"Was geschieht in unserem Kopf, wenn wir - ohne es zu wollen - phantastische Geschichten wahrnehmen oder Muster und Gestalten sehen? Wodurch unterscheiden sich solche Halluzinationen von realen Erfahrungen oder von Traumerlebnissen? Gibt es überhaupt eine klare Abgrenzung? Welche inneren Bilder entstehen in unserem Gehirn, wenn wir halluzinieren, und woher kommen sie? Haben sie einen Zusammenhang mit früher Erlebtem oder mit unseren geheimen Wünschen?
Der New Yorker Neurologe Oliver Sacks, berühmt für seine Fallgeschichten, widmet sich in seinem neuen Buch dem Thema Halluzinationen. Er beginnt bei Charles Bonnet, einem Schweizer Mediziner, der im 18. Jahrhundert als Erster das Phänomen systematisch erforschte. Und er schlägt den Bogen bis in unsere Gegenwart, bis zu zahlreichen eigenen Patienten und deren Fallgeschichten. Die bildgebenden Verfahren, die in der Hirnforschung heutzutage eingesetzt werden können, ermöglichen völlig neue Erkenntnisse über die Verläufe und die Ursachen von Halluzinationen.
Sacks untersucht auch, welche halluzinatorischen Wirkungen bestimmte Drogen und Rauschgifte haben können - Mescalin zum Beispiel, Kokain oder Haschisch. Und er beschreibt den Zusammenhang zwischen Halluzinationen und künstlerischer Produktion an namhaften Fällen wie Charles Baudelaire, Frédéric Chopin und Aldous Huxley.
Wie in allen seinen Büchern liefert Oliver Sacks faszinierende Einsichten in die Welt des menschlichen Gehirns. Und er tut dies mit der für ihn typischen Mischung aus empathischer Erzählkunst, wissenschaftlicher Gelehrsamkeit und dem Blick für das Kuriose.
Der New Yorker Neurologe Oliver Sacks, berühmt für seine Fallgeschichten, widmet sich in seinem neuen Buch dem Thema Halluzinationen. Er beginnt bei Charles Bonnet, einem Schweizer Mediziner, der im 18. Jahrhundert als Erster das Phänomen systematisch erforschte. Und er schlägt den Bogen bis in unsere Gegenwart, bis zu zahlreichen eigenen Patienten und deren Fallgeschichten. Die bildgebenden Verfahren, die in der Hirnforschung heutzutage eingesetzt werden können, ermöglichen völlig neue Erkenntnisse über die Verläufe und die Ursachen von Halluzinationen.
Sacks untersucht auch, welche halluzinatorischen Wirkungen bestimmte Drogen und Rauschgifte haben können - Mescalin zum Beispiel, Kokain oder Haschisch. Und er beschreibt den Zusammenhang zwischen Halluzinationen und künstlerischer Produktion an namhaften Fällen wie Charles Baudelaire, Frédéric Chopin und Aldous Huxley.
Wie in allen seinen Büchern liefert Oliver Sacks faszinierende Einsichten in die Welt des menschlichen Gehirns. Und er tut dies mit der für ihn typischen Mischung aus empathischer Erzählkunst, wissenschaftlicher Gelehrsamkeit und dem Blick für das Kuriose.
Dämonen der Langeweile: Der bekannte New Yorker Neurologe Oliver Sacks versucht vergeblich, Halluzinationen unterhaltsam auszubeuten.
Für Sherlock Holmes ist es unerträglich, und er selbst wird unerträglich, wenn sein Gehirn nicht genügend zu tun bekommt. Die jüngste der Sherlock-Holmes-Verfilmungen katapultiert den Meisterdetektiv nicht nur ins einundzwanzigste Jahrhundert, sie führt auch wie kaum eine frühere Bearbeitung die Entzugserscheinungen vor, welche die Gier nach geistiger Herausforderung gebiert. Der unstillbare Hunger nach Beschäftigung ist nicht nur dem Denkorgan als Ganzem eigen, auch einzelne Wahrnehmungsfunktionen benötigen stetig Anreize. Bleiben diese aus, wird es ihnen langweilig. Dann erschafft sich unser Sinnessystem die Objekte seiner Begierde notfalls selbst - in Form von Halluzinationen.
