Drei auf Reisen von David Nicholls - Aus der Redaktion:
Ein witziger und schräger Familien-Trip, ein Trip zu sich selbst ...
Es ist vier Uhr morgens und Douglas Petersen tappt durchs Haus, um Fenster und Türen zu kontrollieren. Seine Frau Connie hatte ihn geweckt. Er dachte, sie hätte etwas gehört. Doch als Douglas wieder im Bett liegt, sagt Connie trocken: "Wer redet denn von Einbrechern? Ich sagte, ich habe das Gefühl, unsere Ehe ist am Ende, Douglas. Ich glaube, ich will dich verlassen."
Mit "Zwei an einem Tag" landete David Nicholls einen Bestseller, nun erzählt er in "Drei auf Reisen" die tragikomische Geschichte eines ungleichen Paares und eines turbulenten Trips durch Europa. Der Dritte im Bund ist Sohn Albie - er hasst es natürlich, mit seinen Eltern reisen zu müssen. Aber die Grand Tour, wie Connie sie nennt, ist das Geschenk seiner Eltern zum Schulabschluss, bald wird er zu Hause ausziehen.
Chaotische Künstlerin trifft Stubenhocker
Douglas, 54, und Connie, 52, sind seit zwanzig Jahren verheiratet. Sie Künstlerin, chaotisch, unkonventionell, er Biochemiker, kontrolliert und vernünftig. Douglas unterteilt sein Leben in die Zeit vor und die Zeit nach Connie. In der Zeit vor Connie verbrachte er die Wochenenden zu Hause oder im Labor und studierte Fruchtfliegen, während andere auf Partys rumhingen, ins Kino gingen, Leute kennenlernten. Noch heute dankt Douglas seiner Schwester für deren Hartnäckigkeit, ihn damals zum Partybesuch genötigt zu haben. Denn dort, auf dieser schrecklichen Feier mit üblem Essen und Angebertypen, traf er doch tatsächlich seine zukünftige Frau. Die Zeit nach Connie begann.
Die Annahme, dass Gegensätze sich anziehen, schien bei Connie und Douglas zu einhundert Prozent zuzutreffen. Die impulsive Frau, die schon die halbe Welt bereist und sehr viel erlebt hatte, lockte den Stubenhocker aus der Reserve. Ihr tut seine ruhige Art gut, er liebt eigentlich alles an ihr. Bis heute. Nur Connie hat das Gefühl, einen Neuanfang zu brauchen, einen Tapetenwechsel. Und das, obwohl sie mit Douglas sehr glücklich war ... sobald Sohn Albie aus dem Haus ist, will sie auch gehen.
Die Grand Tour mit Sohn Albie: eine Bildungsreise, die aus den Fugen gerät
Albie, Egg genannt, ist fast erwachsen, benimmt sich aber immer noch wie ein Teenager in seiner schlimmsten Antiphase. Er gibt seinem Vater Douglas das Gefühl, sein Stiefvater zu sein und hat gerade seinen Abschluss in der Tasche. Der angehende Fotografiestudent fotografiert aktuell am liebsten Tunnel, Dreck und Abseitiges. Man konnte ja nie genug Bilder von schmutzigem Beton haben ... Die Bildungsreise für Albie, der Sommer in Europa - Paris, Amsterdam, München, dann über die Alpen nach Venedig, Verona, Florenz, Rom, Neapel - scheint für Douglas zuerst keine gute Idee mehr zu sein. Was soll das noch, wenn sich Connie trennen will? Doch dann beschließt er, es auf keinen Fall so weit kommen zu lassen. So weit, dass Conniewirklich geht. Er verdankt Connie "alles Gute und Lohnenswerte in meinem Leben, und wir haben so vieles gemeinsam durchgemacht. Ein Leben ohne sie war für mich unvorstellbar."
