Ein Reifenplatzer. Als erstes fliegen die Boccia-Kugeln durch den Fahrgastraum, dann Mutti und Vati. Der unversehrt gebliebene Junge wird zu den Großeltern verbannt, sein Exil heißt: Frankenhayn. Ein Schelm, wer dabei an Frankenstein denkt - wiewohl das Dorf, in einer weinseligen Gegend Österreichs zu verorten, und sein Personal durchaus schaurige Züge aufweisen.In Frankenhayn sind Schnurrbärte bei Frauen beliebter als bei Männern. Für die Großeltern, nächtens in Sarkophage ohne Deckel gebettet, scheint es die normalste Sache der Welt, das Herz eines Schweines zu verspeisen, das eben noch fröhlich vor sich hin quiekte. Dazu trinken sie Wein mit einer Andacht, die sehr an den Pfarrer und sein sonntägliches Ritual erinnert. Überhaupt steht das Katholische in innigster Verbindung mit dem Alkoholischen. Und dem Diabolischen: Die beiden Cousins, zwei Flaschen, wie sie im Buche stehen, lassen keine Gelegenheit zur Grausamkeit an Mitmensch und -tier aus. Die Flaschen wiederum, die auf den Tisch kommen, sind von monströser Größe: zweilitrig, Doppler genannt, geradezu emblematisch für diesen Sommer 1970, nach dem nichts mehr so ist wie vorher. Auch wegen dem Geheimnis, das die Großmutter unter ihrer Kleiderschürze trägt...Thomas Oláhs erster Roman ist ungeheuer komisch und nichts für schwache Nerven. Ein bizarres Stück Österreich, ein furioses Stück Literatur!
Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension
Völlig aus der Bahn geworfen wird Rezensentin Katharina Teutsch vom Debüt des Kostümbildners und Kulturwissenschaftlers Thomas Oláh. So witzig und abgründig ist dieses Buch, dass die Rezensentin sich gleich besorgt fragen muss, ob der Autor so ein hohes Niveau bei seinen nächsten Büchern halten können wird. Erzählt wird aus der Ich-Perspektive eines Jungen, dem das Leben nicht gerade freundlich gesinnt ist, lesen wir: Nachdem er seine Eltern bei einem Autounfall verloren hat, kommt er zu den Großeltern in die österreichische Provinz. Die Alten sind echte "Archetypen", die Anfang der siebziger Jahre in ihrem Dorf wie in einer "katholisch, ruralen Zeitkapsel" leben, so die Rezensentin. Auf originelle und sehr österreichische Weise, so die Kritikerin, lässt der Autor in die Abgründe der emotional verhärteten Großeltern blicken, die sowohl ihre schönen wie auch ihre schlimmen Erinnerungen verdrängt haben. Auch die jungen Dorfbewohner machen dem Ich-Erzähler Probleme, erfahren wir, die Verrohung ist bis zu seinen Cousins vorgedrungen, vor deren Attacken er sich in Acht nehmen muss. Ein hervorragender, in seiner Bösartigkeit enorm unterhaltsamer Debütroman, freut sich Teutsch.
© Perlentaucher Medien GmbH
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