Ein Karton voll vergessener Briefe erzählt die wahre Geschichte des »Dr. B.«
Stockholm 1940. Das neutrale Schweden bietet deutschen Emigranten Zuflucht vor den Nazis. Auch Gottfried Bermann Fischer, der legendäre Verleger, ist in die schwedische Hauptstadt geflohen. Mithilfe einflussreicher Freunde gelingt es ihm, einen Exilverlag zu gründen, in dem auch Thomas Mann und Stefan Zweig ihre Werke publizieren. Doch Stockholm wird zunehmend unsicher, und Bermann Fischer will ausreisen. Das Visum dazu könnte ihm sein Mitarbeiter Immanuel Birnbaum verschaffen, ein ebenfalls ausgereister deutscher Journalist. Aber Birnbaum gerät wegen Kollaboration in Haft und bringt damit auch Bermann Fischer in Gefahr.
»Die Geschichte eines vereitelten Anschlags, die schicksalhafte Geschichte des eigenen Großvaters, die beste Geschichte der Welt.« Svenska Dagbladet
Stockholm 1940. Das neutrale Schweden bietet deutschen Emigranten Zuflucht vor den Nazis. Auch Gottfried Bermann Fischer, der legendäre Verleger, ist in die schwedische Hauptstadt geflohen. Mithilfe einflussreicher Freunde gelingt es ihm, einen Exilverlag zu gründen, in dem auch Thomas Mann und Stefan Zweig ihre Werke publizieren. Doch Stockholm wird zunehmend unsicher, und Bermann Fischer will ausreisen. Das Visum dazu könnte ihm sein Mitarbeiter Immanuel Birnbaum verschaffen, ein ebenfalls ausgereister deutscher Journalist. Aber Birnbaum gerät wegen Kollaboration in Haft und bringt damit auch Bermann Fischer in Gefahr.
»Die Geschichte eines vereitelten Anschlags, die schicksalhafte Geschichte des eigenen Großvaters, die beste Geschichte der Welt.« Svenska Dagbladet
In ständiger Gefahr
Wer ist "Dr. B."? Daniel Birnbaum schreibt einen brillanten Roman über die Zeit seines Großvaters im Stockholmer Exil.
Im Mittelpunkt dieser Geschehnisse am Beginn des Zweiten Weltkriegs steht ein Mann, der als Journalist seine Artikel unter dem Kürzel "Dr. B." schrieb. Dass es sich bei der Schilderung um einen Roman handelt, die Wahrhaftigkeit einer Fiktion mithin, stellt der Autor Daniel Birnbaum unmissverständlich klar. Zugleich bildet aber die Wirklichkeit der historischen Ereignisse den Hintergrund. Wenn das Wort Verstrickung, in seinem doppelten Sinn von bewusstem Handeln und schicksalhaftem Hineingezogenwerden, einen Sinn haben kann: Er wird in "Dr. B." Gestalt.
Auch die meisten der anderen handelnden Personen, nicht bloß die prominenten in der Gemengelage auf der politischen Bühne, hat es gegeben. Wer von diesem Buch gefangen ist, wird sich dabei wiederfinden, sie auf eigenen Wegen zu erkunden. Sie agierten an den oft unsichtbaren Fronten in der apokalyptischen Wirrnis im Stockholm der Jahre 1939/40, die Daniel Birnbaum unheimlich plastisch werden lässt. Er erweckt die schwedische Hauptstadt zum Leben, die wie ein "Casablanca des Nordens" in jener Zeit anmutet: wo sich Menschen gesammelt haben, die gerade noch hoffen, bleiben zu können; die vor allem vor den Nationalsozialisten geflohen sind, viele von ihnen im Transit, in der Hoffnung auf Visa, auf die Weiterreise, zumeist nach Nord- oder Südamerika.
"Dr. B." ist Immanuel Birnbaum, geboren 1894 in Königsberg als Sohn des Hauptkantors der jüdischen Gemeinde dort. Seit Ende der Zwanzigerjahre war er Korrespondent in Warschau für deutschsprachige Zeitungen (unter anderen auch für die Frankfurter Zeitung). Nach dem Einmarsch der Deutschen in Polen emigrierte er, als konvertierter Jude und dem Widerstand in Polen nahestehend, mit seiner Frau und den zwei halbwüchsigen Söhnen nach Schweden. Von Stockholm aus schrieb Immanuel Birnbaum weiterhin unter seinem Kürzel Artikel für die liberalen Basler Nachrichten aus der Schweiz, daneben für ein Korrespondenzbüro in Berlin.