"Sei offen für Neues wie seltsame Gerichte aus unhygienischen Küchen, experimentelle Kunst"
So schreibt Douglas sich selbst Regeln für eine erfolgreiche Grand Tour. Regeln wie "Gib dir Mühe, Spaß zu haben und spontan zu sein", "kümmere dich immer und überall gut um Connie. Hör ihr zu", "sei offen für Neues wie seltsame Gerichte aus unhygienischen Küchen, experimentelle Kunst" und "keine Auseinandersetzungen mit Albie. Nimm seine Frotzeleien einfach hin, keine verbitterten Vorwürfe".
Es ist ein Lesevergnügen, Douglas, Connie und Albie auf ihrer Grand Tour zu begleiten. Douglas, der will, dass alles perfekt läuft, und doch ständig an der Wirklichkeit scheitert, rührt einen. Schon die Betten des ersten Hotels in Paris scheinen als "Endlager für überschüssiges Schamhaar aus ganz Europa zu dienen". Und so geht es weiter. Albie verweigert sich dem Trio-Gedanken, es folgen üble Streitereien in Zügen und herrliche Szenen, als Albie die Straßenmusikerin Cat kennenlernt und mit ihr Sessions im Hotel gibt. Dass Cat sich seit vier Jahren in Europa herumtreibt, keinen Wohnsitz hat und auch sonst nicht viel von Eigentum oder ähnlich spießigen Dingen hält, treibt Douglas in den Wahnsinn. Und dass sie sich in Albie verknallt hat und der Familie von Paris nach Amsterdam folgt, macht die Sache nicht besser. Als Douglas dann bei einer Schlägerei im Frühstücksraum seinen Sohn nicht verteidigt, sondern die unheilvollen Worte "Ich möchte mich für meinen Sohn entschuldigen" spricht, hat er es endgültig vergeigt.
Douglas, seine folgenschwere Entscheidung und eine Rettung in der Not
Albie reist inkognito ab, keiner weiß, wohin, und Connie will nach Hause. Doch am Flughafen trifft Douglas eine folgenschwere Entscheidung. Er, der Vernünftige, der vermeintliche Langweiler und Planer, fliegt nicht mit. Er ist unvernünftig. Er will seinen Sohn finden, irgendwo in Europa, und er will seiner Frau imponieren. Natürlich, um sie umzustimmen - es wird ein witziger und schräger Trip, eine Verfolgung mit verpassten Zügen und bösem Sonnenbrand, ein Desaster mit eingeschlossenem Gepäck inklusive Geldbörse und EC-Karte und einem müffelnden Douglas, ein Trip zu sich selbst und seinem Sohn Albie - und auch Cat, die Nervensäge, wird eine ungemein wichtige Rolle als Retterin in der Not darin spielen ...
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.11.2014Zur Paartherapie ins Museum
Zwei Bücher, ein Thema: Angelika Overath und David Nicholls schicken ihre Romanhelden vor die Meisterwerke der Kunstgeschichte.
Von Andreas Platthaus
Literatur hat immer etwas Rätselhaftes. Auch deshalb, weil sie für dasselbe Phänomen die unterschiedlichsten Darstellungen finden kann. Exemplarisch zeigt sich das an zwei neuen Romanen, die unterschiedlicher kaum sein könnten und doch genau das gleiche Thema haben: den Versuch von Menschen in der Mitte ihres Lebens, dem Scheitern ihrer langjährigen Ehen durch Besuche in Museen etwas entgegenzusetzen.
