Richard Powers arbeitete als Programmierer in den Docks von Boston. Während der Nachtschicht las er Thomas Manns »Zauberberg«. Als er im Museum die berühmte Fotografie des Kölner August Sanders von drei jungen Männer aus dem Jahr 1914 entdeckt, denkt er, dem Jahrhundert in die Augen zu schauen. Der Erzähler Richard Powers war geboren.
Der Held in Powers Geschichte ist ebenso von Sanders Fotografie in Bann gezogen. Fieberhaft recherchiert er die Hintergründe der Bildes, bis die drei Bauern aus dem Westerwald ihre Lebensgeschichten erzählen: vom Verschwinden und vom Überleben im Ersten Weltkrieg, und von der fast unmöglichen Wende zum Glück, als sich der Weg des einen mit der Biographie von Henry Ford, dem großen Erfinder und Autobauer, kreuzt.
Der Held in Powers Geschichte ist ebenso von Sanders Fotografie in Bann gezogen. Fieberhaft recherchiert er die Hintergründe der Bildes, bis die drei Bauern aus dem Westerwald ihre Lebensgeschichten erzählen: vom Verschwinden und vom Überleben im Ersten Weltkrieg, und von der fast unmöglichen Wende zum Glück, als sich der Weg des einen mit der Biographie von Henry Ford, dem großen Erfinder und Autobauer, kreuzt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.01.2012Auf den Spuren von Hubert, Peter und Adolphe
Die Geburt des Romans aus dem Geiste der Fotografie: Richard Powers' Debüt "Drei Bauern auf dem Weg zum Tanz" aus dem Jahr 1985 ist eine dreistimmige Komposition aus der Autostadt Detroit, die das Werk August Sanders entschlüsselt.
Unter den großen amerikanischen Erzählern der Gegenwart gilt Richard Powers als Formjongleur. Nie hat er einfach eine Geschichte erzählen wollen, mit Einleitung, Klimax, Coda. Und auch sein erst jetzt auf Deutsch veröffentlichtes Debüt "Drei Bauern auf dem Weg zum Tanz" aus dem Jahre 1985 ist als Visitenkarte zu lesen, mit klaren Weichenstellungen und der Tendenz zur großen, verschachtelten Form. Powers faltet das zwanzigste Jahrhundert in drei Erzählsträngen auf. Und wie von seinen späteren Romanen gewohnt, grundiert er schon hier alles mit klugen Exkursen, über die Entwicklung der Fotografie, der Industrie, über die daraus folgende Veränderung des Menschen.
Biographien erfundener oder historischer Personen überlappen einander. Der Spaß beim Lesen dieser Romane variiert je nach Erzählstrecke, und zuweilen versinkt man so tief, dass man nur unwillig die Parallelgleise ins Blickfeld rücken mag. Dabei ist gerade der Blick aus größter Höhe auf diese kühne Konstruktion schwindelerregend.
Die Romane von Richard Powers, der 1957 in Evanston, im amerikanischen Bundestaat Illinois zur Welt kam, erwachsen gerne am Nullpunkt, wie unter großem Druck, der sich in üppigen Erzählbächen ergießt. In "Das Echo der Erinnerung" ist es nach einem schweren Unfall die Auslöschung der Vergangenheit, die fortan neu geschrieben werden muss. In "Schattenflucht" ergeben sich die Szenarien innerhalb eines vom Rest der Welt abgetrennten kreativen Zentrums, auf Englisch: eines thinktanks, der Denker unterschiedlichster Temperamente zusammensperrt. Jetzt ist es ein Zeitloch während einer Reise: der auferzwungene Zwischenstopp des Erzählers in Detroit, der Autostadt, die auch Kunst zu bieten hat.
Diesen Erzähler, ein Unternehmer mit technischem Hintergrund, der Autos gar nichts abgewinnen kann, ereilt in seiner Detroiter Warteschleife - die Langeweile spült ihn ins hiesige Museum - fast so etwas wie eine Epiphanie: "tiefes, seelisches Wohlbefinden". Noch im Erdgeschoss hatten ihn Diego Riveras Fresken über Henry Ford und Detroits Industrialisierung aufgewühlt, eine subversive Darstellung des Fließbands als "sehnige, fast organische Maschine, die stampfte, schweißte und schließlich das fertige Produkt, einen Automotor hervorbrachte". Jetzt steht er besänftigt vor einer Fotografie August Sanders: "Bauern aus dem Westerwald auf dem Weg zum Tanz, 1914".
