Drei Leben, drei Geschichten, drei Helden - in seinem letzten Buch widmet sich der große Gustave Flaubert ganz unterschiedlichen Persönlichkeiten: Félicité, die ihr ganzes Leben als Dienstmagd im gleichen Haus verbringt - Halt und Trost spendet ihr dabei ein grüner Papagei namens Loulou. Julian, der seine Eltern ermordet und trotzdem ein Heiliger wird. Und Salome, die tanzt, bis sie den Kopf Johannes' des Täufers bekommt.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.07.2024Das Flüstern
in der Wand
Ein Gespenst, ein Gebäude
und ein Debütant: frische
Hörbücher für die Ferien.
Was für eine Schmach! Da rasselt das Gespenst von Canterville schaurig-schön mit seinen Ketten und bekommt vom neuen Hausherrn, dem amerikanischen Gesandten Hiram B. Otis, nur die coole Bemerkung „Mein lieber Herr, ich muss Sie schon bitten“ vor die Rüstung geknallt. Das ist für die altehrwürdige Spukgestalt noch kränkender sind als alle Streiche, die die Otis-Kinder ihm spielen. Die Folge: Krankheit, Depressionen, Zusammenbruch. Oscar Wildes Satire „Das Gespenst von Canterville“ kommt wie ein veritabler Nachbarschaftsstreit daher. Hier der verblichene Sir Simon, alter englischer Adel, der seit dem Mord an seiner Frau sein Dasein als unerlöster Geist fristet. Dort die „elenden, modernen Amerikaner“, die so gar keinen Sinn für Übersinnliches haben. Christian Brückner hat nun mit „Das wilde Jazzorchester“ den Klassiker als „Erzählkonzert“ für die ganze Familie bei Sauerländer Audio aufgenommen.
Es ist für den Sprecher nach Rudyard Kiplings „Das Dschungelbuch“ und John von Düffels „Die Ballade von Robin Hood“ die dritte Zusammenarbeit mit Rüdiger Ruppert und Martin Auer. Ruppert, einer der Leiter der Big Band der Deutschen Oper Berlin, und der Jazztrompeter und Komponist Auer haben vor vier Jahren das „wilde Jazzorchester“ ins Leben gerufen und gemeinsam mit Brückner die mittlerweile auch mit dem Deutschen Jazzpreis ausgezeichnete Form der musikalischen Erzählung etabliert.
„Alles Hörbare wird Material“ notierte einst Walter Ruttmann und ebnete mit dem Hörspiel „Weekend“, das ein Berliner Wochenende im Jahr 1930 rein akustisch einzufangen versucht, den Weg für das Genre der O-Ton-Collage. „Sounds of Stabi“ nennt sich jetzt eine Produktion, bei der der speak low-Verlag mit der Staatsbibliothek zu Berlin am Kulturforum kooperierte, um das ikonische Westberliner Gebäude des Architekten Hans Scharoun einer „akustischen Vermessung“ zu unterziehen. Die Hörer eignen sich die Bibliothek in einem Rundgang an, der sie vom Foyer über den Lesesaal bis zur Transportanlage für Bücher führt. Wer sich auf die Soundlandschaft des großzügigen Baus einlässt, schult seinen Hörsinn. Die fünf Stunden lange Aufnahme gibt es in zweifacher Ausführung. Liefert die erste CD ein Stereo-Klangbild, erhält man mit der zweiten, binaural aufgenommen CD, einen dreidimensionalen Raumklang. Voraussetzung: Die Verwendung eines Kopfhörers.
Die Eingangshalle ist mit Naturstein ausgelegt, man hört Schritte hallen, die Türen der Kleiderspinde quietschen. Ganz andere Klangfarben erwarten einen in dem sich über mehrere Etagen hinziehenden Lesesaal. Dieser von Scharoun als „unbegrenzte richtungslose Leselandschaft“ konzipierte Ort hat Teppichböden, dementsprechend gedämpft ist die Geräuschkulisse. Nach einiger Zeit kann man am Umblättern erahnen, ob die Benutzer einen schweren Folianten oder ein modernes Buch lesen. Daneben: Räuspern, Schnäuzen, Niesen. Ganz anders die Töne des Fahrstuhls und der Kastenförderanlage. Es sind dies die maschinellen Klänge der Moderne. Das Genre Hörspiel feiert in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag. „Sounds of Stabi“ dürfte eine der ungewöhnlichsten Produktionen zum Jubiläum sein.
Der Verlag hoerbuchedition words and music fördert in seiner Reihe „Mein erstes Hörbuch“ Nachwuchssprecher. Kevin Dickmann, ausgebildeter Bariton, hat hierfür Flauberts „Drei Geschichten“ eingelesen. Seine unaufgeregte Interpretation, deren Vorlage die Übersetzung von Ernst Wilhelm Fischer aus dem Jahr 1907 ist, wird Flauberts formvollendetem Spätwerk, in dem man unter anderem Félicité, der Dienstmagd mit dem schlichten Herzen, begegnet, über weite Strecken gerecht.
FLORIAN WELLE
Christian Brückner & das wilde Jazzorchester: Das Gespenst von Canterville. Sauerländer Audio/Argon
Verlag. 1 CD, 81 Minuten. 16,45 Euro.
Hannah Wiemer,
Cathlen Gawlich, Julian Mehne: Sounds of Stabi. Speak Low.
2 mp3-CDs,
557 Minuten. 20 Euro.
Gustave Flaubert:
Drei Geschichten.