In Angelika Overaths "Sie dreht sich um" ist die kinderlos gebliebene fünfzigjährige Anna Michaelis von ihrem Mann über dessen Liebesverhältnis zu einer seiner Studentinnen informiert worden und fliegt, um Abstand zu gewinnen, spontan von München nach Edinburgh. Dort tritt sie in der National Gallery als einsame Bewunderin eines Gauguin-Gemäldes in inneren Dialog mit einer der nur in Rückenansicht dargestellten weiblichen Staffagefiguren. Fortan reist sie zwei Wochen lang auf der Suche nach ähnlichen Erlebnissen durch große Museen der Welt: nach Kopenhagen, Boston, St. Moritz, Paris und abermals nach Dänemark, nach Skagen. Immer wieder sprechen Rückenfiguren zu ihr, aus Bildern von Hammershøi, Hopper, Segantini, Ingres, Jacobus Vrel und Anna Ancher. In der Beschäftigung mit den individuellen Schicksalen der gemalten Frauen findet Anna nicht nur Trost, sondern auch Mut, sich ihrer eigenen Enttäuschung zu stellen. Die Reise zu sich selbst gelingt.
In David Nicholls' "Drei auf Reisen" organisiert der vierundfünfzigjährige in London lebende Douglas Petersen eine Europatour für sich, seine Frau und den gemeinsamen siebzehnjährigen Sohn, nachdem Connie angekündigt hat, ihn zu verlassen, sobald Albert auf die Universität gehen werde. Doch seine Frau findet den Versuch einer Wiederbelebung alter gemeinsamer Erinnerungen an den Kontinent abgeschmackt, und der Sohn hat ganz andere als kulturelle Interessen. Die Reise mit den anderen scheitert, die zu sich selbst dagegen nicht.
So verblüffend der ähnliche Grundgedanke einer deutschen Schriftstellerin und ihres englischen Kollegen ist, so denkbar verschiedene Wege schlagen sie als Autoren ein. Und so mutmaßlich verschieden wird auch die Rezeption beider Bücher sein. Der 1966 geborene Nicholls wurde in einer englischen Heimat als Fernsehdrehbuchautor bekannt und ist spätestens seit dem 2009 erschienenen Roman "One Day" (auf Deutsch: "Zwei an einem Tag") ein internationaler Bestseller-Autor. "Us" (wie "Drei auf Reisen" im Original heißt) stand in diesem Jahr auf der Shortlist des Booker-Preises, der wichtigsten englischen Literaturauszeichnung. Angelika Overath wiederum, Jahrgang 1957, ist einem vergleichsweise kleinen Publikum bekannt, obwohl auch sie 2009 Aufmerksamkeit fand, als ihr Roman "Flughafenfische" für den Deutschen Buchpreis nominiert wurde. Als Reporterin hat sie für große Zeitungen geschrieben, doch ihre Sonderrolle in der deutschen Literaturszene erweist sich auch dadurch, dass sie seit einigen Jahren im Schweizer Kanton Graubünden lebt. Die Protagonisten beider Romane sind Entsprechungen ihrer Autoren: Douglas extro-, Anna introvertiert, Ich-Erzähler der eine, Objekt einer auktorialen Erzählstimme die andere.
Entsprechend erzählen beide Bücher: "Drei auf Reisen" ist nicht nur inhaltlich eine modernisierte Grand Tour, sondern erzählerisch eine Tour de Force. Douglas taumelt von einem Fettnäpfchen ins andere, seine durch sorgfältige Konsultation von Wikipedia-Einträgen vorbereiteten Besuche kontinentaler Kulturweihestätten wie Amsterdam, Paris, Florenz, Venedig, München und schließlich eher unfreiwillig Madrid und Barcelona haben immer etwas Peinlich-Übereifriges. Nicholls schlägt zudem einen burlesken Ton an, weil er die britische Sicht auf die Welt jenseits des Kanals gern satirisch einbezieht. "Drei auf Reisen" ist ein Buch, das allein auf eines abzielt: Unterhaltung. Und bloß nicht überfordern will. Wenn Douglas im Prado durch ein Gemälde überrascht wird, dann sind es "Las Meninas" von Velázquez. Die "Mona Lisa" dagegen hatte er noch als "Hard Rock Cafe der Renaissancekunst" abgetan. Was soll er denn sein: Banause oder Connaisseur?
