Ein grandioser Roman über die letzten Jahre der zwillingsgleich lebenden Brüder Goncourt und das Doppelleben ihrer Haushälterin, inmitten von Glanz und Elend im Paris zu Zeiten Napoleons III.
Der Roman nimmt uns mit zu Jules und Edmond de Goncourt, die alles teilten: das Haus, die Gedanken, die Arbeit, die Geliebte. Zu zweit gingen sie zum Treffen mit Flaubert, Zola und anderen Künstlern ins Palais der Cousine des Kaisers, in Ausstellungen und zu Restaurantbesuchen mit Freunden und Bekannten. Und danach lästerten sie ab über alle, die sie getroffen hatten, im geheimen Tagebuch, das sie gemeinsam führten. Berühmt-berüchtigt waren sie für ihren Blick, dem angeblich nichts entging, und ihre spitze Feder, die alles notierte. Bis Jules unheilbar erkrankte ...
Und der Roman nimmt uns mit in die Gegenwelt: zu Rose, ihrer Haushälterin, die zum Hausstand gehört wie ein Möbelstück. Die unbemerkt von den Brüdern existenzielle Dramen durchlebt, sich hoffnungslos in den Falschen verliebt und von ihm schamlos ausgenutzt wird, die ein Kind austrägt, ohne dass die Brüder es bemerken, es gebiert, liebt und später auch verliert; die Trinkerin wird und ihre Dienstherrn hintergeht und bestiehlt, ohne dass diese es merken. Bis sie stirbt und den Brüdern ein Licht aufgeht ...
Ein packendes Epochengemälde in Lebensläufen, die gegensätzlicher kaum sein können.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Der Roman nimmt uns mit zu Jules und Edmond de Goncourt, die alles teilten: das Haus, die Gedanken, die Arbeit, die Geliebte. Zu zweit gingen sie zum Treffen mit Flaubert, Zola und anderen Künstlern ins Palais der Cousine des Kaisers, in Ausstellungen und zu Restaurantbesuchen mit Freunden und Bekannten. Und danach lästerten sie ab über alle, die sie getroffen hatten, im geheimen Tagebuch, das sie gemeinsam führten. Berühmt-berüchtigt waren sie für ihren Blick, dem angeblich nichts entging, und ihre spitze Feder, die alles notierte. Bis Jules unheilbar erkrankte ...
Und der Roman nimmt uns mit in die Gegenwelt: zu Rose, ihrer Haushälterin, die zum Hausstand gehört wie ein Möbelstück. Die unbemerkt von den Brüdern existenzielle Dramen durchlebt, sich hoffnungslos in den Falschen verliebt und von ihm schamlos ausgenutzt wird, die ein Kind austrägt, ohne dass die Brüder es bemerken, es gebiert, liebt und später auch verliert; die Trinkerin wird und ihre Dienstherrn hintergeht und bestiehlt, ohne dass diese es merken. Bis sie stirbt und den Brüdern ein Licht aufgeht ...
Ein packendes Epochengemälde in Lebensläufen, die gegensätzlicher kaum sein können.
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Sinn und Gefühl
Alain Claude Sulzer schreibt in „Doppelleben“ über die Brüder
Goncourt: eine Meditation über Erkenntnis und Verdrängung
VON NILS MINKMAR
Die Brüder Jules und Edmond de Goncourt tragen – wegen des bedeutenden Literaturpreises, den sie gestiftet haben – einen berühmten Namen und sind zugleich völlig vergessen. Ihre Zeitgenossen Émile Zola und Gustave Flaubert sind dagegen auch heute noch jene Stars, zu denen sie zu Lebzeiten wurden. Ihre Bücher werden verfilmt, ihre Werke immer wieder aufgelegt und im Schulunterricht behandelt.
Aber der Name Goncourt wurde zur Währung für literarisches Kapital, über das man alljährlich im literarischen Paris streitet. Das Werk und mehr noch die Männer, die diesen Namen trugen und bekannt machten, verschwinden hinter dem von ihnen begründeten Literaturpreis. Er steht nun für ein wechselvolles Schicksal, denn das von Edmond de Goncourt gestiftete Vermögen wurde unterdessen wertlos – die Preisträgerinnen und Preisträger erhalten einen Scheck über die Summe von 10 Euro.
