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Das Leben dreier mutiger, emanzipierter Frauen der frühen Neuzeit wird hier aufgrund von Selbstzeugnissen und umfangreichem Quellenmaterial nachgezeichnet. Da ist Glickl bas Judah Leib, 1646 als Tochter einer jüdischen Hamburger Kaufmannsfamilie geboren, die als Witwe in ganz Europa ihren Geschäften nachging; die verwitwete Französin Marie Guyart trat 1631 dem Orden der Ursulinen bei und reiste als Indianer-Missionarin nach Kanada; Maria Sibylla Merian (1643-1717) erforschte die Flora und Fauna Mittelamerikas und wurde berühmt durch ihre Kupferstiche.

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Produktbeschreibung
Das Leben dreier mutiger, emanzipierter Frauen der frühen Neuzeit wird hier aufgrund von Selbstzeugnissen und umfangreichem Quellenmaterial nachgezeichnet. Da ist Glickl bas Judah Leib, 1646 als Tochter einer jüdischen Hamburger Kaufmannsfamilie geboren, die als Witwe in ganz Europa ihren Geschäften nachging; die verwitwete Französin Marie Guyart trat 1631 dem Orden der Ursulinen bei und reiste als Indianer-Missionarin nach Kanada; Maria Sibylla Merian (1643-1717) erforschte die Flora und Fauna Mittelamerikas und wurde berühmt durch ihre Kupferstiche.
Autorenporträt
Natalie Zemon Davis gehört weltweit zu den renommiertesten Historikern. Sie lehrte u.a. in Providence, Toronto, Berkeley, Paris, Princeton und Oxford. Seit ihrer Emeritierung 1996 lebt sie als freie Schriftstellerin in Toronto und ist wieder an der dortigen Universität tätig. In deutscher Sprache erschienen u.a. Die wahrhaftige Geschichte von der Wiederkehr des Martin Guerre (1984) und Drei Frauenleben (1996). Natalie Z. Davis wurde u.a. mit dem Toynbee-Preis (2000) und dem Warburg-Preis (2001) ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.07.1996

Bei den Irokesen ein Haus für Jesus und Maria bauen
Frömmigkeit, Geschäft und Forschung: Natalie Zemon Davis untersucht drei Frauenleben aus der frühen Neuzeit

Schwenkt Natalie Zemon Davis nun auf den Königsweg der Historiographie, die Biographie, ein? Nach ihren auch auf deutsch vorliegenden bahnbrechenden Arbeiten zur Kultur der "kleinen Leute", vor allem im Frankreich des 16. Jahrhunderts, widmet sich ihr neues, sofort übersetztes Buch exklusiv "Drei Frauenleben". Es geht um Glikl (1646 bis 1724), Marie de l'Incarnation (1599 bis 1672) und Maria Sibylla Merian (1647 bis 1717). Der Einzelfall wird Anlaß für die Untersuchung von "gesellschaftlichen Biotopen" - dank der Selbstzeugnisse Glikls und Maries sowie der künstlerischen Arbeiten Merians kann Davis in allen Fällen Selbst- und Fremdwahrnehmung direkt miteinander konfrontieren und unterschiedliche Deutungsmuster als solche zum Sprechen bringen.

Dazu hebt Davis auf vermeintlich klassisch-biographische Art zuerst die Unterschiede zwischen den drei Frauen selbst hervor. Denn obwohl jede von ihnen in die ständische Ordnung europäischer Städte des 17. Jahrhunderts hineingeboren wird, liegen Welten zwischen ihnen. So ist Glikls Aktionsradius auf die Handlungsräume eingeschränkt, die Juden und ihren Familien von Städten oder Fürsten zugestanden wurden. Daran ändert weder Glikls eigenständige Weiterführung des Geschäfts nach dem Tod des ersten Ehemannes 1689 etwas noch ihre zweite Ehe mit einem Financier und führenden Mitglied der Jüdischen Gemeinde von Metz, zu der sie sich 1699 entschließt, um "all mein Vergnüglichkeit zu finden". Folgerichtig übersetzt Davis den im 19. Jahrhundert eingedeutschten Namen Glückel von Hameln in das Jiddische, die Sprech- und Schreibweise Glikls.

Marie Guyart und Maria Sibylla Merian beschreiten dagegen tatsächlich neue Wege, aber auch sie verbleiben innerhalb ihrer Welten, der der katholischen beziehungsweise protestantischen Reformbewegungen des 17. Jahrhunderts. Die Bäckerstochter aus Tours tritt als neunzehnjährige Witwe 1631 gegen den Willen ihrer Familie und ihres einzigen Sohnes dem Ursulinenorden bei. Fortan verläßt sie den Raum des Klosters nicht mehr, auch nicht als sie 1639 als Marie de l'Incarnation Europa den Rücken kehrt, wie sie es im Traum gesehen hatte: "Ihr jesuitischer Beichtvater identifizierte das Land als ,Kanada', von dem sie bis dahin noch nie etwas gehört hatte . . . Gott bestätigte die Deutung ihres Beichtvaters und sagte ihr eines Tages beim Gebet im Chorstuhl: ,Was du gesehen, ist Kanada; du sollst dorthin gehen und Jesus und Maria ein Haus errichten.' "

Die aus Frankfurt am Main gebürtige Maria Sibylla Graff, eine Tochter Matthäus Merians des Älteren, die ihre Ausbildung zur Malerin, Kupferstecherin und Naturkundlerin anders als ihre männlichen Zeitgenossen allein der "Handwerkskunst" (Schiebinger) verdankt, sucht nach der Trennung von ihrem Ehemann Zuflucht im Glauben. Sie tritt 1685 der 350 Männer und Frauen starken Labadistengemeinde in Friesland bei und steigt dort - in Erwartung des Reiches des großen Königs Jesus Christus - durch Buße und Reue, vor allem aber durch die Ablieferung allen eigenen Besitzes vorerst aus der "zweiten Klasse" zu den bereits "Erwählten" auf.