Bei "Sie dreht sich um" ist alles anders. Angelika Overath führt ihre Hauptfigur nicht zuverlässig an die bekanntesten Orte und vor die berühmtesten Bilder, sondern nimmt ihre Leser in Analogie zu Annas scheinbar ziellosem Weg auf eine Entdeckungsreise mit - kunsthistorisch (denn wer könnte mit Vrel oder Ancher etwas anfangen?), aber auch psychologisch und ästhetisch, weil der Einfall imaginärer Gespräche zwischen Roman- und Rückenfiguren insofern ingeniös ist, als sich hier jeweils vernachlässigte Frauen aus zwei fiktionalen Ebenen austauschen. Von den gemalten Frauen erfährt Anna alles über deren wahre Existenz; sie selbst als von Angelika Overath beschriebene Frau ist von einer selten gelesenen Glaubwürdigkeit in ihrer Mischung aus Traurigkeit und Neugier.
Kein Zweifel: Overaths Buch ist ein großartiger schmaler Roman. Auf 280 Seiten wird in sieben nach den einzelnen Bildern numerierten Abschnitten das Porträt einer Frau gezeichnet, die über die geduldige Beschäftigung mit sich selbst und der Kunst lernt, sich zu öffnen. Nicht zufällig ist das finale Bilderlebnis das des Werks einer anderen Frau namens Anna. Hier greift erzählerisch alles ineinander.
Nicholls' Buch hingegen ist ein kläglicher dicker Roman, dessen 539 Seiten sich über neun nach den beschriebenen Ländern benannte Teile erstrecken, die jeweils einem Land gelten. Für die Läuterung seines Protagonisten benötigt Nicholls schließlich einen Herzinfarkt. Da knirscht die Erzählmechanik kräftig. Dass unterschwellig in "Drei auf Reisen" ein durchaus tragisches Familienthema mitschwingt, gerät im Crescendo des Grotesken leicht in Vergessenheit.
Overaths Prosa ist konzentriert und trotz des heiklen gefühligen Themas schlackenlos, während Nicholls durch nicht nur der Rollenprosa geschuldetes Schwadronieren verärgert, was durch die sorglose Übersetzung noch forciert wird. "Funeral" einfach mit Beerdigung zu übersetzen rächt sich, wenn man etwas später erfährt, dass die Verstorbene eingeäschert und verstreut wurde. Zahlreiche Druckfehler tun das Ihrige dazu. "Sie dreht sich um" ist eine literarische Herausforderung, "Drei auf Reisen" eine literarische Herabwürdigung. Rätselhaft.
Angelika Overath: "Sie dreht sich um". Roman.
Luchterhand, München 2014. 281 S., geb., 19,99 [Euro].
David Nicholls: "Drei auf Reisen". Roman.
Aus dem Englischen von Simone Jakob. Verlag Kein & Aber, Zürich 2014. 539 S., geb., 22,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zwei Bücher, ein Thema: Angelika Overath und David Nicholls schicken ihre Romanhelden vor die Meisterwerke der Kunstgeschichte.
Von Andreas Platthaus
Literatur hat immer etwas Rätselhaftes. Auch deshalb, weil sie für dasselbe Phänomen die unterschiedlichsten Darstellungen finden kann. Exemplarisch zeigt sich das an zwei neuen Romanen, die unterschiedlicher kaum sein könnten und doch genau das gleiche Thema haben: den Versuch von Menschen in der Mitte ihres Lebens, dem Scheitern ihrer langjährigen Ehen durch Besuche in Museen etwas entgegenzusetzen.