Der amerikanische Neurologe Oliver Sacks, der seit Jahrzehnten medizinische Phänomene seines Fachgebietes für ein Laienpublikum zur Sensation umerzählt, hat in seinem neuesten Buch "Drachen, Doppelgänger und Dämonen" Halluzinationen zum Thema gemacht. Er wählt den Einstieg über visuelle Halluzinationen, die von einfachen Licht- und Farberscheinungen über das Halluzinieren von Objekten und Szenen bis zu eigenartigen Vervielfachungen reichen, so wie sich etwa Agent Smith in der Matrix visuell ständig selbst repliziert. In diesem Zusammenhang kommt zwangsläufig das Charles-Bonnet-Syndrom ins Spiel, das ganz so unbekannt, wie Sacks es darstellt, dann doch nicht ist. Es eignet sich nämlich gut, um eine der vermuteten Ursachen für Halluzinationen zu illustrieren - die Reizdeprivation.
Dies beruht auf der Vorstellung, dass selbst geistig gesunde Menschen dann zu Halluzinationen neigen, wenn ihre Sinnesorgane und die ihnen nachgeschalteten Hirnzentren von der Umgebung keinen Input mehr erhalten. Bei Seeleuten und Piloten, die stunden- oder tagelang nur optisch leere Flächen vor sich haben, kommt das ebenso vor wie bei isolierten Inhaftierten. Gefangenen- oder Geiselhalluzinationen sind sogar zu einem festen Begriff geworden. So müssen auch rund zehn bis fünfzehn Prozent der Menschen, die erblinden oder deren Sehfähigkeit im Alter beispielsweise aufgrund der häufigen Makuladegeneration immer schlechter wird, mit visuellen Halluzinationen rechnen. Es ist löblich, den Kranken selbst und ihren Angehörigen die Angst zu nehmen, Oma oder Opa seien plötzlich geisteskrank geworden, weil sie etwas sehen, das andere nicht sehen.
Der Einstieg in die Mannigfaltigkeit halluzinatorischer Phänomene über das Charles-Bonnet-Syndrom sorgt aber bereits für mehr Verwirrung und Fehleinschätzungen als nötig. Optische Halluzinationen machen nur einen geringen Teil aller Sinnestäuschungen aus. Mit Abstand am häufigsten, in etwa der Hälfte der Fälle, sind Halluzinationen akustischer Natur, zum Beispiel als Stimmenhören. Nach ihnen rangieren mit einem Fünftel sogenannte Körperhalluzinationen. Die Kranken spüren vermeintliche Berührungen und Schmerzen oder nehmen ihre inneren Organe verändert wahr. Erst dann kommen visuelle Wahrnehmungsstörungen, und noch seltener sind Geschmacks- oder Geruchshalluzinationen.
Sacks lässt zudem gerade diejenigen Kranken außen vor, die am häufigsten unter Halluzinationen leiden: schizophrene Patienten. Er tut das womöglich kalkuliert und in guter Absicht, um zu zeigen, dass Halluzinationen nicht unbedingt Zeichen psychiatrischer Erkrankungen sein müssen, sondern auch bei geistig Gesunden vorkommen.
Ob das den Trugwahrnehmungen ihren beängstigenden Charakter nimmt, sei dahingestellt. Selbst die gutartigen optischen Halluzinationen des Charles-Bonnet-Syndroms werden mitunter als unangenehm bis wenig erträglich empfunden. Dazu muss man freilich zwischen den Zeilen lesen, wenn etwa davon berichtet wird, dass die Betroffenen jahrelang Medikamente benötigen, die Beschwerden aber nur zum Teil verschwinden.
Allein das verständnisvolle Zurkenntnisnehmen von und das Berichten über manche neurologischen Abartigkeiten befreit eben noch nicht von dem damit verbundenen Leidensdruck, ebenso wenig wie seinerzeit die Vorführung als Affenmensch auf Jahrmärkten den Betroffenen dazu verholfen hat, ihren Zustand als bloße Variante des menschlichen Haarwuchses zu empfinden. Die wohlwollende Charakterisierung seiner Patienten - sie sind entweder begabt, scharfsinnig, berühmt oder haben einen kritischen Verstand - sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch Sacks skurrile Fälle für sein Publikum ausschlachtet. Allerdings trägt es nicht zu einem besseren Verständnis von Halluzinationen bei, wenn lediglich anekdotenhaft aufgelistet wird, bei welchen Erkrankungen - Parkinson, Migräne, Epilepsie, Delirium - mit ihnen zu rechnen ist. Halluzinogene Drogen wie LSD oder Meskalin dürfen natürlich nicht fehlen, wenn es um Halluzinationen geht.
Nicht zuletzt die Schilderung der Drogenexzesse des Autors enttäuscht, selbst wenn man keine Maßstäbe à la Kerouac oder Burroughs anlegt. Eher klingt es wie die Beteuerung, auch mal wild gewesen zu sein und die Phänomene, über die man berichtet, selbst zu kennen. Zudem lässt zumindest die deutsche Ausgabe handwerkliche Sorgfalt vermissen. Die Fußnoten sind überfrachtet, die Übersetzung ist stellenweise mehr als holprig. Kranke, die dem Originaltext zufolge mit ihrem Leiden zurechtkommen ("adjusted"), sind deshalb noch keine "angepassten" Persönlichkeiten.
Treue Leser werden sich insbesondere darüber ärgern, dass Sacks etliche Schicksale bereits intensiv für seine anderen Bücher ausgebeutet hat, und zwar ausführlicher und deshalb auch verständlicher als hier in Kurzfassungen, denen das Exemplarische und - wenn man so etwas denn schätzt - das Unterhaltende eines seltsamen Leidens fehlt. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass schlichtweg für einen neuen Titel noch einmal Altbekanntes lieblos aufgewärmt wurde. Befördert wird dieser Verdacht auch dadurch, dass vieles nur am Rande mit Halluzinationen zu tun hat. So kommen auch die längst bekannten Phänomene über amputierte Gliedmaßen vor, die der Kranke gleichwohl noch "sieht", die ihm auch noch weh tun können, die aber auf anderen Repräsentanzen im Gehirn beruhen als Halluzinationen.
Sacks' Auslassungen über warnende "innere Stimmen", über die als göttliche Eingebungen empfundenen Sinneseindrücke, über außerkörperliche Erfahrungen oder Nahtoderlebnisse machen das unsystematische Sammelsurium komplett. All das fügt sich zu einer Mischung, die den Wahrnehmungsapparat, Sherlock Holmes und Rezensenten in einem ihnen unerträglichen Zustand zurücklassen: dem der Langeweile.
MARTINA LENZEN-SCHULTE
Oliver Sacks: "Drachen, Doppelgänger und Dämonen". Über Menschen mit Halluzinationen.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2013. 352 S., geb., 22,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Schon William James wusste: Eine Halluzination ist "eine ebenso wahrhaftige Sinneswahrnehmung, wie sie in Gegenwart eines realen Objekts stattfindet. Nur dass das Objekt zufällig nicht da ist", zitiert Burkhard Müller. Dass ausgerechnet dieses Zitat das neue Buch von Oliver Sacks, "Drachen, Doppelgänger und Dämonen" einleitet - im Original schnörkelloser "Hallucinations" - ist kein Zufall, erklärt der Rezensent. Halluzinationen sind etwas ziemlich Normales, für viele Menschen sogar Alltägliches, lernt Müller bei Sacks. Gewöhnlich reicht aber der gesunde Menschenverstand aus, um zu erkennen, dass "die Paraden von Eichhörnchen mit kleinen Rucksäcken auf den Schultern" wahrscheinlich nicht real ist. Die Krankheit fängt erst dann an, wenn das Unterscheidungsvermögen gestört ist und der Betroffene das dringliche Gefühl hat, den Befehlen der Nager folgen zu müssen, beschreibt der Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Dies ist Literatur, wie sie nur wenige, Freud vielleicht und C. G. Jung, schreiben konnten, und es ist zugleich sachliche Information. Die Zeit