Der opulente Band lädt in diese abenteuerliche Welt ein und wird selbst zu einem Roman über Romane. Mit einer großen Auswahl an schönen Zitaten und nachvollziehbaren gut lesbaren Interpretationen bringt Wertheimer seinen Lesern bekannte Romane nahe. Illustriert ist der Band mit Manuskriptseiten, Handschriften und Illustrationen aus Originalausgaben. Sicher haben Sie irgendwann schon einmal einen der vorgestellten Romane gelesen - oder sich in der Schule damit "gequält". Nach der Lektüre dieses Buchs eröffnet sich ein neuer Zugang - es ist fast so, als hätte man die Romane neu oder erstmals gelesen. Der Autor erzählt mit scharfem Blick auf Zeitgeschichte - immer in Bezug zur Gegenwart - und von großen Emotionen. Auch in späteren Jahrhunderten zeigt sich der subversive Grund aller Romane: Die Helden reiten oder stolpern von Beginn an ins Abseits. Der große Roman ist das Genre der Verlierer, Versager und Gescheiterten. Was im Alltag bisweilen gerade noch einigermaßen undramatisch endet und versickert, wird im Roman gnadenlos zu Ende gedacht. Romane übersetzen latent spürbare Strukturen in körperlich erfahrbare Wirklichkeiten.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Dem Roman und seinem Publikum erweist der Autor Jürgen Wertheimer laut Rezensent einen Bärendienst. Wertheimer ist die gute alte Langform und ihre Entwicklung nichts weiter als ein Popevent. Für Martin Maurach ein Verrat an der Gattung und ihrer Errungenschaft, Menschengeschichten jenseits der Bibel zu erzählen. Ob Cervantes oder Bachmann, dem Autor, schimpft Maurach, scheint alles gleich. Um solcher Ideologie zu entkommen und das Auge für die verschiedenen Wirklichkeitskonzepte des Romans zu behalten, empfiehlt der Rezensent: zu lesen. Nur nicht dieses Buch mit seinen Druck- und Grammatikfehlern.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.01.2014Don Quijote wird enterbt
Jürgen Wertheimers Geschichte des Romans
Schon Georg Lukács setzte 1920 mit seiner "Theorie des Romans" beim "Don Quijote" an. Fiktionale Langprosa, diese säkulare Gattung par excellence, verstand er allerdings noch als Ausdruck des Sinnverlusts, der transzendentalen Obdachlosigkeit des Menschen. Ende des siebzehnten Jahrhunderts zog der Schweizer Pfarrer Gotthard Heidegger in seinem "Discours von den so benanten Romans" noch heftig moralisierend gegen diese zu Felde.
Bei Jürgen Wertheimer, dessen Tübinger Studium-generale-Vorlesungen über europäische Romane zwischen Miguel de Cervantes und Ingeborg Bachmann jetzt als Buch erschienen sind, ist der Gattung dieser Gegner abhandengekommen. Nichts öder als eine Gegenwart, die überall nur sich selbst wiederfindet. Man muss keiner Säkularisierungsthese anhängen. Aber hier ist Religion gleich Kirche gleich Metaphysik schlechthin pfui. Dass alle diese einmal auch aus eigenem Recht wirkende Instanzen im Bewusstsein der Menschen waren und Schreibanlässe, Schreibkontexte, Wirkungsabsichten erst schufen, wird unterschlagen. Damit ist aber auch die epochemachende Kunstleistung der Gattung Roman - eine erfundene Erzählung vom Menschen, emanzipiert von biblischen Formen und Gehalten - nicht mehr erkennbar.
Man mag "Zeitromane" unter den "Vorzeichen" ihrer "Nachgeschichte" lesen - aber ohne ihre historische Andersartigkeit einzuebnen. Dostojewski schrieb keineswegs in einem "Vakuum der Werte", und wenn es über die Autoren des modernen Romans heißt: "Privat mögen sie Humanisten, Kommunisten, Faschisten gewesen sein. Für ihre Arbeit ist das alles irrelevant", dann ist das, mit Verlaub, Nonsens.
Was hier verbreitet wird, ist eine marktkonforme Literaturideologie für Bezieher mittlerer Einkommen, denen das moralische Gesetz zum Infotainment geworden ist und die den gestirnten Himmel gerade noch vom Flachbildschirm kennen. Was die Achtundsechziger der werkimmanenten Germanistik vorwarfen, kehrt hier wieder: die Reproduktion der ideologischen Überzeugungen des Interpreten. Bezeichnend, dass Wertheimer die Autoren der klassischen Moderne durch einen "Supermarkt der Gesinnungen und der Weltanschauungs-Restware" pilgern lässt.