Gesprochen von
Kevin Dickmann.
Verlag Hoerbuchedition Words and Music. Streaming-Portale,
233 Minuten. 14,45 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
in der Wand
Ein Gespenst, ein Gebäude
und ein Debütant: frische
Hörbücher für die Ferien.
Was für eine Schmach! Da rasselt das Gespenst von Canterville schaurig-schön mit seinen Ketten und bekommt vom neuen Hausherrn, dem amerikanischen Gesandten Hiram B. Otis, nur die coole Bemerkung „Mein lieber Herr, ich muss Sie schon bitten“ vor die Rüstung geknallt. Das ist für die altehrwürdige Spukgestalt noch kränkender sind als alle Streiche, die die Otis-Kinder ihm spielen. Die Folge: Krankheit, Depressionen, Zusammenbruch. Oscar Wildes Satire „Das Gespenst von Canterville“ kommt wie ein veritabler Nachbarschaftsstreit daher. Hier der verblichene Sir Simon, alter englischer Adel, der seit dem Mord an seiner Frau sein Dasein als unerlöster Geist fristet. Dort die „elenden, modernen Amerikaner“, die so gar keinen Sinn für Übersinnliches haben. Christian Brückner hat nun mit „Das wilde Jazzorchester“ den Klassiker als „Erzählkonzert“ für die ganze Familie bei Sauerländer Audio aufgenommen.
Es ist für den Sprecher nach Rudyard Kiplings „Das Dschungelbuch“ und John von Düffels „Die Ballade von Robin Hood“ die dritte Zusammenarbeit mit Rüdiger Ruppert und Martin Auer. Ruppert, einer der Leiter der Big Band der Deutschen Oper Berlin, und der Jazztrompeter und Komponist Auer haben vor vier Jahren das „wilde Jazzorchester“ ins Leben gerufen und gemeinsam mit Brückner die mittlerweile auch mit dem Deutschen Jazzpreis ausgezeichnete Form der musikalischen Erzählung etabliert.
„Alles Hörbare wird Material“ notierte einst Walter Ruttmann und ebnete mit dem Hörspiel „Weekend“, das ein Berliner Wochenende im Jahr 1930 rein akustisch einzufangen versucht, den Weg für das Genre der O-Ton-Collage. „Sounds of Stabi“ nennt sich jetzt eine Produktion, bei der der speak low-Verlag mit der Staatsbibliothek zu Berlin am Kulturforum kooperierte, um das ikonische Westberliner Gebäude des Architekten Hans Scharoun einer „akustischen Vermessung“ zu unterziehen. Die Hörer eignen sich die Bibliothek in einem Rundgang an, der sie vom Foyer über den Lesesaal bis zur Transportanlage für Bücher führt. Wer sich auf die Soundlandschaft des großzügigen Baus einlässt, schult seinen Hörsinn. Die fünf Stunden lange Aufnahme gibt es in zweifacher Ausführung. Liefert die erste CD ein Stereo-Klangbild, erhält man mit der zweiten, binaural aufgenommen CD, einen dreidimensionalen Raumklang. Voraussetzung: Die Verwendung eines Kopfhörers.
Die Eingangshalle ist mit Naturstein ausgelegt, man hört Schritte hallen, die Türen der Kleiderspinde quietschen. Ganz andere Klangfarben erwarten einen in dem sich über mehrere Etagen hinziehenden Lesesaal. Dieser von Scharoun als „unbegrenzte richtungslose Leselandschaft“ konzipierte Ort hat Teppichböden, dementsprechend gedämpft ist die Geräuschkulisse. Nach einiger Zeit kann man am Umblättern erahnen, ob die Benutzer einen schweren Folianten oder ein modernes Buch lesen. Daneben: Räuspern, Schnäuzen, Niesen. Ganz anders die Töne des Fahrstuhls und der Kastenförderanlage. Es sind dies die maschinellen Klänge der Moderne. Das Genre Hörspiel feiert in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag. „Sounds of Stabi“ dürfte eine der ungewöhnlichsten Produktionen zum Jubiläum sein.
Der Verlag hoerbuchedition words and music fördert in seiner Reihe „Mein erstes Hörbuch“ Nachwuchssprecher. Kevin Dickmann, ausgebildeter Bariton, hat hierfür Flauberts „Drei Geschichten“ eingelesen. Seine unaufgeregte Interpretation, deren Vorlage die Übersetzung von Ernst Wilhelm Fischer aus dem Jahr 1907 ist, wird Flauberts formvollendetem Spätwerk, in dem man unter anderem Félicité, der Dienstmagd mit dem schlichten Herzen, begegnet, über weite Strecken gerecht.
FLORIAN WELLE
Christian Brückner & das wilde Jazzorchester: Das Gespenst von Canterville. Sauerländer Audio/Argon
Verlag. 1 CD, 81 Minuten. 16,45 Euro.
Hannah Wiemer,
Cathlen Gawlich, Julian Mehne: Sounds of Stabi. Speak Low.
2 mp3-CDs,
557 Minuten. 20 Euro.
Gustave Flaubert:
Drei Geschichten.
Gesprochen von
Kevin Dickmann.
Verlag Hoerbuchedition Words and Music. Streaming-Portale,
233 Minuten. 14,45 Euro.
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Wunderkammern sind diese Geschichten, immer wieder, mehrfach in einem Satz, hält man den Atem an vor Staunen. Fritz Göttler Süddeutsche Zeitung 20190709