Nun hat der Schweizer Schriftsteller Alain Claude Sulzer das Leben der Goncourts auf der Grundlage ihrer Tagebücher in einem Roman nacherzählt. Die Brüder verbrachten nicht nur die meiste Zeit miteinander, wohnten und verreisten zusammen, sie arbeiteten auch im Duett an ihrem gewaltigen literarischen Werk. Mitunter liebten sie auch dieselbe Frau, erst war der ältere mit ihr zusammen, dann der jüngere.
Doch wollte man aufgrund dieser unkonventionellen Lebensweise darauf schließen, die beiden Herren seien umgängliche Zeitgenossen gewesen, läge man völlig falsch. In der bewegten zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts suchten sie Trost und Haltung in der Sammlung raffinierter Gegenstände aus vergangenen und eleganteren Zeiten. Alles Neue und Moderne war ihnen suspekt, aber alles andere eigentlich auch.
In ihren Tagebüchern findet man eine Geisteshaltung, die man auch heute noch in bestimmten Kreisen in Paris beobachten kann: die Gesellschaft als eine Ausstellung zu betrachten, deren Exponate enttäuschen und deren Publikum nicht auf der Höhe ist. Ihre ausgeprägte Beobachtungsgabe und unsentimentale Beschreibung der Umwelt waren ihr literarisches Markenzeichen. Aber es war eine Frau, die diese Fähigkeiten fundamental in Frage stellte. Ihre geliebte Haushälterin Rose. Sie kümmerte sich jahrelang um die beiden, führte den Haushalt und kochte, wenn auch arg schlecht. Aber sie hatte noch ein zweites Leben, das zum Titel dieses Romans passt. Sie liebte den Sohn einer Nachbarin und wurde schwanger von ihm. Doch ihre beiden Chefs, die fein beobachtenden Goncourtbrüder, bekommen davon nichts mit. Sie bemerken nicht, dass Rose ein Mädchen zur Welt bringt. Sie begreifen nicht, dass ihre Haushälterin falsch abrechnet und auch noch Geld aus der Kassette nimmt, um ihrem Freund zu helfen. Erst nach ihrem Tod werden sie über das Leben von Rose aufgeklärt und beschließen, einen Roman über ihr Schicksal zu verfassen.
Doch es gibt noch eine zweite unerzählte Geschichte im Haus der Goncourt, sie erzählt vom Verhältnis der beiden Brüder. Der gewinnende, schöne Jules lebt im Klammergriff einer sich verschlimmernden, degenerativen Krankheit. Er findet die Wörter nicht mehr, verliert sein Gleichgewicht, kann die täglichen gymnastischen Übungen am Morgenfenster nicht mehr vollenden. Doch Edmond geht darüber hinweg, sieht nicht, dass der Bruder an fortschreitender Syphilis leidet, zu schmerzhaft ist die Einsicht, eines Tages allein leben und arbeiten zu müssen. Die luzide und doch taktvolle Beschreibung des Verfalls von Jules gehört zu den besonderen Passagen des Buchs. Sulzer gelingt eine anrührende Beschreibung der Dialektik zwischen Erkenntnis und Verdrängung. Er kann die frenetische Suche nach Trost nachzeichnen und auch die vernichtenden Momente des Verlusts. So gelingt Sulzer eine Studie über das Doppelleben der Literatur: Das Leben ist der Stoff der Bücher, aber es entzieht sich auch immer wieder der Beschreibung. Selbst wenn der Text die ganze Tragik, das Drama des Lebens erfasst, bleibt er in seinem eigenen Reich, niemand wird durch Literatur erlöst.
Erst heute, wenn das wechselhafte Schicksal der Brüder, von Rose und ihren Nachbarn, Freunden und Verwandten noch einmal in Sulzers Roman erzählt wird, erfahren diese seltsamen Lebensläufe eine angemessene Würdigung, denn wir erkennen in ihren rührenden Versuchen, sich einen Reim zu machen und mit der Überforderung durch Krankheit und Tod fertig zu werden, auch unsere eigene komische Gymnastik zwischen Sinn und Gefühl, Plan und Schicksal.
Am Ende, als Rose, ihre Tochter und der schöne Jules tot und beerdigt sind, bleibt Edmond allein in dem Haus. Frankreich ist auch politisch am Ende, die Preußen rücken vor. Ihm bleibt nicht mehr viel, aber immer noch eine Haushälterin und einige Hühner. Nach und nach isst er die Vögel bis auf eines, Blanche genannt.