Zu sehen sind drei junge Männer in Sonntagsanzug mit Gehstock und Hut auf ödem Ackerfeld und auf dem Weg irgendwohin. Dem Letzten hängt die Zigarette lässig am Mund, der Mittlere schaut wie aus allen Träumen gerissen, der Vorderste zieht eine Augenbraue leicht hoch. Alle wenden sich dem sie offenbar überraschenden Fotografen aus der Bewegung heraus zu, ein kurzes Innehalten, bevor sie ihren Weg fortsetzen - als Individuen mehr denn als Typen. In dieser Wartehalle der Geschichte im Detroiter Museum, im Kreuzungspunkt also von Industrie und Kultur, schießen alle künftigen Linien des Romans, noch bevor wir sie kennen, schon gleich zu Anfang zusammen und verdichten sich zu einem Bild, dem Richard Powers seine zunächst dreistimmige Komposition abgewinnt.
Die drei Bauern lassen den Erzähler für lange Zeit nicht mehr los. Er kauft sich ein Notizbuch und schreibt auf, was ihm dazu einfällt. Und so ist dieses Debüt nicht zuletzt auch ein Roman über die Geburt eines Romans; über den Autor selbst, der hier die erzählerischen Freiheiten prüft, die er sodann ergreift: Er erzählt, nach dem umwälzenden Museumsbesuch, die Geschichte dieser drei Bauern Hubert, Peter und Adolphe. Ein- und Auswandererbiographien: Zwei der drei geraten in die Bauersfamilie wie Kuckuckseier der neuen Mutter ins Nest gelegt, die sich rührend kümmert - bis das Militär sie abberuft auf ein Feld "irgendwo in diesem geschundenen Jahrhundert", zum Todestanz.
Ein Sog entsteht spärlich und spät. Lange liest man zwar souverän erzählte, einander abwechselnde, aber zunächst unabhängige Teile: die Spurensuche des Ich-Erzählers; die nacherzählte Geschichte der drei Jungbauern um den Ersten Weltkrieg sowie ein dritter Erzählstrang um einen gewissen Peter Mays, der in den achtziger Jahren spielt. Peter Mays ist beschäftigt bei einer Zeitschrift für Mikro-Computerdesign, jagt aber lieber einer rotschopfigen Schönheit hinterher, die er während einer Parade zum Gedenken an den Waffenstillstand auf der Straße vom Fenster aus erspäht - auch er also erregt wie anfangs der Ich-Erzähler von einem Bild. Ob sich die Frau in der Realität findet, ist hier gar nicht so wichtig, vielmehr, welche Projektionen und Handlungen ausgelöst werden.
"Menschen des 20. Jahrhunderts" nannte August Sander sein gigantisches Projekt, für das er Menschen in ihrer sozialen Rolle, ihrem gesellschaftlichen Stand extra posieren ließ, unter Aufgabe ihrer Individualität. Er hatte nichts Geringeres im Sinn als die Erschaffung einer Enzyklopädie des Menschen, eines "allumfassenden Katalogs von Gesichtern, der mit deutscher Sorgfäligkeit das Leben in der neuen Ära festhalten sollte". Sanders ist eine der historischen Persönlichkeiten, die der vom "Antlitz der Zeit" so gebannte Erzähler in eigenen Exkursen ergründet, um den Zeitenwandel zu begreifen. Henry Ford, Vater der modernen Massenproduktion, ist die andere wichtige reale Figur. Ford hat nach dem Scheitern seiner Friedensbemühungen vom Ersten Weltkrieg vornehmlich Gewinn eingefahren. Beide verbindet die Maschine - nur dient sie unterschiedlichen Zwecken. Als Stützpfeiler des Romans, den Henning Ahrens souverän übersetzt hat, haben sie auf vertrackte Weise mit den Romanfiguren zu tun.