In Stockholm begegnete er auch dem Verleger Gottfried Bermann Fischer, der ebenfalls mit seiner Familie emigriert war. Bermann Fischer betrieb dort seinen Exilverlag, in dem er die Werke von Thomas Mann oder Stefan Zweig veröffentlichte. Er gab Birnbaum eine Stelle als Lektor. Und erhoffte sich von dessen Verbindungen vielleicht - so will es der Roman, und manches spricht dafür - Hilfe bei der Beschaffung von Transitvisa für die Sowjetunion, um in die Vereinigten Staaten auswandern zu können. Über Bermann Fischer kommt Birnbaum in Berührung mit einer Gruppe von antinazistisch gesinnten Engländern; ihre genauen Pläne, tatsächlich Sabotage gravierendster Art, kannte er womöglich nicht.
Mit großartigem Geschick führt Daniel Birnbaum die unterschiedlichen Handlungsstränge zusammen: die subkutanen Verflechtungen von machtpolitischem Kalkül am Beginn des Weltkriegs und der hereinbrechenden Katastrophe für alle Kultur, damit für menschliche Haltung und Würde. Für den Immanuel Birnbaum des Buchs bedeutet das: Er gerät in den fatalen Zwiespalt zwischen schierer Lebenserhaltung und seinem Empfinden für Integrität. Denn aus dem Berliner Korrespondenzbüro wird ihm klargemacht, dass man Informationen aus dem Hintergrundwissen seines Berufs erwarte, sofern er weiter finanzielle Zuwendungen erhalten wolle, für den Unterhalt seiner kränkelnden Frau Lucia und der Söhne Karl Edward und Henrik. Ihm werden dafür ein Füllfederhalter und unsichtbare Tinte zugespielt; er schreibt mit der gelben Flüssigkeit zwischen die Zeilen eines harmlos wirkenden Briefs nach Berlin. Die Mitteilung wird im Februar 1940 von der schwedischen Postkontrolle abgefangen; die Engländer werden enttarnt. Immanuel Birnbaum wird festgenommen und als deutscher Spion für acht Monate inhaftiert; auch Bermann Fischer wird vorübergehend verhaftet.
Schwedens Neutralität zu Beginn des Zweiten Weltkriegs war äußerst fragil. Sie hing von der Erzzufuhr nach Deutschland ab. Was also hätte geschehen können, wenn Immanuel Birnbaums Nachricht nach Berlin nicht abgefangen und entziffert worden wäre? Was, wenn den Engländern die geplante Sprengung des Hafens in Oxelösund, wo das Erz nach Deutschland verladen wurde, gelungen wäre? Hätte das Anlass für eine deutsche Invasion in Schweden sein können? Die Dimensionen solcher Erwägungen um einen winzigen Moment der Weltgeschichte sind schwindelerregend.
In seinem Nachwort enthüllt der Autor den Ursprung seines Romans, der zuerst 2018 auf Schwedisch erschien. Daniel Birnbaum war von 2000 bis 2010 Rektor der Städelschule in Frankfurt, danach Direktor des Moderna Museet in Stockholm; derzeit leitet er das auf digitale Kunst spezialisierte Unternehmen Acute Art in London. Er ist Immanuel Birnbaums Enkel; sein Vater war dessen älterer Sohn Karl Edward Birnbaum, der 1978 Gründungsdirektor des Österreichischen Instituts für internationale Politik wurde. Seinen Großvater hat Daniel Birnbaum als Kind erlebt, seine Großmutter Lucia starb bereits 1945.
