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Produktdetails
  • Verlag: Princeton Architectural Press
  • Originaltitel: Donogoo Tonka ou Les miracles de la science
  • Erscheinungstermin: März 2009
  • Englisch
  • Gewicht: 416g
  • ISBN-13: 9781568987804
  • ISBN-10: 1568987803
  • Artikelnr.: 25554371
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.07.2009

Von erfundenen Städten im Urwald und anderen architekturtheoretischen Traktaten
Kriegsspiele und Krankenhäuser: Das Temple Hoyne Buell Center in New York umschreibt in einer interessanten Schriftenreihe Bau-Aufgaben der Gegenwart
Nicht ganz zu Unrecht gilt Jules Romains als ein vergessener Romancier des 20. Jahrhunderts. Zu ambitioniert, zu sehr einem amorphen Verständnis von kollektiven Kräften geschuldet war sein Vorhaben, mit seinen hommes de bonne volonté, den „Menschen guten Willens”, die einen Zyklus von 28 Romanen bevölkern, noch Emile Zola übertreffen zu wollen. Um so mehr verwundert das Wiederauftauchen seines Namens in einer der rar gewordenen architekturtheoretischen Schriftenreihen der Gegenwart. „Donogoo Tonka, or The Miracles of Science” lautet der Titel des sechsten Bandes der FORuM Project Publications: Die „Wunder der Wissenschaft” von Jules Romains sind demnach, erstmals ins Englische übersetzt, Bestandteil einer Reihe, die es unternimmt, so der Klappentext,, „das Leben der Formen in Architektur und städtischer Welt zu erforschen”.
Das Leben der Formen: das klingt nach ästhetischer Autonomie, ist aber im Grunde einem Anspruch verpflichtet, der zur normativen Theoriebildung ebenso quersteht wie einst Henri Focillons gleichnamige kunsthistorische Programmschrift „La Vie des formes”. Denn die vergleichsweise kleinformatigen Bände, mit einem Textvolumen von je knapp einhundert Seiten und einem sorgfältig gedruckten Tafelteil, könnten dem architektonischen und urbanistischen Denken einige Impulse vermitteln. Sven-Olov Wallenstein etwa, Herausgeber der in Stockholm edierten Zeitschrift SITE, liefert einen bedrückenden Bild-Essay über eine Bau-Aufgabe, die im städtischen Raum von heute und in naher Zukunft an Bedeutung gewinnt: über Krankenhäuser. Deren Architektur erweist sich — in Verlängerung von Michel Foucaults Gedanken zur „Geburt der Biopolitik” und mehr noch als die vieltraktierten Baukörper von Gefängnissen — als probates, weil auf den ersten Blick unscheinbares Werkzeug der gesellschaftlichen Disziplinierung.
McKenzie Wark, Verfasser eines vor geraumer Zeit auch ins Deutsche übersetzten „Hacker-Manifestes”, macht innerhalb eines eher kursorischen Überblicks über den Situationismus auf Guy Debord als Entwickler strategischer Modelle aufmerksam, der (zur Enttäuschung vieler seiner Anhänger) ein „Kriegsspiel” entwickelt hatte, in dem die Essenz des Territorialkrieges, die Eroberung von Raum, in den Hintergrund tritt und stattdessen die Beherrschung von Kommunikationsstrukturen dominant wird. „Situationistische Architektur” wäre demzufolge ein Dispositiv, das die Ausübung von Macht und von Gegenmacht gleichsam ohne Bodenkontakt ermöglichen würde. Brian O’Doherty wiederum, Autor einer seit dreißig Jahren vielzitierten Studie über den white cube, konstatiert mittlerweile eine weitreichende Überlappung von Atelierraum und Ausstellungsraum; allerdings lässt sein neuester Essay mit dem Titel „Studio and Cube” im Unklaren, was sich für den bislang einträglichen Mythos vom Atelier als „schöpferischer Keimzelle” ändert, wenn die Orte der Produktion mit denen der Präsentation und Vermarktung identisch geworden sind.