Es wächst ihm ans Herz, erweist sich als ebenso zutraulich wie klug. Wenn wieder mal der Donner der preußischen Artillerie stört, schaut es zum Himmel, als sei dort ein unsichtbares Gewitter. Eine ganz besondere haustierliche Beziehung entwickelt sich, aber die Geschichte, die Hauswirtschaft und Edmonds Hunger machen weder Pause noch eine Ausnahme.
In dem Privatmuseum, zu dem ihr Wohnhaus geworden ist, befindet sich ein japanisches Schwert und mit dem möchte Edmond sich schließlich einen Braten sichern. Doch Blanche rennt auch ohne Kopf herum, blutet alles voll und vergebens ist das Opfer auch noch, denn Blanche schmeckt nicht. Es sind Miniaturen wie diese, die einen auch dann noch heimsuchen, wenn man den Roman längst beendet hat. Eine Moral oder Lehre ergibt sich daraus nicht, das wäre auch ganz gegen den Geist der beiden Brüder gewesen. Vielmehr schärft die Lektüre unseren Sinn dafür, mitten im Strom des Lebens, im vollbesetzten Theater einer wachen Gesellschaft und in den größten und lautesten Familien noch nach der Geschichte zu suchen, die nicht erzählt wird.
Frankreich ist auch
politisch am Ende,
die Preußen rücken vor
Alain Claude Sulzer:
Doppelleben.
Roman. Galiani Verlag, Berlin 2022.
304 Seiten, 23 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Alain Claude Sulzer schreibt in „Doppelleben“ über die Brüder
Goncourt: eine Meditation über Erkenntnis und Verdrängung
VON NILS MINKMAR
Die Brüder Jules und Edmond de Goncourt tragen – wegen des bedeutenden Literaturpreises, den sie gestiftet haben – einen berühmten Namen und sind zugleich völlig vergessen. Ihre Zeitgenossen Émile Zola und Gustave Flaubert sind dagegen auch heute noch jene Stars, zu denen sie zu Lebzeiten wurden. Ihre Bücher werden verfilmt, ihre Werke immer wieder aufgelegt und im Schulunterricht behandelt.
Aber der Name Goncourt wurde zur Währung für literarisches Kapital, über das man alljährlich im literarischen Paris streitet. Das Werk und mehr noch die Männer, die diesen Namen trugen und bekannt machten, verschwinden hinter dem von ihnen begründeten Literaturpreis. Er steht nun für ein wechselvolles Schicksal, denn das von Edmond de Goncourt gestiftete Vermögen wurde unterdessen wertlos – die Preisträgerinnen und Preisträger erhalten einen Scheck über die Summe von 10 Euro.
Nun hat der Schweizer Schriftsteller Alain Claude Sulzer das Leben der Goncourts auf der Grundlage ihrer Tagebücher in einem Roman nacherzählt. Die Brüder verbrachten nicht nur die meiste Zeit miteinander, wohnten und verreisten zusammen, sie arbeiteten auch im Duett an ihrem gewaltigen literarischen Werk. Mitunter liebten sie auch dieselbe Frau, erst war der ältere mit ihr zusammen, dann der jüngere.
Doch wollte man aufgrund dieser unkonventionellen Lebensweise darauf schließen, die beiden Herren seien umgängliche Zeitgenossen gewesen, läge man völlig falsch. In der bewegten zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts suchten sie Trost und Haltung in der Sammlung raffinierter Gegenstände aus vergangenen und eleganteren Zeiten. Alles Neue und Moderne war ihnen suspekt, aber alles andere eigentlich auch.
In ihren Tagebüchern findet man eine Geisteshaltung, die man auch heute noch in bestimmten Kreisen in Paris beobachten kann: die Gesellschaft als eine Ausstellung zu betrachten, deren Exponate enttäuschen und deren Publikum nicht auf der Höhe ist. Ihre ausgeprägte Beobachtungsgabe und unsentimentale Beschreibung der Umwelt waren ihr literarisches Markenzeichen. Aber es war eine Frau, die diese Fähigkeiten fundamental in Frage stellte. Ihre geliebte Haushälterin Rose. Sie kümmerte sich jahrelang um die beiden, führte den Haushalt und kochte, wenn auch arg schlecht. Aber sie hatte noch ein zweites Leben, das zum Titel dieses Romans passt. Sie liebte den Sohn einer Nachbarin und wurde schwanger von ihm. Doch ihre beiden Chefs, die fein beobachtenden Goncourtbrüder, bekommen davon nichts mit. Sie bemerken nicht, dass Rose ein Mädchen zur Welt bringt. Sie begreifen nicht, dass ihre Haushälterin falsch abrechnet und auch noch Geld aus der Kassette nimmt, um ihrem Freund zu helfen. Erst nach ihrem Tod werden sie über das Leben von Rose aufgeklärt und beschließen, einen Roman über ihr Schicksal zu verfassen.