In Angelika Overaths "Sie dreht sich um" ist die kinderlos gebliebene fünfzigjährige Anna Michaelis von ihrem Mann über dessen Liebesverhältnis zu einer seiner Studentinnen informiert worden und fliegt, um Abstand zu gewinnen, spontan von München nach Edinburgh. Dort tritt sie in der National Gallery als einsame Bewunderin eines Gauguin-Gemäldes in inneren Dialog mit einer der nur in Rückenansicht dargestellten weiblichen Staffagefiguren. Fortan reist sie zwei Wochen lang auf der Suche nach ähnlichen Erlebnissen durch große Museen der Welt: nach Kopenhagen, Boston, St. Moritz, Paris und abermals nach Dänemark, nach Skagen. Immer wieder sprechen Rückenfiguren zu ihr, aus Bildern von Hammershøi, Hopper, Segantini, Ingres, Jacobus Vrel und Anna Ancher. In der Beschäftigung mit den individuellen Schicksalen der gemalten Frauen findet Anna nicht nur Trost, sondern auch Mut, sich ihrer eigenen Enttäuschung zu stellen. Die Reise zu sich selbst gelingt.
In David Nicholls' "Drei auf Reisen" organisiert der vierundfünfzigjährige in London lebende Douglas Petersen eine Europatour für sich, seine Frau und den gemeinsamen siebzehnjährigen Sohn, nachdem Connie angekündigt hat, ihn zu verlassen, sobald Albert auf die Universität gehen werde. Doch seine Frau findet den Versuch einer Wiederbelebung alter gemeinsamer Erinnerungen an den Kontinent abgeschmackt, und der Sohn hat ganz andere als kulturelle Interessen. Die Reise mit den anderen scheitert, die zu sich selbst dagegen nicht.
So verblüffend der ähnliche Grundgedanke einer deutschen Schriftstellerin und ihres englischen Kollegen ist, so denkbar verschiedene Wege schlagen sie als Autoren ein. Und so mutmaßlich verschieden wird auch die Rezeption beider Bücher sein. Der 1966 geborene Nicholls wurde in einer englischen Heimat als Fernsehdrehbuchautor bekannt und ist spätestens seit dem 2009 erschienenen Roman "One Day" (auf Deutsch: "Zwei an einem Tag") ein internationaler Bestseller-Autor. "Us" (wie "Drei auf Reisen" im Original heißt) stand in diesem Jahr auf der Shortlist des Booker-Preises, der wichtigsten englischen Literaturauszeichnung. Angelika Overath wiederum, Jahrgang 1957, ist einem vergleichsweise kleinen Publikum bekannt, obwohl auch sie 2009 Aufmerksamkeit fand, als ihr Roman "Flughafenfische" für den Deutschen Buchpreis nominiert wurde. Als Reporterin hat sie für große Zeitungen geschrieben, doch ihre Sonderrolle in der deutschen Literaturszene erweist sich auch dadurch, dass sie seit einigen Jahren im Schweizer Kanton Graubünden lebt. Die Protagonisten beider Romane sind Entsprechungen ihrer Autoren: Douglas extro-, Anna introvertiert, Ich-Erzähler der eine, Objekt einer auktorialen Erzählstimme die andere.
Entsprechend erzählen beide Bücher: "Drei auf Reisen" ist nicht nur inhaltlich eine modernisierte Grand Tour, sondern erzählerisch eine Tour de Force. Douglas taumelt von einem Fettnäpfchen ins andere, seine durch sorgfältige Konsultation von Wikipedia-Einträgen vorbereiteten Besuche kontinentaler Kulturweihestätten wie Amsterdam, Paris, Florenz, Venedig, München und schließlich eher unfreiwillig Madrid und Barcelona haben immer etwas Peinlich-Übereifriges. Nicholls schlägt zudem einen burlesken Ton an, weil er die britische Sicht auf die Welt jenseits des Kanals gern satirisch einbezieht. "Drei auf Reisen" ist ein Buch, das allein auf eines abzielt: Unterhaltung. Und bloß nicht überfordern will. Wenn Douglas im Prado durch ein Gemälde überrascht wird, dann sind es "Las Meninas" von Velázquez. Die "Mona Lisa" dagegen hatte er noch als "Hard Rock Cafe der Renaissancekunst" abgetan. Was soll er denn sein: Banause oder Connaisseur?
