Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.12.2010Mit Pferd und doppeltem Boden
„Im Wahn bin ich, und im Wahn will ich bleiben.“ – Klaus Buhlert vertraut den Stimmen
und arrangiert den „Don Quijote“ des Cervantes zu einer szenischen Lesung
In den Roman „Don Quijote“ liest man sich hinein wie in eine weite Landschaft. Während man an prügelnden Bauern und Windmühlenflügeln vorbeikommt, reist man zugleich immer tiefer in das Innere des Ritters von der traurigen Gestalt hinein. Auch dieses Innere ist eine weite Landschaft, und der leichtgläubige Leser, dem die Romane den Kopf verwirrt haben, ist darin nur eine von vielen Figuren. Und ganz tritt man in die innere Landschaft Don Quijotes erst ein, wenn man ins Grübeln darüber gerät, von welche Art Wahn eigentlich jemand befallen ist, der Sätze wie diesen sagt: „Im Wahn bin ich, und im Wahn will ich bleiben.“
Der Hörspielregisseur Klaus Buhlert hat jetzt auf der Grundlage von Susanne Langes 2008 erschienener Neuübersetzung eine Bearbeitung des „Don Quijote“ eingespielt. Sie ist eher eine szenische Lesung als ein Hörspiel. Denn sie lässt den Kern des Romans unangetastet: die Erzählerstimme. Diesem Erzähler ist freilich ein Gutteil seines Stoffes abhanden gekommen: der zweite Teil des Romans. Auch vom ersten kann nur einen Auszug geben, wer sich vornimmt, mit sechs CDs, also fünfeinhalb Stunden auszukommen.
Es gehört zum Unverwüstlichen großer Romane und ihrer Helden, dass sie auch als Umrisszeichnung ihre Kraft nicht verlieren. Es muss nur diese Zeichnung etwas Wesentliches treffen. Das ist hier der Fall. Denn Buhlert macht den Hallraum, der im Studio die Stimmen umgibt, zum Schauplatz einer Reise. Sancho Panzas Grauer, Don Quijotes Rosinante sind hörbar mit von der Partie, und ein leicht verfremdeter Flamenco-Gitarrenton gibt dem Roadmovie, das in „Don Quijote“ steckt, seine spanische Färbung.
An sie stellt das Konzept Buhlerts hohe Ansprüche. Es lässt zwar die Erzählerfigur unangetastet, aber dafür wandert der Dialog in die Erzählerstimme ein: Rufus Beck ist nicht nur Don Quijote, sondern auch der Erzähler Don Quijotes, Thomas Thieme nicht nur Sancho Panza, sondern auch der Erzähler Sancho Panzas, und Anna Thalbach nicht nur die schöne Dorotea der in den Roman eingebauten Novelle, sondern auch die Erzählerin Doroteas. Buhlert hält sich nicht sklavisch an dieses Konzept, aber oft übernimmt die Erzählerstimme derjenige, von dem gerade die Rede ist. Das schafft eine reizvolle akustische Entsprechung zu den Spiegeleffekten, die Cervantes in seinen Roman eingebaut hat, und es hat den Vorteil, dass die dergestalt vervielfachte Erzählerstimme über den Figuren schwebt, zugleich aber in die erzählte Welt hineingezogen wirkt.
Dieses Doppelspiel funktioniert nur, wenn die Sprecher ihre Erzähl- und ihre Dialogstimme voneinander absetzen. Rufus Beck kann das natürlich, aber das Strahlungszentrum dieser Produktion ist die Stimme von Thomas Thieme. Er ist als Sancho Panza wie als Sancho-Panza-Erzähler eine Idealbesetzung. Vielleicht liegt es an der Virtuosität, mit der Thiemes Stimme die Bandbreite des plebejisch trockenen Witzes im Dialog wie als Erzähler entfaltet, dass Anna Thalbachs Stimme auch dort, wo sie sich an Don Quijote und Sancho Panza als ihre leibhaftigen Zuhörer wenden müsste, so wirkt, als lese sie ihren Part aus einem Buch vor.
LOTHAR MÜLLER
Miguel de Cervantes
Don Quijote von der Mancha
Übersetzt von Susanne Lange. Sprecher: Rufus Beck, Thomas Thieme,
Anna Thalbach u.a. Regie: Klaus
Buhlert. Hörverlag, München 2010.