Geradezu kontrastiv steht hier mit Temple Hoyne Buell ein amerikanischer Architekt des Art Déco Pate, in dessen Namen und mittels dessen Legat die Columbia University in New York diese Schriftenreihe des ForuM Project publiziert. Buell (1895-1990), seit den 1920er Jahren in Denver tätig, entwarf mit dem dortigen Paramount Theater nicht nur die Ikone einer Filmpalast-Architektur. Sondern sein um 1949 realisiertes Konzept eines dezentral gelegenen und von Parkplätzen umsäumten Geschäftszentrums wurde zum Modell eines Bautypus, der bis heute alle Fährnisse eines kritischen Urbanismus zu überdauern verstand: Nirgends ist das Feilbieten von Waren so abgeschottet von deren Herstellung, nirgends die Indienstnahme des Konsumenten so isoliert von dessen sonstigem Leben wie in den Shopping Malls, deren Urbild in einem Vorort von Denver auf einer ehemaligen Müllhalde errichtet worden war.
Das „italienische Design”
Svetlana Boyms Studie zur Wirkungsgeschichte von Vladimir Tatlins ungebautem Monument für die III. Internationale vermag zwischen Athanasius Kirchers Vision des Turmbaus zu Babel und Viktor Sklovskijs Methodik des Rösselsprungs wohl auch deshalb zu vermitteln, weil die Autorin, frei nach Hannah Arendts Studie über „The Life of the Mind”, dem professionellen Denken ein „leidenschaftliches Denken” zur Seite stellt, das überzeugend auf logische Kohärenz zu verzichten versteht.
Mit Pier Vittorio Aurelis Rekonstruktion eines der spannendsten Abschnitte der jüngeren italienischen Architekturgeschichte erinnert diese Publikationsreihe an eine folgenreiche Kanonisierung, die der italienischen Avantgarde der sechziger Jahre zuteil geworden war: Was damals mit Carlo Scarpa, Aldo Rossi oder mit Archizoom als kapitalismuskritische Neudefition von städtischem Raum intendiert gewesen war, wurde schon ein Jahrzehnt später als „Italian Design” apostrophiert und über einschlägige Baubüros, Ausstattungsfirmen und Möbelhäuser verwertbar gemacht.
Mit ihrem eigenen umfangreichen Nachwort zu Jules Romains’ Filmerzählung „Donogoo Tonka” liefert schließlich Joan Ockman – bis vor kurzem Leiterin des Buell Center for the Study of American Architecture und Herausgeberin der Essays – ein beredtes Beispiel, welch ergiebige Anregungen auf Behauptungen und Absurditäten zurückzuführen sind. Denn Romains hatte die Fabel von einer imaginären Stadt im südamerikanischen Urwald ersonnen, die im Nachhinein durch abenteuernde Pioniere zur prosperierenden Wirklichkeit wird. In ihrem Zentrum steht ein Tempel. Geweiht ist er dem „wissenschaftlichen Irrtum”. Nur dieser, möchte man meinen, könne den Konventionen bisheriger Raumordnung entkommen. HENDRIK FEINDT
Die Schriftenreihe des FORuM Project, Buell Center, wird in der Princeton Architectural Press verlegt. Zwischen 2007 und 2009 erschienen die Bände:
BRIAN O’DOHERTY: Studio and Cube. On the Relationship between Where Art is Made and Where Art is Displayed.
SVETLANA BOYM: Architecture of the Off-Modern.
MCKENZIE WARK: 50 Years of Recuperation of the Situationist International.
PIER VITTORIO AURELI: The Project of Autonomy. Politics and Architecture Within and Against Capitalism.
SVEN-OLOV WALLENSTEIN: Biopolitics and the Emergence of Modern Architecture.
JULES ROMAINS: Donogoo Tonka or The Miracles of Science.
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