Sie heißt Doris, genauer Doris Lange. Langeweile jedoch kennt sie nicht. Denn Doris hat ein großes Ziel: Sie will Zaubern lernen. Warum? Einfach so, weil's lustig sein müsste, Abwechslung ins manchmal graue Leben bringen dürfte. Nur ist es wirklich so einfach, das mit dem Zaubern? Natürlich nicht. Denn wer kann schon eine Stunde lang ruhig auf einem Bein stehen und dabei zusätzlich mit der kleinen Zehe auf und ab wippen, ohne die daneben zu bewegen?! Niemand! Wenn es da nicht diese Doris gäbe mit ihrem Willen und ihrer Hartnäckigkeit ...
In einer Nacht des Jahres1982 schrieb Franz Fühmann das Märchen von der "Doris Zauberbein", eine wunderbar lebendige, unterhaltsame, erfrischend unpädagogische und doch lehrreiche Geschichte über Durchsetzungskraft, Gerechtigkeitssinn, über Aufbegehren gegen Rücksichtslosigkeit und scheinbar Festgefügtes. Ein Text, der wieder beweist, welche Kraft Kinderliteratur entwickeln kann, wenn sie lustvoll und sprachgewandt mit Fantasie spielt und liebenswert selbstbewusste Figuren erschafft. Vor allem dann, wenn sich zum Text die bewegten und bewegenden Illustrationen von Jacky Gleich gesellen ...
Nach den mehrfach ausgezeichneten Märchen "Anna, genannt Humpelhexe" und "Von der Fee, die Feuer speien konnte" erscheint mit "Doris Zauberbein" nun das dritte "Märchen auf Bestellung" als modern gestaltete Einzelausgabe.
In einer Nacht des Jahres1982 schrieb Franz Fühmann das Märchen von der "Doris Zauberbein", eine wunderbar lebendige, unterhaltsame, erfrischend unpädagogische und doch lehrreiche Geschichte über Durchsetzungskraft, Gerechtigkeitssinn, über Aufbegehren gegen Rücksichtslosigkeit und scheinbar Festgefügtes. Ein Text, der wieder beweist, welche Kraft Kinderliteratur entwickeln kann, wenn sie lustvoll und sprachgewandt mit Fantasie spielt und liebenswert selbstbewusste Figuren erschafft. Vor allem dann, wenn sich zum Text die bewegten und bewegenden Illustrationen von Jacky Gleich gesellen ...
Nach den mehrfach ausgezeichneten Märchen "Anna, genannt Humpelhexe" und "Von der Fee, die Feuer speien konnte" erscheint mit "Doris Zauberbein" nun das dritte "Märchen auf Bestellung" als modern gestaltete Einzelausgabe.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.09.2004Als Storch kommst du überall hin
Franz Fühmanns wehmütiges Märchen über den Wunsch zu fliehen
Wo Doris Lange wohnt, erfahren wir fast genau: in einer kleinen Stadt, Paulastraße 22, "im märkischen Sand, dort wo die Spree fließt". Nur der Ortsname fehlt, ob es vielleicht Märkisch Buchholz ist, wo Franz Fühmann, der Erfinder des kleinen Mädchens mit Zauberkräften, bis zu seinem Tod 1984 gelebt und getrauert hat um seine Utopie von einer besseren Welt?
Was kann man tun, wenn man sich entschlossen hat, nicht zu fliehen, sondern zu bleiben und denen Mut zu machen, die Trost und Hilfe brauchen? Franz Fühmann hat weiterhin für die geschrieben, die zwischen den Zeilen zu lesen verstanden, die über seine doppelbödigen Sprachspiele lächeln konnten und sich gerne bückten, weil der fast totgeschwiegene Schriftsteller in der DDR nur noch als Geheimtip unterm Ladentisch zu haben war. Märchen oder Nachdichtungen antiker Sagen zu schreiben war unter diesen Bedingungen noch am wenigsten gefährlich für einen, der sich nicht anpassen wollte. Anna, die Humpelhexe, oder die Fee, die Feuer speien konnte, und eben Doris Zauberbein sind so entstanden. Es ist lobenswert, daß Fühmanns alter Verlag sie nun mit neuen, dem Text gut angepaßten Illustrationen von Jacky Gleich wieder herausbringt.