Wer ständig Metaphern aus der virtuellen "Welt" gebraucht, verstellt seinen Lesern den Blick auf historisch sich wandelnde Wirklichkeitskonzepte im Roman, und darum oder um etwas Ähnliches - so genau ist Wertheimer da nicht - soll es ja schließlich mehr als fünfhundert Seiten lang gehen. Kein Wort über die unzähligen Druckfehler, die ungrammatisch-unkorrigiert stehengebliebenen Sätze und seitenweise ungekennzeichneten Zitate, bei denen der Kursivsatz vergessen wurde.
Gewiss, das Buch wendet sich nicht an ein Fachpublikum. Werden aber dem europäischen Roman neue Leser gewinnen, wer suggeriert, dessen Geschichte sei ein einziges Popevent? Es gibt eine Art der Popularisierung, die nicht zu ihrem Thema hinführt, sondern es vernichtet. Wie Wertheimer selbst sagt: "eine jener degoutanten Aktualisierungen".
MARTIN MAURACH
Jürgen Wertheimer: "Don Quijotes Erben". Die Kunst des europäischen Romans.
Konkursbuch Verlag, Tübingen 2013. 519 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Jürgen Wertheimers Geschichte des Romans
Schon Georg Lukács setzte 1920 mit seiner "Theorie des Romans" beim "Don Quijote" an. Fiktionale Langprosa, diese säkulare Gattung par excellence, verstand er allerdings noch als Ausdruck des Sinnverlusts, der transzendentalen Obdachlosigkeit des Menschen. Ende des siebzehnten Jahrhunderts zog der Schweizer Pfarrer Gotthard Heidegger in seinem "Discours von den so benanten Romans" noch heftig moralisierend gegen diese zu Felde.
Bei Jürgen Wertheimer, dessen Tübinger Studium-generale-Vorlesungen über europäische Romane zwischen Miguel de Cervantes und Ingeborg Bachmann jetzt als Buch erschienen sind, ist der Gattung dieser Gegner abhandengekommen. Nichts öder als eine Gegenwart, die überall nur sich selbst wiederfindet. Man muss keiner Säkularisierungsthese anhängen. Aber hier ist Religion gleich Kirche gleich Metaphysik schlechthin pfui. Dass alle diese einmal auch aus eigenem Recht wirkende Instanzen im Bewusstsein der Menschen waren und Schreibanlässe, Schreibkontexte, Wirkungsabsichten erst schufen, wird unterschlagen. Damit ist aber auch die epochemachende Kunstleistung der Gattung Roman - eine erfundene Erzählung vom Menschen, emanzipiert von biblischen Formen und Gehalten - nicht mehr erkennbar.
Man mag "Zeitromane" unter den "Vorzeichen" ihrer "Nachgeschichte" lesen - aber ohne ihre historische Andersartigkeit einzuebnen. Dostojewski schrieb keineswegs in einem "Vakuum der Werte", und wenn es über die Autoren des modernen Romans heißt: "Privat mögen sie Humanisten, Kommunisten, Faschisten gewesen sein. Für ihre Arbeit ist das alles irrelevant", dann ist das, mit Verlaub, Nonsens.
Was hier verbreitet wird, ist eine marktkonforme Literaturideologie für Bezieher mittlerer Einkommen, denen das moralische Gesetz zum Infotainment geworden ist und die den gestirnten Himmel gerade noch vom Flachbildschirm kennen. Was die Achtundsechziger der werkimmanenten Germanistik vorwarfen, kehrt hier wieder: die Reproduktion der ideologischen Überzeugungen des Interpreten. Bezeichnend, dass Wertheimer die Autoren der klassischen Moderne durch einen "Supermarkt der Gesinnungen und der Weltanschauungs-Restware" pilgern lässt.
Wer ständig Metaphern aus der virtuellen "Welt" gebraucht, verstellt seinen Lesern den Blick auf historisch sich wandelnde Wirklichkeitskonzepte im Roman, und darum oder um etwas Ähnliches - so genau ist Wertheimer da nicht - soll es ja schließlich mehr als fünfhundert Seiten lang gehen. Kein Wort über die unzähligen Druckfehler, die ungrammatisch-unkorrigiert stehengebliebenen Sätze und seitenweise ungekennzeichneten Zitate, bei denen der Kursivsatz vergessen wurde.
Gewiss, das Buch wendet sich nicht an ein Fachpublikum. Werden aber dem europäischen Roman neue Leser gewinnen, wer suggeriert, dessen Geschichte sei ein einziges Popevent? Es gibt eine Art der Popularisierung, die nicht zu ihrem Thema hinführt, sondern es vernichtet. Wie Wertheimer selbst sagt: "eine jener degoutanten Aktualisierungen".
MARTIN MAURACH
Jürgen Wertheimer: "Don Quijotes Erben". Die Kunst des europäischen Romans.
Konkursbuch Verlag, Tübingen 2013. 519 S., geb., 19,90 [Euro].
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