübel versammelt wichtige und skurrile
historische Dokumente über Bundeswehr und NVA
VON WILLI WINKLER
Nachdem die Wehrmacht, dieses „herrliche Instrument“ (so der ehemalige Stoßtruppführer Ernst Jünger), 1945 mit dem ehemaligen Gefreiten Adolf Hitler glorreich untergegangen war, gestaltete sich die Zukunft für das deutsche Militär schwierig. Nichts zeigt das besser als die Rede, die Wilhelm Pieck im Dezember 1944 im Moskauer Exil vor Führungsoffizieren der Roten Armee hielt. Pieck, der 1917 vor einem Kriegsgericht gestanden hatte und vernünftigerweise desertiert war, beklagte fünf Monate vor der bedingungslosen Kapitulation, dass Deutschland bald „völlig entwaffnet“ werde. Das müsse „im Interesse des dtsch. Volkes“ verhindert werden, wie es in den Vortragsnotizen heißt. Der KPD-Vorsitzende kündigte in Moskau die Wiederbewaffnung an: „Wir werden wieder eine Wehrmacht haben – aber eine demokratische – dem Frieden und den Interessen des Volkes dienende.“
Die Rote Armee nahm dann Berlin ein, und die deutsche Hand, die wahlweise verdorren oder abfallen sollte, falls sie je wieder eine Waffe anrührte, begann recht bald mit der Aufrüstung, im Osten mit Hilfe der Sowjetunion und im Westen mit amerikanischer Bruderhilfe. Der Kalte Krieg begünstigte die Remilitarisierung, aber manchmal musste doch eine neue Spielart der Erkenntnistheorie bemüht werden, so als SED-Chef Walter Ulbricht sich von den „amerikanischen und westdeutschen Imperialisten“ absetzen wollte: „Eine Waffe und eine Waffe ist zweierlei.“
Die Gefahr aus dem Westen, gegen die die Kasernierte Volkspolizei, die spätere Nationale Verteidigungsarmee (NVA), aufgestellt werden sollte, war im Westen jene aus dem Osten. Konrad Adenauer bot bereits in seinen ersten Regierungsmonaten einen deutschen, das heißt westdeutschen Verteidigungsbeitrag an. In einem Besprechungsplan wollten die ehemaligen Wehrmachtsgeneräle Foertsch, Speidel und Heusinger Anfang 1950 die „Frage eines Wehraufbaus in Westdeutschland“ klären. Da wird nicht nur die Weltlage untersucht, da geht es auch darum, dass die Prozesse gegen die selbstverständlich in Anführungszeichen gesetzten „Kriegsverbrecher“ aufhören, dass kritische Zeitungen eingestellt werden, der „landesverräterische Pazifismus“ ebenso wie das im Grundgesetz garantierte Recht auf Kriegsdienstverweigerung bekämpft wird.
Die Bundeswehr, die fünf Jahre später gegründet wurde, ließ es sich angelegen sein, die landesverräterischen Ostermarschierer zu diskreditieren, sie regelrecht zu unterwandern. So wurden Flugblätter der Friedensbewegung gefälscht und Märsche so genau beobachtet, dass sich anhand von „vorgelegten Fotos aus den Nachtquartieren“ die „sittlich-moralische Gefährdung“ der Marschteilnehmer beweisen ließ. Für 1961, als die Bundesrepublik doch schon zwölf Jahre der einzige wahrhaft demokratische Staat auf deutschem Boden sein wollte, dann doch überraschend – oder auch nicht.
Der Band mit den 217 Dokumenten, die Christoph Nübel mit bewunderungswürdigem Fleiß zur deutsch-deutschen Militärgeschichte vom Kriegsende bis 1990 zusammengetragen hat, bildet nicht nur für Spezialisten eine schöne Fundgrube, er zeigt vor allem, wie ähnlich sich die Geschichte in Ost und West manchmal zugetragen hat. Die Probleme in der DDR waren oft nicht anders als die im Westen, und das nicht nur in der Sicht des deutsch-deutschen Volkssängers Wolf Biermann: „Soldaten sehn sich alle gleich / Lebendig und als Leich.“
Als besonders schwierig erweist sich das militärische Leitbild, schließlich standen für die Ausbildung der neuen Soldaten nur die Offiziere der alten Wehrmacht zur Verfügung. Die „Eidbrecher“ vom 20. Juli 1944 galten so wenig, dass der Personalgutachterausschuss 1955 die „künftigen Soldaten“ darauf verpflichtet, die „Gewissensgründe der Hitler-Gegner“ anzuerkennen. Lieber berief man sich, wie es der erste westdeutsche Verteidigungsminister Theodor Blank tat, auf die Befreiungskriege gegen Napoleon. Ulbricht hielt es weiter im Osten nicht anders, als er auf die Völkerschlacht von Leipzig 1813 verwies, den „nationalen Befreiungskrieg“.
