Über zwanzig Jahre glückliche Ehe, und der Sohn zieht bald aus: der ideale Zeitpunkt für einen Neuanfang, so scheint es Connie. Ganz anders sieht das ihr Ehemann Douglas. Mit allen Mitteln versucht er, auf der bereits geplanten Reise durch Europa seine Ehe zu retten und seinem Sohn näherzukommen - eine kurvenreiche Tour d'Amour durch alle Etappen einer Partnerschaft.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.11.2014Zur Paartherapie ins Museum
Zwei Bücher, ein Thema: Angelika Overath und David Nicholls schicken ihre Romanhelden vor die Meisterwerke der Kunstgeschichte.
Von Andreas Platthaus
Literatur hat immer etwas Rätselhaftes. Auch deshalb, weil sie für dasselbe Phänomen die unterschiedlichsten Darstellungen finden kann. Exemplarisch zeigt sich das an zwei neuen Romanen, die unterschiedlicher kaum sein könnten und doch genau das gleiche Thema haben: den Versuch von Menschen in der Mitte ihres Lebens, dem Scheitern ihrer langjährigen Ehen durch Besuche in Museen etwas entgegenzusetzen.
In Angelika Overaths "Sie dreht sich um" ist die kinderlos gebliebene fünfzigjährige Anna Michaelis von ihrem Mann über dessen Liebesverhältnis zu einer seiner Studentinnen informiert worden und fliegt, um Abstand zu gewinnen, spontan von München nach Edinburgh. Dort tritt sie in der National Gallery als einsame Bewunderin eines Gauguin-Gemäldes in inneren Dialog mit einer der nur in Rückenansicht dargestellten weiblichen Staffagefiguren. Fortan reist sie zwei Wochen lang auf der Suche nach ähnlichen Erlebnissen durch große Museen der Welt: nach Kopenhagen, Boston, St. Moritz, Paris und abermals nach Dänemark, nach Skagen. Immer wieder sprechen Rückenfiguren zu ihr, aus Bildern von Hammershøi, Hopper, Segantini, Ingres, Jacobus Vrel und Anna Ancher. In der Beschäftigung mit den individuellen Schicksalen der gemalten Frauen findet Anna nicht nur Trost, sondern auch Mut, sich ihrer eigenen Enttäuschung zu stellen. Die Reise zu sich selbst gelingt.
In David Nicholls' "Drei auf Reisen" organisiert der vierundfünfzigjährige in London lebende Douglas Petersen eine Europatour für sich, seine Frau und den gemeinsamen siebzehnjährigen Sohn, nachdem Connie angekündigt hat, ihn zu verlassen, sobald Albert auf die Universität gehen werde. Doch seine Frau findet den Versuch einer Wiederbelebung alter gemeinsamer Erinnerungen an den Kontinent abgeschmackt, und der Sohn hat ganz andere als kulturelle Interessen. Die Reise mit den anderen scheitert, die zu sich selbst dagegen nicht.
So verblüffend der ähnliche Grundgedanke einer deutschen Schriftstellerin und ihres englischen Kollegen ist, so denkbar verschiedene Wege schlagen sie als Autoren ein. Und so mutmaßlich verschieden wird auch die Rezeption beider Bücher sein. Der 1966 geborene Nicholls wurde in einer englischen Heimat als Fernsehdrehbuchautor bekannt und ist spätestens seit dem 2009 erschienenen Roman "One Day" (auf Deutsch: "Zwei an einem Tag") ein internationaler Bestseller-Autor. "Us" (wie "Drei auf Reisen" im Original heißt) stand in diesem Jahr auf der Shortlist des Booker-Preises, der wichtigsten englischen Literaturauszeichnung. Angelika Overath wiederum, Jahrgang 1957, ist einem vergleichsweise kleinen Publikum bekannt, obwohl auch sie 2009 Aufmerksamkeit fand, als ihr Roman "Flughafenfische" für den Deutschen Buchpreis nominiert wurde. Als Reporterin hat sie für große Zeitungen geschrieben, doch ihre Sonderrolle in der deutschen Literaturszene erweist sich auch dadurch, dass sie seit einigen Jahren im Schweizer Kanton Graubünden lebt. Die Protagonisten beider Romane sind Entsprechungen ihrer Autoren: Douglas extro-, Anna introvertiert, Ich-Erzähler der eine, Objekt einer auktorialen Erzählstimme die andere.