6 CD, 332 Min., 29,95 Euro.
Honoré Daumiers Bild des berühmten Paares © The Bridgeman Art Library
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
„Im Wahn bin ich, und im Wahn will ich bleiben.“ – Klaus Buhlert vertraut den Stimmen
und arrangiert den „Don Quijote“ des Cervantes zu einer szenischen Lesung
In den Roman „Don Quijote“ liest man sich hinein wie in eine weite Landschaft. Während man an prügelnden Bauern und Windmühlenflügeln vorbeikommt, reist man zugleich immer tiefer in das Innere des Ritters von der traurigen Gestalt hinein. Auch dieses Innere ist eine weite Landschaft, und der leichtgläubige Leser, dem die Romane den Kopf verwirrt haben, ist darin nur eine von vielen Figuren. Und ganz tritt man in die innere Landschaft Don Quijotes erst ein, wenn man ins Grübeln darüber gerät, von welche Art Wahn eigentlich jemand befallen ist, der Sätze wie diesen sagt: „Im Wahn bin ich, und im Wahn will ich bleiben.“
Der Hörspielregisseur Klaus Buhlert hat jetzt auf der Grundlage von Susanne Langes 2008 erschienener Neuübersetzung eine Bearbeitung des „Don Quijote“ eingespielt. Sie ist eher eine szenische Lesung als ein Hörspiel. Denn sie lässt den Kern des Romans unangetastet: die Erzählerstimme. Diesem Erzähler ist freilich ein Gutteil seines Stoffes abhanden gekommen: der zweite Teil des Romans. Auch vom ersten kann nur einen Auszug geben, wer sich vornimmt, mit sechs CDs, also fünfeinhalb Stunden auszukommen.
Es gehört zum Unverwüstlichen großer Romane und ihrer Helden, dass sie auch als Umrisszeichnung ihre Kraft nicht verlieren. Es muss nur diese Zeichnung etwas Wesentliches treffen. Das ist hier der Fall. Denn Buhlert macht den Hallraum, der im Studio die Stimmen umgibt, zum Schauplatz einer Reise. Sancho Panzas Grauer, Don Quijotes Rosinante sind hörbar mit von der Partie, und ein leicht verfremdeter Flamenco-Gitarrenton gibt dem Roadmovie, das in „Don Quijote“ steckt, seine spanische Färbung.
An sie stellt das Konzept Buhlerts hohe Ansprüche. Es lässt zwar die Erzählerfigur unangetastet, aber dafür wandert der Dialog in die Erzählerstimme ein: Rufus Beck ist nicht nur Don Quijote, sondern auch der Erzähler Don Quijotes, Thomas Thieme nicht nur Sancho Panza, sondern auch der Erzähler Sancho Panzas, und Anna Thalbach nicht nur die schöne Dorotea der in den Roman eingebauten Novelle, sondern auch die Erzählerin Doroteas. Buhlert hält sich nicht sklavisch an dieses Konzept, aber oft übernimmt die Erzählerstimme derjenige, von dem gerade die Rede ist. Das schafft eine reizvolle akustische Entsprechung zu den Spiegeleffekten, die Cervantes in seinen Roman eingebaut hat, und es hat den Vorteil, dass die dergestalt vervielfachte Erzählerstimme über den Figuren schwebt, zugleich aber in die erzählte Welt hineingezogen wirkt.
Dieses Doppelspiel funktioniert nur, wenn die Sprecher ihre Erzähl- und ihre Dialogstimme voneinander absetzen. Rufus Beck kann das natürlich, aber das Strahlungszentrum dieser Produktion ist die Stimme von Thomas Thieme. Er ist als Sancho Panza wie als Sancho-Panza-Erzähler eine Idealbesetzung. Vielleicht liegt es an der Virtuosität, mit der Thiemes Stimme die Bandbreite des plebejisch trockenen Witzes im Dialog wie als Erzähler entfaltet, dass Anna Thalbachs Stimme auch dort, wo sie sich an Don Quijote und Sancho Panza als ihre leibhaftigen Zuhörer wenden müsste, so wirkt, als lese sie ihren Part aus einem Buch vor.
LOTHAR MÜLLER
Miguel de Cervantes
Don Quijote von der Mancha
Übersetzt von Susanne Lange. Sprecher: Rufus Beck, Thomas Thieme,
Anna Thalbach u.a. Regie: Klaus
Buhlert. Hörverlag, München 2010.