Bei "Sie dreht sich um" ist alles anders. Angelika Overath führt ihre Hauptfigur nicht zuverlässig an die bekanntesten Orte und vor die berühmtesten Bilder, sondern nimmt ihre Leser in Analogie zu Annas scheinbar ziellosem Weg auf eine Entdeckungsreise mit - kunsthistorisch (denn wer könnte mit Vrel oder Ancher etwas anfangen?), aber auch psychologisch und ästhetisch, weil der Einfall imaginärer Gespräche zwischen Roman- und Rückenfiguren insofern ingeniös ist, als sich hier jeweils vernachlässigte Frauen aus zwei fiktionalen Ebenen austauschen. Von den gemalten Frauen erfährt Anna alles über deren wahre Existenz; sie selbst als von Angelika Overath beschriebene Frau ist von einer selten gelesenen Glaubwürdigkeit in ihrer Mischung aus Traurigkeit und Neugier.
Kein Zweifel: Overaths Buch ist ein großartiger schmaler Roman. Auf 280 Seiten wird in sieben nach den einzelnen Bildern numerierten Abschnitten das Porträt einer Frau gezeichnet, die über die geduldige Beschäftigung mit sich selbst und der Kunst lernt, sich zu öffnen. Nicht zufällig ist das finale Bilderlebnis das des Werks einer anderen Frau namens Anna. Hier greift erzählerisch alles ineinander.
Nicholls' Buch hingegen ist ein kläglicher dicker Roman, dessen 539 Seiten sich über neun nach den beschriebenen Ländern benannte Teile erstrecken, die jeweils einem Land gelten. Für die Läuterung seines Protagonisten benötigt Nicholls schließlich einen Herzinfarkt. Da knirscht die Erzählmechanik kräftig. Dass unterschwellig in "Drei auf Reisen" ein durchaus tragisches Familienthema mitschwingt, gerät im Crescendo des Grotesken leicht in Vergessenheit.
Overaths Prosa ist konzentriert und trotz des heiklen gefühligen Themas schlackenlos, während Nicholls durch nicht nur der Rollenprosa geschuldetes Schwadronieren verärgert, was durch die sorglose Übersetzung noch forciert wird. "Funeral" einfach mit Beerdigung zu übersetzen rächt sich, wenn man etwas später erfährt, dass die Verstorbene eingeäschert und verstreut wurde. Zahlreiche Druckfehler tun das Ihrige dazu. "Sie dreht sich um" ist eine literarische Herausforderung, "Drei auf Reisen" eine literarische Herabwürdigung. Rätselhaft.
Angelika Overath: "Sie dreht sich um". Roman.
Luchterhand, München 2014. 281 S., geb., 19,99 [Euro].
David Nicholls: "Drei auf Reisen". Roman.
Aus dem Englischen von Simone Jakob. Verlag Kein & Aber, Zürich 2014. 539 S., geb., 22,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Es ist wohl zum Teil David Nicholls intelligenten Büchern zu verdanken, dass die Unterhaltungsliteratur salonfähig geworden ist, vermutet Kristina Maidt-Zinke. Mit seinem neuen Roman "Drei auf Reisen" setzt der Autor auf bewährte Strategien, verrät die Rezensentin: wieder einmal erzählt ein liebenswerter Verlierer seine Geschichte voll englischem Humor und Selbstironie. Auch die Idee, ein Ehepaar nach formeller Trennung noch einmal auf Reisen zu schicken, mutet klassisch komisch an, findet Maidt-Zinke. Es sind die melancholischen Untertöne, deren Ursprung sich erst zum Ende hin klärt, und Nicholls "szenische Intelligenz", die auch dieses Buch wieder von ähnlichen abheben.
© Perlentaucher Medien GmbH
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