Entsprechend erzählen beide Bücher: "Drei auf Reisen" ist nicht nur inhaltlich eine modernisierte Grand Tour, sondern erzählerisch eine Tour de Force. Douglas taumelt von einem Fettnäpfchen ins andere, seine durch sorgfältige Konsultation von Wikipedia-Einträgen vorbereiteten Besuche kontinentaler Kulturweihestätten wie Amsterdam, Paris, Florenz, Venedig, München und schließlich eher unfreiwillig Madrid und Barcelona haben immer etwas Peinlich-Übereifriges. Nicholls schlägt zudem einen burlesken Ton an, weil er die britische Sicht auf die Welt jenseits des Kanals gern satirisch einbezieht. "Drei auf Reisen" ist ein Buch, das allein auf eines abzielt: Unterhaltung. Und bloß nicht überfordern will. Wenn Douglas im Prado durch ein Gemälde überrascht wird, dann sind es "Las Meninas" von Velázquez. Die "Mona Lisa" dagegen hatte er noch als "Hard Rock Cafe der Renaissancekunst" abgetan. Was soll er denn sein: Banause oder Connaisseur?
Bei "Sie dreht sich um" ist alles anders. Angelika Overath führt ihre Hauptfigur nicht zuverlässig an die bekanntesten Orte und vor die berühmtesten Bilder, sondern nimmt ihre Leser in Analogie zu Annas scheinbar ziellosem Weg auf eine Entdeckungsreise mit - kunsthistorisch (denn wer könnte mit Vrel oder Ancher etwas anfangen?), aber auch psychologisch und ästhetisch, weil der Einfall imaginärer Gespräche zwischen Roman- und Rückenfiguren insofern ingeniös ist, als sich hier jeweils vernachlässigte Frauen aus zwei fiktionalen Ebenen austauschen. Von den gemalten Frauen erfährt Anna alles über deren wahre Existenz; sie selbst als von Angelika Overath beschriebene Frau ist von einer selten gelesenen Glaubwürdigkeit in ihrer Mischung aus Traurigkeit und Neugier.
Kein Zweifel: Overaths Buch ist ein großartiger schmaler Roman. Auf 280 Seiten wird in sieben nach den einzelnen Bildern numerierten Abschnitten das Porträt einer Frau gezeichnet, die über die geduldige Beschäftigung mit sich selbst und der Kunst lernt, sich zu öffnen. Nicht zufällig ist das finale Bilderlebnis das des Werks einer anderen Frau namens Anna. Hier greift erzählerisch alles ineinander.
Nicholls' Buch hingegen ist ein kläglicher dicker Roman, dessen 539 Seiten sich über neun nach den beschriebenen Ländern benannte Teile erstrecken, die jeweils einem Land gelten. Für die Läuterung seines Protagonisten benötigt Nicholls schließlich einen Herzinfarkt. Da knirscht die Erzählmechanik kräftig. Dass unterschwellig in "Drei auf Reisen" ein durchaus tragisches Familienthema mitschwingt, gerät im Crescendo des Grotesken leicht in Vergessenheit.
Overaths Prosa ist konzentriert und trotz des heiklen gefühligen Themas schlackenlos, während Nicholls durch nicht nur der Rollenprosa geschuldetes Schwadronieren verärgert, was durch die sorglose Übersetzung noch forciert wird. "Funeral" einfach mit Beerdigung zu übersetzen rächt sich, wenn man etwas später erfährt, dass die Verstorbene eingeäschert und verstreut wurde. Zahlreiche Druckfehler tun das Ihrige dazu. "Sie dreht sich um" ist eine literarische Herausforderung, "Drei auf Reisen" eine literarische Herabwürdigung. Rätselhaft.
Angelika Overath: "Sie dreht sich um". Roman.
Luchterhand, München 2014. 281 S., geb., 19,99 [Euro].
David Nicholls: "Drei auf Reisen". Roman.
Aus dem Englischen von Simone Jakob. Verlag Kein & Aber, Zürich 2014. 539 S., geb., 22,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zwei Bücher, ein Thema: Angelika Overath und David Nicholls schicken ihre Romanhelden vor die Meisterwerke der Kunstgeschichte.