Richard Powers erzählerischer Anspruch ist hoch und länger nicht recht greifbar. Doch dann kommt es schließlich doch noch zu rätselhaften Überschneidungen. Peter Mays findet sich selbst beziehungsweise den verblüffend ähnlichen Urgroßvater auf einem vergilbten Foto mit Henry Ford, der ihn freundlich als "Erben" umarmt - Anstoß für ihn, seine Familiengeschichte zu erforschen, was einen neuen Blick auf die Vergangenheit beschert. Uns Leser hingegen lässt Powers gegen Ende entdecken, dass Peter Mays und der Ich-Erzähler die gleiche Figur sind, was den dreistimmigen Roman in eine schöne Symmetrie hineingleiten lässt. Vor allem aber konfrontiert uns die Enthüllung mit dem Unterschied von innen und außen - beide Blickwinkel hatte man eingenommen.
Diese doppelte Rollenbesetzung weist der Erzähler als eine der wichtigsten Neuerungen im Zuge der Erfindung der Fotografie aus, die das Jahrhundert entscheidend prägte. Richard Powers geht es also gar nicht so sehr um Entzifferung, vielmehr um den Moment, da die Betrachtung eines Bildes oder eines Menschen den Betrachter verändert - und dem Lebenslauf eine überraschende Biegung einbaut. Seine Spielfläche ist schon hier, vor sechsundzwanzig Jahren, der mysteriöse Erzählraum, in dem Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zugleich zugegen sind.
Richard Powers machte zuletzt von sich Aufsehen, als er als neunter Mensch sein Genom entziffern ließ. Er schrieb über sein Erstaunen angesichts der klein verpackten Banalität seiner und unser aller Existenz eine Reportage, "Das Buch Ich # 9". Nie hat er auch davor den Eindruck erweckt, dass man sich in seiner Prosa bequem einrichten könne. "Drei Bauern auf dem Weg zum Tanz" ist zu dieser Haltung die Ouvertüre. Sie knarzt noch als Ganzes, doch ist sie in manchen Passagen verführerisch dissonant. Andere Autoren erzählen einfach Familiengeschichten. Powers erzählt und spiegelt sie in großen Diagnosen über die Zeit. Das ist als Roman goutiert ein Stück Arbeit und in der Umsetzung um einiges angestrengter als Powers spätere Romane, aber immer noch sättigend.
ANJA HIRSCH
Richard Powers: "Drei Bauern auf dem Weg zum Tanz".
Aus dem Englischen von Henning Ahrens. S. Fischer Verlag, Frankfurt a.M. 2011. 444 S., geb., 22,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Geburt des Romans aus dem Geiste der Fotografie: Richard Powers' Debüt "Drei Bauern auf dem Weg zum Tanz" aus dem Jahr 1985 ist eine dreistimmige Komposition aus der Autostadt Detroit, die das Werk August Sanders entschlüsselt.
Unter den großen amerikanischen Erzählern der Gegenwart gilt Richard Powers als Formjongleur. Nie hat er einfach eine Geschichte erzählen wollen, mit Einleitung, Klimax, Coda. Und auch sein erst jetzt auf Deutsch veröffentlichtes Debüt "Drei Bauern auf dem Weg zum Tanz" aus dem Jahre 1985 ist als Visitenkarte zu lesen, mit klaren Weichenstellungen und der Tendenz zur großen, verschachtelten Form. Powers faltet das zwanzigste Jahrhundert in drei Erzählsträngen auf. Und wie von seinen späteren Romanen gewohnt, grundiert er schon hier alles mit klugen Exkursen, über die Entwicklung der Fotografie, der Industrie, über die daraus folgende Veränderung des Menschen.
Biographien erfundener oder historischer Personen überlappen einander. Der Spaß beim Lesen dieser Romane variiert je nach Erzählstrecke, und zuweilen versinkt man so tief, dass man nur unwillig die Parallelgleise ins Blickfeld rücken mag. Dabei ist gerade der Blick aus größter Höhe auf diese kühne Konstruktion schwindelerregend.
Die Romane von Richard Powers, der 1957 in Evanston, im amerikanischen Bundestaat Illinois zur Welt kam, erwachsen gerne am Nullpunkt, wie unter großem Druck, der sich in üppigen Erzählbächen ergießt. In "Das Echo der Erinnerung" ist es nach einem schweren Unfall die Auslöschung der Vergangenheit, die fortan neu geschrieben werden muss. In "Schattenflucht" ergeben sich die Szenarien innerhalb eines vom Rest der Welt abgetrennten kreativen Zentrums, auf Englisch: eines thinktanks, der Denker unterschiedlichster Temperamente zusammensperrt. Jetzt ist es ein Zeitloch während einer Reise: der auferzwungene Zwischenstopp des Erzählers in Detroit, der Autostadt, die auch Kunst zu bieten hat.