Davis zeigt, wie jenseits der konfessionellen Unterschiede für jede der Frauen Frömmigkeit zu einer Energie wird. Die eigene Geschäftstätigkeit und die Heiratspolitik für "meine Waisen" lassen Glikl befriedigt feststellen: "Wenn ich an der Börse zu einer Börsezeit hätte 20000 Reichstaler Banco haben wollen, hätte ich sie bekommen können." Sie hält dies für ihre Kinder fest, erzählt weitere Geschichten zum "Exempel". Der Bankrott, der ihren zweiten Ehemann kurz nach der Heirat ereilt, trifft Glikl denn auch doppelt und erscheint in ihren Memoiren als Strafe "dafür, daß ich mich auf Menschen verlassen habe". Die Reflexion über diese Erfahrung weitet sich aus zur Auseinandersetzung mit Gott über das eigene Leben. Gerade diesem Moment geht Davis unter Rückgriff auf die neueste Forschung genau nach und eröffnet so völlig neue Einsichten in die Konstruktionsprinzipien von Glikls Text.

Auch die Verwandlung der Marie Guyart in die Nonne Marie de l'Incarnation vollzieht sich als Dialog mit Gott. Eine Vision kurz nach dem Tod ihres Mannes verschafft der Einundzwanzigjährigen einen "Seelenführer", der ihr rät, alles aufzuschreiben; weitere Visionen bewegen sie zum Eintritt ins Kloster und zur Mission: "Und der in mir wohnende Heilige Geist ließ mich zum Ewigen Vater sagen . . . ich bin gelehrt genug Ihn allen Völkern zu verkünden." 1644 erscheinen ihr die Irokesen zwar noch als "das größte Hindernis für den Ruhm Gottes in diesem Land, mit Ausnahme meiner bösen Taten und Gedanken". Aber parallel zum Triumph der Missionsarbeit schüttelt Marie ihre geistlichen Führer ab und verfaßt ihre Seelengeschichte selbst: für ihren Sohn. Inzwischen Oberin, beginnt sie zu unterrichten, lernt Irokesisch und schreibt Katechismen, Gebete, Wörterbücher und ein "großes Buch über die heilige Geschichte und heilige Dinge". "Tatsächlich war mein Studium inneres Gebet; das machte mir die Sprache lieb, und ich empfand sie nicht mehr als barbarisch."

Die Bekehrung der Indianer wirkt auf die Oberin zurück. Obwohl ihr Sohn, der entgegen ihren Verfügungen ihre Selbstzeugnisse druckt, ihr mehrfach anderslautende Urteile unterschiebt, sieht Marie in der "Freiheit" der "Wilden" - anders als Jesuiten oder Kolonialisten - keinen Widerspruch zum Christentum. Noch weiter geht die Merian. Die Andachtspraktiken der Labadisten und die Bemühungen um ein "neues Selbst", die von den Gläubigen wie von Marie Guyart die Abtötung des alten, "verderbten Selbst" verlangen, sind nicht mehr als eine Durchgangsstation. Die naturkundlichen Interessen der Merian lösen sich vom Lobe Gottes und seiner "Allmacht", selbst über "so unachtbare Thierlein und unwerthe Vögelein" wie Raupen und Schmetterlinge, ab. Sie legt ein "Studienbuch" an, dem sie erstmals eine Art "Lebenslauf" beigibt; sie siedelt nach Amsterdam über. Im Unterschied zu der sich gleichzeitig formierenden Entomologie wird für ihre Darstellung von Pflanzen und Insekten eine "ökologische Sicht" kennzeichnend; die Forschungsergebnisse ihrer Expedition nach Surinam, die sie mit zweiundfünfzig Jahren unternimmt, veröffentlicht sie 1705 allein unter ihrem Namen, Gott oder der berühmte Vater bleiben ungenannt.

Verschiebungen dieser Art arbeitet Davis anhand der Differenzen zwischen den Frauen und dem jeweiligen gesellschaftlichen Umfeld genau heraus. Sie verfolgt, wie die Frauen Anregungen aufnehmen und wann sie anders reagieren als ihre Zeitgenossen. Sie wechselt immer wieder die Seiten, spitzt die historische Rekonstruktion auf einzelne Figuren oder Knotenpunkte zu wie auf die Fortsetzung des Dialogs mit Gott im autobiographischen Schreiben, den Rückbezug auf das Selbst oder die Grenzen, die die Handlungsweisen der drei Frauen und ihre Selbstwahrnehmung vorgeben, aber im Laufe der Zeit von ihnen überschritten werden. Auch wenn Davis Belege schuldig bleiben muß, auch wenn die Begriffe politisch korrekt sind, so vermag dieses Verfahren die "Bewegung" der Frauen zu demonstrieren. Der Blick auf die Möglichkeiten, die sich den Frauen in einem bestimmten Moment eröffneten oder nicht, beleuchtet die Waghalsigkeit ihrer Unternehmungen, ihre Leidenschaften und Wünsche besser, als es die bloße Darstellung von Fakten vermöchte. HELGA MEISE

Natalie Zemon Davis: "Drei Frauenleben". Glikl. Marie de l'Incarnation. Maria Sibylla Merian. Aus dem Amerikanischen von Wolfgang Kaiser. Klaus Wagenbach Verlag, Berlin 1996. 388 S., Abb., geb., 58,- DM.

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