Von Andreas Platthaus
Literatur hat immer etwas Rätselhaftes. Auch deshalb, weil sie für dasselbe Phänomen die unterschiedlichsten Darstellungen finden kann. Exemplarisch zeigt sich das an zwei neuen Romanen, die unterschiedlicher kaum sein könnten und doch genau das gleiche Thema haben: den Versuch von Menschen in der Mitte ihres Lebens, dem Scheitern ihrer langjährigen Ehen durch Besuche in Museen etwas entgegenzusetzen.
In Angelika Overaths "Sie dreht sich um" ist die kinderlos gebliebene fünfzigjährige Anna Michaelis von ihrem Mann über dessen Liebesverhältnis zu einer seiner Studentinnen informiert worden und fliegt, um Abstand zu gewinnen, spontan von München nach Edinburgh. Dort tritt sie in der National Gallery als einsame Bewunderin eines Gauguin-Gemäldes in inneren Dialog mit einer der nur in Rückenansicht dargestellten weiblichen Staffagefiguren. Fortan reist sie zwei Wochen lang auf der Suche nach ähnlichen Erlebnissen durch große Museen der Welt: nach Kopenhagen, Boston, St. Moritz, Paris und abermals nach Dänemark, nach Skagen. Immer wieder sprechen Rückenfiguren zu ihr, aus Bildern von Hammershøi, Hopper, Segantini, Ingres, Jacobus Vrel und Anna Ancher. In der Beschäftigung mit den individuellen Schicksalen der gemalten Frauen findet Anna nicht nur Trost, sondern auch Mut, sich ihrer eigenen Enttäuschung zu stellen. Die Reise zu sich selbst gelingt.
In David Nicholls' "Drei auf Reisen" organisiert der vierundfünfzigjährige in London lebende Douglas Petersen eine Europatour für sich, seine Frau und den gemeinsamen siebzehnjährigen Sohn, nachdem Connie angekündigt hat, ihn zu verlassen, sobald Albert auf die Universität gehen werde. Doch seine Frau findet den Versuch einer Wiederbelebung alter gemeinsamer Erinnerungen an den Kontinent abgeschmackt, und der Sohn hat ganz andere als kulturelle Interessen. Die Reise mit den anderen scheitert, die zu sich selbst dagegen nicht.
So verblüffend der ähnliche Grundgedanke einer deutschen Schriftstellerin und ihres englischen Kollegen ist, so denkbar verschiedene Wege schlagen sie als Autoren ein. Und so mutmaßlich verschieden wird auch die Rezeption beider Bücher sein. Der 1966 geborene Nicholls wurde in einer englischen Heimat als Fernsehdrehbuchautor bekannt und ist spätestens seit dem 2009 erschienenen Roman "One Day" (auf Deutsch: "Zwei an einem Tag") ein internationaler Bestseller-Autor. "Us" (wie "Drei auf Reisen" im Original heißt) stand in diesem Jahr auf der Shortlist des Booker-Preises, der wichtigsten englischen Literaturauszeichnung. Angelika Overath wiederum, Jahrgang 1957, ist einem vergleichsweise kleinen Publikum bekannt, obwohl auch sie 2009 Aufmerksamkeit fand, als ihr Roman "Flughafenfische" für den Deutschen Buchpreis nominiert wurde. Als Reporterin hat sie für große Zeitungen geschrieben, doch ihre Sonderrolle in der deutschen Literaturszene erweist sich auch dadurch, dass sie seit einigen Jahren im Schweizer Kanton Graubünden lebt. Die Protagonisten beider Romane sind Entsprechungen ihrer Autoren: Douglas extro-, Anna introvertiert, Ich-Erzähler der eine, Objekt einer auktorialen Erzählstimme die andere.