Doch es gibt noch eine zweite unerzählte Geschichte im Haus der Goncourt, sie erzählt vom Verhältnis der beiden Brüder. Der gewinnende, schöne Jules lebt im Klammergriff einer sich verschlimmernden, degenerativen Krankheit. Er findet die Wörter nicht mehr, verliert sein Gleichgewicht, kann die täglichen gymnastischen Übungen am Morgenfenster nicht mehr vollenden. Doch Edmond geht darüber hinweg, sieht nicht, dass der Bruder an fortschreitender Syphilis leidet, zu schmerzhaft ist die Einsicht, eines Tages allein leben und arbeiten zu müssen. Die luzide und doch taktvolle Beschreibung des Verfalls von Jules gehört zu den besonderen Passagen des Buchs. Sulzer gelingt eine anrührende Beschreibung der Dialektik zwischen Erkenntnis und Verdrängung. Er kann die frenetische Suche nach Trost nachzeichnen und auch die vernichtenden Momente des Verlusts. So gelingt Sulzer eine Studie über das Doppelleben der Literatur: Das Leben ist der Stoff der Bücher, aber es entzieht sich auch immer wieder der Beschreibung. Selbst wenn der Text die ganze Tragik, das Drama des Lebens erfasst, bleibt er in seinem eigenen Reich, niemand wird durch Literatur erlöst.
Erst heute, wenn das wechselhafte Schicksal der Brüder, von Rose und ihren Nachbarn, Freunden und Verwandten noch einmal in Sulzers Roman erzählt wird, erfahren diese seltsamen Lebensläufe eine angemessene Würdigung, denn wir erkennen in ihren rührenden Versuchen, sich einen Reim zu machen und mit der Überforderung durch Krankheit und Tod fertig zu werden, auch unsere eigene komische Gymnastik zwischen Sinn und Gefühl, Plan und Schicksal.
Am Ende, als Rose, ihre Tochter und der schöne Jules tot und beerdigt sind, bleibt Edmond allein in dem Haus. Frankreich ist auch politisch am Ende, die Preußen rücken vor. Ihm bleibt nicht mehr viel, aber immer noch eine Haushälterin und einige Hühner. Nach und nach isst er die Vögel bis auf eines, Blanche genannt.
Es wächst ihm ans Herz, erweist sich als ebenso zutraulich wie klug. Wenn wieder mal der Donner der preußischen Artillerie stört, schaut es zum Himmel, als sei dort ein unsichtbares Gewitter. Eine ganz besondere haustierliche Beziehung entwickelt sich, aber die Geschichte, die Hauswirtschaft und Edmonds Hunger machen weder Pause noch eine Ausnahme.
In dem Privatmuseum, zu dem ihr Wohnhaus geworden ist, befindet sich ein japanisches Schwert und mit dem möchte Edmond sich schließlich einen Braten sichern. Doch Blanche rennt auch ohne Kopf herum, blutet alles voll und vergebens ist das Opfer auch noch, denn Blanche schmeckt nicht. Es sind Miniaturen wie diese, die einen auch dann noch heimsuchen, wenn man den Roman längst beendet hat. Eine Moral oder Lehre ergibt sich daraus nicht, das wäre auch ganz gegen den Geist der beiden Brüder gewesen. Vielmehr schärft die Lektüre unseren Sinn dafür, mitten im Strom des Lebens, im vollbesetzten Theater einer wachen Gesellschaft und in den größten und lautesten Familien noch nach der Geschichte zu suchen, die nicht erzählt wird.
Frankreich ist auch
politisch am Ende,
die Preußen rücken vor
Alain Claude Sulzer:
Doppelleben.
Roman. Galiani Verlag, Berlin 2022.
304 Seiten, 23 Euro.
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