Denn verstehen kann sie auch ein Kind, das nicht weiß, wer mit Mutaphar, dem schrecklichen Krokodil, gemeint ist (ein Stasi-Mann oder sonst ein bedrohlicher DDR-Funktionär). Einer der tapferen Störche und erfahrenen Lehrmeister für Zauberkünste hat dem Ungeheuer einen Schnabelhieb verpaßt. Seitdem hat Mutaphar einen großen blauen Fleck auf seiner langen Schnauze mit den gefährlichen Zähnen.
Zaubern lernen ist ganz schön schwierig. Doris übt ein ganzes Jahr, auf einem Bein zu stehen, das ist das wichtigste, bevor sie endlich von ihrem märkischen Nest bis nach Ägypten sehen kann. Doch die weite Sicht allein genügt ihr nicht. Sie sieht plötzlich, was alles mißlich ist in ihrem Städtchen. Sie möchte etwas tun, zum Beispiel ihrem Freund Dagobert helfen, der immer von den Frauen, die im Konsumladen anstehen, weggedrängt wird, oder dem Rollstuhlfahrer, der die Straße nicht überqueren kann, weil niemand anhält. Deshalb trainiert sie nochmal drei Jahre, damit sie mit Zehenwackeln plötzliche Hitze- oder Kälteeinbrüche erzeugen kann. Nun ist sie nicht mehr ohnmächtig gegenüber rücksichtslosen Autofahrern oder unfreundlichen Polizisten. Sie hat alle Hände voll zu tun, um die Schwachen zu schützen; deshalb kann sie auch nicht mit ihren Freunden, den Störchen, in wärmere Länder fliegen.
Die Illustrationen erinnern an den Alltag in der DDR: triste Straßenzüge, müde Gesichter, eine Ödnis liegt über dieser Welt, bevor Doris loslegt mit ihren Zaubereien. Auch Doris selbst sieht nicht immer glücklich aus. Doch unter den ängstlichen Augen sind Wangen und Nase vor Aufregung gerötet. Mit energisch bewegtem Strich verbildlicht Jacky Gleich die Anstrengung, die es kostet, etwas zu verändern, aber auch die Freude, die es macht.
Fühmann hat sich für sein Märchen einmal einen traurigen und einmal einen fröhlichen Schluß ausgedacht. Klar, welchen wir lieber haben. Die grauen Hauswände, bunt bemalt sind mit allem, was Kinder mögen, sind ein Hoffnungsschimmer, den wir auch heute brauchen.
MARIA FRISÉ
Franz Fühmann: "Doris Zauberbein". Illustrationen von Jacky Gleich, Nachwort von Annett Gröschner. Hinstorff Verlag, Rostock 2004. 47 S., geb., 12,90 [Euro]. Ab 6 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Franz Fühmanns wehmütiges Märchen über den Wunsch zu fliehen
Wo Doris Lange wohnt, erfahren wir fast genau: in einer kleinen Stadt, Paulastraße 22, "im märkischen Sand, dort wo die Spree fließt". Nur der Ortsname fehlt, ob es vielleicht Märkisch Buchholz ist, wo Franz Fühmann, der Erfinder des kleinen Mädchens mit Zauberkräften, bis zu seinem Tod 1984 gelebt und getrauert hat um seine Utopie von einer besseren Welt?
Was kann man tun, wenn man sich entschlossen hat, nicht zu fliehen, sondern zu bleiben und denen Mut zu machen, die Trost und Hilfe brauchen? Franz Fühmann hat weiterhin für die geschrieben, die zwischen den Zeilen zu lesen verstanden, die über seine doppelbödigen Sprachspiele lächeln konnten und sich gerne bückten, weil der fast totgeschwiegene Schriftsteller in der DDR nur noch als Geheimtip unterm Ladentisch zu haben war. Märchen oder Nachdichtungen antiker Sagen zu schreiben war unter diesen Bedingungen noch am wenigsten gefährlich für einen, der sich nicht anpassen wollte. Anna, die Humpelhexe, oder die Fee, die Feuer speien konnte, und eben Doris Zauberbein sind so entstanden. Es ist lobenswert, daß Fühmanns alter Verlag sie nun mit neuen, dem Text gut angepaßten Illustrationen von Jacky Gleich wieder herausbringt.
