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Race, politics, identity, photography: South African writer Ivan Vladislavic reminds us nothing is black and white.

Produktbeschreibung
Race, politics, identity, photography: South African writer Ivan Vladislavic reminds us nothing is black and white.
Autorenporträt
IVAN VLADISLAVIC is the author of the novels The Folly, The Restless Supermarket, The Exploded View and Double Negative. The last of these appeared initially in TJ/Double Negative, a joint project with the photographer David Goldblatt. Vladislavić has written extensively about Johannesburg, notably in Portrait with Keys (2006). He has edited volumes on architecture and art, and published a monograph on the conceptual artist Willem Boshoff. The compendium volume Flashback Hotel (2010) gathered together his early stories. Recent books are The Loss Library and Other Unfinished Stories, a reflection on writing and other things, and A Labour of Moles, a small comedy of meanings illustrated by Ornan Rotem. His work has won the Sunday Times Fiction Prize, the Alan Paton Award and the University of Johannesburg Prize, while TJ/Double Negative received the 2011 Kraszna-Krausz Award for best photography book.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.02.2016

Bilder einer Einstellung
Der Johannesburger Autor Ivan Vladislavić erzählt in „Double Negative“ vom Südafrika der
letzten Jahrzehnte – und fasst das Land in Bilder, die man nicht wieder vergisst
VON ALEX RÜHLE
Was für ein Schatz; gepriesen sei der kleine Münchner A-1-Verlag dafür, „Double Negative“ ins Deutsche übersetzt zu haben. Gepriesen sei aber vor allem der Johannesburger Autor Ivan Vladislavić. Wie kann man nur derart elegant einen Roman schreiben, der zugleich dokumentarisches Panorama über 30 Jahre Südafrika ist, persönliche Hommage an den großen Fotografen David Goldblatt, und ein Text über den fragilen Wert von Erinnerungen? In Sachen zeitdiagnostischer Intelligenz erinnert „Double Negative“ an die melancholischen Romanessayisten unserer Tage, an W.G. Sebald und Teju Cole. Cole hat übrigens das Vorwort geschrieben, in dem er „Double Negative“ unter anderem für seine einmalig schöne Sprache preist, „so funkelnd und feinkörnig wie ein Silbergelatine-Abzug“.
Was unbedingt stimmt: Beim Lesen dieses Buchs war schon nach wenigen Seiten der ununterdrückbare Wunsch da, ganze Sätze rauszuschreiben, sie aufzuheben wie Fotos, um sie weiterzuzeigen, so treffend sind viele Bilder: „Ich hatte das Gefühl, leicht zu schwanken, so wie es einem nach einer langen Wanderung geht, wenn die Luftblase in der Seelenwaage noch zittert, obwohl der Körper bereits zur Ruhe gekommen ist.“ – Der da spricht, heißt Nev Lister. Er hat soeben sein Studium abgebrochen. Wir befinden uns im Johannesburg der frühen Achtzigerjahre, die Apartheid ist in ihrem grausamen Endstadium, wovon sie noch nichts weiß, Lister, ein stiller Drifter und Zweifler, darf auf Drängen seines besorgten Vaters den berühmten Fotografen Saul Auerbach einen Tag lang bei dessen Streifzügen durch Johannesburg begleiten. Gleichzeitig wird Auerbach an diesem Tag von einem britischen Journalisten begleitet, der das ästhetische Geheimnis von Auerbach erkunden will, was Vladislavić die Möglichkeit gibt, seinen schweigsamen Fotografen, der sich selbst nur als Handwerker, Chronist, Gegenwartsethnologe, aber bestimmt nicht als Künstler sieht, zum Reden zu bringen.
Auerbach fährt mit seinen beiden Gästen auf eine Anhöhe, von der aus man die Stadt überblickt. „Wie ein aufgeschlagenes Buch breitete sich das Land unter uns aus.“ Die drei bestimmen von dort oben aus drei Häuser, die Auerbach fotografieren soll. Objets trouvés, Zufall, der zu Kunst wird: Auerbach stürzt sich ins Labyrinth der Straßen, findet zwei der Häuser und macht dort jeweils eine Aufnahme von den Bewohnerinnen, zwei Bilder, die später zu Ikonen der Apartheidzeit werden. Für das dritte Haus, für das sich Nev entschieden hatte, bleibt keine Zeit mehr, das Licht verschwindet schon, Nev geht nach Hause und will eigentlich seiner Schwester von diesem Tag erzählen, „doch letztlich“, heißt es im letzten Satz des Eingangskapitels, „letztlich ließ ich ihn im Gedächtnis liegen, wo ein Stift aus Licht alles in meine Erinnerung einschrieb.“
Das Gedächtnis als Film. Die Erinnerung als Bilderkatalog. Was passiert in der Dunkelkammer der Zeit mit unseren Erinnerungen? Welche Kunstform eignet sich dafür, sie aufzuheben? Das Foto, das Augenblicke festhält? Der Roman, der ganze Epochen umfassen kann? All das sind Fragen, die Vladislavić in seinem Roman immer neu, immer tiefer herauspräpariert, so als sei sein großer Text das Entwicklerbad, indem die Wahrheit langsam zum Vorschein kommt.