Diesen Erzähler, ein Unternehmer mit technischem Hintergrund, der Autos gar nichts abgewinnen kann, ereilt in seiner Detroiter Warteschleife - die Langeweile spült ihn ins hiesige Museum - fast so etwas wie eine Epiphanie: "tiefes, seelisches Wohlbefinden". Noch im Erdgeschoss hatten ihn Diego Riveras Fresken über Henry Ford und Detroits Industrialisierung aufgewühlt, eine subversive Darstellung des Fließbands als "sehnige, fast organische Maschine, die stampfte, schweißte und schließlich das fertige Produkt, einen Automotor hervorbrachte". Jetzt steht er besänftigt vor einer Fotografie August Sanders: "Bauern aus dem Westerwald auf dem Weg zum Tanz, 1914".
Zu sehen sind drei junge Männer in Sonntagsanzug mit Gehstock und Hut auf ödem Ackerfeld und auf dem Weg irgendwohin. Dem Letzten hängt die Zigarette lässig am Mund, der Mittlere schaut wie aus allen Träumen gerissen, der Vorderste zieht eine Augenbraue leicht hoch. Alle wenden sich dem sie offenbar überraschenden Fotografen aus der Bewegung heraus zu, ein kurzes Innehalten, bevor sie ihren Weg fortsetzen - als Individuen mehr denn als Typen. In dieser Wartehalle der Geschichte im Detroiter Museum, im Kreuzungspunkt also von Industrie und Kultur, schießen alle künftigen Linien des Romans, noch bevor wir sie kennen, schon gleich zu Anfang zusammen und verdichten sich zu einem Bild, dem Richard Powers seine zunächst dreistimmige Komposition abgewinnt.
Die drei Bauern lassen den Erzähler für lange Zeit nicht mehr los. Er kauft sich ein Notizbuch und schreibt auf, was ihm dazu einfällt. Und so ist dieses Debüt nicht zuletzt auch ein Roman über die Geburt eines Romans; über den Autor selbst, der hier die erzählerischen Freiheiten prüft, die er sodann ergreift: Er erzählt, nach dem umwälzenden Museumsbesuch, die Geschichte dieser drei Bauern Hubert, Peter und Adolphe. Ein- und Auswandererbiographien: Zwei der drei geraten in die Bauersfamilie wie Kuckuckseier der neuen Mutter ins Nest gelegt, die sich rührend kümmert - bis das Militär sie abberuft auf ein Feld "irgendwo in diesem geschundenen Jahrhundert", zum Todestanz.
Ein Sog entsteht spärlich und spät. Lange liest man zwar souverän erzählte, einander abwechselnde, aber zunächst unabhängige Teile: die Spurensuche des Ich-Erzählers; die nacherzählte Geschichte der drei Jungbauern um den Ersten Weltkrieg sowie ein dritter Erzählstrang um einen gewissen Peter Mays, der in den achtziger Jahren spielt. Peter Mays ist beschäftigt bei einer Zeitschrift für Mikro-Computerdesign, jagt aber lieber einer rotschopfigen Schönheit hinterher, die er während einer Parade zum Gedenken an den Waffenstillstand auf der Straße vom Fenster aus erspäht - auch er also erregt wie anfangs der Ich-Erzähler von einem Bild. Ob sich die Frau in der Realität findet, ist hier gar nicht so wichtig, vielmehr, welche Projektionen und Handlungen ausgelöst werden.