Entsprechend erzählen beide Bücher: "Drei auf Reisen" ist nicht nur inhaltlich eine modernisierte Grand Tour, sondern erzählerisch eine Tour de Force. Douglas taumelt von einem Fettnäpfchen ins andere, seine durch sorgfältige Konsultation von Wikipedia-Einträgen vorbereiteten Besuche kontinentaler Kulturweihestätten wie Amsterdam, Paris, Florenz, Venedig, München und schließlich eher unfreiwillig Madrid und Barcelona haben immer etwas Peinlich-Übereifriges. Nicholls schlägt zudem einen burlesken Ton an, weil er die britische Sicht auf die Welt jenseits des Kanals gern satirisch einbezieht. "Drei auf Reisen" ist ein Buch, das allein auf eines abzielt: Unterhaltung. Und bloß nicht überfordern will. Wenn Douglas im Prado durch ein Gemälde überrascht wird, dann sind es "Las Meninas" von Velázquez. Die "Mona Lisa" dagegen hatte er noch als "Hard Rock Cafe der Renaissancekunst" abgetan. Was soll er denn sein: Banause oder Connaisseur?
Bei "Sie dreht sich um" ist alles anders. Angelika Overath führt ihre Hauptfigur nicht zuverlässig an die bekanntesten Orte und vor die berühmtesten Bilder, sondern nimmt ihre Leser in Analogie zu Annas scheinbar ziellosem Weg auf eine Entdeckungsreise mit - kunsthistorisch (denn wer könnte mit Vrel oder Ancher etwas anfangen?), aber auch psychologisch und ästhetisch, weil der Einfall imaginärer Gespräche zwischen Roman- und Rückenfiguren insofern ingeniös ist, als sich hier jeweils vernachlässigte Frauen aus zwei fiktionalen Ebenen austauschen. Von den gemalten Frauen erfährt Anna alles über deren wahre Existenz; sie selbst als von Angelika Overath beschriebene Frau ist von einer selten gelesenen Glaubwürdigkeit in ihrer Mischung aus Traurigkeit und Neugier.
Kein Zweifel: Overaths Buch ist ein großartiger schmaler Roman. Auf 280 Seiten wird in sieben nach den einzelnen Bildern numerierten Abschnitten das Porträt einer Frau gezeichnet, die über die geduldige Beschäftigung mit sich selbst und der Kunst lernt, sich zu öffnen. Nicht zufällig ist das finale Bilderlebnis das des Werks einer anderen Frau namens Anna. Hier greift erzählerisch alles ineinander.
Nicholls' Buch hingegen ist ein kläglicher dicker Roman, dessen 539 Seiten sich über neun nach den beschriebenen Ländern benannte Teile erstrecken, die jeweils einem Land gelten. Für die Läuterung seines Protagonisten benötigt Nicholls schließlich einen Herzinfarkt. Da knirscht die Erzählmechanik kräftig. Dass unterschwellig in "Drei auf Reisen" ein durchaus tragisches Familienthema mitschwingt, gerät im Crescendo des Grotesken leicht in Vergessenheit.
Overaths Prosa ist konzentriert und trotz des heiklen gefühligen Themas schlackenlos, während Nicholls durch nicht nur der Rollenprosa geschuldetes Schwadronieren verärgert, was durch die sorglose Übersetzung noch forciert wird. "Funeral" einfach mit Beerdigung zu übersetzen rächt sich, wenn man etwas später erfährt, dass die Verstorbene eingeäschert und verstreut wurde. Zahlreiche Druckfehler tun das Ihrige dazu. "Sie dreht sich um" ist eine literarische Herausforderung, "Drei auf Reisen" eine literarische Herabwürdigung. Rätselhaft.
Angelika Overath: "Sie dreht sich um". Roman.
Luchterhand, München 2014. 281 S., geb., 19,99 [Euro].
David Nicholls: "Drei auf Reisen". Roman.
Aus dem Englischen von Simone Jakob. Verlag Kein & Aber, Zürich 2014. 539 S., geb., 22,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Es ist wohl zum Teil David Nicholls intelligenten Büchern zu verdanken, dass die Unterhaltungsliteratur salonfähig geworden ist, vermutet Kristina Maidt-Zinke. Mit seinem neuen Roman "Drei auf Reisen" setzt der Autor auf bewährte Strategien, verrät die Rezensentin: wieder einmal erzählt ein liebenswerter Verlierer seine Geschichte voll englischem Humor und Selbstironie. Auch die Idee, ein Ehepaar nach formeller Trennung noch einmal auf Reisen zu schicken, mutet klassisch komisch an, findet Maidt-Zinke. Es sind die melancholischen Untertöne, deren Ursprung sich erst zum Ende hin klärt, und Nicholls "szenische Intelligenz", die auch dieses Buch wieder von ähnlichen abheben.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH