Das einzige Drama des früh verstorbenen Dichters ist ein verzweifelter Protestschrei gegen die zerstörerische und verderbnisträchtige Macht des Krieges. Seine Erzählungen und Prosastücke berichten mit sicher akzentuierter Ausdruckskraft von den verheerenden Kriegsfolgen im einzelnen und im gemeinsamen Menschenleben.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.03.2009Der Leidensdramatiker
Man hätte vielleicht einfach auf ihn hören sollen, als er kurz vor der ersten Aufführung seines Dramas dem erstaunten Journalisten einer Presseagentur diktierte: "Mein Stück ist nur ein Plakat, morgen sieht es keiner mehr an." Doch Leser und Theaterzuschauer sahen es anders, und nachdem Wolfgang Borchert einen Tag vor der Uraufführung gestorben war, erlebte das Kriegsheimkehrerdrama "Draußen vor der Tür" eine beispiellose Erfolgsgeschichte an deutschen Bühnen und in westdeutschen Schulbüchern.
Es ist vielleicht keine sehr gute Basis für alles, was danach in der deutschen Literatur kommen sollte, dass die ersten großen Erfolge nach dem Krieg - neben Borcherts Stück war es Zuckmayers "Des Teufels General" - Mitläuferdramen gewesen sind. Wer "Draußen vor der Tür" heute liest, und das tut wohl keiner mehr, wenn man nach den scheinbar fast unendlichen Beständen seines "Gesamtwerks" in deutschen Antiquariaten gehen darf, dann kann man all das Pathos und das Selbstmitleid des heimkehrenden Rufers Beckmann kaum fassen. Jeden klagt der Soldat, der aus dem Osten kam, an: Gott, das Schicksal, die Welt, den Direktor, den Vater, die Vätergeneration, die Frauen. Und als er sich eines Mittags, als ihn plötzlich doch sein eigenes Gewissen quält, entschließt, seinen alten Oberst zu besuchen, um sich von seiner eigenen Kriegsschuld zu befreien - "Beckmann (beinah naiv): ,Die Verantwortung. Ich bringe Ihnen die Verantwortung zurück'" -, da ahnt man, dass der Leidensdramatiker Borchert das Ganze vielleicht als einen Witz angelegt hatte. Das Wort "beinah" ist das Signal. "Beinah naiv", das kann er nicht ernst gemeint haben. Im Grunde sind auch die versammelten Selbstmordszenen eher frühe Slapstick-Nummern als Leidensbebilderungen. Wie ihn die gute Elbe nach jedem Selbstmordversuch empört am Strand bei Blankenese wieder ausspuckt, mit den weisen Elbe-Worten: "Nur ne kaputte Kniescheibe reicht noch nicht, um sich umzubringen", da hätte man es eigentlich schon wissen müssen. "Säugling" nennt sie ihn, der zurück zu seiner Mutter springen wollte, und das alles hat etwas von einem ganz frühen Drehbuch der "Nackten Kanone". Aber es ist natürlich ein unendlich ernstes Drama, voller dreifacher Frage- und Ausrufezeichen. Über seine Generation der jungen Kriegsheimkehrer schrieb Borchert 1947 im Tone eines neuen deutschen Selbstbewusstseins, das für die Welt irgendwie so neu nicht klang: "Wir sind eine Generation ohne Abschied, aber wir wissen, dass alle Ankunft uns gehört."
Borchert selbst war im Krieg mehrfach inhaftiert worden, wegen Feigheit vor dem Feind, angeblicher Selbstverstümmelung und despektierlicher Nazi-Witze. Und, ja, vielleicht ist "Draußen vor der Tür" also auch gut ein versteckter Nazi-Witz. Leider vielleicht doch ein bisschen zu gut.
VOLKER WEIDERMANN
Wolfgang Borchert: "Draußen vor der Tür". Rowohlt-Verlag, 5,95 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Man hätte vielleicht einfach auf ihn hören sollen, als er kurz vor der ersten Aufführung seines Dramas dem erstaunten Journalisten einer Presseagentur diktierte: "Mein Stück ist nur ein Plakat, morgen sieht es keiner mehr an." Doch Leser und Theaterzuschauer sahen es anders, und nachdem Wolfgang Borchert einen Tag vor der Uraufführung gestorben war, erlebte das Kriegsheimkehrerdrama "Draußen vor der Tür" eine beispiellose Erfolgsgeschichte an deutschen Bühnen und in westdeutschen Schulbüchern.
Es ist vielleicht keine sehr gute Basis für alles, was danach in der deutschen Literatur kommen sollte, dass die ersten großen Erfolge nach dem Krieg - neben Borcherts Stück war es Zuckmayers "Des Teufels General" - Mitläuferdramen gewesen sind. Wer "Draußen vor der Tür" heute liest, und das tut wohl keiner mehr, wenn man nach den scheinbar fast unendlichen Beständen seines "Gesamtwerks" in deutschen Antiquariaten gehen darf, dann kann man all das Pathos und das Selbstmitleid des heimkehrenden Rufers Beckmann kaum fassen. Jeden klagt der Soldat, der aus dem Osten kam, an: Gott, das Schicksal, die Welt, den Direktor, den Vater, die Vätergeneration, die Frauen. Und als er sich eines Mittags, als ihn plötzlich doch sein eigenes Gewissen quält, entschließt, seinen alten Oberst zu besuchen, um sich von seiner eigenen Kriegsschuld zu befreien - "Beckmann (beinah naiv): ,Die Verantwortung. Ich bringe Ihnen die Verantwortung zurück'" -, da ahnt man, dass der Leidensdramatiker Borchert das Ganze vielleicht als einen Witz angelegt hatte. Das Wort "beinah" ist das Signal. "Beinah naiv", das kann er nicht ernst gemeint haben. Im Grunde sind auch die versammelten Selbstmordszenen eher frühe Slapstick-Nummern als Leidensbebilderungen. Wie ihn die gute Elbe nach jedem Selbstmordversuch empört am Strand bei Blankenese wieder ausspuckt, mit den weisen Elbe-Worten: "Nur ne kaputte Kniescheibe reicht noch nicht, um sich umzubringen", da hätte man es eigentlich schon wissen müssen. "Säugling" nennt sie ihn, der zurück zu seiner Mutter springen wollte, und das alles hat etwas von einem ganz frühen Drehbuch der "Nackten Kanone". Aber es ist natürlich ein unendlich ernstes Drama, voller dreifacher Frage- und Ausrufezeichen. Über seine Generation der jungen Kriegsheimkehrer schrieb Borchert 1947 im Tone eines neuen deutschen Selbstbewusstseins, das für die Welt irgendwie so neu nicht klang: "Wir sind eine Generation ohne Abschied, aber wir wissen, dass alle Ankunft uns gehört."
Borchert selbst war im Krieg mehrfach inhaftiert worden, wegen Feigheit vor dem Feind, angeblicher Selbstverstümmelung und despektierlicher Nazi-Witze. Und, ja, vielleicht ist "Draußen vor der Tür" also auch gut ein versteckter Nazi-Witz. Leider vielleicht doch ein bisschen zu gut.
VOLKER WEIDERMANN
Wolfgang Borchert: "Draußen vor der Tür". Rowohlt-Verlag, 5,95 Euro
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