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- Rede über die Verweigerung der Rente für einen Invaliden
- Verteidigungsrede im Mordfall Eratosthenes
- Verteidigungsrede vor dem Aeropag wegen Beseitigung eines Ölbaumstumpfes

Produktbeschreibung
- Rede über die Verweigerung der Rente für einen Invaliden

- Verteidigungsrede im Mordfall Eratosthenes

- Verteidigungsrede vor dem Aeropag wegen Beseitigung eines Ölbaumstumpfes
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.01.1996

Von Mord und Baumschlag
Georg Wöhrle übersetzt drei große Reden des attischen Logographen Lysias

Lysias begann als Chef eines Rüstungsbetriebes: er und seine Brüder hatten eine Schildfabrik geerbt. Sein Vater war Syrakusaner, Perikles hatte ihn nach Athen gerufen. In seinem kultivierten Hause läßt Platon den großen Dialog über den Staat stattfinden. Nach der Niederlage im Peloponnesischen Krieg etablierte sich in Athen ein tyrannisches Regime, die sogenannte Herrschaft der Dreißig. Lysias konnte in die Nachbarstadt Megara fliehen; einer seiner Brüder wurde hingerichtet, das Vermögen konfisziert. Im Jahr darauf verjagten die Demokraten die Dreißig; Lysias half nach Kräften mit. Der Versuch, ihm daraufhin das attische Bürgerrecht zu verleihen, scheiterte am Widerstand von Neidern.

Nunmehr begannen zwanzig Jahre seines Lebens, die ihm zu einem angesehenen Platz im Kanon der zehn großen attischen Redner verhalfen: Er arbeitete als Logograph, als "Redenschreiber". Athen kannte den Advokaten nicht, der statt einer Gerichtspartei sprach; jeder mußte sich selbst vertreten. Immerhin durfte ein Angeklagter sein Plädoyer von einem Kundigeren aufsetzen lassen. Für dieses Ghostwritertum existierte ein eigener Stand, der des Logographen. Im Altertum kursierten von Lysias 425 Reden; hiervon galt etwa die Hälfte als echt. 34 Reden sind uns überliefert, drei davon liegen nun neu übersetzt vor.

Es sind jene bekannten Prozeßreden ohne politischen Hintergrund, die auch in den älteren Auswahlen oft erschienen sind. Im ersten Stück geht es um einen Invaliden, dessen staatliche Rente bedroht ist: Der Kläger bezweifelt die Hilfsbedürftigkeit. Das zweite Stück, die "Verteidigungsrede im Mordfall Eratosthenes", hat einen in flagranti ertappten Ehebrecher zur Voraussetzung; der Angeklagte hatte ihn getötet, was ihm nach einem altüberlieferten Rechtsgrundsatz gestattet war. Die dritte Rede gilt einem aus heutiger Sicht noch befremdlicheren Thema: Der Angeklagte wurde beschuldigt, den Stumpf eines heiligen Ölbaums beseitigt zu haben, der sich auf seinem Grundstück befand.

Die Reden sind von geringer juristischer Relevanz, weder die tatsächlichen Gegebenheiten noch die rechtliche Würdigung geben Probleme auf. Die jeweils einschlägigen Gesetze existierten nebeneinander in unreflektierter Positivität. Das klassische Athen entbehrte - im Gegensatz zu Rom - einer übergreifenden Dogmatik.

Nach der Sitte fällten die attischen Laiengerichte ihre Urteile, und so verdienen die drei Lysiasreden vor allem als sitten-und kulturgeschichtliche Dokumente Aufmerksamkeit. Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen ist erstaunlich: Dem modern anmutenden Rentnerfall stehen die barbarische, vom Staat gebilligte Rache am Ehebrecher und der fetischistische Ölbaumkult (der überführte Angeklagte mußte mit dem Leben büßen!) gegenüber.

Die Lysiasreden sind darüber hinaus ein bemerkenswertes Stück Literatur. Der Logograph stellte nämlich keineswegs einen uniformen, trockenen Schriftsatz her. Er wußte, daß die Art, wie sein Mandant vor Gericht auftrat, ebenso wichtig war wie die Argumente, die er vorbrachte. Er war daher bestrebt, ihn seinem Wesen gemäß sprechen zu lassen, und natürlich sollte sich der Mandant auch als ordentlicher, ehrlicher Bürger empfehlen. Lysias verstand sich meisterhaft darauf, den jeweils geforderten Typ zu treffen. Der Invalide, ein kleiner Mann, kämpft mit Witz und Schläue. Der gehörnte Ehemann gibt sich rechtschaffen, naiv und aufbrausend. Er ist so sittenstreng, daß er seine Tat, einen gerade noch erlaubten Racheakt, als eine vom Gesetz geforderte Strafe hinstellt. Würdevoll-indigniert und aus der überlegenen Position eines vermögenden, opferbereiten Bürgers spricht der Angeklagte des Ölbaumprozesses. Die Antike rühmte Lysias als Stilisten von schlichter Eleganz und treffsicherer Klarheit. Seine Reden gehörten um dieser Vorzüge willen bis zum Beginn unseres Jahrhunderts zum üblichen Pensum des Gymnasiums.

Die vorliegende zweisprachige Ausgabe ist mit Sorgfalt und Umsicht hergestellt. Der Anhang enthält Erläuterungen, eine Einführung in Leben und Werk des Lysias sowie Analysen der drei Reden. Bedauern könnte man allenfalls, daß die Auswahl so knapp gehalten wurde: Sie gibt dem Leser gleichsam einen Spalt frei auf eine viel buntere einstige Lebenswirklichkeit. MANFRED FUHRMANN

Lysias: "Drei ausgewählte Reden". Griechisch/Deutsch. Übersetzt und herausgegeben von Georg Wöhrle. Reclam Verlag, Stuttgart 1995. 109 S., br., 6,- DM.

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Die Antike rühmte Lysias als Stilisten von schlichter Eleganz und treffsicherer Klarheit. Seine Reden gehörten um dieser Vorzüge willen bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts zum üblichen Pensum des Gymnasiums.

Die vorliegende zweisprachige Ausgabe ist mit Sorgfalt und Umsicht hergestellt. Der Anhang enthält Erläuterungen, eine Einführung in Leben und Werk des Lysias sowie Analysen der drei Reden. Bedauern könnte man allenfalls, dass die Auswahl so knapp gehalten wurde: Sie gibt dem Leser gleichsam einen Spalt frei auf eine viel buntere einstige Lebenswirklichkeit. Frankfurter Allgemeine Zeitung