Alles begann mit einem Karton mit der Aufschrift "Imms hinterlassene Papiere", den Daniel Birnbaum an sich nahm: "In seinen autobiographischen Texten hat Immanuel seine Zeit als Lektor in dem Verlag in Stockholm nirgends erwähnt. Dass er die Geschichte am liebsten vergessen hätte, kann man verstehen. Stattdessen lässt er die gesamte deutsche Kultur Revue passieren, ein Bermann Fischer kommt darin aber nicht vor." Die Memoiren von Immanuel Birnbaum, der schließlich von 1960 bis 1976 stellvertretender Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung war, erschienen 1974 unter dem Titel "Achtzig Jahre dabei gewesen".
"In meiner Geschichte geht es mir weder darum, ihm Schuld zuzuweisen", schreibt Daniel Birnbaum, "noch ihn reinzuwaschen." So liegt nun ein Buch vor, das als ebenso komplexer wie fesselnder Spionageroman lesbar ist. Atemraubend allein schon deshalb, weil die Abgründe der puren Existenz aufgerissen sind, angesichts nicht nur allgemeiner, sondern konkreter Bedrohung an Leib und Leben, und das nicht nur für "Dr. B.". Der menschliche Faktor, die ständige Gefahr des Versagens bei der kleinsten Bewegung des Einzelnen oder dem Agieren im Kollektiv, etwa der englischen Saboteure, unter der latenten Bedrohung durch das nationalsozialistische Regime wird beinahe physisch spürbar. Daniel Birnbaum fällt in seinem Roman keine Urteile, macht sich schon gar nicht zum moralischen Richter; so viele Fragen, jenseits aller geleisteten Klärung, bleiben offen, vielleicht für immer.
Sein Erzählstil ist von absoluter Klarheit, ohne jede Gefühligkeit, ohne alle psychologisierende Introspektion. Die einzelnen Kapitel setzen sich wie die Teile eines Kaleidoskops zusammen. Ein dichtes Sittenbild des damaligen Stockholms entsteht so, durch das Immanuel Birnbaum wie ein getriebener Flaneur streift, gefangen in den Kulissen jenes Films, der Realität heißt. Es ist eine Melange aus Schicksalsgefährten und Gegnern auf den Tod, aus Bonzen und Schranzen verschiedenster Couleur, aus Hoffnung und Käuflichkeit.
Da wäre noch: Wer Stefan Zweigs letztes Werk, "Die Schachnovelle", kennt, das er im brasilianischen Exil kurz vor seinem Selbstmord 1942 vollendete, wird bei "Dr. B." unwillkürlich an die gleichnamige Figur darin denken: den Fremden, der sich in der Zeit seiner Gefangenschaft unglaubliche Fähigkeiten im Schachspiel aneignete. Verlegt hat die "Schachnovelle" 1943 Gottfried Bermann Fischer im Exil. In dem Karton mit Immanuel Birnbaums Papieren weist darauf nur ein Fetzen Papier hin, vom damaligen Schutzumschlag - wie ein ganz feiner Faden hin zu diesem, dem fiktiven "Dr. B.". Der reale Dr. B. hatte übrigens nie einen Doktortitel. ROSE-MARIA GROPP.
Daniel Birnbaum: "Dr. B.". Roman.
Aus dem Schwedischen von Ursel Allenstein und Hedwig M. Binder. Piper Verlag, München 2021. 315 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wer ist "Dr. B."? Daniel Birnbaum schreibt einen brillanten Roman über die Zeit seines Großvaters im Stockholmer Exil.
Im Mittelpunkt dieser Geschehnisse am Beginn des Zweiten Weltkriegs steht ein Mann, der als Journalist seine Artikel unter dem Kürzel "Dr. B." schrieb. Dass es sich bei der Schilderung um einen Roman handelt, die Wahrhaftigkeit einer Fiktion mithin, stellt der Autor Daniel Birnbaum unmissverständlich klar. Zugleich bildet aber die Wirklichkeit der historischen Ereignisse den Hintergrund. Wenn das Wort Verstrickung, in seinem doppelten Sinn von bewusstem Handeln und schicksalhaftem Hineingezogenwerden, einen Sinn haben kann: Er wird in "Dr. B." Gestalt.