6 CD, 332 Min., 29,95 Euro.
Honoré Daumiers Bild des berühmten Paares © The Bridgeman Art Library
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.02.2021Kampf gegen Lehrpläne
Das Erste, was lateinamerikanische genau wie spanische Schülerinnen und Schüler von "Don Quijote" erfahren, sind Superlative: "Der erste Roman der Moderne!" "Das größte Buch des Spanischen!". Sein Autor, Cervantes, der "Vater der Sprache"! Glauben Lehrpläne wirklich, junge Leute würden sich davon begeistern lassen? So erreichte die Pflicht, "Don Quijote" zu bewundern, in meiner kolumbianischen Kindheit zunächst das Gegenteil: Ich stellte mir das Werk als einen verstaubten Wälzer vor, der Dinge enthält, die nichts mit mir zu tun hatten.
Cervantes sprach da über irgendwelche kastilischen Gasthäuser und trockenen Landschaften, die einem Jungen aus der Millionenstadt Bogotá, der kein einziges Mal in seinem Leben eine echte Windmühle gesehen hatte, nicht fremder hätten erscheinen können. Und dann diese verfluchte, altertümliche Sprache, die ich nicht als meine eigene erkennen konnte! Jugend ist ungeduldig. Und so hätte ich mir damals nicht denken können, dass das alte Spanisch eigentlich auch heute noch wirken kann, wenn man sich darauf einlässt.
Doch ein paar Jahre später empfahl uns ein Lehrer einen Autor, der nicht auf dem Lehrplan stand: den Argentinier Jorge Luis Borges.
Ich war sofort fasziniert. Bei Borges las ich von einer Stelle im ersten Teil des "Quijote", bei der eine Figur über Cervantes spöttisch spricht; und vom zweiten Teil, später erschienen, wo viele Protagonisten den ersten Teil bereits gelesen haben! Plötzlich war das Buch nicht mehr das "wichtigste nach der Bibel", keine Sammlung von Archaismen, sondern ein verrückter postmoderner Roman und die Möglichkeit, nach Borges, "der Freundschaft und der Freude". Langsam näherte ich mich "Don Quijote" wieder an. Nun mit mehr Neugier als Ehrfurcht. Ich habe gelacht. Mitgefiebert. Gestaunt! Der Lehrplan hatte es nicht geschafft, mir den Spaß zu verderben. Dank eines Lehrers, der mir einen anderen Lehrer empfohlen hat: Borges.
Hernán D. Caro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das Erste, was lateinamerikanische genau wie spanische Schülerinnen und Schüler von "Don Quijote" erfahren, sind Superlative: "Der erste Roman der Moderne!" "Das größte Buch des Spanischen!". Sein Autor, Cervantes, der "Vater der Sprache"! Glauben Lehrpläne wirklich, junge Leute würden sich davon begeistern lassen? So erreichte die Pflicht, "Don Quijote" zu bewundern, in meiner kolumbianischen Kindheit zunächst das Gegenteil: Ich stellte mir das Werk als einen verstaubten Wälzer vor, der Dinge enthält, die nichts mit mir zu tun hatten.
Cervantes sprach da über irgendwelche kastilischen Gasthäuser und trockenen Landschaften, die einem Jungen aus der Millionenstadt Bogotá, der kein einziges Mal in seinem Leben eine echte Windmühle gesehen hatte, nicht fremder hätten erscheinen können. Und dann diese verfluchte, altertümliche Sprache, die ich nicht als meine eigene erkennen konnte! Jugend ist ungeduldig. Und so hätte ich mir damals nicht denken können, dass das alte Spanisch eigentlich auch heute noch wirken kann, wenn man sich darauf einlässt.
Doch ein paar Jahre später empfahl uns ein Lehrer einen Autor, der nicht auf dem Lehrplan stand: den Argentinier Jorge Luis Borges.
Ich war sofort fasziniert. Bei Borges las ich von einer Stelle im ersten Teil des "Quijote", bei der eine Figur über Cervantes spöttisch spricht; und vom zweiten Teil, später erschienen, wo viele Protagonisten den ersten Teil bereits gelesen haben! Plötzlich war das Buch nicht mehr das "wichtigste nach der Bibel", keine Sammlung von Archaismen, sondern ein verrückter postmoderner Roman und die Möglichkeit, nach Borges, "der Freundschaft und der Freude". Langsam näherte ich mich "Don Quijote" wieder an. Nun mit mehr Neugier als Ehrfurcht. Ich habe gelacht. Mitgefiebert. Gestaunt! Der Lehrplan hatte es nicht geschafft, mir den Spaß zu verderben. Dank eines Lehrers, der mir einen anderen Lehrer empfohlen hat: Borges.
Hernán D. Caro
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