Zehn Silben mal zehn Zeilen bilden ein Quadrat, zehn Quadrate einen Würfel (10 x 10 x 10 = 1 Donauwürfel). In diesem neuartigen Versmaß von Zsuzsanna Gahse strömt die Erzählung durch das Buch. Der Donau und dem Sprachfluss folgend tauchen unentwegt Geschichten auf, um in den nachdrängenden Fluten wieder zu versinken. Sie erzählen vom Leben am, im, auf, über, gegen und mit dem Wasser: von den Huchen am Flussgrund, dramatischen Hochwassern und Flussaustrocknungen, aber auch von Verzweifelten, die ihren Tod im Wasser suchten. So schwingt sich der Donaustrom in 27 Sprachwürfeln lyrisch, episch und auch szenisch durch die Tiefebene, hoch zu den Quellen und hinab zum Schwarzen Meer. In Nebenflüssen wird nach dem sagenhaften Donaugold gesucht, Fracht- und Ausflugsschiffe kreuzen auf, mitunter wird auch arg gestritten, an den Ufern, auf dem Fluss und über ihn hinweg. Und man kann sich in das unerschöpfliche Sprachbett der Donau verlieben, aber auch in das unterschiedliche Tempo der Sätze, in die Stromschnellen des Texts. Denn wenn Zsuzsanna Gahse mit schlanker, moderner Sprache die Farben und Strömungen der Donau besingt, erweist sich als eigentlicher Hauptakteur - das Wasser.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.08.2011Poesie des Stroms
In Zsuzsanna Gahses "Donauwürfel" ist alles im Fluss
Die Allianz der Dichtung mit dem Wasser reicht weit zurück. Undenkbar die Argonauten oder Odysseus ohne das flüssige Element, vom Wasser haben die Figuren in Ovids Metamorphosen ihren Verwandlungsreichtum gelernt, Legion die Lobreden barocker Poeten auf die durchs Reich ihrer Fürsten ziehenden Flüsse, Goethe konnte sich ebenso an der Weimarer Ilm wie am römischen Tiber wiederbeleben, und noch in der Postmoderne, etwa in John Ashberys "Rivers and Mountains", mäandert es allüberall.
Zsuzsanna Gahse hat dies nicht abschrecken können. Sie legt ein zyklisches Langgedicht auf die Donau vor, das es so noch nicht gegeben hat. Sie kreiert eine Form, die sie "Würfel" nennt: je zehn Strophen aus je zehn Zeilen von je wiederum zehn Silben Länge. Siebenundzwanzig solcher Würfel umfasst ihr Poem - das sind 2700 Zeilen, was in etwa der Länge der Donau in Kilometern entspricht. Dennoch sind die "Donauwürfel" kein Gedichtzyklus im emphatischen Sinn, das lyrische Pathos etwa von Hölderlins "Ister" ist ihnen völlig fremd. Eher nähern sie sich der Arabeske, bilden ein Reservoir von Geschichten, Anekdoten, Fakten und spontaner Reflexionen, die sich alle an der Donau und ihren Nebenarmen aufreihen.
Weniger sind es Variationen als Digressionen über den Fluss: Kurioses (dass etwa die Donau der einzige Strom mit östlicher Fließrichtung sei) steht neben Tragischem (wie die Erinnerung an das Ophelia-Schicksal einer Freundin namens Agnes); Politisches (nach der Sprengung der serbischen Donaubrücken durch Nato-Truppen gab es kaum mehr Frachtverkehr auf dem Fluss) neben Persönlichem (das Foto des verschollenen Matrosen, einer potentiellen Jugendliebe). All das Disparate wird so unterhaltsam und voll neugierigen Humors von der Dichterin miteinander verquickt, als würde ihr beim Anblick der Donau das Erzählen selbst zum mühelosen Würfelspiel geraten.
Während sie sich über Postkartengegenden amüsiert oder bei dem Gedanken tröstet, dass die Menge des Wassers größer sei als die Menge der Schadstoffpartikel im Wasser, wird der eigentliche Schatz, den sie bei ihrer imaginierten Bootstour ohne Rücksicht auf Raum und Zeit vom Buchstabengrund der Poesie hebt, das Würfeln selbst, das Würfeln mit Wörtern und Geschichten. Kein anderer Fluss verbindet derart viele Kulturräume miteinander. Allen Donaureisenden und ähnlich zwischen den Kulturen hindurch Steuernden darf man Zsuzsanna Gahse als geistigen Proviant empfehlen. Die Worte, die sie aus ihrem Würfelbecher streut, machen nicht auf der Seite halt, sondern verfließen mit den Bildern, die jeder von diesem Fluss schon mitbringt - ein ideales Vademecum also: "Dabei bleibt das Wasser immer Wasser, / wie man es auch drehen mag, geht es den / gesamten Fluss entlang durchweg um das / Wasser, mal grau oder bräunlich oder / fast durchsichtig, grün, blau, türkis, hell wie / Platin, die Oberhaut ist an vielen / Stellen gekraust, fleckig oder sogar / blind, und die Unterströmung ist nochmals / eine Welt für sich, aber trotzdem ist // das, was vorbeifließt, Wasser, das Wasser / schlechthin." Bei Thales, dem Philosophen, kam alles vom Wasser - bei der lyrisch würfelnden Erzählerin Gahse entspringt es in der Donau.