Auch die meisten der anderen handelnden Personen, nicht bloß die prominenten in der Gemengelage auf der politischen Bühne, hat es gegeben. Wer von diesem Buch gefangen ist, wird sich dabei wiederfinden, sie auf eigenen Wegen zu erkunden. Sie agierten an den oft unsichtbaren Fronten in der apokalyptischen Wirrnis im Stockholm der Jahre 1939/40, die Daniel Birnbaum unheimlich plastisch werden lässt. Er erweckt die schwedische Hauptstadt zum Leben, die wie ein "Casablanca des Nordens" in jener Zeit anmutet: wo sich Menschen gesammelt haben, die gerade noch hoffen, bleiben zu können; die vor allem vor den Nationalsozialisten geflohen sind, viele von ihnen im Transit, in der Hoffnung auf Visa, auf die Weiterreise, zumeist nach Nord- oder Südamerika.
"Dr. B." ist Immanuel Birnbaum, geboren 1894 in Königsberg als Sohn des Hauptkantors der jüdischen Gemeinde dort. Seit Ende der Zwanzigerjahre war er Korrespondent in Warschau für deutschsprachige Zeitungen (unter anderen auch für die Frankfurter Zeitung). Nach dem Einmarsch der Deutschen in Polen emigrierte er, als konvertierter Jude und dem Widerstand in Polen nahestehend, mit seiner Frau und den zwei halbwüchsigen Söhnen nach Schweden. Von Stockholm aus schrieb Immanuel Birnbaum weiterhin unter seinem Kürzel Artikel für die liberalen Basler Nachrichten aus der Schweiz, daneben für ein Korrespondenzbüro in Berlin.
In Stockholm begegnete er auch dem Verleger Gottfried Bermann Fischer, der ebenfalls mit seiner Familie emigriert war. Bermann Fischer betrieb dort seinen Exilverlag, in dem er die Werke von Thomas Mann oder Stefan Zweig veröffentlichte. Er gab Birnbaum eine Stelle als Lektor. Und erhoffte sich von dessen Verbindungen vielleicht - so will es der Roman, und manches spricht dafür - Hilfe bei der Beschaffung von Transitvisa für die Sowjetunion, um in die Vereinigten Staaten auswandern zu können. Über Bermann Fischer kommt Birnbaum in Berührung mit einer Gruppe von antinazistisch gesinnten Engländern; ihre genauen Pläne, tatsächlich Sabotage gravierendster Art, kannte er womöglich nicht.
Mit großartigem Geschick führt Daniel Birnbaum die unterschiedlichen Handlungsstränge zusammen: die subkutanen Verflechtungen von machtpolitischem Kalkül am Beginn des Weltkriegs und der hereinbrechenden Katastrophe für alle Kultur, damit für menschliche Haltung und Würde. Für den Immanuel Birnbaum des Buchs bedeutet das: Er gerät in den fatalen Zwiespalt zwischen schierer Lebenserhaltung und seinem Empfinden für Integrität. Denn aus dem Berliner Korrespondenzbüro wird ihm klargemacht, dass man Informationen aus dem Hintergrundwissen seines Berufs erwarte, sofern er weiter finanzielle Zuwendungen erhalten wolle, für den Unterhalt seiner kränkelnden Frau Lucia und der Söhne Karl Edward und Henrik. Ihm werden dafür ein Füllfederhalter und unsichtbare Tinte zugespielt; er schreibt mit der gelben Flüssigkeit zwischen die Zeilen eines harmlos wirkenden Briefs nach Berlin. Die Mitteilung wird im Februar 1940 von der schwedischen Postkontrolle abgefangen; die Engländer werden enttarnt. Immanuel Birnbaum wird festgenommen und als deutscher Spion für acht Monate inhaftiert; auch Bermann Fischer wird vorübergehend verhaftet.
Schwedens Neutralität zu Beginn des Zweiten Weltkriegs war äußerst fragil. Sie hing von der Erzzufuhr nach Deutschland ab. Was also hätte geschehen können, wenn Immanuel Birnbaums Nachricht nach Berlin nicht abgefangen und entziffert worden wäre? Was, wenn den Engländern die geplante Sprengung des Hafens in Oxelösund, wo das Erz nach Deutschland verladen wurde, gelungen wäre? Hätte das Anlass für eine deutsche Invasion in Schweden sein können? Die Dimensionen solcher Erwägungen um einen winzigen Moment der Weltgeschichte sind schwindelerregend.