Drei Häuser. Drei Kapitel. Das Buch ist strukturiert wie ein Triptychon. Nach dem Initiationsritus dieses Tages – der in ihm, ohne dass er es vorerst merkt, „eine Strömung umlenkt“ – zieht Nev nach London, um dem Wehrdienst zu entgehen und den blutigsten Apartheidsjahren. 1994, nach den ersten freien Wahlen, kehrt er zurück. Im Landeanflug auf Johannesburg sieht er Ausschnitte der Stadt, zufällig durchs Flugzeugfenster, Dächer, Kamine „und dann einen Traktor, der einen Feldweg langfuhr, mit dem Bauern am Lenkrad. Und ich schlüpfte in die Seiten eines Buches.“
Fünfzig Seiten zuvor lag die Stadt zu seinen Füßen wie ein offenes Buch, er war noch eine Art unbeteiligter jugendlicher Beobachter, jetzt begibt er sich selbst tief hinein in die Textur dieser Stadt. Mittlerweile ist er selbst Fotograf, wobei er betont, er arbeite strikt kommerziell, als Werbefotograf, „der Typ für die eingefrorenen Momente“. Er hat nun den doppelten Blick auf Johannesburg, alles ist ihm vertraut und doch durch die historischen Veränderungen der letzten Jahre fremd geworden, eine gute Voraussetzung, um vom Rand aus genau hinzusehen.
Eines Tages sucht er das dritte, nie von Auerbach fotografierte Haus auf und gibt sich bei der Frau, die dort lebt, als Stadthistoriker aus. Mrs. Pinheiro, die ihn einlässt, hortet alte Briefe: Ihr verstorbener Mann, ein mosambikanischer Arzt, der als Ausländer nie in Südafrika hatte praktizieren dürfen, hat im Verteilerzentrum der Post gearbeitet und diese Briefe ins Nichts, die eigentlich hätten vernichtet werden sollen, aufgehoben. Auf Nevs Bitten öffnet Mrs. Pinheiro irgendeinen der Briefe, wieder so eine Zufallswahl, die dann Einblick gibt in ein ganzes Leben: „Aus der Stille baute sich eine Gefängniszelle auf, ein kleiner, kahler Raum mit Wänden im selben Blassgrün wie der Umschlag. In der hintersten Ecke lag ein Mann auf der Seite. Er hatte uns den Rücken zugekehrt. Sie faltete ihn in eine aufrechte Stellung, lehnte ihn gegen die Wand und drückte mit der Fingerspitze gegen seine Augenbrauen. ( . . .) Als er ihr die gefesselten Hände hinhielt und sprechen wollte, schob sie ihn wie einen Papierlampion zwischen ihren Handflächen zusammen und den Brief wieder in den Stapel.“
Das Wunder eines Textes, Wortmaterial und Bedeutung zugleich, der dünne Brief, der aufgefaltet zu einer dichten Szene wird, der bloße Text, der für einen Moment, in dem die beiden ihn lesen, als dreidimensionale Wirklichkeit vor ihnen steht – all das in einem kurzen Absatz.
Vladislavić hat alle Tricks der Postmoderne drauf, ohne sich je als magischer Erzähler aufzuspielen. Er selbst will in seinem Buch verschwinden wie David Goldblatt, pardon, Samuel Auerbach, in seinem Werk: Im dritten Teil des Buchs wird Nev Lister selbst zum Thema, eine Bloggerin will über ihn schreiben und bittet ihn, die Begrüßung an der Haustür noch mal zu wiederholen, damit sie die Szene filmen kann, möglichst authentisch soll es ja sein für die Leser. „Scheiße. Fünf Minuten, und schon werde ich gebeten, mich selbst zu spielen.“
 Die Bloggerin will Lister porträtieren, weil ihr eine seiner Serien aufgefallen ist: Er fotografiert in seiner Freizeit die Menschen vor ihren Anwesen, und das heißt im Johannesburg des 21. Jahrhunderts: vor Mauern. Alle haben sich eingebunkert, die Grundstücke festungsartig ausgebaut, die Stadt hat ihr Antlitz verloren, man sieht nur noch Mauern, Zäune, Stacheldraht. Die akkurat gemähte, frischgegossene Schönheit dahinter interessiert ihn nicht, er will zeigen, was da ist. Und ist zugleich zutiefst skeptisch, was überhaupt noch gezeigt werden kann.
„Double Negative“ erschien in Südafrika ursprünglich zusammen mit einem Bildband des großen Fotografen David Goldblatt. Der sagte einmal, wenn er im Himmel eines Tages gefragt würde, was er hier unten getrieben habe, würde er sagen, er habe als selbsternannter Beobachter und Kritiker seiner Zeit eine Schwäche dafür gehabt, Dingen, die übersehen wurden, Ehre zu erweisen. Ivan Vladislavić ist sein junger, aber ebenbürtiger Bruder im Geiste.
Ivan Vladislavić: Double Negative. Roman. Aus dem Englischen von Thomas Brückner. A1 Verlag, München 2015. 251 Seiten, 19,80 Euro.
Der Text als Entwicklerbad,
in dem die Wahrheit langsam
zum Vorschein kommt
„Fünf Minuten, und
schon werde ich gebeten,
mich selbst zu spielen.“
Trauerarbeit in Südafrika, eine Fotografie von David Goldblatt aus dem Juli 1985: Die Eltern von Fort Calata am Grab ihres Sohnes, der als einer der „Cradock Four“ von südafrikanischer Polizei umgebracht wurde.
Foto: ullstein bild–Africa Media Online/David Goldblatt
Ivan Vladislavić, geboren 1957, gab Werke zu zeitgenössischer Kunst und Architektur heraus, schrieb für Bücher der Fotografen David Goldblatt und Roger Palmer und erhielt für seine Romane und Erzählungen viele Preise. Foto: A1
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