Denn verstehen kann sie auch ein Kind, das nicht weiß, wer mit Mutaphar, dem schrecklichen Krokodil, gemeint ist (ein Stasi-Mann oder sonst ein bedrohlicher DDR-Funktionär). Einer der tapferen Störche und erfahrenen Lehrmeister für Zauberkünste hat dem Ungeheuer einen Schnabelhieb verpaßt. Seitdem hat Mutaphar einen großen blauen Fleck auf seiner langen Schnauze mit den gefährlichen Zähnen.
Zaubern lernen ist ganz schön schwierig. Doris übt ein ganzes Jahr, auf einem Bein zu stehen, das ist das wichtigste, bevor sie endlich von ihrem märkischen Nest bis nach Ägypten sehen kann. Doch die weite Sicht allein genügt ihr nicht. Sie sieht plötzlich, was alles mißlich ist in ihrem Städtchen. Sie möchte etwas tun, zum Beispiel ihrem Freund Dagobert helfen, der immer von den Frauen, die im Konsumladen anstehen, weggedrängt wird, oder dem Rollstuhlfahrer, der die Straße nicht überqueren kann, weil niemand anhält. Deshalb trainiert sie nochmal drei Jahre, damit sie mit Zehenwackeln plötzliche Hitze- oder Kälteeinbrüche erzeugen kann. Nun ist sie nicht mehr ohnmächtig gegenüber rücksichtslosen Autofahrern oder unfreundlichen Polizisten. Sie hat alle Hände voll zu tun, um die Schwachen zu schützen; deshalb kann sie auch nicht mit ihren Freunden, den Störchen, in wärmere Länder fliegen.
Die Illustrationen erinnern an den Alltag in der DDR: triste Straßenzüge, müde Gesichter, eine Ödnis liegt über dieser Welt, bevor Doris loslegt mit ihren Zaubereien. Auch Doris selbst sieht nicht immer glücklich aus. Doch unter den ängstlichen Augen sind Wangen und Nase vor Aufregung gerötet. Mit energisch bewegtem Strich verbildlicht Jacky Gleich die Anstrengung, die es kostet, etwas zu verändern, aber auch die Freude, die es macht.
Fühmann hat sich für sein Märchen einmal einen traurigen und einmal einen fröhlichen Schluß ausgedacht. Klar, welchen wir lieber haben. Die grauen Hauswände, bunt bemalt sind mit allem, was Kinder mögen, sind ein Hoffnungsschimmer, den wir auch heute brauchen.
MARIA FRISÉ
Franz Fühmann: "Doris Zauberbein". Illustrationen von Jacky Gleich, Nachwort von Annett Gröschner. Hinstorff Verlag, Rostock 2004. 47 S., geb., 12,90 [Euro]. Ab 6 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Maria Frise freut sich sehr, dass Franz Fühmanns wehmütiges Märchen über den Wunsch zu fliehen wieder aufgelegt worden ist. Auch die neuen Zeichnungen von Jacky Gleich, die sie an den tristen DDR-Alltag erinnern, findet sie der Geschichte "gut angepasst". Das kleine Mädchen Doris mit den Zauberkräften hat es der Rezensentin besonders angetan. Das Zaubern hat Doris, wie wir lesen, ein ganzes Jahr geübt und eines Tages kann sie vom märkischen Nest, in dem sie lebt "bis nach Ägypten" sehen. Und weil sie auch sieht, was schlecht an der Welt ist, in der sie lebt, übt sie noch weitere drei Jahre, bis sie per Zehenwackeln Hitze- und Kältewellen erzeugen und mit ihre Freunden, den Störchen in wärmere Länder als die DDR es war, fliegen kann.
© Perlentaucher Medien GmbH
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