In seinem Nachwort enthüllt der Autor den Ursprung seines Romans, der zuerst 2018 auf Schwedisch erschien. Daniel Birnbaum war von 2000 bis 2010 Rektor der Städelschule in Frankfurt, danach Direktor des Moderna Museet in Stockholm; derzeit leitet er das auf digitale Kunst spezialisierte Unternehmen Acute Art in London. Er ist Immanuel Birnbaums Enkel; sein Vater war dessen älterer Sohn Karl Edward Birnbaum, der 1978 Gründungsdirektor des Österreichischen Instituts für internationale Politik wurde. Seinen Großvater hat Daniel Birnbaum als Kind erlebt, seine Großmutter Lucia starb bereits 1945.
Alles begann mit einem Karton mit der Aufschrift "Imms hinterlassene Papiere", den Daniel Birnbaum an sich nahm: "In seinen autobiographischen Texten hat Immanuel seine Zeit als Lektor in dem Verlag in Stockholm nirgends erwähnt. Dass er die Geschichte am liebsten vergessen hätte, kann man verstehen. Stattdessen lässt er die gesamte deutsche Kultur Revue passieren, ein Bermann Fischer kommt darin aber nicht vor." Die Memoiren von Immanuel Birnbaum, der schließlich von 1960 bis 1976 stellvertretender Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung war, erschienen 1974 unter dem Titel "Achtzig Jahre dabei gewesen".
"In meiner Geschichte geht es mir weder darum, ihm Schuld zuzuweisen", schreibt Daniel Birnbaum, "noch ihn reinzuwaschen." So liegt nun ein Buch vor, das als ebenso komplexer wie fesselnder Spionageroman lesbar ist. Atemraubend allein schon deshalb, weil die Abgründe der puren Existenz aufgerissen sind, angesichts nicht nur allgemeiner, sondern konkreter Bedrohung an Leib und Leben, und das nicht nur für "Dr. B.". Der menschliche Faktor, die ständige Gefahr des Versagens bei der kleinsten Bewegung des Einzelnen oder dem Agieren im Kollektiv, etwa der englischen Saboteure, unter der latenten Bedrohung durch das nationalsozialistische Regime wird beinahe physisch spürbar. Daniel Birnbaum fällt in seinem Roman keine Urteile, macht sich schon gar nicht zum moralischen Richter; so viele Fragen, jenseits aller geleisteten Klärung, bleiben offen, vielleicht für immer.
Sein Erzählstil ist von absoluter Klarheit, ohne jede Gefühligkeit, ohne alle psychologisierende Introspektion. Die einzelnen Kapitel setzen sich wie die Teile eines Kaleidoskops zusammen. Ein dichtes Sittenbild des damaligen Stockholms entsteht so, durch das Immanuel Birnbaum wie ein getriebener Flaneur streift, gefangen in den Kulissen jenes Films, der Realität heißt. Es ist eine Melange aus Schicksalsgefährten und Gegnern auf den Tod, aus Bonzen und Schranzen verschiedenster Couleur, aus Hoffnung und Käuflichkeit.
Da wäre noch: Wer Stefan Zweigs letztes Werk, "Die Schachnovelle", kennt, das er im brasilianischen Exil kurz vor seinem Selbstmord 1942 vollendete, wird bei "Dr. B." unwillkürlich an die gleichnamige Figur darin denken: den Fremden, der sich in der Zeit seiner Gefangenschaft unglaubliche Fähigkeiten im Schachspiel aneignete. Verlegt hat die "Schachnovelle" 1943 Gottfried Bermann Fischer im Exil. In dem Karton mit Immanuel Birnbaums Papieren weist darauf nur ein Fetzen Papier hin, vom damaligen Schutzumschlag - wie ein ganz feiner Faden hin zu diesem, dem fiktiven "Dr. B.". Der reale Dr. B. hatte übrigens nie einen Doktortitel. ROSE-MARIA GROPP.
Daniel Birnbaum: "Dr. B.". Roman.
Aus dem Schwedischen von Ursel Allenstein und Hedwig M. Binder. Piper Verlag, München 2021. 315 S., geb., 24,- Euro.
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