JAN VOLKER RÖHNERT.
Zsuzsanna Gahse: "Donauwürfel".
Edition Korrespondenzen, Wien 2010. 138 S., geb., 18,50 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
In Zsuzsanna Gahses "Donauwürfel" ist alles im Fluss
Die Allianz der Dichtung mit dem Wasser reicht weit zurück. Undenkbar die Argonauten oder Odysseus ohne das flüssige Element, vom Wasser haben die Figuren in Ovids Metamorphosen ihren Verwandlungsreichtum gelernt, Legion die Lobreden barocker Poeten auf die durchs Reich ihrer Fürsten ziehenden Flüsse, Goethe konnte sich ebenso an der Weimarer Ilm wie am römischen Tiber wiederbeleben, und noch in der Postmoderne, etwa in John Ashberys "Rivers and Mountains", mäandert es allüberall.
Zsuzsanna Gahse hat dies nicht abschrecken können. Sie legt ein zyklisches Langgedicht auf die Donau vor, das es so noch nicht gegeben hat. Sie kreiert eine Form, die sie "Würfel" nennt: je zehn Strophen aus je zehn Zeilen von je wiederum zehn Silben Länge. Siebenundzwanzig solcher Würfel umfasst ihr Poem - das sind 2700 Zeilen, was in etwa der Länge der Donau in Kilometern entspricht. Dennoch sind die "Donauwürfel" kein Gedichtzyklus im emphatischen Sinn, das lyrische Pathos etwa von Hölderlins "Ister" ist ihnen völlig fremd. Eher nähern sie sich der Arabeske, bilden ein Reservoir von Geschichten, Anekdoten, Fakten und spontaner Reflexionen, die sich alle an der Donau und ihren Nebenarmen aufreihen.
Weniger sind es Variationen als Digressionen über den Fluss: Kurioses (dass etwa die Donau der einzige Strom mit östlicher Fließrichtung sei) steht neben Tragischem (wie die Erinnerung an das Ophelia-Schicksal einer Freundin namens Agnes); Politisches (nach der Sprengung der serbischen Donaubrücken durch Nato-Truppen gab es kaum mehr Frachtverkehr auf dem Fluss) neben Persönlichem (das Foto des verschollenen Matrosen, einer potentiellen Jugendliebe). All das Disparate wird so unterhaltsam und voll neugierigen Humors von der Dichterin miteinander verquickt, als würde ihr beim Anblick der Donau das Erzählen selbst zum mühelosen Würfelspiel geraten.
Während sie sich über Postkartengegenden amüsiert oder bei dem Gedanken tröstet, dass die Menge des Wassers größer sei als die Menge der Schadstoffpartikel im Wasser, wird der eigentliche Schatz, den sie bei ihrer imaginierten Bootstour ohne Rücksicht auf Raum und Zeit vom Buchstabengrund der Poesie hebt, das Würfeln selbst, das Würfeln mit Wörtern und Geschichten. Kein anderer Fluss verbindet derart viele Kulturräume miteinander. Allen Donaureisenden und ähnlich zwischen den Kulturen hindurch Steuernden darf man Zsuzsanna Gahse als geistigen Proviant empfehlen. Die Worte, die sie aus ihrem Würfelbecher streut, machen nicht auf der Seite halt, sondern verfließen mit den Bildern, die jeder von diesem Fluss schon mitbringt - ein ideales Vademecum also: "Dabei bleibt das Wasser immer Wasser, / wie man es auch drehen mag, geht es den / gesamten Fluss entlang durchweg um das / Wasser, mal grau oder bräunlich oder / fast durchsichtig, grün, blau, türkis, hell wie / Platin, die Oberhaut ist an vielen / Stellen gekraust, fleckig oder sogar / blind, und die Unterströmung ist nochmals / eine Welt für sich, aber trotzdem ist // das, was vorbeifließt, Wasser, das Wasser / schlechthin." Bei Thales, dem Philosophen, kam alles vom Wasser - bei der lyrisch würfelnden Erzählerin Gahse entspringt es in der Donau.
JAN VOLKER RÖHNERT.
Zsuzsanna Gahse: "Donauwürfel".
Edition Korrespondenzen, Wien 2010. 138 S., geb., 18,50 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
In Zsuzsanna Gahses neuem Gedichtband "Donauwürfel" sieht Nico Bleutge den Fluss der Sprache einerseits in strenge Form gefasst - 10 mal 10 Verse mit je 10 Silben ergeben hier einen Würfel - andererseits leben die Gedichte von Assoziationen, wie er feststellt. Ohne allegorisch oder symbolisch zu sprechen, verlassen sich die Worte hier ganz auf sich, erzählen von der Donau und mit ihr verbundenen Erinnerungen und Träumen, und für Bleutge bilden sie in ihrer eigentümlichen Mischung aus Erzählendem und Lyrischem selbst so etwas wie einen Fluss, dem sich der Leser einfach überlassen kann, wie er eingenommen meint.
© Perlentaucher Medien GmbH
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