"Menschen des 20. Jahrhunderts" nannte August Sander sein gigantisches Projekt, für das er Menschen in ihrer sozialen Rolle, ihrem gesellschaftlichen Stand extra posieren ließ, unter Aufgabe ihrer Individualität. Er hatte nichts Geringeres im Sinn als die Erschaffung einer Enzyklopädie des Menschen, eines "allumfassenden Katalogs von Gesichtern, der mit deutscher Sorgfäligkeit das Leben in der neuen Ära festhalten sollte". Sanders ist eine der historischen Persönlichkeiten, die der vom "Antlitz der Zeit" so gebannte Erzähler in eigenen Exkursen ergründet, um den Zeitenwandel zu begreifen. Henry Ford, Vater der modernen Massenproduktion, ist die andere wichtige reale Figur. Ford hat nach dem Scheitern seiner Friedensbemühungen vom Ersten Weltkrieg vornehmlich Gewinn eingefahren. Beide verbindet die Maschine - nur dient sie unterschiedlichen Zwecken. Als Stützpfeiler des Romans, den Henning Ahrens souverän übersetzt hat, haben sie auf vertrackte Weise mit den Romanfiguren zu tun.
Richard Powers erzählerischer Anspruch ist hoch und länger nicht recht greifbar. Doch dann kommt es schließlich doch noch zu rätselhaften Überschneidungen. Peter Mays findet sich selbst beziehungsweise den verblüffend ähnlichen Urgroßvater auf einem vergilbten Foto mit Henry Ford, der ihn freundlich als "Erben" umarmt - Anstoß für ihn, seine Familiengeschichte zu erforschen, was einen neuen Blick auf die Vergangenheit beschert. Uns Leser hingegen lässt Powers gegen Ende entdecken, dass Peter Mays und der Ich-Erzähler die gleiche Figur sind, was den dreistimmigen Roman in eine schöne Symmetrie hineingleiten lässt. Vor allem aber konfrontiert uns die Enthüllung mit dem Unterschied von innen und außen - beide Blickwinkel hatte man eingenommen.
Diese doppelte Rollenbesetzung weist der Erzähler als eine der wichtigsten Neuerungen im Zuge der Erfindung der Fotografie aus, die das Jahrhundert entscheidend prägte. Richard Powers geht es also gar nicht so sehr um Entzifferung, vielmehr um den Moment, da die Betrachtung eines Bildes oder eines Menschen den Betrachter verändert - und dem Lebenslauf eine überraschende Biegung einbaut. Seine Spielfläche ist schon hier, vor sechsundzwanzig Jahren, der mysteriöse Erzählraum, in dem Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zugleich zugegen sind.
Richard Powers machte zuletzt von sich Aufsehen, als er als neunter Mensch sein Genom entziffern ließ. Er schrieb über sein Erstaunen angesichts der klein verpackten Banalität seiner und unser aller Existenz eine Reportage, "Das Buch Ich # 9". Nie hat er auch davor den Eindruck erweckt, dass man sich in seiner Prosa bequem einrichten könne. "Drei Bauern auf dem Weg zum Tanz" ist zu dieser Haltung die Ouvertüre. Sie knarzt noch als Ganzes, doch ist sie in manchen Passagen verführerisch dissonant. Andere Autoren erzählen einfach Familiengeschichten. Powers erzählt und spiegelt sie in großen Diagnosen über die Zeit. Das ist als Roman goutiert ein Stück Arbeit und in der Umsetzung um einiges angestrengter als Powers spätere Romane, aber immer noch sättigend.
ANJA HIRSCH
Richard Powers: "Drei Bauern auf dem Weg zum Tanz".
Aus dem Englischen von Henning Ahrens. S. Fischer Verlag, Frankfurt a.M. 2011. 444 S., geb., 22,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Schon in Richard Powers vor rund 25 Jahren erschienenem Debütroman, der um ein Foto von August Sander kreist und von den 1980er Jahre in die Zeit um den Ersten Weltkrieg führt, geht es im Kern um "Technik und Mensch", stellt Hans-Peter Kunisch klar. Ihn hat Powers Vexierspiel um "Geschichte, Schicksal und Identität", in der die drei Bauern auf dem Foto vom Tanzvergnügen direkt auf die Schlachtfelder des Krieges katapultiert werden, sehr beeindruckt. Am meisten fasziniert den Rezensenten, wie es dem amerikanischen Autor gelingt, historische Fakten mit einer mitunter träumerischen Fiktion zu verbinden. Dass er dabei manchmal wie vom Katheder herab klingt und die vielen Figuren und Erzählebenen zu "verschwimmen" drohen, findet Kunisch verzeihlich, weil er hier schon den späteren ausgereiften Schriftsteller Powers erkennen kann, der seinen "eigenen Weg geht", wie er anerkennend vermerkt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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