Der „Landesverrat“, der nach dem Willen der Planer außer „Zersetzung“ und „Beleidigung“ Eingang in die Wehrschutzgesetzgebung finden sollte, wird im Herbst 1962 zum großen Thema, als der Spiegel damit inkriminiert wird. Der Bundeswehrgutachter betrachtet den Artikel „Bedingt abwehrbereit“ als „Einbruch in den Geheimbereich der Bundeswehr“, den er als „außerordentlich schwerwiegend“ bezeichnet. Ein weiterer Bericht, entstanden nach der gleichzeitig stattfindenden Kuba-Krise, besagt das Gleiche wie der Spiegel, nämlich „dass die Bundeswehr in einem größeren militärischen Konflikt zur Zeit kaum länger als eine Woche kämpfen könnte“.
Im Verteidigungsministerium von Helmut Schmidt, einem ehemaligen Oberleutnant der Wehrmacht, wird 1971 „die zunehmende Wehrunwilligkeit“ konstatiert. Stimmungsberichte der Stasi legen nahe, dass sich auch in der zunächst noch sowjetisch besetzten Zone die Wehrbereitschaft nie wie von Pieck und Ulbricht gewünscht ausprägt. 1978 muss der Verteidigungsminister der DDR vortragen, dass seine Leute nicht ganz dem sozialistischen Menschenbild entsprechen, sondern gelegentlich den „Führergeburtstag“ begehen und vom „Weltjudentum“ faseln. Im Westen sieht’s nicht viel besser aus, wenn besoffene Nachwuchsoffiziere der Bundeswehrhochschule München das Horst-Wessel-Lied grölen und vom Judenverbrennen tönen.
Der „Ungediente“ Hans Apel verbietet 1980 Bundeswehrsoldaten, in Uniform an der Beerdigung des Kriegsverbrechers Karl Dönitz teilzunehmen, muss sich dafür aber noch rechtfertigen. Die Bundeswehr verdankt Apel den ersten historisch halbwegs korrekten Traditionserlass.
In diesem reichen Fundus fehlt es nicht an Kuriositäten wie den 1956 entstandenen „Gedanken zur deutschen Verteidigung“, deren Autor beklagt, dass die Naturverbundenheit „geringer als früher“ sei, weshalb es für den „deutschen Menschen“ im Ernstfall schwierig werden könne, zumal das „Bild eines künftigen Krieges“ unklar sei. Sicherheitshalber ist aber schon vom Einsatz von Atomwaffen „als Feuerschlag, Feuerzusammenfassung oder Bombenteppich gegen Flächenziele“ die Rede. Es gab auch Konterbande. Der fromme Gustav Heinemann trat aus Protest gegen Adenauers Aufrüstungspolitik 1950 als Innenminister zurück. In der von dem Krypto-Kommunisten Hans Huffzky geleiteten Hamburger Zeitschrift Constanze, der Vorform der Brigitte, erschien im gleichen Jahr ein Artikel, der die Frauen zum Generalstreik gegen die Remilitarisierung aufrief. „Die Frauen müssten nur einmal zeigen, welche Macht in ihrer Hand liegt – und es gäbe keinen Krieg.“ Schöner Gedanke eigentlich.
In einer Vorlage für Bundesverteidigungsminister Rupert Scholz wird 1988 eine Emnid-Umfrage referiert, wonach der Dienst in der Bundeswehr noch immer mehrheitlich positiv gesehen werde. Allerdings habe die positive Einschätzung von Wehrdienstverweigerern „weiterhin zugenommen“. Verantwortlich dafür sind Abrüstungsverhandlungen und die weltweite Entspannungspolitik, sodass „die Bedrohung“, wie besorgt festgehalten wird, „wiederum gegenüber dem Vorjahr als geringer angesehen“ werde. Der Minister bat handschriftlich um „Vorschläge, anschließend Bespr. im Kollegium“. Aber die Vor-Wende-Bundeswehr war da längst ein Unternehmen geworden, dessen Dienstleistungen immer weniger nachgefragt werden. Ein Jahr später fiel die Mauer. Der Wehrdienstverweigerer Rainer Eppelmann wurde 1990 Minister für Abrüstung und Verteidigung, die NVA ging in der Bundeswehr auf.
Die NS-Vergangenheit
wurde weder im Osten noch
im Westen schnell abgelegt
Christoph Nübel (Hg.): Dokumente zur
deutschen Militär-
geschichte 1945 – 1990. Bundesrepublik und DDR im Ost-West-Konflikt. Ch.-Links-Verlag,
Berlin 2020 (zweite
Auflage). 992 S., 80 Euro.
Wie geht das? Soldaten lesen 1956 die Zeitschrift „Die ersten Schritte“.
Foto: AP / SZ Photo
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